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Im Blickpunkt

Ein Mann und sein missverstandenes Lied

Der liberale Patriot August Heinrich Hoffmann von Fallersleben dichtete die deutsche Nationalhymne: Sein Werk wurde von den Nazis missbraucht und ist bis heute immer wieder Gegenstand falscher Interpretationen

Er war Germanist, Hochschullehrer und Dichter, liberaler Demokrat und aufrechter deutscher Patriot. Sein wohl bekanntestes Werk ist bis heute umstritten: August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, der Autor des Deutschlandlieds, kam am 2. April 1798 zur Welt. Als er 1841 auf Helgoland zur Melodie von Haydns Kaiserhymne sein „Lied der Deutschen“ schrieb, war das von ihm besungene „deutsche Vaterland“ von „Einigkeit und Recht und Freiheit“ noch weit entfernt. Helgoland selbst gehörte damals als Kronkolonie zu Großbritannien. Für Hoffmann von Fallersleben war die Zeit seines Aufenthalts auf der Insel eine Art Wendepunkt im Leben.

August Heinrich Hoffmann von Fallersleben ist vor allem als Dichter des Liedes der Deutschen bekannt. (Foto: gemeinfrei)

Seinem „Lied der Deutschen“ gingen die „Unpolitischen Lieder“ voraus. Anders als der Name es auszusagen scheint, waren sie alles andere als unpolitisch. Genau das machte sie in den Augen der Herrschenden gefährlich. Hoffmann von Fallersleben spricht sich darin nämlich für bürgerliche Freiheiten und einen geeinten deutschen Nationalstaat aus. Und greift Kleinstaaterei, Zensur und Fürstenwillkür scharf an. Auf der politischen Führungsebene des Deutschen Bundes, des damaligen reaktionären Staatenbunds der deutschen Fürstentümer und freien Städte, machte er sich damit keine Freunde.

Eine Art inoffizielle Hymne

1842 enthob die preußische Regierung Hoffmann von Fallersleben wegen seiner oppositionellen Haltung seiner Professur, die er seit 1835 in Breslau innehatte. Im Jahr darauf verlor er auch die Staatsbürgerschaft Preußens und war gezwungen, rastlos durch Deutschland zu wandern. An der deutschen Revolution von 1848 beteiligte er sich nicht aktiv, konnte dadurch seine politischen Zielen aber als verwirklicht ansehen. Als die im Frühjahr 1848 gewählte Nationalversammlung in Frankfurt unter schwarz-rot-goldenen Fahnen zu ihrer ersten Sitzung zusammentrat, stimmten die Abgeordneten des ersten gesamtdeutschen demokratischen Parlaments das Deutschlandlied an. Hoffmanns Dichtung war damit zu so etwas wie einer inoffiziellen Hymne des demokratischen Deutschen Reichs geworden.

Die Revolution, die hoffnungsvoll begonnen hatte, aber scheiterte. Und mit ihr der deutsche Nationalstaat. Vorerst zumindest. Ganz zurück hinter 1848 aber konnten die Fürsten nicht. Statt den Weg einer revolutionären Erneuerung von unten ging Deutschland den einer Einigung von oben. Preußen übernahm die Führung im Deutschen Bund und versuchte, ihn zu einem Bundesstaat weiterzuentwickeln. Ohne Österreich, das nach der Niederlage im Deutschen Krieg von 1866 aus dem Bund ausscheiden musste. Als Hoffmann von Fallersleben am 19. Januar 1874 starb, hatte er den Anbruch der deutschen Nationalstaatlichkeit noch erlebt. Das Kaiserreich von 1871 ist im Kern identisch mit dem deutschen Staat der Gegenwart.

Die Lange Anna ist eine der Sehenswürdigkeiten auf Helgoland. Auf der Insel schrieb Hoffmann von Fallersleben den Text des Deutschlandlieds. (Foto: Pixabay)

Nur wenigen ist bewusst, dass von Hoffmann von Fallersleben auch zahlreiche Volks- und Kinderlieder überliefert sind, die noch heute gesungen werden. Freilich meist ohne dass Wissen um den Urheber. „Alle Vögel sind schon da“ zum Beispiel. Auch „Der Kuckuck und der Esel“, die einen Streit hatten, stammen von Hoffmann von Fallersleben. Beide Lieder hat der Dichter 1835 verfasst. Ebenso „Kuckuck, Kuckuck, ruft’s aus dem Wald“ und „Summ summ summ! Bienchen summ’ herum!“. Mit „Morgen kommt der Weihnachtsmann“ dichtete Hoffmann von Fallersleben sogar ein Lied zum Christfest, das Kinder bis heute singen. Jünger als das Deutschlandlied ist „Ein Männlein steht im Walde“ (1843).

Staatsmotto auf Münzen

Bekannt aber ist der gebürtige Niedersachse heute fast ausschließlich als Verfasser der deutschen Nationalhymne. Offiziellen Status erhielt das Lied der Deutschen erst in der Weimarer Republik. Im Kaiserreich hatte zuvor „Heil dir im Siegerkranz“ einen ähnlichen Platz eingenommen. Reichspräsident Friedrich Ebert (SPD) bestimmte 1922 Hoffmanns Lied zur Nationalhymne der ersten demokratischen deutschen Republik. „Einigkeit und Recht und Freiheit“ wurde zum Staatsmotto, das sich etwa als Aufschrift auf Münzen fand. In der NS-Zeit wurde vornehmlich die erste Strophe („Deutschland, Deutschland, über alles“) gesungen, gefolgt vom Horst-Wessel-Lied der Nazis. Vor allem jene Verwendung während der braunen Diktatur lastet bis heute auf dem Lied.

Reichspräsident Friedrich Ebert (mit Zylinder in der Hand) schreitet auf dem Platz der Republik in Berlin eine Ehrenkompanie der Reichswehr ab. 1922 verfügte Ebert, dass das Deutschlandlied Nationalhymne wird. (Foto: Bundesarchiv/Bild 102-10884/Georg Pahl/CC-BY-SA 3.0 DE via Wikimedia Commons)

Deutschland, Deutschland über alles,
Über alles in der Welt,
Wenn es stets zu Schutz und Trutze
Brüderlich zusammenhält,
Von der Maas bis an die Memel,
Von der Etsch bis an den Belt –
Deutschland, Deutschland über alles,
Über alles in der Welt!

Deutsche Frauen, deutsche Treue,
Deutscher Wein und deutscher Sang
Sollen in der Welt behalten
Ihren alten schönen Klang,
Uns zu edler Tat begeistern
Unser ganzes Leben lang –
Deutsche Frauen, deutsche Treue,
Deutscher Wein und deutscher Sang!

Einigkeit und Recht und Freiheit
Für das deutsche Vaterland!
Danach lasst uns alle streben
Brüderlich mit Herz und Hand!
Einigkeit und Recht und Freiheit
Sind des Glückes Unterpfand –
Blüh im Glanze dieses Glückes,
Blühe, deutsches Vaterland!

Insbesondere die erste Strophe ist bis heute vielfach Anfeindungen und Ablehnung ausgesetzt. Denn bei „Deutschland, Deutschland, über alles“ denken viele an die Kriege der Nazis. Doch wer Hoffmanns Vers als Aufruf zu Eroberung und übersteigertem Nationalismus liest, versteht den Dichter völlig falsch. Und damit sein Lied. Auf „Deutschland, Deutschland, über alles“ folgt nämlich „Wenn es stets zu Schutz und Trutze brüderlich zusammenhält“. Der Text gibt sich damit als defensiver Appell zu erkennen. Hintergrund dürften französische Gebietsansprüche auf das Rheinland 1840 gewesen sein. „Und wir können jeden Feind“, schrieb Hoffmann auch in seinen „Unpolitischen Liedern“, „treuverbunden überwinden“.

Brüderliche Einigung

Einigkeit nach außen, aber auch Einigkeit nach innen schwebte Hoffmann von Fallersleben vor. Die Einheit Deutschlands galt ihm mehr als die Macht der Einzelstaaten. Die brüderliche Einigung der Menschen zwischen Maas und Memel und zwischen Etsch und Belt sollte der monarchischen Zersplitterung ein Ende bereiten. Die Grenzen, die Fallersleben nennt, entsprechen ziemlich genau den damaligen Siedlungsgebieten des deutschen Volkes. Sie zeugen also gerade nicht von imperialistischen Machtgelüsten. Sondern beschreiben nüchtern und sachlich das Territorium, das zu einem Nationalstaat werden sollte.

Walther von der Vogelweide schrieb eine Art Vorläufer des Deutschlandlieds. (Foto: gemeinfrei)

Anders als die erste ist die zweite Strophe heute kaum bekannt. Für heutige Ohren klingt sie ein wenig kitschig. Und dürfte wohl in gleich mehrfacher Hinsicht als politisch unkorrekt gelten. Die Hervorhebung der „deutschen Frauen“ mag auf Kritiker sexistisch wirken, der „deutsche Wein“ für sie zu übermäßigem Alkoholkonsum aufrufen. Wie auch die erste Strophe gehen diese Verse auf ein mittelhochdeutsches Preislied Walthers von der Vogelweide zurück. „Deutsche Frauen sind besser als anderswo die edlen Damen“ hatte der mittelalterliche Dichter um das Jahr 1198 geschrieben. Und mit seinem Lied die Menschen „von der Elbe bis an den Rhein und hinunter bis nach Ungarn“ als die besten gelobt, „die ich in der Welt kennengelernt habe“.

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