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Im Blickpunkt

Wie der Westen die Sowjetunion niederrang

Es war nicht nur sein problembehaftetes sozialistisches Wirtschaftssystem, das den Ostblock in die Knie zwang: Die USA und ihre Bündnispartner halfen aktiv mit – insbesondere in Afghanistan

Im Internet macht dieser Tage ein martialisches Zitat die Runde. Es stammt vom ehemaligen Vizekanzler Sigmar Gabriel. „Ich glaube, dass der Konflikt viel größer ist als nur in der Ukraine“, warnte der frühere SPD-Vorsitzende in der ZDF-Talkshow von Maybrit Illner. „Wir sehen, dass Russland schon heute in vielen anderen Regionen der Welt versucht, gegen den Westen anzutreten.“ Deswegen werde man ganz anders als bisher antworten müssen, nicht nur militärisch. „Im Grunde müssen wir die Russen so niederkämpfen, wie das mal mit der Sowjetunion gelungen ist!“

Sigmar Gabriel (vorne, Zweiter von links) im Gespräch mit Russlands Präsident Wladimir Putin. Dieses Bild entstand 2015. Heute fordert Gabriel, die Russen niederzukämpfen wie einst die Sowjetunion. (Foto: Kremlin.ru / CC BY 4.0)

Manch ein Beobachter mag im ersten Moment gemeint haben, Gabriel spiele auf das „Unternehmen Barbarossa“ an. Also auf die Invasion der deutschen Wehrmacht in der Sowjetunion im Sommer 1941, als deutsche Panzer gen Osten rollten. Dieser Angriff aber ging bekanntermaßen gewaltig schief. Und endete letztlich mit dem Untergang des Nazi-Regimes und der Spaltung Deutschlands. Das kann Gabriel unmöglich gemeint haben. Hat er auch nicht. Nein, Gabriel sprach vom Untergang der Sowjetunion Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre.

Aber welche Rolle spielte der Westen dabei? War wirklich er es, der das rote Riesenreich „niederkämpfte“? In der gängigen Vorstellung kollabierte der Ostblock aufgrund der Unzulänglichkeiten seines sozialistischen Wirtschaftssystems. Und nicht zuletzt aufgrund der herrschenden Unfreiheit, die immer mehr Menschen dazu bewegte, sich gegen das starre politische System aufzulehnen. Mancher schreibt sogar dem polnischen Papst Johannes Paul II. eine gewisse Rolle zu. Weil der sich auf die Seite der antikommunistischen polnischen Gewerkschaft Solidarność gestellt habe.

Niedergang des Sowjet-Imperiums

Ein Blick in die Details der Geschichte verrät: Der US-geführte Westen hatte trotz aller Entspannungspolitik tatsächlich einen gar nicht geringen Anteil am Niedergang des sowjetischen Imperiums. Er stellte sich ihm vor allem politisch entgegen, aber in nicht zu unterschätzendem Ausmaß auch wirtschaftlich. Der Westen trieb zwar Handel mit den Ostblock-Staaten, erhielt etwa russisches Erdgas geliefert. Zugleich sorgten aber westlicher Boykott und Embargos dafür, dass die Möglichkeiten der sozialistischen Staaten auf dem Weltmarkt deutlich eingeschränkt waren.

Beispiel: Mikroelektronik. Allen voran die DDR erkannte früh das Potenzial der Computer-Technik. Im sozialistischen Teil Deutschlands stellten mehrere volkseigene Betriebe nahezu alles im eigenen Land her, was für eine moderne Büro-Ausstattung und für die Automatisierung der Wirtschaft nötig war. Bis hin zum Industrie-Roboter „Made in GDR“. Da auf Mikroelektronik ein westliches Embargo herrschte, konnte der Arbeiter- und Bauern-Staat aber nicht einfach westliche Technik verbauen. Er musste auch die Komponenten selbst herstellen.

Der in Dresden entwickelte 1-Megabit-Speicherchip U 61000 war ein Meilenstein für die Computer-Technik der sozialistischen Staaten. Der Westen war ihm allerdings rund vier Jahre voraus. (Foto: Bundesarchiv / Bild 183-1989-0313-123 / CC-BY-SA 3.0 DE)

So entstand in der DDR eine für Ostblock-Verhältnisse äußerst fortschrittliche IT-Produktion. Während sich die sowjetischen Genossen ihre Chips meist illegal aus dem Westen besorgten und dann nachbauten, hatten die Techniker im VEB Forschungszentrum Mikroelektronik Dresden (ZMD) dies nicht mehr nötig. Trotzdem herrschte in der DDR verglichen mit dem Westen ein technologischer Rückstand von mehreren Jahren. Als das ZMD 1988 den 1-Megabit-Chip U61000 vorstellte, feierte die DDR dies als großen Wurf. In den USA dagegen war jener Stand der Technik schon 1984 erreicht.

Militärisch gegen die Sowjetunion

Damit nicht genug. Auch militärisch ging der Westen gegen die Sowjetunion vor. Wenn auch nur indirekt. 1979 marschierten sowjetische Truppen in Afghanistan ein. Dort hatten sich im Vorjahr „nationaldemokratische“ Kräfte an die Macht geputscht. Unter Nur Muhammad Taraki, dem Vorsitzenden des Revolutionsrates, näherte sich das Land der Sowjetunion an. Gewaltakte gegen die alte Oberschicht und vor allem die strenge Säkularisierung, die die neuen Machthaber durchzusetzen versuchten, trafen auf wachsenden Widerstand seitens traditionalistisch-konservativer Strukturen in der Bevölkerung.

Taraki bat die Sowjetunion um Militärhilfe. Der Kreml lehnte zunächst ab. 1979 verschärften sich die Spannungen auch innerhalb der neuen Führungsriege des nun Demokratische Republik Afghanistan genannten Staates. Hafizullah Amin, seit März 1979 Ministerpräsident und als Chef der Geheimpolizei Haupt-Verantwortlicher des Terrors, zwang Taraki zum Rücktritt und ließ ihn ermorden. Im Kreml befürchtete man, Amin könnte NATO-Truppen ins Land holen. Also beschloss Moskau einzugreifen. Bei der Erstürmung des Tajbeg-Palasts südlich von Kabul durch sowjetische Spezialkräfte fand Amin den Tod.

Der Tajbeg-Palast südlich von Kabul. Hier töteten sowjetische Spezialkräfte den afghanischen Machthaber Hafizullah Amin. (Foto: Tracy Hunter from Kabul / CC BY 2.0)

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