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Im Blickpunkt

Ein Mann und sein missverstandenes Lied

Der liberale Patriot August Heinrich Hoffmann von Fallersleben dichtete die deutsche Nationalhymne: Sein Werk wurde von den Nazis missbraucht und ist bis heute immer wieder Gegenstand falscher Interpretationen

Mit der Niederlage Deutschlands im Zweiten Weltkrieg endete zunächst auch die Verwendung der Fallersleben-Hymne. In den drei westlichen Besatzungszonen bildete sich als Teilstaat die Bundesrepublik. Mit ihrer Gründung am 23. Mai 1949 rückte der Westen von der Idee der deutschen Einheit ab. Als Hymne hätte der erste Bundespräsident Theodor Heuss (FDP) gern die Neudichtung „Land des Glaubens, deutsches Land“ gehabt. Doch Kanzler Konrad Adenauer (CDU) setzte das Lied der Deutschen durch. Bei offiziellen Anlässen sollte aber nur die dritte Strophe gesungen werden. „Einigkeit und Recht und Freiheit“ also – aber ohne nationalstaatliche Einheit der Deutschen.

Bundeskanzler Konrad Adenauer (rechts) mit dem französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle. Adenauer setzte das Deutschlandlied als Nationalhymne der Bundesrepublik durch. (Foto: Bundesarchiv/B 145 Bild-F015892-0010/Ludwig Wegmann/CC BY-SA 3.0 DE via Wikimedia Commons)

Die DDR, der zweite deutsche Staat, setzte demgegenüber auf eine völlig neue „deutsche Nationalhymne“. Zumindest bei oberflächlicher Betrachtung unterscheidet sich Johannes R. Bechers „Auferstanden aus Ruinen“, das zu einer Melodie von Hanns Eisler gesungen wurde, deutlich vom Deutschlandlied. Bei genauerer Betrachtung ähneln sich die Hymnen aber doch. Beide haben drei Strophen und lassen sich mit Ausnahme des letzten Verses zur jeweils anderen Melodie singen. Beide appellieren an die deutsche Einheit und das Glück des deutschen Vaterlands. Auch die brüderliche Einigung erscheint in beiden Hymnen. Die Würdigung der „deutschen Jugend“ im Becher-Text erinnert an die Lobeshymne auf die deutsche Frau bei Hoffmann von Fallersleben.

Auferstanden aus Ruinen
und der Zukunft zugewandt,
laß uns dir zum Guten dienen,

Deutschland, einig Vaterland.
Alte Not gilt es zu zwingen,

und wir zwingen sie vereint,
denn es muß uns doch gelingen,

daß die Sonne schön wie nie
über Deutschland scheint.

Glück und Friede sei beschieden
Deutschland, unserm Vaterland.
Alle Welt sehnt sich nach Frieden,
reicht den Völkern eure Hand.
Wenn wir brüderlich uns einen,
schlagen wir des Volkes Feind.
Laßt das Licht des Friedens scheinen,
daß nie eine Mutter mehr
ihren Sohn beweint.

Laßt uns pflügen, laßt uns bauen,
lernt und schafft wie nie zuvor,
und der eignen Kraft vertrauend,
steigt ein frei Geschlecht empor.
Deutsche Jugend, bestes Streben
unsres Volks in dir vereint,
wirst du Deutschlands neues Leben.
Und die Sonne schön wie nie
über Deutschland scheint.

Die mächtigen Männer der frühen DDR, Präsident Wilhelm Pieck (rechts), und sein Nachfolger als Staatschef, Walter Ulbricht (links). Das Bild entstand beim IV. Parteitag der SED 1954. (Foto: Bundesarchiv/Bild 183-24000-0076/Walter Heilig/CC BY-SA 3.0 DE via Wikimedia Commons)

Die pathetische Hymne ist äußerer Ausdruck der deutschnationalen Gesinnung der frühen DDR-Führung. Sowohl Wilhelm Pieck, Präsident der Republik, als auch Walter Ulbricht, ab 1960 Vorsitzender des Staatsratse, sahen den „ersten sozialistischen Staat auf deutschem Boden“ als das bessere, das nationalere Deutschland. Die Bundesrepublik, die auf die europäische Integration setzte, galt ihnen dagegen als US-höriger Spalterstaat. Erst unter Führung von Erich Honecker verabschiedete sich die DDR nach einer Verfassungsreform 1974 vom Ziel der Wiedervereinigung. Da störte der Verweis auf „Deutschland, einig Vaterland“. Also verschwand Bechers Text in den Archiven. Die Hymne wurde nur noch instrumental vorgetragen.

Die Sonne über Deutschland

Kritik am Text hatte lange zuvor schon Bertolt Brecht geübt. Für den Dramatiker, dessen Haltung zum „Arbeiter- und Bauernstaat“ zwischen Unterstützung und Kritik schwankte, war „Auferstanden aus Ruinen“ nichts als eine „Meteorologenhymne“. Wegen des mehrfachen Verweises auf die Sonne, die über Deutschland scheinen möge. Wie ein Gegenentwurf dazu, vor allem aber zu Hoffmann von Fallerslebens Deutschlandlied, nimmt sich seine sogenannte Kinderhymne aus. Von der DDR-Hymne unterscheidet sie sich vor allem durch ihren wenig pathetischen Inhalt.

Anmut sparet nicht noch Mühe
Leidenschaft nicht noch Verstand.
Daß ein gutes Deutschland blühe
Wie ein andres gutes Land.

Daß die Völker nicht erbleiben
Wie vor einer Räuberin
Sondern ihre Hände reichen
Uns wie anderen Völkern hin.

Und nicht über und nicht unter
Andern Völkern wolln wir sein
Von der See bis zu den Alpen
Von der Oder bis zum Rhein.

Und weil wir dies Land verbessern
Lieben und beschirmen wir‘s
Und das liebste mag‘s uns scheinen
So wie anderen Völkern ihrs.

Bertolt Brecht (Zweiter von links) bei einer Friedenskundgebung von Intellektuellen im sowjetischen Sektor von Berlin 1948. Die Haltung Brechts zum Sozialismus und zur DDR schwankte. (Foto: Bundesarchiv/Bild 183-H0611-0500-001/CC BY-SA 3.0 DE via Wikimedia Commons)

Man könnte Brechts Text auch als eine Art Kommentar zur Fallersleben-Hymne lesen. Oder als Erläuterung. Die Bezüge sind klar erkennbar. „Und nicht über und nicht unter“ anderen Völkern wollen die Deutschen für Brecht sein. Kein falsch verstandenes oder nationalsozialistisch missbrauchtes „Deutschland, Deutschland, über alles“ also. „Und das liebste mag‘s uns scheinen“, schreibt der Dichter weiter über das deutsche Land, „so wie anderen Völkern ihrs“. Aus den Zeilen spricht echter Patriotismus. Aber eben kein übersteigerter Nationalismus, der glaubt, sich über die Vaterländer der anderen Völker erheben zu müssen.

Eine Folge der Missverständnisse

Nach der politischen Wende in der DDR und im Zuge der Wiedervereinigung brachten manche Kommentatoren Brechts Lied als gesamtdeutsche Nationalhymne ins Spiel. Mehrheitsfähig aber war der Vorschlag nicht. Stattdessen bestimmten Bundespräsident Richard von Weizsäcker und Bundeskanzler Helmut Kohl (beide CDU) 1991 die dritte Strophe des Deutschlandlieds zur deutschen Nationalhymne. Dass sich der wiedervereinigte deutsche Staat nun endgültig von den ersten beiden Strophen distanzierte, ist wohl auch eine Folge der Missverständnisse, die dem Deutschlandlied anhängen.

Thomas Wolf

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