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Im Blickpunkt

Die Demokratie: kein Import aus den USA

Eine Sternstunde der Geschichte: Die Revolution von 1848/49 zeigt, dass sich die Deutschen in Sachen Freiheit und Volkssouveränität nicht von jenseits des Atlantiks belehren lassen mussten

Die Hinrichtung des Revolutionärs und Abgeordneten Robert Blum. (Foto: gemeinfrei)

Eine Sternstunde der Geschichte

Die Revolution von 1848 war eine Sternstunde der deutschen Geschichte. Der deutliche Beweis dafür, dass niemand den Deutschen die Demokratie beibringen musste. Sie war, als sich im beginnenden Kalten Krieg die deutsche Teilung abzeichnete, schon seit 100 Jahren da. Mindestens. Die Revolutionäre allerdings, die 1848/49 für eine Verfassung, für Volkssouveränität und Freiheit kämpften, kennt heute kaum noch jemand. Friedrich Hecker ist gerade im Südwesten noch einigen ein Begriff. Aber Gustav Struve, Johann Philipp Becker, Robert Blum oder Georg Herwegh? Blum, Publizist und Abgeordneter der Nationalversammlung, wurde am 9. November 1848 in Wien hingerichtet.

Im Westen Deutschlands, wo sich am 23. Mai 1949 der Teilstaat „Bundesrepublik“ konstituierte, spielte die Erinnerung an die Revolution politisch kaum eine größere Rolle. Bis heute hat sich daran wenig geändert. Obwohl das Grundgesetz ohne die Vorarbeit der Frankfurter Nationalversammlung, ohne die Reichsverfassung vom 28. März 1849, gar nicht denkbar ist. In diesem Jahr immerhin werde mit zahlreichen Veranstaltungen an die Märzrevolution erinnert, heißt es aus Berlin. Auf dem Programm stehen Aktionen im Humboldt-Forum, am Brandenburger Tor und am Friedhof der Märzgefallenen im Volkspark Friedrichshain.

In der Tradition von 1848

In der DDR dagegen war die Erinnerung an die Revolution immer konstituierend. Nicht nur, weil der „Arbeiter- und Bauernstaat“ grundsätzlich weniger selbstkritisch auf die nationale Geschichte blickte. Die DDR sah sich geradezu in der Tradition der Erhebung von 1848. Freilich weniger in jener der Liberalen und Konservativen. Dafür aber umso mehr in der Tradition der Radikaldemokraten. Radikaldemokraten wie der Historiker und Philosoph Friedrich Engels, der an der badischen Revolution teilnahm. Und der den Bauernkrieg als erste deutsche Revolution pries. Die Machthaber der DDR stellten ihn neben Karl Marx und verehrten ihn als einen der Urväter ihrer sozialistischen Ideologie.

Eine Büste Johann Philipp Beckers stand in der Kaserne des nach ihm benannten Pionierregiments der NVA. Das Bild stammt aus einer Veröffentlichung des Militärverlags der DDR. (Foto: privat)

Oder Radikaldemokraten wie der Pfälzer Johann Philipp Becker. Der Organisator der badischen Volkswehr entwickelte sich zu einem Freund von Marx und Engels und zu einem führenden Vertreter der internationalen Arbeiterbewegung. „Dies ist wohl die glänzendste Episode im ganzen badisch-pfälzischen Feldzug“, urteilte Friedrich Engels später über das Gefecht bei Durlach (heute ein Stadtteil von Karlsruhe) am 25. Juni 1849. Mit kaum 1000 Mann hielt Becker dabei ganze vier Stunden einer vielfachen preußischen Übermacht stand. In der DDR galt Becker als „General der Revolution“. Ein Pionierregiment der Nationalen Volksarmee und dessen Kaserne in Dessau trugen seinen Namen.

Der Revolution verpflichtet

Der Dietz-Verlag der SED feierte die revolutionäre Erhebung mit Wälzern wie der „Illustrierten Geschichte der deutschen Revolution 1848/49“, die mehrere Auflagen erlebte. „Das Jahr 1848 nimmt im Traditionsverständnis der revolutionären Arbeiterbewegung wie des sozialistischen deutschen Staates einen herausragenden Platz ein. Die Revolution von 1848/49 gehört zu jenen Ereignissen deutscher Geschichte, denen sich die Deutsche Demokratische Republik besonders verpflichtet fühlt“, fasst das Vorwort die Haltung des SED-Staats zusammen. Die Revolution, liest man weiter, habe „die höchste Entfaltung der schöpferischen geschichtsgestaltenden Kraft der werktätigen Klassen des deutschen Volkes“ gebracht.

Das Standardwerk der DDR zur Revolution von 1848/49 erschien in mehreren Auflagen im Parteiverlag der SED. (Foto: privat)

Ausgerechnet die Totengräber der Revolution, lehrt das 400-Seiten-Werk, wurden zu ihren Testamentsvollstreckern – „wider Willen“. So urteilte die marxistisch dominierte Geschichtswissenschaft der DDR. Gemeint ist das siegreiche Preußen. Es unterdrückte zwar den Freiheitswillen des deutschen Volkes, übernahm danach aber die Führung der deutschen Nationalbewegung. Und vollendete 1871 mit Gründung des Reichs die staatliche Einigung der Deutschen. Die DDR sah dies als eines der Ziele der deutschen Arbeiterbewegung. So kam sogar Otto von Bismarck, als Vater des „Sozialistengesetzes“ verschrien, im SED-Staat zu einer gewissen Ehrung.

Der Osten auf der Straße

Diese offizielle Erinnerung ging mit der DDR unter. Ironischerweise nach einer ganz anderen, einer friedlichen Revolution. Einer Revolution, an die die Bundesrepublik gern erinnert. Und letztlich einer Revolution, die zeigt, dass die Menschen im Osten kritischer denken als im Westen. Revolutionärer eben. Das hat sich in Corona-Zeiten bestätigt, als mitunter Hunderttausende gegen Impfdruck, Maskenpflicht oder soziale Distanzierung auf die Straße gingen. Und auch aktuell sieht man es wieder: bei den Protesten gegen die Energiepolitik der Regierung, einseitige Berichterstattung im Ukraine-Krieg und Russland-Sanktionen, deren Sinn und Nutzen bestenfalls umstritten ist. In den „neuen Bundesländern“ ziehen sie deutlich mehr Teilnehmer an als im Westen.

Thomas Wolf

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