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Im Blickpunkt

Der Papst und der Krieg in der Ukraine

Anfangs galt Franziskus seinen Kritikern als „pro Putin“, jetzt verurteilt er den Kreml immer deutlicher – Längst ist keine Rede mehr vom „Bellen der NATO vor Russlands Toren“

Der russische Botschafter beim Vatikan, Alexander Awdejew, hat Aussagen von Papst Franziskus zum Krieg in der Ukraine empört zurückgewiesen. Das Kirchenoberhaupt hatte zuvor in einem Interview mit dem Magazin „America“ des US-Zweigs der Jesuiten scharfe Kritik an der russischen Kriegführung geäußert und die Invasion vom 24. Februar als „Aggression“ verurteilt. Vor allem tschetschenische und burjatische Soldaten hätten sich als besonders „grausam“ hervorgetan, meint der Papst. Zuletzt war Franziskus in seiner Bewertung des Konflikts immer deutlicher geworden – und kritischer gegenüber Russland. Seine anfangs noch abwägende Haltung hatte ihm den Vorwurf eingebracht, „pro Putin“ zu sein.

Zum Angriff provoziert?

Durch den russischen Einmarsch am 24. Februar eskalierte der jahrelange Bürgerkrieg im Donbass endgültig. Der Papst äußerte mehrfach die Vermutung, das „Bellen der NATO vor Russlands Toren“ könnte Wladimir Putin zum Angriff provoziert haben. Dies löste in der Ukraine und in ihren westlichen Partnerländern heftigen Widerspruch aus. „Der Papst geht dabei ganz offensichtlich von dem seit 2008 auf höchsten diplomatischen Ebenen diskutierten Beitritt der Ukraine zur NATO aus“, analysiert der Münchner Politologe Günther Auth die damalige Aussage des Kirchenoberhaupts. Auth ist Experte für internationale Beziehungen und lehrt an der Ludwig-Maximilians-Universität.

Papst Franziskus bei seinem Besuch in Kasachstan im September. Seine (Foto: Yakov Fedorov/CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

„Die forcierte Ausweitung des Bündnisgebiets bis unmittelbar an die Grenze Russlands ignoriert die regelmäßig artikulierten Sicherheitsinteressen Russlands, da in jedem NATO-Mitgliedstaat militärische Anlagen zur Informationsgewinnung und offensiven Kriegführung aufgebaut werden können“, betont Auth. Ein NATO-Beitritt der Ukraine hätte zudem vor 2014 Fragen über die Zukunft des von Russland genutzten Militärhafens in Sewastopol auf der damals noch ukrainischen Krim aufgeworfen. Dieser habe nämlich „eine enorme strategische Bedeutung als Warmwasserhafen“. Auf der anderen Seite kann Auth bei der US-Regierung seit der „einseitigen Kündigung des ABM-Vertrages“ 2002 keine Bereitschaft mehr erkennen, mit Russland über verbindliche Maßnahmen zur Rüstungsbegrenzung, Abrüstung oder Vertrauensbildung zu verhandeln.

Wer auf diese Fakten hinweist, steht nicht automatisch auf russischer Seite. Auch nicht, wer die teils rücksichtslose Kriegführung der Ukraine im Donbass seit 2014 nicht verschweigt. Auch Günther Auth nicht, der den Einmarsch vom 24. Februar durchaus als völkerrechtswidrig einstuft. Und Papst Franziskus schon mal gar nicht. „Pro Putin“ war er nie. Allerdings warnte er davor, den Ukraine-Krieg auf einen Konflikt zwischen Gut und Böse zu reduzieren. Dies berge die Gefahr, dass man das „ganze Drama“ übersehe, sagte der Papst Mitte Mai in einem Interview mit mehreren Jesuiten-Zeitschriften. Ein Drama, „das sich hinter diesem Krieg abspielt, der vielleicht in gewisser Weise entweder provoziert oder nicht verhindert wurde“.

Das „Rotkäppchen“-Schema

Die Weltgemeinschaft möge sich vom „Rotkäppchen“-Schema lösen, forderte Franziskus bei dem Gespräch. Darunter versteht er eine klassische Schwarz-Weiß-Sicht: „Rotkäppchen war gut, und der Wolf war der Bösewicht.“ Eine solche Schwarz-Weiß-Malerei passt laut Papst also nicht auf den Ukraine-Krieg. Zumindest sah er das vor rund einem halben Jahr so. Westliche Politiker hielt diese Mahnung des Oberhaupts von rund 1,3 Milliarden Katholiken nie davon ab, die russische Invasion als etwas abgrundtief Böses zu verurteilen. Und in letzter Konsequenz auch Russland und die russische Kultur zu verdammen. Was liegt da näher, als Putin zum personifizierten Bösen zu erklären, zum Teufel?

Russlands Präsident Wladimir Putin besucht Papst Franziskus im Juli 2019 im Vatikan. (Foto: Kremlin.ru/CC BY 4.0 via Wikimedia Commons)

Zuletzt hat Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sich keinerlei Zurückhaltung auferlegt. Mit der Bombardierung der Infrastruktur in der Ukraine habe Russland erneut Kriegsverbrechen begangen, sagte Baerbock gestern. „Wir erleben auf brutale Art und Weise, dass der russische Präsident jetzt Kälte als Kriegswaffe einsetzt, ein brutaler Bruch nicht nur mit dem Völkerrecht, sondern mit unserer Zivilisation“, meint Baerbock. „Zivilisationsbruch“ – dabei denkt man hierzulande meist an Auschwitz und den Holocaust. Eine bewusste Provokation? Die gezielten Angriffe der NATO auf die zivile Infrastruktur in Jugoslawien 1999 jedenfalls haben nicht ansatzweise eine solche Kritik hervorgerufen.

Der Vatikan als Vermittler

So weit wie die deutsche Außenministerin geht Papst Franziskus nicht. Trotzdem wird seine Kritik am russischen Vorgehen lauter. Immer mehr nähert er sich darin Positionen der westlichen Politik an. Zunächst vermied er es noch, die einmarschierenden russischen Truppen beim Namen zu nennen. Jetzt geht die „Aggression“ für Franziskus klar von Russland aus. Vom „Bellen der NATO“ ist längst keine Rede mehr. Trotzdem bringt der Papst den Vatikan nach wie vor als Vermittler in Stellung. Das Angebot, eine entsprechende Plattform für Gespräche zwischen Russland und der Ukraine zur Verfügung zu stellen, begrüßte der Kreml Anfang der Woche zwar. Aber: „In der aktuellen De-facto- und De-jure-Situation kann die Ukraine solche Plattformen nicht akzeptieren“ betonte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow.

Thomas Wolf

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