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Im Blickpunkt

Die tägliche Dosis Propaganda

„Fake News“ und Desinformation als Teil des Ukraine-Kriegs – Großbritanniens Geheimdienst will Verbündete mit täglicher Twitter-Botschaft bei der Stange halten

In Kriegszeiten ist auch die scheinbar neutrale Berichterstattung mitunter deutlich weniger objektiv als gedacht. Ein Interview mit der US-amerikanischen Historikerin Anne Applebaum, das auf tagesschau.de zu lesen ist, zeigt, wie einfach Journalisten ihre Leser oder Zuschauer mitunter manipulieren können. Dass die RBB-Mitarbeiter Daniel Donath und Silvio Duwe bewusst täuschen wollten, soll hier gar nicht behauptet werden. Dass sie wichtige Informationen, mit deren Hilfe man den antirussischen Standpunkt ihrer Gesprächspartnerin besser einordnen kann, verschweigen, ist allemal auffällig.

Das britische Verteidigungsministerium in London. Täglich verbreitet es seine Sicht des Ukraine-Kriegs per Kurznachrichtendienst Twitter. (Foto: Harland Quarrington/OGL v1.0 via Wikimedia Commons)

Als besonders aktiv in der Führung des „Propagandakriegs“ hat sich Großbritannien erwiesen. Seit Kriegsbeginn vergeht kaum ein Tag, an dem der Geheimdienst oder das Verteidigungsministerium nicht von Nachschubschwierigkeiten, schweren Verlusten, fehlenden Truppen oder anderen Problemen bei der russischen Armee berichten. Gestern hieß es beispielsweise im Tagesschau-Ticker: „Die russischen Besatzer um die südukrainische Stadt Cherson leiden nach Angaben von Militärexperten trotz erheblicher Verstärkungen unter Personal- und Nachschubproblemen.“

„Seit Anfang August hat Russland erhebliche Anstrengungen unternommen, um seine Kräfte am Westufer des Flusses Dnipro um Cherson herum zu verstärken“, zitiert tagesschau.de aus der Twitter-Mitteilung der Briten. Die Einheiten im Süden seien wohl durch Komponenten aus dem Osten ergänzt worden. Das lege eine grundsätzliche Neuorganisation der Kommandostrukturen nahe. Die meisten Einheiten um Cherson bezeichnet der Geheimdienst als unterbesetzt.

Verbündete bei der Stange halten

„Das britische Verteidigungsministerium veröffentlicht seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine unter Berufung auf Geheimdienstinformationen täglich in beispielloser Form Informationen zum Kriegsverlauf“, erläutert die Tagesschau. Damit wolle die britische Regierung sowohl den russischen Darstellungen entgegentreten als auch Verbündete bei der Stange halten. Der Kreml werfe London gezielte Desinformation vor.

Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu betont, der russische Vormarsch in der Ukraine gehe aus Rücksicht auf die Zivilbevölkerung nur schleppend voran. (Foto: Kremlin.ru/CC BY 4.0 via Wikimedia Commons)

Es könnte tatsächlich zutreffen, dass die russische Führung sich den Vormarsch ihrer Truppen in der Ukraine einfacher vorgestellt hat. Dass sie den Widerstandswillen der Ukrainer unterschätzt hat. Es könnte auch sein, dass die aus dem Westen gelieferten Waffen die Schlagkraft der ukrainischen Armee deutlich erhöht haben. Vielleicht stimmt es auch einfach, was Wladimir Putin mehrfach betont und sein dem twitternden Briten-Geheimdienst zufolge in Ungnade gefallener Verteidigungsminister Sergej Schoigu erst kürzlich wieder bekräftigt hat: dass die Invasionstruppen auf Befehl des Kreml ganz bewusst vorsichtig vorgehen, um die (meist russischsprachige!) Zivilbevölkerung im Donbass zu schützen.

Eines jedenfalls macht der Blick auf den Frontverlauf deutlich: Allen britischen Meldungen zum Trotz geht der russische Vormarsch voran – langsam zwar, aber einigermaßen stetig. Zumindest in der Donbass-Region. Der ukrainische Oblast (Bezirk) Lugansk gilt bereits seit Anfang Juli offiziell als „befreit“. An der südukrainischen Front nahe Cherson dagegen hat Russland wohl in den vergangenen Tagen Rückschläge hinnehmen müssen. Cherson aber gehört gar nicht zum primären Zielgebiet der „speziellen Militäroperation“. Dieses umfasst nur die beiden „Volksrepubliken“ im Donbass. Und dort läuft es offenbar recht gut für den Kreml.

Thomas Wolf

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