Gegen nationale Zersplitterung
Was aber war vor 1832? Die schwarz-rot-goldene Begeisterung beim Hambacher Fest kam ja nicht von ungefähr. Schon beim Wartburg-Fest nationalgesinnter Studenten 1817 trugen Teilnehmer schwarz-rot-goldene Kokarden. Zahlreiche Studenten, die gegen Reaktion und staatliche Zersplitterung protestierten, waren Mitglieder der national ausgerichteten Jenaer „Ur-Burschenschaft“. Deren Farben seien Schwarz-Rot-Gold gewesen, liest man bisweilen. Auch bei Wikipedia. Tatsächlich zeigt die Fahne der Burschenschaft Rot-Schwarz-Rot. Von Gold künden nur einer goldener Eichenzweig und ein goldener Fransensaum. In der Gründungsurkunde der Burschenschaft vom 12. Juni 1815 heißt es:
„Erhoben von dem Gedanken an ein gemeinsames Vaterland, durchdrungen von der heiligen Pflicht, die jedem Deutschen obliegt, auf Belebung deutscher Art und deutschen Sinnes hinzuwirken, hierdurch deutsche Kraft und Zucht zu erwecken, mithin die vorige Ehre und Herrlichkeit unsres Volkes wieder fest zu gründen und es für immer gegen die schrecklichste aller Gefahren, gegen fremde Unterjochung und Despotenzwang zu schützen, ist ein Teil der Studierenden in Jena zusammengetreten und hat sich beredet, eine Verbindung unter dem Namen einer Burschenschaft zu gründen.“
Verfassungsurkunde der Jenaischen Burschenschaft
Die Jenaer Burschenschaft, liest man, habe sich aus Kämpfern des Lützowschen Freikorps rekrutiert. Von dessen Uniform stammen demnach die Farben der Studentenverbindung. Und in letzter Konsequenz auch die deutschen Farben. Schwarz war nämlich die Uniformfarbe der Lützower, eines Freiwilligen-Regiments aus den Tagen des Kampfes gegen Napoleon. Rot war die Paspelierung der Uniform. Golden die Knöpfe. Hat also die Popularität eines Freikorps, das gegen die französische Besatzung kämpfte, zu den deutschen Nationalfarben geführt? Die meisten Veröffentlichungen beantworten die Frage mit einem schlichten Ja. Auch ein Beitrag der Deutschen Welle zur Fußball-EM 2021.
Eine Broschüre des Kampfhubschraubergeschwaders „Adolf von Lützow“ deutet eine andere Antwort an. Benannt war die Einheit der Nationalen Volksarmee der DDR nach dem Führer eben jener Truppe aus den Befreiungskriegen. Und die nahmen im nationalen Selbstverständnis der DDR einen zentralen Platz ein. „Die Lützower hatten die Einheit Deutschlands und eine ehrliche Freundschaft mit dem russischen Volk auf ihre Fahne geschrieben“, heißt es in dem Heftchen aus den frühen 1980er Jahren, „und diese Fahne war nicht preußisch schwarzweiß, sondern deutsch schwarzrotgold.“
Von Patrioten gestiftet
Gemeint war eine ganz konkrete Fahne. „Patriotische Berliner Frauen und Mädchen hatten Friedrich Ludwig Jahn eine solche Fahne für das Lützower Freikorps gestiftet.“ Der preußische König habe gewusst: Die Lützower lehnen preußische Fahnen ab. Daher habe er befohlen, dass „Freikorps überhaupt keine Fahne zu führen haben, um auf diese Weise wenigstens die schwarzrotgoldene Fahne loszuwerden“. Doch Jahn, der nationalgesinnte „Turnvater“, und seine Gefährten wussten sich zu helfen. Mit schwarzen Uniform-Röcken, roten Aufschlägen und goldenen Knöpfen.
Nicht die Uniformen stehen demnach am Beginn der Geschichte von Schwarz-Rot-Gold. Sondern die schwarz-rot-goldene Fahne führte erst zur Uniform. Woher aber kam die Farbkombination? „Eben so werden die Bundesfarben der deutschen Vorzeit zu entnehmen seyn, wo das deutsche Reichspanier schwarz, roth und golden war.“ So begründete der Deutsche Bund 1848 seinen Beschluss, Schwarz-Rot-Gold einen offiziellen Rang zu verleihen. Schon Hoffmann von Fallersleben hatte die deutsche Trikolore als „Reichspanier“ bezeichnet. Und in dem Revolutions-Gedicht „Schwarz-Rot-Gold“ (auch: In Kümmernis und Dunkelheit) des Lyrikers Ferdinand Freiligrath hieß es:
Das ist das alte Reichspanier,
Aus: Neuere politische und soziale Gedichte (1849–1851)
Das sind die alten Farben!
Darunter haun und holen wir
Uns bald wohl junge Narben!
Denn erst der Anfang ist gemacht,
Noch steht bevor die letzte Schlacht!
Pulver ist schwarz,
Blut ist rot,
Golden flackert die Flamme!
Weißes Kreuz auf rotem Grund
Die „alten Farben“, das „Reichspanier“ – das verweist auf das 1806 untergegangene Heilige Römische Reich Deutscher Nation. Dessen Farben waren allerdings nicht Schwarz-Rot-Gold. Wenn es so etwas wie eine Reichsflagge gab, dann war es ein rotes Banner mit weißem (silbernen) Kreuz. Das Zeichen stammt wohl aus der Zeit der Kreuzzüge und sollte die Kontingente des Reichs von anderen Truppenteilen unterscheiden. Jene „Reichsfahne“ wirkt wie eine Mischung aus der Schweizerfahne und den Kreuz-Flaggen der skandinavischen Länder. „Mit Rechte soll des Rîches van / das kriuce tragen“, heißt es in Wolfram von Eschenbachs Verserzählung „Willehalm“ (um 1215). Im Kreuz drückt sich der sakrale Anspruch des „Heiligen Reichs“ aus.
Der Kaiser (oder König) als Staatsoberhaupt des Reichs hatte eine eigene Fahne. Sie unterschied sich völlig vom Kreuzbanner. Statt in roter Farbe war sie golden grundiert. Darauf prangte ein schwarzer Adler, dessen Schnabel und Fänge ab etwa 1300 rot gefärbt dargestellt wurden. Der König der Lüfte hatte sich – antiken Vorbildern folgend – spätestens im 12. Jahrhundert zum Wappentier der römisch-deutschen Kaiser und Könige entwickelt. Im Kern ist das Wappen dasselbe wie das Bundeswappen heute. Nur hat sich die Gestaltung zeittypisch immer wieder geändert. Im frühen 14. Jahrhundert war das schwarz-goldene Kaiser-Wappen erstmals mit einem roten Rand versehen.
Schwarz-Gold und Rot
Zusehends sahen die Menschen den kaiserlichen schwarzen Adler auf goldenem Grund als Zeichen des Reichs an. Parallel dazu verlor das Kreuzbanner an Bedeutung. Dazu trug auch die Gestaltung der sogenannten Reichssturmfahne bei. Dieses Feldzeichen der Truppen des Reichs zeigte den Adler auf goldenem Grund – und dazu einen roten Schwenkel als Relikt des alten Kreuzbanners. Nicht Schwarz-Rot-Gold waren also die Farben des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation. Aber immerhin Schwarz-Gold und Rot.
Anlässlich der Königswahl des Staufers Friedrich Barbarossa 1152 sollen sogar erstmals so etwas wie Fähnchen in der heutigen Farbgebung zum Einsatz gekommen sein. Der US-Amerikaner George Henry Preble (1816–1885) erwähnt in seinem Buch „The Symbols, Standards, Flags, and Banners of Ancient and Modern Nations“ eine solche Begebenheit. Die Strecke vom Frankfurter Dom bis zum Römerplatz sei mit einem Teppich in den Farben Schwarz, Rot und Gold ausgelegt worden. Nach der Zeremonie wurde der Teppich demnach zerteilt und der Bevölkerung geschenkt. Die Stofffetzen nutzte man anschließend als kleine Fähnchen. In Schwarz-Rot-Gold. Womöglich ist es genau diese Begebenheit, auf der die Fahne der Lützower Jäger beruht.
Thomas Wolf