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Amnesty: Ukraine gefährdet Zivilisten

Militär in Wohngebieten: Menschenrechtsorganisation mit schweren Vorwürfen – nicht nur gegen Russland

Amnesty International wirft der Ukraine vor, im Krieg gegen Russland gegen das Völkerrecht zu verstoßen. Die Armee verschanze sich in Schulen und Krankenhäusern und operiere aus Wohngebieten heraus. Vorwürfe wie diese, wonach die Ukraine ihre eigene Zivilbevölkerung gefährde und als „menschliche Schutzschilde“ missbrauche, galten bislang im Westen als russische Propaganda. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyi kritisierte den Amnesty-Bericht scharf.

Ein ukrainischer Panzer in den Straßen von Kiew. Amnesty International wirft den Streitkräften der Ukraine vor, aus Wohngebieten heraus zu operieren und dadurch die Zivilbevölkerung zu gefährden. (Foto: VoidWanderer/CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

Die Menschenrechtsorganisation hat eigenen Angaben zufolge zwischen April und Juni im Kriegsgebiet Untersuchungen angestellt und mit Bewohnern sowie Überlebenden russischen Beschusses gesprochen. Den Erkenntnissen zufolge haben ukrainische Streitkräfte „Zivilisten in Gefahr gebracht, indem sie in Wohngebieten, einschließlich Schulen und Krankenhäusern, Stützpunkte errichteten und Waffensysteme einsetzten“.

Vergeltungsfeuer russischer Streitkräfte

Im umkämpften Donbass sowie in den Regionen Charkiw und Mykolajiw berichteten Augenzeugen „dass das ukrainische Militär zur Zeit der Angriffe in der Nähe ihrer Häuser operierte und das Gebiet dem Vergeltungsfeuer russischer Streitkräfte aussetzte“. Ein derartiges Verhalten hat Amnesty International an zahlreichen Orten beobachtet.

Der Bericht zitiert eine Frau, deren 50-jähriger Sohn bei einem Raketenangriff südlich von Mykolajiw ums Leben kam: „Das Militär wohnte in einem Haus neben unserem Haus und mein Sohn brachte den Soldaten oft Essen. Ich bat ihn mehrmals, sich von dort fernzuhalten, weil ich um seine Sicherheit fürchtete.“ Zum Zeitpunkt des russischen Beschusses habe sich ihr Sohn vor dem Haus aufgehalten. „Er wurde auf der Stelle getötet. Sein Körper wurde in Fetzen gerissen.“

„Ein klarer Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht“

An fünf Orten konnte Amnesty aufgrund von Zeugenaussagen nachweisen, dass ukrainische Soldaten Krankenhäuser als Militärstützpunkte nutzten. In einer Stadt feuerten die Streitkräfte sogar von Stellungen in der Nähe eines Krankenhauses. In mindestens einem Fall kamen beim russischem Beschuss einer medizinischen Labors Zivilisten zu Schaden. Ukrainische Soldaten hatten dort zuvor ihre Basis eingerichtet. „Die Nutzung von Krankenhäusern für militärische Zwecke ist ein klarer Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht“, betont Amnesty.

Russischen Beschuss macht die Ukraine für die Zerstörung einer Geburtsklinik in Mariupol am 9. März verantwortlich. In anderen Fällen konnte Amnesty nachweisen, dass ukrainische Truppen das Krankenhausareal als Stützpunkt genutzt haben. (Foto: armyinform.com.ua/CC BY 4.0 via Wikimedia Commons)

Die Wohngebiete, in denen sich ukrainische Truppen aufhielten, waren nach Erkenntnissen von Amnesty meist „kilometerweit von den Frontlinien entfernt“. Zivilisten hätten also nicht gefährdet werden müssen, stellte die Menschenrechtsorganisation fest. Auch habe das ukrainische Militär es versäumt, die entsprechende Gegend zu evakuieren.

Auch die Ukraine muss das Völkerrecht respektieren

Zwar fand Amnesty nicht an jedem Ort, an dem russische Angriffe zum Tod von Zivilisten führten, Belege dafür, dass die ukrainischen Streitkräfte das Gebiet missbraucht haben könnten. Agnès Callamard, Generalsekretärin von Amnesty International, sieht dennoch geradezu ein „Muster“ darin, dass die ukrainischen Streitkräfte die Zivilbevölkerung gefährden und gegen das Kriegsrecht verstoßen. Die Tatsache, dass sich die Ukraine gegen einen Angreifer verteidigt, befreie das ukrainische Militär nicht von der Verpflichtung, „das humanitäre Völkerrecht zu respektieren“, betont Callamard.

Thomas Wolf

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