Der Tod der palästinensisch-amerikanischen Journalistin Shireen Abu Akleh bei einem israelischen Militäreinsatz im Westjordanland hat im Mai für Schlagzeilen gesorgt. Jetzt bestätigte eine interne Untersuchung der Armee, was Palästinenser von Anfang an vermutet hatten: Die Kugel, die Abu Akleh bei der Razzia in Dschenin in den Kopf traf, wurde „sehr wahrscheinlich“ von einem israelischen Soldaten abgefeuert. Der Tod der 41-Jährigen wirft ein Schlaglicht auf die Situation der Pressefreiheit in den Palästinensergebieten.
Ihre Trauerfeier geriet zum Politikum: Behelmte Uniformierte drängten den Trauerzug zurück, Sicherheitskräfte traten und schlugen Trauergäste und Sargträger, darunter Angehörige der Toten. Der Sarg drohte umzukippen. Die Trauergemeinde rief „Shireen, unsere Märtyrerin“ und „Zusammen für Shireen – Muslime und Christen“. Abu Akleh war palästinensische Christin und arbeitete rund 25 Jahre lang für den arabischen Fernsehsender Al-Jazeera.
Sie habe aus „ihrer Palästinenserfreundlichkeit keinen Hehl“ gemacht, beschreibt Jacques Ungar vom jüdischen Internetportal
Tachles.ch die 51-jährige Reporterin mit US-Staatsangehörigkeit. Trotzdem habe sie „als objektiv und fachkundig“ gegolten. Ihre Kollegin Dalia Hatuqa lobt: Sie „wollte die Geschichten machen, die kein anderer anpacken wollte“, und habe Menschen zu Wort kommen lassen, „von denen wir sonst nichts wüssten“.
Im israelischen Sperrfeuer
In einem Youtube-Video sagt Hatuqa über Abu Akleh: „Wie die restlichen palästinensischen Journalisten war sie ein Ziel.“ Tatsächlich werden Journalisten in den Palästinensergebieten nicht selten an der Arbeit gehindert. Manche werden verletzt oder gar getötet. Während der Zweiten Intifada 2002 starb der italienische Fotograf Raffaele Ciriello im israelischen Sperrfeuer, als er in Ramallah eine Razzia der Armee dokumentierte.
Beim palästinensischen „Marsch der Rückkehr“ 2018 im Gaza-Streifen war das israelische Militär für den Tod von zwei palästinensischen Journalisten verantwortlich. „Kumi Now“, eine Initiative des christlichen Zentrums Sabeel, bezeichnete den Tod von Yasser Murtaja und Ahmed Abu Hassan als „das schwerwiegendste und eindeutigste Zeichen für den Umgang israelischer Besatzungsstreitkräfte mit Journalisten und Medien in Palästina“.
Schwere Einschränkungen
Auf der Rangliste der Pressefreiheit der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ liegt Palästina auf Platz 170 von 180 – nicht nur, aber auch wegen der israelischen Besatzungspolitik. Journalisten unterliegen dort demnach „teils schweren Einschränkungen“. Die Armee schieße auf Demonstranten und verletze dabei auch Journalisten. Auch bei Luftangriffen kämen Reporter um. „Verhaftungen, Verhöre und Administrativhaft durch Israel“ seien an der Tagesordnung.
In die Berichterstattung zu Abu Aklehs Tod mischten sich von Beginn an einseitige Schuldzuweisungen, Vorurteile und „Fake News“. Aus israelischen Regierungskreisen verlautete zunächst, die Kugel entstamme möglicherweise einem palästinensischen Gewehr. Die Menschenrechtsorganisation B’Tselem untersuchte die Standorte der israelischen Soldaten und militanter Palästinenser zum Zeitpunkt der Schüsse und kam zu dem Schluss, dass die dokumentierten Schüsse von Palästinensern „wohl nicht die waren“, die die Journalistin töteten.
Die Armee schließt sich dieser Analyse nun offenbar an: „Es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Schüsse aus der Waffe eines Soldaten abgegeben wurden“, zitiert tagesschau.de einen ranghohen Vertreter des Militärs. Abu Akleh sei aber nicht als Journalistin identifiziert worden. Es bestehe auch weiterhin die Möglichkeit, dass die Schüsse von bewaffneten Palästinensern abgegeben wurden. Strafrechtliche Ermittlungen wird es jedenfalls nicht geben: „Es gibt keinen Verdacht auf eine Straftat“, hieß es vom israelischen Generalstaatsanwalt.
„Gewaltsame Besatzung“
Ori Givati von der Veteranen-Organisation „Breaking the Silence“ erklärt, dass „unschuldige Palästinenser oft durch Gewehrfeuer“ ums Leben kommen. „Egal, aus welcher Waffe die tödliche Kugel stammte: Israel ist für eine gewaltsame Besatzung und die täglichen Invasionen in palästinensische Städte und Dörfer verantwortlich, die naturgemäß zur Tötung Unschuldiger führen.“ Dies sei genau jene Realität, „die aufzudecken Shireen ihr Leben gewidmet hatte“ – eine Herzensaufgabe, bei deren Ausübung sie ums Leben kam.
Johannes Zang
Der Autor ist freier Journalist und Reiseführer für Israel und Palästina. Aktuell sind von ihm die Bücher „Erlebnisse im Heiligen Land“ und „Begegnungen mit Christen im Heiligen Land“ erhältlich.