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Im Blickpunkt

Wer beschießt Saporischschja?

Seit Tagen gehen Meldungen vom Beschuss des ukrainischen AKW Saporischschja durch die Medien. Saporischschja ist mit sechs Reaktoren und einer Gesamtleistung von rund 5700 Megawatt das leistungsstärkste Atomkraftwerk Europas. Eine durch den Beschuss ausgelöste Atomkatastrophe hätte womöglich verheerende Folgen. Wer aber beschießt Saporischschja?

Die sechs Reaktorblöcke des Atomkraftwerks Saporischschja. Das Gelände ist von russischen Truppen besetzt. (Foto: Ralf1969/CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)

Deutsche Medien wie etwa tagesschau.de äußern sich zu dieser Frage seltsam unentschieden: Die Ukraine, heißt es da beispielsweise, mache Russland verantwortlich. Oder man liest, beide Kriegsparteien erklärten, der Beschuss gehe von der jeweils anderen Seite aus. Klar ist: Kein deutscher Journalist ist vor Ort in Saporischschja und könnte Auskünfte aus erster Hand liefern. Insofern ist die Zurückhaltung nachvollziehbar.

AKW-Gelände von russischen Truppen besetzt

Allerdings liefert etwa die Tagesschau die Antwort in ihren eigenen Beiträgen mit – wenn auch gewissermaßen im Kleingedruckten. Das AKW-Gelände, liest man dort nämlich, ist von russischen Truppen besetzt. Keine Armee der Welt würde sich aber dergestalt selbst beschießen. Ein versehentlicher Angriff auf die eigenen Kameraden mag noch vorstellbar sein – aber sicher nicht über Tage oder sogar über Wochen hinweg.

Nun muss man nicht gleich den russischen Anschuldigungen folgen, wonach die ukrainischen Truppen absichtlich auf ein Atommüll-Lager schießen, welches sich auf dem Gelände des Kraftwerks befinde. Ihr Ziel sei es, mutmaßt die pro-russische Besatzungsverwaltung, durch den Beschuss die Explosion einer „schmutzigen Bombe“ zu erreichen, also einer Art Atombombe im Kleinen.

Droht ein Tschernobyl 2.0?

Das dürften nicht viel mehr sein als die üblichen propagandistischen Sticheleien, die seit dem 24. Februar zwischen den Kriegsgegnern hin- und hergehen. Daran, dass für den Beschuss des AKW Saporischschja die Ukraine verantwortlich ist, ist aber nicht zu zweifeln. Bleibt die Frage: Warum tut sie das, warum attackiert sie das größte Atomkraftwerk Europas fortwährend und beschwört damit die Gefahr einer neuerlichen Atomkatastrophe auf ukrainischem Territorium herauf, eines Tschernobyl 2.0? 

Die Antwort ist womöglich dieselbe, die auch für die Frage gilt, weshalb Russland seit der Invasion des Nachbarlands immer wieder medizinische Einrichtungen und Wohngebiete unter Beschuss nimmt: weil dort nicht selten feindliche Truppen ihre Stellungen eingerichtet haben. Das jedenfalls legte eine Untersuchung der Menschenrechtsorganisation Amnesty International jüngst nahe.

Russland will seine Truppen abziehen

Russische Armeeeinheiten, die auf dem Gelände des Atomkraftwerks stationiert sind, könnten die Ukraine demnach zu ihren fortwährenden riskanten Angriffen provoziert haben. Da wirkt es wie ein Lichtblick, wenn Russland nun ankündigt, seine Truppen aus der Umgebung des Kraftwerks abziehen zu wollen. Ihre Gegenwart kann dann nämlich sicherlich nicht mehr als Begründung für den Beschuss dienen.

Thomas Wolf

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