Im lettischen Riga ist ein sowjetisches Ehrenmal abgerissen worden. 80 Meter hoch ragte der Beton-Obelisk in den Himmel, der an die Befreiung Lettlands von deutscher Besatzung im Zweiten Weltkrieg erinnerte. Es war nicht das erste Mal, dass das Baltikum Hand an eine sowjetische Erinnerungsstätte legte: Auch in Estland wurde jüngst ein Sowjet-Denkmal demontiert. Damit soll auch die sichtbare Erinnerung daran beseitigt werden, dass die baltischen Länder jahrzehntelang gegen ihren Willen Teil der kommunistischen Sowjetunion waren.
Das ist durchaus verständlich – man muss immer bedenken, dass diese Denkmäler vor allem als Zeichen der Erniedrigung gedacht waren: Sie wurden errichtet, um der Bevölkerung deutlich zu sagen, wer der Herr im Haus ist. Dass die kleinen baltischen Staaten seit ihrer Unabhängigkeit lieber das neugewonnenes Selbstbewusstsein statt früherer Schmach betonen möchten, ist nachvollziehbar. Dass sie damit auch ein womöglich verheerendes Signal an die russische Minderheit im eigenen Land senden, steht auf einem anderen Blatt.
Mit Propaganda-Parolen beschmiert
Nun gibt es sowjetische Ehrenmäler auch in Deutschland, und auch hier hat mancher seit der russischen Invasion in der Ukraine die Frage gestellt, ob es nicht sinnvoll wäre, auch diese zu entfernen. Das gigantische, vor Pathos strotzende Ehrenmal im Berliner Stadtteil Treptow wurde gar bereits mit Farbe und Propaganda-Parolen beschmiert. Auch das Ehrenmal in Berlin wurde letztlich in dieser Form gebaut, um die Deutschen zu demütigen: um sie daran zu erinnern, dass sie den Krieg verloren hatten und ein besetztes Land waren – angewandte Kriegspsychologie.
Ist eine solche Erinnerung 30 Jahre nach der Wiedervereinigung noch sinnvoll? Im Fall von Deutschland geht es allerdings nicht rein um eine militärische Niederlage, sondern auch um die damit verbundene Beseitigung der NS-Diktatur. Die Entfernung eines Denkmals zum Sieg über das Dritte Reich würde also gewaltiges Konfliktpotenzial mit sich bringen. Wer sich dafür ausspricht, muss sich letztlich den Vorwurf gefallen lassen, die braune Zeit von 1933 bis 1945 zu verharmlosen.
Allerdings muss man auch bedenken, dass die Sowjetunion kein Unschuldslamm war. Sie war sowohl an Einmarsch in Polen als auch dessen Aufteilung als Kriegsbeute beteiligt – hat sich also auch an Verbrechen gegen die Menschlichkeit beteiligt. Sowjetische Soldaten haben zudem schwere Kriegsverbrechen begangen, man denke etwa an die große Zahl von vergewaltigten deutschen Frauen und Mädchen. Auch die brutal niedergeschlagenen Aufstände in Osteuropa nach dem Krieg soll man nicht vergessen. Ob man solch ein System durch monumentale Denkmäler verherrlichen muss, ist eine berechtigte Frage.
Schlichte deutsche Soldatenfriedhöfe
Grundsätzlich wäre vielleicht zu überlegen, ob nicht ein schlichteres Mahnmal sinnvoller wäre. Eines, das nicht die Rote Armee verherrlicht, sondern daran erinnert, wie viele sowjetische Soldaten bei der Schlacht um Berlin und allgemein im Krieg gefallen sind. Keine Verherrlichung, keine Anklage – nur die Tatsachen genannt, das Schicksal der Soldaten betont. Die äußerst schlicht gehaltenen deutschen Soldatenfriedhöfe, die – auch und gerade in Russland – an die Gefallenen in deutscher Unif0rm erinnern, könnten hier Vorbild sein.
Aber: Treptow und Co. sind geschichtliche Denkmäler. Sie zu entfernen, würde bedeuten, einen Teil der Geschichte einfach wegzuräumen – und damit vergessen zu machen. Deutschland hat 1945 den Krieg verloren, Niederlage und Besatzung haben alles danach Entstandene in hohem Maße geprägt, sind Teil der deutschen Identität geworden. Gerade in Zeiten, wo bereitwillig überall Denkmäler vom Sockel gestürzt werden, weil sie nicht mehr als „politisch korrekt“ gelten, wo eine regelrechte „damnatio memoriae“ betrieben wird, sollte man sehr vorsichtig sein. Wo ein Denkmal entfernt wird, findet sich rasch ein weiteres, das plötzlich als ebenfalls anstößig gilt – ein wahrer Domino-Effekt.
Lukas Böhme