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Im Blickpunkt

PR-Gag oder Demokratie? – Telegram lässt abstimmen

Telegram galt lange als so etwas wie das „Enfant terrible“ der Sozialen Medien im Internet: Während Facebook oder Twitter frühzeitig dazu übergingen, tatsächliche oder vermeintliche „Fake News“ zu Themen wie Corona, der Impfkampagne oder der Flüchtlingspolitik mit Warnhinweisen zu versehen, zu zensieren oder ihre Urheber zu sperren, wollte die von dem Russen Pawel Durin gegründete Plattform nicht zum Zensurstift greifen. Das ist Vergangenheit. Längst zensiert auch Telegram auf Druck der Behörden ganze Kanäle, insbesondere, wenn es sich dabei um staatsnahe russische Medien handelt.

Nun lässt Telegram in Deutschland seine Nutzer abstimmen. „Wir, das Telegram Team, bitten dich uns deine Meinung mitzuteilen, wie die Daten der deutschen Telegram-Nutzer mit den deutschen Behörden, einschließlich der deutschen Polizei (BKA), geteilt werden können (oder nicht)“, heißt es in einer Nachricht, die alle Telegram-Nutzer erhalten haben, die bei dem Messenger-Dienst mit deutscher Telefonnummer registriert sind.

Missbrauch der Plattform

Um den Missbrauch der Plattform „durch terroristische Gruppen zu verhindern, erlaubt uns unsere aktuelle Datenschutzerklärung seit 2018, IP-Adressen und Telefonnummern von Terrorverdächtigen auf Anfrage der Regierung, die durch einen Gerichtsbeschluss gestützt wird, offenzulegen. Wir führen diese Abstimmung durch, um herauszufinden, ob unsere deutschen Nutzer unsere aktuelle Datenschutzerklärung unterstützen oder ob sie die Zahl der Fälle, in denen Telegram potenziell Daten an Behörden weitergeben kann, verringern oder erhöhen möchten.“

Zur Auswahl stehen drei Optionen. Möglichkeit Nr. 1 entspricht der aktuellen Regelung: Datenweitergabe nur auf Grundlage einer Gerichtsentscheidung. Möglichkeit Nr. 2 würde die Weitergabe auch ohne Gerichtsentscheidung erlauben – rein auf Anforderung der Behörden. „Diese Option wäre, sofern sie Zustimmung findet, komplett neu für Telegram und erfordert deswegen eine Änderung unserer Datenschutzerklärung für Nutzer aus Deutschland“, erläutert der Dienst. Möglichkeit Nr. 3 würde jegliche Datenweitergabe ausschließen.

Widerspruch zum Fernmeldegeheimnis

Nur Option 1 ist nach Ansicht des Stuttgarter Medienrechtlers Tobias Keber mit der gegenwärtigen Rechtslage vereinbar. Eine Ausweitung der Zugriffsmöglichkeiten für Sicherheitsbehörden würde dem Datenschutzrecht und dem Schutz des Fernmeldegeheimnisses widersprechen, sagte Keber der Nachrichtenagentur KNA. In der Abstimmung vermutet er einen bloßen „PR-Gag“, wodurch Telegram sich einen basisdemokratischen Anstrich geben wolle.

Aktuell liegt Option 1 knapp vorn. 39 Prozent der Teilnehmer sprechen sich für eine Beibehaltung der aktuellen Datenschutz-Regeln aus. Für ein völliges Ende der Kooperation mit den deutschen Behörden stimmen 37 Prozent. Nur 20 Prozent unterstützen eine Datenweitergabe ohne Gerichtsbeschluss. Noch bis Montag um 12 Uhr haben die Nutzer die Möglichkeit, sich an der Abstimmung zu beteiligen. Mehr als zwei Millionen haben dies bereits getan. Weltweit hat Telegram rund 700 Millionen aktive Nutzer.

Thomas Wolf

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