Polen will deutsche Leopard-2-Panzer an die Ukraine liefern und bringt die Bundesrepublik damit in Zugzwang. Denn Berlin müsste die Ausfuhr genehmigen. Bislang lehnt die Bundesregierung dies ab. Allerdings wurden zuletzt auch hierzulande die Forderungen lauter. FDP-Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann rief Kanzler Olaf Scholz auf, die Exportgenehmigung zu erteilen. „Der Kanzler sollte angesichts des Dramas in der Ukraine über seinen Schatten springen“, meint die FDP-Politikerin, die seit Monaten schwere Waffen für die Ukraine fordert. Auch die Lieferung von 40 Marder-Schützenpanzern deutet an, dass die Bundesregierung von ihrem Nein abrückt. Scharfe Kritik an derlei Waffenlieferungen kommt nun erneut von Ex-Brigadegeneral Erich Vad.
Prominenter Kritiker
„Das ist eine militärische Eskalation, auch in der Wahrnehmung der Russen“, sagt Vad in einem gestern veröffentlichten Interview mit der Zeitschrift Emma. Der Marder sei zwar keine Wunderwaffe. Mit der kürzlich genehmigten Lieferung der mehr als 40 Jahre alten Schützenpanzer begebe sich Deutschland aber auf eine Rutschbahn. „Das könnte eine Eigendynamik entwickeln, die wir nicht mehr steuern können.“ Vad war bis 2013 militärpolitischer Berater von Angela Merkel. Seit Monaten gehört er zu den prominentesten Kritikern der Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine. Auch den Offenen Brief, den eine Reihe von Prominenten um die Emma-Herausgeberin Alice Schwarzer im April an Bundeskanzler Scholz geschrieben hat, hat Vad unterzeichnet. Mittlerweile unterstützen den Brief fast 500.000 Menschen. Für seine Haltung sieht sich der Ex-Militär teils heftiger Angriffe ausgesetzt.
Vad sieht die Solidarität mit der Ukraine grundsätzlich als richtig an. „Natürlich ist Putins Überfall nicht völkerrechtskonform“, meint er. Es fehle der westlichen Politik aber eine klare Strategie. Was wollen NATO, USA, EU und Bundesrepublik also in der Ukraine erreichen? Lange hieß es insbesondere in Deutschland: Die Ukraine darf nicht verlieren. Immer häufiger hört man nun von Regierungsvertretern: Russland muss besiegt werden. „Wir haben eine militärisch operative Patt-Situation, die wir aber militärisch nicht lösen können“, sagt dazu der Ex-General. Das sei auch die Meinung des amerikanischen Generalstabschefs Mark Milley. „Er hat gesagt, dass ein militärischer Sieg der Ukraine nicht zu erwarten sei und dass Verhandlungen der einzig mögliche Weg seien. Alles andere bedeutet den sinnlosen Verschleiß von Menschenleben.“
Eine unbequeme Wahrheit
Mit ihrer Ablehnung der bedingungslosen Unterstützung der Ukraine kommen Vad und andere Kritiker in den großen deutschen Medien nahezu nicht vor. Auch die Äußerungen von US-Stabschef Milley fanden nicht statt, hat Vad festgestellt. „Das Interview mit Milley von CNN tauchte nirgendwo größer auf, dabei ist er der Generalstabschef unserer westlichen Führungsmacht.“ Die unbequeme Wahrheit, die Milley ausgesprochen habe, passe nicht zur medialen Meinungsbildung. „Wir erleben weitgehend eine Gleichschaltung der Medien, wie ich sie so in der Bundesrepublik noch nie erlebt habe“, kritisiert Vad. „Das ist pure Meinungsmache. Und zwar nicht im staatlichen Auftrag, wie es aus totalitären Regimen bekannt ist, sondern aus reiner Selbstermächtigung.“
In der Bevölkerung habe die Lieferung schwerer Waffen längst keine Mehrheit mehr, sagt Vad. „Das alles wird jedoch nicht berichtet. Es gibt weitestgehend keinen fairen offenen Diskurs mehr zum Ukraine-Krieg, und das finde ich sehr verstörend.“ Vor allem die Grünen kritisiert Vad scharf. „Die Mutation der Grünen von einer pazifistischen zu einer Kriegspartei verstehe ich nicht. Ich selbst kenne keinen Grünen, der überhaupt auch nur den Militärdienst geleistet hätte. Anton Hofreiter ist für mich das beste Beispiel dieser Doppelmoral.“ Dass Deutschland mit Annalena Baerbock „endlich mal eine Außenministerin“ hat, freue ihn. „Aber es reicht nicht, nur Kriegsrhetorik zu betreiben und mit Helm und Splitterschutzweste in Kiew oder im Donbass herumzulaufen. Das ist zu wenig.“
Eine Strategie, die nicht funktioniert
In der Ukraine werde ein Abnutzungskrieg geführt, analysiert Vad. „Und zwar einer mit mittlerweile annähernd 200.000 gefallenen und verwundeten Soldaten auf beiden Seiten, mit 50.000 Ziviltoten und mit Millionen von Flüchtlingen.“ Dem US-Stabschef drängte sich da der Vergleich zum Ersten Weltkrieg auf. Allein die „Blutmühle von Verdun“ habe „zum Tod von fast einer Million junger Franzosen und Deutscher geführt“, erinnert Vad. „Sie sind damals für nichts gefallen. Das Verweigern der Kriegsparteien von Verhandlungen hat also zu Millionen zusätzlicher Toter geführt. Diese Strategie hat damals militärisch nicht funktioniert – und wird das auch heute nicht tun.“
Um zu einer Lösung der Krise zu kommen, meint Vad, sollte man die Menschen in der Region, also im Donbass und auf der Krim, einfach fragen, zu wem sie gehören wollen. „Man müsste die territoriale Integrität der Ukraine wiederherstellen, mit bestimmten westlichen Garantien. Und die Russen brauchen so eine Sicherheitsgarantie eben auch. Also keine Nato-Mitgliedschaft für die Ukraine. Seit dem Gipfel von Bukarest von 2008 ist klar, dass das die rote Linie der Russen ist.“
Thomas Wolf
Eine Antwort auf „General: Noch nie solche Gleichschaltung erlebt“
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