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Im Blickpunkt

Wird der Iran zum nächsten Syrien?

Klerikal-konservatives Mullah-System gerät durch gewaltsame Massenproteste immer mehr in Bedrängnis – Droht eine Eskalation wie beim Islamisten-Aufstand gegen Baschar al-Assad?

Die Situation im schiitisch geprägten Iran eskaliert immer weiter. Nachdem eine junge Kurdin nach ihrer Festnahme unter ungeklärten Umständen gestorben war, gingen in der Hauptstadt Teheran und in den kurdischen Landesteilen Zigtausende Menschen auf die Straße. Die 22-jährige Mahsa Amini soll gegen die islamischen Kleidervorschriften verstoßen haben. Die Behörden machen für ihren plötzlichen Tod eine Vorerkrankung am Herzen verantwortlich. Ihre Familie und Oppositionelle vermuten dagegen, sie sei im Gewahrsam der Sittenpolizei durch Schläge gegen den Kopf getötet worden.

Aufstand gegen die Mullahs

Die anfänglichen Proteste gegen Polizeigewalt und für Frauenrechte nehmen immer mehr die Züge eines Aufstands gegen das klerikale Mullah-Regime an. In der Hauptstadt warfen Demonstranten Molotow-Cocktails. Die Polizei setzt Tränengas und scharfe Munition ein. Mehr als 80 Menschen sollen bei den Unruhen nach Informationen von Amnesty International bereits ums Leben gekommen sein. Darunter sind auch Sicherheitskräfte. Teheran spricht von Krawallmachern und Terroristen, gegen die es vorgehen müsse. Iranische Truppen griffen sogar kurdische Stellungen im benachbarten Irak an.

Iranische Polizisten während einer Demonstration. (Foto: Fars Media Corporation/CC BY 4.0 via Wikimedia Commons)

Beobachter erinnern die Auseinandersetzungen im Iran an den Beginn des Bürgerkriegs in Syrien 2011. Aus einzelnen Protestaktionen gegen die autoritäre Politik von Präsident Baschar al-Assad entwickelte sich binnen weniger Monate ein rücksichtslos geführter Krieg verschiedener militanter Gruppen gegen die Regierung in Damaskus. Damals wie heute stellte sich der Westen schnell an die Seite der vorgeblich demokratischen Proteste gegen das autoritäre Regime. Tatsächlich war von der demokratischen Gesinnung der syrischen Opposition bald nichts mehr zu spüren.

Sunnitischer Terror

Stattdessen setzten sich radikale Islamisten und militante Extremisten unter den Aufständischen durch. Die sunnitische Terrorgruppe Al-Qaida und die aus ihrer irakischen Sektion hervorgegangene Terrormiliz „Islamische Staat“ (IS) griffen in den Bürgerkrieg ein. Zeitweise standen weite Teile Syriens und des nördlichen Iraks unter IS-Kontrolle. Kurdische Kämpfer und dem Iran nahestehende Schiiten-Milizen drängten die sunnitischen Dschihadisten zurück. Heute gilt der IS zwar als weitgehend besiegt. Aus dem Untergrund heraus allerdings wird er immer wieder aktiv.

Die islamisch-konservativ geführte Türkei stand zeitweilig im Verdacht, im Kampf gegen das ihr verhasste, weil säkulare Assad-Regime mit den Dschihadisten gemeinsame Sache zu machen. Belegt ist immerhin, dass die Türkei eigene Islamisten-Verbände ausgerüstet und in Syrien eingesetzt hat. Rund 4000 von ihnen wurden später als Söldner angeworben, um in der umstrittenen Kaukasus-Region Bergkarabach gegen christliche Armenier zu kämpfen. Dabei soll sogar von einem „heiligen Krieg gegen die Christen“ in Bergkarabach die Rede gewesen sein.

Syriens Präsident Baschar al-Assad (links) besucht mit Wladimir Putin eine orthodoxe Kirche. Rechts: Patriarch Johannes X. von Antiochien. (Foto: Kremlin.ru/CC BY 4.0 via Wikimedia Commons)

Auch seitens der westlichen Politik war es mit der Demokratie offenbar nicht allzu weit her. Der Nahost-Experte und ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Jürgen Todenhöfer warf den Regierungen Europas und der USA schon 2012 vor, an einer echten Demokratie in Syrien nicht interessiert zu sein. „Der größte Widerstand gegen demokratische Reformen geht derzeit von der westlichen Politik aus“, sagte Todenhöfer damals. Assad, den er persönlich kennt, bescheinigte der Ex-Abgeordnete einen ernsthaften Reformwillen. „Ich habe den Eindruck, dass Assad Syrien in der Tat in Richtung Demokratie umgestalten will.“

Verbündeter Irans

Todenhöfer hat den syrischen Präsidenten als ruhigen Mann erlebt, der rational argumentierte. Er sei „nicht der typische Macho-Diktator, als der er im Westen dargestellt wird“. Für Todenhöfer stellte sich der Westen aus einem ganz bestimmten Grund auf die Seite der syrischen Opposition: Er hoffte, mit Assad einen wichtigen Bündnispartner des Iran zu beseitigen. „Assad könnte morgen die perfekte Demokratie in Syrien einführen – solange er Verbündeter Irans ist, würden die USA immer einen Grund finden, ihn zu bekämpfen“, zeigte Todenhöfer sich überzeugt.

Hier nun schließt sich der Kreis zu den eskalierenden Protesten im Iran. Werden sie in Kürze ebenfalls in einen Bürgerkrieg münden? Exiliraner hoffen bereits auf eine Revolution, die das strenge schiitische Herrschaftssystem hinwegfegen könnte. Womöglich stacheln westliche Geheimdienste die Proteste sogar ganz bewusst an. Gerade die USA dürften ein großes Interesse daran haben, dass das Mullah-Regime fällt. Nicht nur wegen des seit Jahren schwelenden Atomstreits. Auch im Ukraine-Krieg hat das Land sich für den westlichen Geschmack etwas zu pro-russisch positioniert.

Thomas Wolf

Irans Revolutionsführer Ali Chamenei. Die Massenproteste richten sich zunehmend gegen sein schiitisch-konservatives Mullah-System. (Foto: Khamenei.ir/CC BY 4.0 via Wikimedia Commons)

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