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Neue Eskalation im Kaukasus?

Aserbaidschan gegen Armenien: Waffenruhe in Bergkarabach brüchig – Konflikt schwelt seit Jahrzehnten

Die seit rund zwei Jahren geltende Waffenruhe zwischen Aserbaidschan und Armenien im Konflikt um Bergkarabach wird offenbar zusehends brüchig. Die Konfliktparteien bestätigten neue Kämpfe in der zwischen beiden Seiten umstrittenen Region. Mehrere Armenier und mindestens ein Soldat aus Aserbaidschan seien ums Leben gekommen, heißt es.

Große Mehrheit der Bevölkerung ist orthodox

Der Konflikt um Bergkarabach ist alt: Seit mindestens einem Jahrhundert streiten christliche Armenier und muslimische Aserbaidschaner um die rund 3000 Quadratkilometer im Südosten des Kleinen Kaukasus. Aserbaidschan kann dabei auf das Völkerrecht verweisen: Bergkarabach gehört zum international anerkannten Staatsgebiet Aserbaidschans. Armenien dagegen hat die Bevölkerung auf seiner Seite: Mit großer Mehrheit ist die Region von orthodoxen Armeniern besiedelt.

Zu Sowjet-Zeiten war Bergkarabach Aserbaidschan zugeschlagen worden: Seit 1923 bildete es ein autonomes Gebiet innerhalb der muslimischen Republik. Als die Sowjetunion zerfiel, erklärte Bergkarabach 1991 sei­ne Unabhängigkeit. Der Bürgerkrieg, den die Unab­hängigkeitsbestrebungen mit sich brachten, endete 1994 mit einem Waffenstillstand. Bergkarabach verblieb dadurch zwar formell bei Aserbaidschan, war dank armeni­scher Militärhilfe aber faktisch selbstständig. Seit 2017 nennt das Land sich nach einer antiken Region offiziell „Republik Arzach“.

Zerstörungen nach einem aserbaidschanischen Angriff auf Stepanakert, die Hauptstadt der international nicht anerkannten Republik Arzach. (Foto: Yan Boechat/VOA)

2020 brach der jahrzehntealte Konflikt wieder auf: Nach ersten Gefechten ab Juli eskalierte die Lage im September vollends. Aserbaidschanische Truppen starteten eine großangelegte Offensive und konnten weite Teile des umstrittenen Territoriums unter ihre Kontrolle bringen. Rund 7000 armenische und aserbaidschanische Soldaten starben. Nach armenischen Angaben mussten rund 90.000 Zivilisten aus ihrer Heimat fliehen.

Russische Friedenstruppen

Ein unter russischer Vermittlung zustande gekommenes Abkommen beendete die Kampfhandlungen im November 2020 und regelte den Abzug des armenischen Militärs, das die „Republik Arzach“ gestützt hatte. Friedenstruppen der Russischen Föderation überwachen seither die Waffenruhe, die durch die neuen Feindseligkeiten nun wieder in Frage gestellt ist.

Frühzeitig hatte die Türkei Partei für ihre islamischen Glaubensgenossen ergriffen, die als Turkvolk den Türken traditionell nahestehen. Bereits 2016, als der Konflikt schon einmal kurz vor der Ausweitung zum Krieg stand, erklärte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan: „Wir werden Aserbaidschan bis zum Ende unterstützen.“ In dem Waffengang 2020 tat er dies tatsächlich – vor allem diplomatisch, indirekt aber auch militärisch.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan (links) mit Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew. Die beiden turksprachigen Länder sind traditionell eng verbunden. (Foto: President.az/CC BY 4.0 via Wikimedia Commons)

Von der Türkei angeworbene Söldner kamen auf Seiten der aserbaidschanischen Armee zum Einsatz. Rund 4000 Islamisten seien aus dem türkisch besetzten Afrin im Norden Syriens in die aserbaidschanische Hauptstadt Baku gebracht worden, um dann „in vorderster Linie an der armenisch-aserbaidschanischen Grenze“ eingesetzt zu werden, wurde damals vermeldet. Etwa 500 von ihnen bezahlten den Kriegseintritt mit dem Leben.

Die Söldner entstammten radikalen sunnitischen Gruppen, die zwar überwiegend der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) feindlich gegenüberstanden, sich in ihrer Auslegung des Korans aber nicht selten gar nicht so sehr vom IS unterschieden. Sogar von einem „heiligen Krieg gegen die Christen“ in Bergkarabach war die Rede. Die Islamisten sahen es offenbar als ihre Aufgabe an, in den Kaukasusdörfern die Scharia, das islamische Recht, durchzusetzen – ein Verhalten, das bereits aus kurdischen Dörfern im Norden Syriens bekannt war.

Thomas Wolf

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