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Kommentar

Wahlkampf-Getöse und Sozialtourismus

CDU-Chef Friedrich Merz muss sich für Kritik an pendelnden Ukrainern entschuldigen – Vorwurf des Sozialtourismus ist begründet, aber politisch unbequem

Wer in den vergangenen Tagen die Nachrichten verfolgt hat, wird sich vielleicht gewundert haben. Von bekannten Politikern kommen plötzlich Töne, die man vorher so nicht gehört hat. Vor ein paar Tagen erst sagte Innenministerin Nancy Faeser (SPD), die Migrationszahlen in Deutschland seien zu hoch geworden. So könne es nicht weitergehen. Zuvor war wochenlang zu hören, dass jeder willkommen sei. „Wir haben Platz!“, lautete die Parole ungeachtet des zunehmenden Kampfs auf dem Wohnungsmarkt. Nun musste sich CDU-Chef Friedrich Merz entschuldigen. Er hatte Ukrainern in Deutschland Sozialmissbrauch vorgeworfen.

Ausgebuchte Flixbusse

Hinweise darauf, dass Merz mit seiner Kritik richtig lag, gibt es zuhauf. Man denke an Berichte über ausgebuchte Flixbusse von Kiew nach Berlin und zurück oder Wucher bei Mieten durch Landsleute. Darüber sprechen wollte das politische Berlin nicht. Passen doch Ukrainer, die zwischen Deutschland und dem Kriegsgebiet pendeln, nicht ins vorherrschende Bild. Alles, was mit der Ukraine zu tun hat, muss positiv gesehen werden, um nicht der Propaganda des Kreml Vorschub zu leisten. Soweit die Logik der Politik. Ukrainer, die vom Krieg gar nicht betroffen sind, sondern nur Geld abgreifen wollen, sind da mehr als unbequem.

Ausgebuchte Flixbusse von und nach Kiew deuten darauf hin, dass Friedrich Merz mit seinem Vorwurf des Sozialtourismus nicht falsch lag. (Foto: Lupus in Saxonia/CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

Sind die Merz-Äußerungen nun erste Anzeichen für einen Umschwung in Teilen der Union? Beginnen die Christdemokraten zu zweifeln, ob der bisherige Weg bei Zuwanderung und Asyl der richtige ist? Als Oppositionspartei kann die Union manche Dinge aus anderer Warte betrachten. Auch die im Wesentlichen von den Grünen geprägte Energiepolitik. Sie ist bereits krachend gescheitert. Viele Deutsche fürchten sich vor kalten Wohnungen im Winter. Da liegt es nahe, auch die anderen Betätigungsfelder der Grünen kritischer in Augenschein zu nehmen.

2015: eine einzigartige Zäsur

Die Grünen sind die größten Befürworter der Zuwanderung nach Deutschland. Ihre Positionen konnten sie bis in der Mitte der Gesellschaft verankern. Die verfehlte Zuwanderungspolitik der vergangenen Jahre aber geht auf das Konto der Regierung von Angela Merkel! 16 Jahre regierte die Union das Land. In dieser Zeit hat sich das Asylproblem drastisch verschärft. Das Jahr 2015 stellt eine einzigartige Zäsur dar. Nie zuvor kamen unkontrolliert so viele Menschen in die Bundesrepublik. Dies und der Familiennachzug haben das Land verändert. Die Folgen sind heute in vielen Städten und zunehmend auch im ländlichen Umkreis wahrnehmbar.

CDU-Chef Friedrich Merz beim Kongress der Europäischen Volkspartei in Rotterdam. (Foto: European People’s Party/CC BY 2.0 via Wikimedia Commons)

Auch nach Amtsantritt der Ampelkoalition tat die Merz-Union in Sachen Zuwanderung wenig. Dass jetzt der Chef einer Partei, die zu den Verursachern der Krise zu zählen ist, den über Jahre gutgeheißenen Kurs kritisiert, ist verdächtig. Es liegt der Verdacht nahe, dass dahinter keine Überzeugung steckt, sondern Kalkül. Mit den jüngsten Wahlen in Schweden und Italien sind in zwei westlichen Ländern konservative Kräfte auf dem Vormarsch. Beides Länder übrigens, die sichtliche Probleme mit der Zuwanderung aus Afrika und dem Nahen Osten haben.

Keine Hochburg der AfD

Nun steht am 9. Oktober die Landtagswahl in Niedersachsen an. Die AfD kann Umfragen zufolge mit einem Stimmenzuwachs rechnen. Durchaus bemerkenswert, da Niedersachsen gerade keine Hochburg der Partei darstellt. In diesem Kontext ist Merz’ Pendler-Kritik wohl zu sehen. Man gibt vor, in Sachen Zuwanderung einen harten Kurs zu fahren, damit weniger Wähler ihr Kreuz bei der AfD machen. Beim Wähler verfängt diese Taktik allerdings bislang nicht. Prognosen sehen die Union als größten Verlierer der Wahl. Die Christdemokraten könnten bis zu fünf Prozent verlieren.

Der Niedersächsische Landtag wird am 9. Oktober neu gewählt. Die AfD könnte ihren Stimmenanteil merklich verbessern. Friedrich Merz’ CDU droht ein Debakel. (Foto: Tim Rademacher/CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)

Vor anstehenden Wahlen hauen CDU und CSU gerne mal auf den Tisch. Man hört dann mitunter Aussagen, die einer regelrechten Kehrtwende gleichkommen. Besonders beliebt: das Thema „Leitkultur“. Nach der Wahl verschwindet es schnell wieder in der Versenkung. Ein Meister hierbei war Horst Seehofer. Als Innenminister unter Angela Merkel profilierte er sich mit der Schaffung des „Heimatministeriums“. Dies bestärkte die Hoffnung, die Union würde sich auf ihre konservativen Wurzeln besinnen. ass dergleichen nicht geschah, dürfte viele traditionelle CDU-Anhänger enttäuscht haben.

Konservative Wähler zurückgewinnen

Dass nun gerade Friedrich Merz den Sozialmissbrauch durch Ukrainer anprangert, passt ins Schema. Merz gilt als Vertreter des konservativen Flügels der CDU. Er stehe für eine andere Politik innerhalb der Union, heißt es. Merz hätte somit das Potenzial, konservative Wähler für die Christdemokraten zurückzugewinnen. Dass seine jüngsten Äußerungen aber mehr sind als Wahlkampf-Getöse, ist unwahrscheinlich. Immerhin hat er sich ja bereits für seine Äußerung entschuldigt.

Hätte Merz das, was er sagte, ernst gemeint – er hätte keinen Grund zurückzurudern. So aber ist davon auszugehen, dass es sich bei der Debatte um das bekannte Täuschungsmanöver der Union handelt. Vor den Wahlen kräftig „rechts zu blinken“, dann aber doch nach „links abzubiegen“. Echte Opposition sieht anders aus.

Lukas Böhme

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