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Im Blickpunkt

Die DDR – eine patriotische Alternative?

Im real existierenden Sozialismus standen Vaterlandsliebe und Nationalgefühl hoch im Kurs – Das SED-System berief sich auf die „fortschrittlichen Aspekte“ der deutschen Geschichte

Bis heute „tickt“ der Osten anders. Die Menschen stehen der Politik der Regierung skeptischer gegenüber, gehen häufiger auf die Straße, um für ihre Rechte zu demonstrieren, und wählen öfter Linke oder AfD. Beobachter führen dies meist auf die Prägung durch die SED-Diktatur zurück. Tatsächlich steht wohl etwas anderes dahinter. Ausgerechnet die US-kritische 68er-Bewegung könnte dafür gesorgt haben, dass die Bundesrepublik ihr Heil nicht im deutschen Patriotismus suchte, sondern jenseits des Atlantiks. In der DDR fand sie schlicht nicht statt. Und mit ihr fiel auch die beinahe zwanghafte Distanzierung von der eigenen Identität aus.

Wachwechsel vor der Neuen Wache in Berlin 1989. Die Uniform der Nationalen Volksarmee der DDR soll bewusst an die der Wehrmacht erinnern und den deutschen „Nationalcharakter“ der Truppe betonen. (Foto: CMSgt. Don Sutherland/gemeinfrei)

So verwundert es auch nicht, dass etwa die Uniform der Nationalen Volksarmee der DDR ganz bewusst an diejenige der Wehrmacht angelehnt war. Damit ließ sich nach Ansicht der Staatsführung der deutsche „Nationalcharakter“ der neuen Armee betonen. Selbst der charakteristische abgeflachte NVA-Helm, der im ersten Moment so ganz anders aussieht als die klassischen deutschen Stahlhelme, entstammt den Beständen der Wehrmacht. Seit 1943 befand sich ein entsprechendes Versuchsmuster in der Erprobung. Die NVA sollte sich in ihrem Erscheinungsbild klar von der Bundeswehr abheben. Weil deren Uniform zunächst stark den US-Truppen ähnelte, sprach Willi Stoph, der erste Minister für Nationale Verteidigung der DDR, von einer „Preisgabe der patriotischen Ehre“.

Die Nation in Frage gestellt

Im Westen sozialisierte Bürger wuchsen in einem Umfeld auf, das die deutsche Nation in Frage stellte und bis heute nach Ansicht von Kritikern keinen gesunden Zugang zur eigenen Geschichte findet. Dagegen lehrte die DDR bis 1989/90 ein Geschichtsbild, in dem die „fortschrittlichen Aspekte“ der deutschen Vergangenheit prominent propagiert wurden. Ob es nun der revolutionäre Pfarrer und Luther-Zeitgenosse Thomas Müntzer (1489/90-1525) war, den das „demokratische Deutschland“ als direkten Vorläufer vereinnahmte, eine national verstandene Reformation oder der „Befreiungskrieg des deutschen Volkes gegen die napoleonische Fremdherrschaft“ – die DDR fand genügend historische Vorbilder. Politische Instrumentalisierung inklusive.

Bei der Verteidigung der „sozialistischen Heimat“ seien „alle Helden, die ihr Leben für die Einheit und Freiheit unseres Vaterlandes gelassen haben, große Vorbilder“, liest man in einer Broschüre der FDJ. Darunter verstand die Staatsjugend „besonders jene Männer, die in den Jahren 1812/13 mit dem russischen Volk zusammen gegen den gemeinsamen Feind und Unterdrücker Napoleon kämpften“. Einer von ihnen war Theodor Körner, „der in begeisterten Liedern und Gedichten die Freiheit unseres Volkes besang und dieses Bekenntnis im Alter von 22 Jahren mit seinem Heldentode besiegelte“. Der Dichter kämpfte für das Lützowsche Freikorps, einen Freiwilligenverband, dessen schwarz-rot-goldene Uniform als eine der Quellen für die deutschen Nationalfarben gilt. Im Westen ist Körner nach 1945 kaum noch jemandem ein Begriff.

Dichter Theodor Körner (mit hochgezogenem Kragen) als Soldat des Lützowschen Freikorps. Dessen Uniform gilt als eine der Quellen für die deutschen Nationalfarben. (Foto: Georg Friedrich Kersting/gemeinfrei)

Eignet sich die DDR also als patriotische Alternative zu einer als geschichts- und vaterlandslos verstandenen Bundesrepublik? Ein ostalgischer Blick zurück mag verheißungsvoll erscheinen – erst recht an einem „Tag der Republik“ wie diesem 7. Oktober. Zur DDR gehört allerdings nicht nur ihre ausgesprochen nationale Gesinnung. Den SED-Staat zeichnete auch die Unterdrückung und Ausgrenzung Andersdenkender aus, Indoktrination von Kindesbeinen an, eine fast alltägliche Bespitzelung, auch durch Familienmitglieder, die politische Ohnmacht weiter Teile des Volkes, Misswirtschaft und Versorgungsengpässe. Eine echte Alternative sieht sicherlich anders aus.

Thomas Wolf

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