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Kommentar

Das Wohl des Volkes kümmert wenig

Frank-Walter Steinmeiers Rede an die Nation macht deutlich: Von der Bundesregierung und ihrem verlängerten Arm in Schloss Bellevue ist in der Krise auch weiterhin keine Politik für Deutschland zu erwarten

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sieht „raue Jahre“ auf Deutschland zukommen. In einer Rede an die Nation stimmte der Hausherr von Schloss Bellevue die Menschen im Land heute auf einen beispiellosen Verlust von Wohlstand und Sicherheit ein. Deutschland befinde sich in der tiefsten Krise seit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten 1990. Damit liegt Steinmeier gewiss nicht falsch. Aber er untertreibt noch: Betrachtet man die Höhe der Inflation, so stellt die gegenwärtige Krise, an der die westlichen Sanktionen gegen Russland einen gewaltigen Anteil haben, die größte seit dem Zweiten Weltkrieg dar. Und ein Ende ist nicht absehbar. Das betont auch der Bundespräsident, wenn er sagt, dass es auch nach diesem Winter „kein einfaches Zurück“ geben werde.

Ein „Epochenbruch“

Den russischen Einmarsch in der Ukraine am 24. Februar nennt Steinmeier einen „Epochenbruch“. Dass ausgerechnet der frühere Bundesaußenminister, der federführend am Minsker Friedensprozess beteiligt war, die Vorgeschichte der Invasion völlig außer Acht lässt, spricht Bände. Steinmeier durfte lange nicht nach Kiew reisen und musste sich vom früheren ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk mehrfach anhören, er sei in der Vergangenheit zu sehr auf russischer Seite gestanden. Der Vorwurf ist angesichts der teils harschen westlichen Kritik am Kreml zwar absurd, in Zeiten wie diesen aber wirkungsvoll. Steinmeier sah sich offenbar gezwungen, den Makel einer (nur vermeintlichen) Nähe zu Moskau abzuwischen. Das ist ihm mit seiner Rede gelungen.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei einem Besuch bei Wladimir Putin 2017. Kritiker unterstellen Steinmeier eine Nähe zum Kreml, die zumindest fragwürdig ist. (Foto: Kremlin.ru/CC BY 4.0 via Wikimedia Commons)

Der Bundespräsident hat heute aber noch etwas deutlich gemacht: Wohl und Wehe des deutschen Volkes, das er eigentlich als überparteiliches Staatsoberhaupt vertreten sollte, kümmern ihn wenig. Stattdessen gelobt er der Ukraine weiterhin bedingungslos Unterstützung – und lehnt einen schnellen Frieden mit Russland ab. Was kümmert es, wenn deutsche Haushalte bald ihre Energiekosten nicht mehr stemmen können? Hauptsache, der milliardenschwere Wiederaufbau der Ukraine ist in trockenen Tüchern! Steinmeier setzt damit die Politik der Ampel-Koalition mit anderen Mitteln fort, statt ihr im Interesse der Bundesbürger wortgewaltig Einhalt zu gebieten. Er offenbart sich damit als verlängerter Arm des Kanzleramts: als Ampel-Mann von Bellevue.

Achtjähriger Bürgerkrieg

Aus Sicht der Regierung und ihrer Unterstützer in Gesellschaft und Medien mögen die Sanktionen gegen Russland verständlich sein. Die russischen Angriffe auf die Ukraine, die zivilen Opfer, die möglichen Kriegsverbrechen zu verurteilen, ist nachvollziehbar. Auch für denjenigen, der die „spezielle Militäroperation“ des Kreml nur als verzweifelten Versuch sieht, einen achtjährigen Bürgerkrieg im Osten der Ukraine zu beenden, dem rund 15.000 Menschen zum Opfer gefallen sind. Aber: Jedes Verständnis endet dort, wo das eigene Volk unter den Einschränkungen mehr leidet als der Adressat der Sanktionen.

Dabei müsste all dies nicht sein. Deutschland war historisch – von unrühmlichen Ausnahmen abgesehen – stets bemüht, für einen Ausgleich mit Russland zu sorgen. Michail Gorbatschow sah sein Land als Teil des „gemeinsamen Hauses Europa“. Und Wladimir Putin träumte zu Beginn seiner Amtszeit sogar von einer NATO-Mitgliedschaft der Russischen Föderation. Der Westen aber wollte nicht – allen voran die USA. Die Vereinigten Staaten forcierten stattdessen eine „geopolitische Isolierung Russlands“ bis hin zu einer „Dämonisierung“, betont der Münchner Politologe Günther Auth, Experte für internationale Beziehungen.

Schloss Bellevue, der Berliner Amtssitz des Bundespräsidenten. Als Staatsoberhaupt soll er politisch neutral und überparteilich wirken. (Foto: A. Savin/CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)

So geriet Deutschland zwischen die Fronten eines globalen Konflikts, der seit dem 24. Februar immer offener zu Tage tritt. Weil es der Bundesrepublik als Teil der EU und der NATO seit jeher an nationalem Selbstbewusstsein mangelt, sieht man im politischen Berlin zwar die Interessen der Ukraine und der Amerikaner und würdigt das Sicherheitsbedürfnis Polens und der baltischen Staaten, die sich von Russland bedroht fühlen. Die Interessen des eigenen Volkes aber sieht man nicht – weder im Kanzleramt noch im Schloss Bellevue. Auch das Interesse, das die USA etwa an einer Störung der russischen Energielieferungen nach Mitteleuropa haben, will man nicht sehen.

Versorgungssicherheit nicht gewollt?

Wochen nach den Sabotage-Angriffen auf die beiden Ostsee-Pipelines Nord Stream 1 und 2 zeichnet sich nicht nur immer deutlicher ab, dass die Zerstörungen kaum ohne das Wissen und die Zustimmung Washingtons hätten vonstatten gehen können. Nach Ansicht des russischen Staatskonzerns Gazprom steht ebenso fest, dass einer der beiden Stränge von Nord Stream 2 unbeschädigt ist. Eine Erdgas-Lieferung dürfte sich also technisch ziemlich einfach realisieren lassen. Obwohl das die Versorgungssicherheit wiederherstellen würde, blockt die Bundesregierung ab. Eine Verfügbarkeit sei „aktuell nicht gegeben“, heißt es aus Berlin. Bevor man den Russen Recht gibt, lässt man die Bürger lieber frieren.

Thomas Wolf

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