Kategorien
Im Blickpunkt

Elon Musk und der Frieden in der Ukraine

Tesla-Gründer fällt nach Twitter-Vorschlag bei Wolodymyr Selenskyi in Ungnade – Volksabstimmungen im Donbass und in besetzten Gebieten unter internationaler Aufsicht sollen Konflikt mit Russland beilegen helfen

Eine skurrile Auseinandersetzung auf Twitter sorgt dieser Tage für Gesprächsstoff. Der südafrikanische Multimilliardär Elon Musk, Gründer des Elektroautoherstellers Tesla und mittlerweile wieder an einem Kauf des Kurznachrichtendienstes interessiert, präsentiert einen Friedensplan für die Ukraine. Und wird dafür angefeindet. Sogar der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj greift in den Streit ein. Bevor er nun offenbar in Ungnade fiel, galt Musk als Unterstützer der Ukraine. Sein Satelliten-Internet-System Starlink half den Kiewer Truppen, die digitale Infrastruktur des Landes nach dem russischen Einmarsch aufrecht zu erhalten.

Elon Musk zofft sich wegen seines Friedensplans auf Twitter mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyi. Eigentlich unterstützt Musk die Ukraine. (Foto: Ministério das Comunicações/CC BY 2.0 via Wikimedia Commons)

Nun hat Musk es sich ganz offensichtlich mit Kiew verscherzt. Hintergrund ist eine Twitter-Nachricht von gestern. Der reichste Mann der Welt schlug darin vor, die jüngsten Volksabstimmungen im Donbass und in den russisch besetzten Gebieten Saporischschja und Cherson unter Aufsicht der Vereinten Nationen zu wiederholen. Wenn dies der Wille der Menschen vor Ort ist, solle Russland seine Truppen abziehen. Die Krim solle dagegen als Teil Russlands anerkannt und ihre Wasserversorgung sichergestellt werden. Die Ukraine erhalte einen dauerhaft neutralen Status.

Krim „seit 1783“ Teil Russlands

Die Krim-Halbinsel, schrieb Musk, sei „seit 1783“ Teil Russlands gewesen. Erst „Chruschtschows Fehler“ habe sie der Ukraine überantwortet. Gemeint ist damit ein umstrittener Rechtsakt von 1954. Damals übertrug Sowjetführer Nikita Chruschtschow die Oberhoheit über die Halbinsel, die zuvor Teil Russlands gewesen war, der Ukraine. In einer Wodka-Laune, mutmaßen manche. Andere vermuten, Chruschtschow wollte sich durch eine Art Morgengabe der Solidarität der Ukrainer sichern. Fest steht nur eines: Chruschtschow hatte selbst engste persönliche und politische Verbindungen zur Ukraine. Und er schenkte seiner langjährigen Heimat eine Halbinsel von strategischer Bedeutung.

Sowjetführer Nikita Chruschtschow war bekannt für seine emotionalen Ausbrüche. Womöglich hat er die Krim 1954 in einer Wodka-Laune der Ukraine geschenkt. (Foto: Anefo/CC0 via Wikimedia Commons)

Dass die Menschen damit nicht unbedingt einverstanden waren, zeigte sich am 20. Januar 1991. An jenem Tag stimmte in einem Referendum eine überwältigende Mehrheit der Krim-Bewohner für die Unabhängigkeit ihrer Halbinsel innerhalb einer erneuerten Sowjetunion. Die Ukraine erkannte die Abstimmung nicht an. So blieb die Krim weiterhin Kiew unterstellt – wenn auch mit gewissen Autonomierechten. Auch ein Beschluss der Volksvertretung der Autonomen Republik Krim vom 5. Mai 1992 änderte daran nichts. Statt der erhofften Unabhängigkeit erreichte man lediglich einen etwas höheren Grad an Selbstständigkeit innerhalb der Ukraine. Erst die Abstimmung von 2014 löste die Krim effektiv von Kiew und machte sie zum Gliedstaat der Russischen Föderation.

Ungünstiger Zeitpunkt

Vielen Menschen, selbst in der Ukraine, dürfte Elon Musks Vorstoß vernünftig erscheinen. Schließlich könnte er womöglich helfen, den Krieg, der mittlerweile mehr als sieben Monate dauert und dessen Vorgeschichte ganze acht Jahre zurückreicht, zu beenden. Für Kiew und seine Unterstützer im Westen kommt der Musk-Tweet dagegen zum ungünstigsten Zeitpunkt. Und das hat seinen Grund: Die ukrainischen Truppen stoßen offenbar immer weiter Richtung Osten vor. Aus dem Oblast Charkiw mussten sich die russischen Streitkräfte bereits weitestgehend zurückziehen. Im Bereich Cherson, heißt es, seien ihre Verteidigungslinien sogar förmlich zusammengebrochen.

Ukrainische Soldaten auf ihrem Vormarsch. Das aktuelle Kriegsglück der Ukraine macht Friedensverhandlungen unwahrscheinlich. (Foto: Mil.gov.ua/CC BY 4.0 via Wikimedia Commons

Nein, Friedensverhandlungen sind für die ukrainische Regierung dieser Tage so wenig opportun wie wohl noch nie. Der Sieg auf dem Schlachtfeld, den der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell bereits vor Monaten beschwor – für die Ukraine scheint er aktuell zum Greifen nah. Entsprechend heftig fiel die Reaktion auf Musks Twitter-Beitrag aus. Selenskyi startete eine Umfrage, welchen Elon Musk die Nutzer eher mögen: denjenigen, der die Ukraine unterstützt. Oder denjenigen, der Russland unterstützt. Erwartungsgemäß liegt der pro-ukrainische Musk meilenweit vorn.

Ukraine-Sieg unwahrscheinlich

„Russland hat dreimal so viele Einwohner wie die Ukraine“ und ein Sieg der Ukraine sei entsprechend unwahrscheinlich, reagierte Musk auf den Shitstorm, der auf ihn einprasselte. Wem die Menschen in der Ukraine am Herzen liegen, der müsse sich für Frieden einsetzen, forderte der Tesla-Mogul. Selenskyi-Berater Mychajlo Podljak meint dagegen: „Es gibt einen besseren Vorschlag.“ Die Ukraine werde ihr Territorium zurückerobern – einschließlich der „annektierten Krim“. Russland werde demilitarisiert, müsse seine Atomwaffen abgeben und „kann niemandem mehr drohen“. Und Andrij Melnyk, Noch-Botschafter der Ukraine in Berlin, kommentierte: „Fuck off.“

Thomas Wolf

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.