Auch der Kreisauer Kreis, der in engem Kontakt zu den Verschwörern um Stauffenberg stand, war christlich geprägt. In ihren „Grundsätzen für die Neuordnung“ vom 9. August 1943 betonte die Gruppe, sie sehe im Christentum die „Grundlage für die sittliche und religiöse Erneuerung unseres Volkes, für die Überwindung von Hass und Lüge, für den Neuaufbau der europäischen Völkergemeinschaft“. Aus christlicher Gesinnung heraus sprachen sich die Mitverschwörer für die Einhaltung der Menschenwürde, den Schutz des Lebens, Glaubens- und Gewissensfreiheit und eine gerechte Friedensordnung aus.
Konservative und Kommunisten
Insbesondere Stauffenberg war jedoch an einer engen Einbindung auch andersdenkender Nazi-Gegner gelegen. Mit dem ehemaligen Leipziger Oberbürgermeister Carl Friedrich Goerdeler war ein konservativer Deutschnationaler als künftiger Reichskanzler vorgesehen. Der Sozialdemokrat Julius Leber sollte Innenminister werden. Mit dem Berliner Polizeipräsidenten Wolf-Heinrich von Helldorff war sogar ein NS-Funktionär Teil der Verschwörung, der sich angesichts der Verbrechen im Osten vom Regime abgewandt hatte. Selbst die Zusammenarbeit mit Kommunisten lehnte Stauffenberg nicht ab. Anders als mancher seiner bürgerlichen Mitverschwörer.
Die Männer und Frauen des Widerstands vom 20. Juli 1944 einte nicht der Glaube an einen Gott im Himmel. Oder christliche Werte und religiöse Prägung. Sie alle einte der Patriotismus: der Glaube an ein anderes, ein neues und besseres Deutschland. Stauffenbergs Offenheit, auch mit Antifaschisten von links zu kooperieren, machte ihn für die DDR zu einem beliebten Exponenten des bürgerlichen Widerstands gegen die Nazi-Diktatur. Auch eine Zusammenarbeit mit dem Nationalkomitee Freies Deutschland stellte für ihn kein Problem dar. Das NKFD hatte sich in der Sowjetunion aus vorwiegend kommunistischen Exilanten und kriegsgefangenen deutschen Soldaten gebildet.
Die junge Bundesrepublik tat sich anfangs noch schwer mit dem Attentat des 20. Juli. Die Meinung, die Verschwörer seien Hochverräter, die der kämpfenden Truppe in den Rücken fielen, hielt sich noch lange. Der spätere Kanzler Konrad Adenauer etwa lehnte 1946 finanzielle Unterstützung für Hinterbliebene der Widerstandskämpfer ab. Erst acht Jahre später sagte er: „Wer aus Liebe zum deutschen Volk es unternahm, die Tyrannei zu brechen, wie das die Opfer des 20. Juli getan haben, ist der Hochschätzung und Verehrung aller würdig.“
„Für die Rettung der Nation“
In der DDR stand der militärische Widerstand stets im Schatten des kommunistischen Antifaschismus. Anders als der Westen reihte der Arbeiter-und-Bauern-Staat Stauffenberg aber ohne weiteres neben seine sozialistischen Helden ein. Der schwäbische Oberst und seine Mitstreiter in Uniform galten als „patriotische Offiziere“. „Stauffenberg und seine Freunde opferten ihr Leben im Kampf für die Rettung der Nation“, würdigte 1967 Kurt Finker in seinem Buch „Stauffenberg und der 20. Juli 1944“. Ihr Vermächtnis sei hineingenommen „in die Traditionslinien des Kampfes der Arbeiterklasse“.
Stauffenberg, betonte der 2015 verstorbene DDR-Historiker, „trat ein für eine Zusammenarbeit aller politischen Kräfte des Volkes, einschließlich der Kommunisten“. Die Arbeiter sollten in Staat und Wirtschaft mitbestimmen und die „Macht des Reichtums in Industrie und Landwirtschaft“ zurückgedrängt werden. Kurz vor dem Anschlag habe der Hitler-Attentäter sein primäres Ziel so umrissen: „Wir wollen eine neue Ordnung, die alle Deutschen zu Trägern des Staates macht und ihnen Recht und Gerechtigkeit verbürgt.“ Stauffenberg hatte sich offenbar klar von elitären Vorstellungen Stefan Georges gelöst.
Nicht Stauffenbergs Ideal
Die Bundesrepublik, schrieb Kurt Finker, entspreche „keineswegs den Idealen Stauffenbergs“. Bei seiner Analyse bezog sich der DDR-Historiker ausgerechnet auf den westdeutschen Philosophen Karl Jaspers. Die Deutschen in der Bundesrepublik, schrieb jener, seien doch „bislang noch zumeist Untertanen, nicht Träger des Staates“. Sie „wählen alle vier Jahre eine ihnen vorgelegte Liste“ und müssten sich „den Vorschlägen der Parteien“ fügen.
„Die Deutsche Demokratische Republik dagegen darf für sich in Anspruch nehmen, das Werk der antifaschistischen Kämpfer, darunter auch das Graf Stauffenbergs und seiner Freunde, vollendet zu haben“, meinte Finker. Im Westen dagegen ist Stauffenbergs Idee vom „heiligen Deutschland“ demnach nur ein Traum. In den 1960er Jahren warnte Philosoph Jaspers sogar: „Wir sehen den möglichen Weg: Von der Parteienoligarchie zum autoritären Staat; vom autoritären Staat zum Diktaturstaat; vom Diktaturstaat zum Krieg.“
Frank Brettemer