Nord Stream 1 ist dicht. Weil bei einer routinemäßigen Inspektion der letzten verbliebenen Turbine in der Kompressorstation Protowaja ein Ölleck gefunden wurde, halten die russischen Behörden einen sicheren Betrieb der Erdgas-Leitung für unmöglich. Deutsche Politiker sehen in dem Lieferstopp ein politisches Manöver. Sie hatten allerdings bereits für die letzte Pipeline-Wartung im Juli prognostiziert, dass Russland den Hahn nicht wieder aufdrehen würde. Damals lagen sie falsch.
Reparatur liegt wegen der Sanktionen auf Eis
Jetzt also ist der Lieferstopp doch eingetreten. Er werde bis zur Reparatur der Turbine andauern, hat der russische Staatskonzern Gazprom verkündet. Eine Reparatur aber dürfte angesichts der westlichen Sanktionen gegen Russland erst einmal auf Eis liegen. Auch jene Turbine, deren Wartung in Kanada zum Politikum geriet, wartet noch immer in Deutschland auf den Weitertransport gen Russland. Gazprom möchte sie nicht zurücknehmen – man befürchtet, damit gegen die Sanktionen zu verstoßen, sich also letztlich im Westen strafbar zu machen.
Das kann die Bundesregierung noch so sehr als vorgeschoben bezeichnen – Fakt ist, dass Russland damit die westlichen Sanktionen in Richtung ihrer Urheber umlenkt. Hier aber treffen sie nicht die Regierenden und die Unterstützer ihrer Sanktionspolitik. Hier treffen sie die einfachen Bürger. Von Tag zu Tag sind die potenziellen Folgen der verfehlten Politik besser zu überblicken: Vielen Menschen, auch aus der Mittelschicht, drohen angesichts extrem steigender Energiepreise und der damit einhergehenden massiven Probleme für den Industriestandort Deutschland Arbeitslosigkeit und Armut.
Preis-Explosion bei Erdgas
Die deutschen Gasspeicher sind zwar mittlerweile zu gut 85 Prozent gefüllt – und damit deutlich voller als vor genau einem Jahr. Über einen kalten Winter aber werden sie das Land wohl nicht retten, befürchten Experten. Entsprechend reagieren die Märkte: Seit Freitag stieg der Preis des Terminkontrakts TTF für niederländisches Erdgas um rund 35 Prozent – eine regelrechte Explosion. Tagesschau.de zufolge gilt der TTF-Kontrakt als Richtschnur für das europäische Preisniveau.
Das neuerliche Entlastungspaket, das die Bundesregierung schnürte und gestern der Öffentlichkeit präsentierte, nimmt sich angesichts des Preisschocks wie ein laues Lüftchen aus – bestenfalls. Nun sollen zwar auch Rentner die einmalige Energiepreispauschale in Höhe von 300 Euro erhalten. Davon wird jedoch kaum etwas übrig bleiben angesichts einer Erdgasumlage, die jeden Haushalt mehrere hundert Euro kosten wird. Der reguläre Preisanstieg, der bereits 2021 einsetzte, ist da noch gar nicht berücksichtigt.
Benzin und Diesel auf Rekordhoch
Allein der Wegfall des befristeten Tankrabatts verteuert Benzin- und Diesel-Kraftstoff auf ein Rekordhoch. Für viele Menschen in Deutschland wird Mobilität – einst als Zeichen der Freiheit gefeiert – zunehmend zum Luxusgut. Dass die Bundesregierung nun die Umsatzsteuer auf den gesamten Gasverbrauch auf sieben Prozent reduzieren will, muss für die Bürger der Bundesrepublik wie Hohn klingen angesichts einer Preisspirale, die seit Monaten nur eine Richtung kennt: steil nach oben.
Dabei ist die Lösung denkbar einfach und naheliegend: Die fertiggestellte, aber aus politischen Gründen – nicht zuletzt auf Druck der USA – nicht in Betrieb genommene Erdgas-Pipeline Nord Stream 2 könnte ihren fehler- und wartungsanfälligen älteren Bruder Nord Stream 1 komplett ersetzen. Russisches Erdgas könnte wieder ungehindert nach Deutschland gelangen – wenn es denn politisch gewollt ist. Selbst eine Art befristete „Notzulassung“ für die Pipeline wäre denkbar – bei den umstrittenen neuartigen Corona-Impfstoffen hatte man mit einer „bedingten Zulassung“ schließlich auch kein Problem.
Will man dem eigenen Land bewusst schaden?
Sanktionen aber, die das eigene Volk ähnlich stark oder sogar noch stärker treffen als das Zielland, haben keinerlei Berechtigung. Wer sie trotzdem gegen alle Widerstände aufrecht erhält, ist entweder dumm oder kurzsichtig – oder er will dem eigenen Land bewusst schaden.
Thomas Wolf