Eigentlich war es nur eine Frage der Zeit, bis sich die „Cancel Culture“ auf der Deutschen liebsten Indianer einschießen würde: auf Winnetou. Was lange zu befürchten war, ist jetzt eingetreten: Der renommierte Buch- und Spiele-Verlag Ravensburger nimmt zwei Bücher zum aktuellen Kinofilm „Der junge Häuptling Winnetou“ aus dem Programm.
Vor einer kleinen, lautstarken Minderheit eingeknickt
Auf Instagram heißt es vom Verlag, man habe „die vielen negativen Rückmeldungen“ zu den Büchern verfolgt und entschieden, die Auslieferung der Titel zu stoppen. Auf gut Deutsch: Man ist vor dem Protest einer zwar kleinen, aber lautstarken Minderheit eingeknickt.
„Wir danken Euch für Eure Kritik“, liest man bei Instagram weiter. „Euer Feedback hat uns deutlich gezeigt, dass wir mit den Winnetou-Titeln die Gefühle anderer verletzt haben. Das war nie unsere Absicht und das ist auch nicht mit unseren Ravensburger Werten zu vereinbaren. Wir entschuldigen uns dafür ausdrücklich.“ Tiefer könnte der Kniefall vor dem virtuellen Mob kaum sein.
Auf der Verlagsseite sind die Produkte nicht mehr zu finden. Beim Internethändler Amazon sind das Buch zum Film und die Ausgabe für Erstleser zwar noch gelistet – noch dazu als „Bestseller“ gekennzeichnet –, aber nicht mehr erhältlich. Bei buecher.de ist immerhin das Erstlesebuch aktuell noch bestellbar. Welche Veröffentlichungen ein großer Verlag tätigt, entscheiden in Deutschland mittlerweile also nicht mehr Marktanalysen. Es entscheidet der Pöbel. Unfassbar!
Winnetou: Ein gutes Stück deutsches Kulturgut
Wer die Winnetou-Geschichten für rassistisch hält, der hat sie entweder nicht gelesen oder nicht verstanden – oder er will sie bewusst falsch verstehen. Vielleicht geht es dem „politisch korrekten“ Internet-Mob aber auch um etwas ganz anderes: Winnetou ist ein gutes Stück deutsches Kulturgut – soll es womöglich unter dem Vorwand des Kampfes gegen (vermeintlichen!) Rassismus selbst „gecancelt“, also vernichtet werden?
Generationen von deutschsprachigen Lesern haben über Karl Mays Romane vom tapferen Apachen-Häuptling und seinen Freunden die Kultur und Lebensweise der amerikanischen Ureinwohner nicht nur kennen-, sondern auch schätzen gelernt. Erfolgreicher als durch Karl Mays Bücher und die darauf basierenden Bühnenadaptionen, Filme oder Hörspiele lassen sich Vorurteile kaum abbauen.
Über alle politischen Systeme hinweg diente Winnetou der Vermittlung eines positiven Indianerbildes: Ob im Kaiserreich, der Weimarer Republik oder im Nationalsozialismus – stets standen die Leser auf Seiten der Indianer und verfolgten gebannt ihren Kampf um ihre angestammten Rechte und gegen die Unterdrückung durch die eindringenden „Bleichgesichter“. Auch in der DDR, die ihre eigenen Indianer-Geschichten hofierte und ideologische Vorbehalte gegenüber May hegte, blieb Winnetou letztlich siegreich.
Ausgerechnet in der Bundesrepublik des Jahres 2022 landet der edle Häuptling nun auf dem „Index“ der politischen Korrektheit – allen Normen des Grundgesetzes, die derlei Verbotskultur doch gerade verhindern sollten, zum Trotz. Ich jedenfalls greife nun erst recht wieder zum Winnetou-Buch oder lege eine alte DVD ein und genieße die Abenteuer von Pierre Brice und Lex Barker. Bei mir werden der Apache und sein weißer Blutsbruder Old Shatterhand garantiert nicht „gecancelt“.
Thomas Wolf