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Medienkritik

Ein Mönch gegen „Cancel Culture“

In seinem neuen Buch „Warum lassen wir uns verrückt machen?“ bezieht der Ordensmann Notker Wolf deutlich Stellung gegen die politische Korrektheit

Notker Wolf ist kein Revolutionär, aber auch keiner, der sich den Mund verbieten lässt. Der ehemalige Erzabt der bayerischen Benediktinerabtei St. Ottilien steht zu dem, was er denkt. Und er denkt nicht selten kritisch: über den Zustand der Kirche, aber auch über Politik und Gesellschaft. Auch zur „Cancel Culture“, die mittlerweile selbst die Kirche erreicht, hat er eine klare Meinung. Und er scheut sich nicht, diese zu äußern. In seinem neuen Buch „Warum lassen wir uns verrückt machen?“ nimmt er Stellung zu Indianer-Verboten, Corona-Ängsten und politisch korrekten Straßenumbenennungen.

Der Benediktiner Notker Wolf wendet sich klar gegen politisch korrekte Verbote und Zensur. (Foto: Simon Pi/CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

Ein zentraler Begriff seines Buchs ist Angst: Der Kirchenmann warnt davor, sich von Ängsten beherrschen zu lassen. „Wen die Angst befällt, den macht sie schwach, sie selbst aber ist mächtig“, schreibt Wolf. Denn wo die Ängstlichen den Ton angeben, werde Angst zur Tugend. „Dann werden die Furchtsamen zu Helden und die Furchtlosen zu Verrätern.“ Wohin das führen kann, hat die Corona-Pandemie gezeigt: Die Menschen igelten sich auf Anweisung der Regierung ein, kappten ihre sozialen Kontakte und sahen in jedem Gegenüber eine potenziell todbringende Virenschleuder. Manche handeln so bis heute.

Angst vor Berührungen

Insbesondere die Angst vor Berührungen machen dem Benediktiner Wolf Sorgen. Keineswegs nur in Bezug auf Corona, sondern auch hinsichtlich des Umgangs mit anderen Kulturen. „Mehr als jede Berührung stört mich der Verfolgungswahn von Leuten, die hinter jeder Straßenecke einen Ausländerfeind vermuten und in jedem Mitmenschen eine Gefahr für meine Gesundheit erblicken“, schreibt der ehemalige Erzabt, der zu den bekanntesten Vertretern der Kirche in Deutschland zählen dürfte.

Wolf befasst sich mit einer Vielzahl an Schauplätzen, auf denen die politische Korrektheit derzeit ihr Unwesen treibt. Ob es nun Straßen sind, deren Namen (scheinbar) nicht mehr in die Zeit passen, Denkmäler, Formulierungen und Ausdrücke in Kinderbüchern oder der (wie Wolf es nennt) „Tanz um das Goldene Kalb der Minderheiten und Identitäten“ – der Benediktiner steht der wachsenden Zahl an Feldzügen, die eine kleine, aber lautstarke Minderheit gegen Sprache und Kultur führt, äußerst kritisch gegenüber.

Abweichende Meinung bekämpfen

Streitfragen zu lösen, indem man etwas verbietet, verbannt oder anderweitig unsichtbar macht, lehnt Wolf ab. Und macht ein Grundübel der grassierenden „Cancel Culture“ deutlich: Sie will abweichende Meinungen gar nicht hören, sondern bekämpfen. Dahinter stecke, meint der Ordensmann, die Angst vor einem Konflikt mit anderen Menschen, also auch eine Berührungsangst. Letztlich wird hier aus Angst davor, im Umgang mit fremden Kulturen oder Minderheiten Fehler zu machen, die Meinungsfreiheit eingeschränkt.

Jesus treibt die Händler aus dem Tempel – auch ein Zeichen des Kampfes gegen den Zeitgeist vor 2000 Jahren. (Foto: Distant Shores Media/Sweet Publishing/CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)

Nun ist Notker Wolf kein Politiker, sondern Kirchenmann. Und als solcher darf in seiner Argumentation jener nicht fehlen, auf den die Kirche sich seit 2000 Jahren beruft: Jesus Christus. Ihn führt Wolf als Paradebeispiel eines furchtlosen und politisch unkorrekten Menschen an. Obwohl er sich dadurch mächtige Feinde machte, habe sich Jesus nicht vom „Dämon der Ängstlichkeit“ einschüchtern lassen und dem Zeitgeist stets mutig getrotzt. „Er könnte auch uns Heutigen einiges zu sagen haben“, schreibt der Benediktiner. 

Scheinheiliges Moraldiktat

Notker Wolf hat ein Buch vorgelegt, das für einen auf Ausgleich bedachten Kirchenmann überraschend deutlich ausfällt. Das mutig Stellung bezieht und klar aufzeigt: Probleme bewältigt man nicht mit Panik, Furcht und Berührungsangst – oder gar mit Zensur und Verboten. „Warum lassen wir uns verrückt machen?“ ist unbedingt lesenswert, weil es die politische Korrektheit aus ungewöhnlicher Perspektive attackiert. Und weil es das scheinheilige Moral- und Meinungsdiktat unserer Zeit schonungslos aufdeckt.

Anna Steinkamp

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