Kategorien
Im Blickpunkt

Früherer DDR-Bürger: „Es war nicht alles gut“

Alexander Schlesinger ist Enkel eines Mannes, der im Widerstand gegen das Nazi-Regime stand und in der DDR eine Karriere als Politiker der Liberal-Demokratischen Partei machte. In dem sozialistischen deutschen Staat hatte die Familie deshalb einen guten Stand. Bis heute sieht Schlesinger die DDR weitgehend positiv. Im Interview aus Anlass des 35. Jahrestags des Mauerfalls blickt er nicht nur auf sein Leben im Arbeiter-und-Bauern-Staat zurück. Er zeigt auch auf, welche Gründe für den Mauerbau sprachen und wo er die DDR der heutigen Bundesrepublik überlegen sieht. Ein kritisches Gespräch mit einem kritischen Zeitgenossen.

Der Trabi, der die Mauer durchbricht: Ein bekanntes Symbol für den Mauerfall 1989. Unser Interviewpartner sieht den 9. November 1989 nicht nur positiv. (Foto: Pixabay / gemeinfrei)

Herr Schlesinger, Sie sind Cousin der früheren RBB-Intendantin und ARD-Vorsitzenden Patricia Schlesinger und haben als solcher die aktuellen Leitmedien quasi in der Familie. Sie sprechen von „Lügenmedien der BRD“. Wie kommen Sie zu dieser Bewertung und wo sehen Sie Unterschiede zu den Medien in der damaligen DDR?

Medien sind niemals frei, da die Menschen, die da tätig sind, Klasseninteressen dienen, sei es bewusst oder unbewusst. Das war zu jeder Zeit so. Und es gibt Medien, die sich gegen ein herrschendes System positionieren. Lügenmedien der BRD sind all jene, die unkritisch oder nur im engen Rahmen kritisch das BRD-Regime stützen und die beherrschte Klasse dumm halten. In der DDR war, trotz aller gegenteiliger Behauptungen, die Arbeiterklasse die herrschende Klasse, und die Medien haben dieser gedient. In der BRD ist es eben das Kapital, welches herrscht und dem sich die Medien unterordnen bzw. dessen Interessen sie vertreten.

Die Medien der DDR waren stets bemüht, dem Staatsziel, nämlich dem Aufbau des Sozialismus, mit aller Kraft zur Seite zu stehen. Ich denke, das ist nicht verwerflich, da in der DDR laut Eigendefinition eine „Diktatur des Proletariats“ – ergo: die Herrschaft einer Mehrheit über eine Minderheit – die Staatsform war. Dass die Werktätigen der DDR das nötige Klassenbewusstsein, auch und wegen der Wühlarbeit des westlichen Kapitals, niemals entwickeln konnten, ist eine Tatsache, der sich die SED auch durch ihren Rückzug aus der Regierungsverantwortung Ende 1989 gestellt hat.

Kapital manipuliert Mehrheit

Die Medien der BRD dienen einzig dem Ziel, den Weg zu bereiten, dass das Kapital bessere Verwertungsbedingungen zum Zwecke der Profitmaximierung vorfindet. Es manipuliert die Mehrheit dahingehend, jubelnd und unkritisch den Interessen der herrschenden Minderheit zu folgen und dadurch ihre ureigensten Interessen aus dem Blick zu verlieren oder gar zu leugnen. Über die Verlogenheit der BRD-Medien ein kleines Beispiel: die wahren Gründe für den Mauerbau. Es war nicht die SED, die die Gründe geschaffen hat. Sie war letztendlich als staatstragende Partei damit beauftragt, diesen Wall zu errichten.

Ein Volkspolizist und ein Angehöriger der Kampfgruppen der Arbeiterklasse sichern im August 1961 den Bau der Berliner Mauer. (Foto: Bundesarchiv / Bild 183-85701-0006 / Stöhr / CC-BY-SA 3.0 DE via Wikimedia Commons)

Ich zitiere den Historiker Professor Siegfried Prokop: „Es gab damals das Vorhaben, einen Friedensvertrag mit der DDR abzuschließen, wenn möglich durch alle vier Alliierten. Dafür hatte die Sowjetunion 1958 eine Note überreicht. Sie war auch bereit, einseitig mit der DDR einen Friedensvertrag abzuschließen. Das wäre denkbar gewesen, weil ja Japan und die westlichen Alliierten auch einen separaten Friedensvertrag abgeschlossen hatten, unter Ausklammerung der Sowjetunion.

Das hätte bedeutet, dass die DDR die volle Lufthoheit über ihr Territorium bekommen hätte. Das heißt, alle Flugzeuge, die nach West-Berlin fliegen wollten, hätten die Genehmigung der DDR gebraucht bzw. hätten auf dem Flugplatz der DDR in Berlin-Schönefeld landen müssen und wären der Kontrolle der DDR-Behörden unterworfen worden, so wie das allgemein üblich ist. Das war die Politik, die zwischen Walter Ulbricht und Nikita Chruschtschow abgesprochen war. Das galt von Juni 1961 bis Ende Juli 1961.

Geheim-Ultimatum der USA

Dann gab es da eine einseitige Veränderung. Das ist heute nicht alles vollends schlüssig vom Historiker nachzuvollziehen, weil einige dieser Akten im NATO-Bereich noch immer gesperrt sind. Es gibt genügend belegbare Hinweise, dass John McCloy als Sonderbotschafter von US-Präsident John F. Kennedy Ende Juli 1961 Nikita Chruschtschow im Urlaub am Schwarzen Meer besucht hat und dass dort Entscheidungen in eine andere Richtung fielen. Diese andere Richtung ergab sich daraus, dass offenbar ein Geheim-Ultimatum übermittelt worden ist. Über das berichtet Franz Josef Strauß in seinen Memoiren.

US-Präsident John F. Kennedy (rechts) und der sowjetische Staats- und Parteichef Nikita Chruschtschow treffen sich im Juni 1961 in Wien. Gut zwei Monate später begann der Bau der Mauer. (Foto: U. S. Department of State / John F. Kennedy Presidential Library and Museum Boston / gemeinfrei via Wikimedia Commons)

Danach sollte im Fall eines separaten Friedensvertrages und der Übertragung der Lufthoheit an die DDR eine US-amerikanische Atombombe auf ein sowjetisches Objekt in der DDR abgeworfen werden. Da hat dann Nikita Chruschtschow gesagt, das wäre zu gefährlich, es gebe jetzt nur noch die Land-Lösung. Das hieß zunächst einmal, dass in kürzester Zeit eine Abtrennung von West-Berlin vorbereitet werden musste und mit Stacheldrahtzaun erfolgte. Diese ganze Geschichte wurde Ulbricht bei der Konferenz der kommunistischen und Arbeiterparteien der sozialistischen Länder in Moskau vom 3. bis 5. August 1961 übermittelt.

Die BRD kannte die Wahrheit

Darüber gibt es einen ganz klaren Bericht des Nachrichten-Magazins ‚Der Spiegel‘ vom 29. November 1961. Das kann jeder nachlesen, obwohl es jetzt vom Westen ständig verleugnet wird. Da hat es einen Zusammenstoß zwischen Walter Ulbricht und Nikita Chruschtschow gegeben. Ulbricht war gegen eine solche Land-Lösung.“ Den BRD-Medien war die Wahrheit also von Anbeginn bekannt oder zumindest zugänglich. Trotzdem wird bis heute gejammert, und die böse SED war natürlich an allem schuld, weshalb der Sozialismus ja auch so verabscheuungswürdig ist.

Welche Rolle spielten in Ihrer Familie die Verbindung zum Widerstand gegen die Nazis einerseits und die Tatsache, dass Teile Ihrer Familie im Westen lebten, andererseits?

Mein Großvater war aufgrund seiner Aktivitäten im Widerstand gegen die politische Ordnung des „Dritten Reiches“ in der sowjetischen Besatzungszone und später in der DDR frühzeitig in verantwortungsvolle Positionen gekommen. Dadurch hatte er sicher ein überdurchschnittliches Einkommen und ich als Enkel eine wunderschöne Kindheit, die ich auch heute noch ausschließlich mit der DDR, meinen Eltern und Großeltern in Verbindung bringe. Besser wäre nicht gegangen! Auf jeden Fall waren die Großeltern und vielleicht auch indirekt meine Eltern durchaus als privilegiert anzusehen.

Alexander Schlesinger als kleiner Junge. Mit im Bild: sein Großvater Artur, NS-Gegner und DDR-Politiker, und Cousine Patricia Schlesinger, die 2022 geschasste RBB-Intendantin. (Foto: Wotan1965 / CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)

Interessanterweise hat die Mitwirkung im antifaschistischen Widerstand nie eine große Rolle in unserer Familie gespielt. Weder meine Eltern noch die ,,Westverwandtschaft“ haben sich jemals dazu geäußert. Auch für die Großeltern waren Erzählungen aus dieser Zeit tabu. Für mich persönlich haben sich aus diesen Dingen keinerlei Vorteile ergeben. Trotz sicher vorhandener Probleme, die sich aus der Ausreise meines Onkels in die BRD ergeben haben mögen, haben die Großeltern dessen Entscheidung mitgetragen. Gegenseitige Besuche waren jederzeit möglich.

Den Wohlstand vorführen

Die Westverwandtschaft war während der seltenen Treffen eher darauf bedacht, uns „kleinen“ DDR-Bürgern ihren Wohlstand vorzuführen und uns als etwas dümmlich und minderwertig zu behandeln. Das hat sich auch nach der Annexion der DDR nicht geändert. Diese Tatsache hängt mir doch etwas an. Wir hätten uns gegenseitig so viel erzählen können, aber der Wunsch war von der „BRD-Seite“ nicht vorhanden. Das ist im Kleinen wie im Großen so. Wer meint, „gewonnen“ zu haben, blickt auf den Gegenüber herab.

Die Vergangenheit der Großeltern war für die Westverwandtschaft ganz offensichtlich nur von Interesse, als dass man damit Geld verdienen konnte. So hat der Ehemann von Patricia, Herr Gerhard Spörl, ein durchaus lesenswertes Buch über die Großeltern geschrieben, wobei er es fertiggebracht hat, die „Ostverwandtschaft“ nicht einmal zu erwähnen. Das hat mich wirklich sehr getroffen, denn auch und gerade wir, die wir immer dichter dran waren, hätten so einige gute Gedanken einfließen lassen können. Ich bin mal so vermessen zu behaupten, hätte sich Patricia aus erster Hand über die Befindlichkeiten der ,,Ossis“ erzählen lassen, wäre sie vielleicht noch heute Vorsitzende der ARD.

Kategorien
Im Blickpunkt

Der Aufstand des „heiligen Deutschland“

Sein Widerstand war vergebens. Claus Schenk Graf von Stauffenberg wollte Adolf Hitler töten – und scheiterte. Sein Aufstand gegen die nationalsozialistische Herrschaft, die millionenfachen Tod über Europa gebracht und sich der kollektiven Freiheitsberaubung des deutschen Volkes schuldig gemacht hatte, schlug fehl. Nach wenigen Stunden waren die Männer und Frauen, die das Regime stürzen wollten, entwaffnet. Verhaftet. Oder tot. Mindestens 110 Menschen bezahlten ihren Versuch, die NS-Gräuel zu beenden und ein neues, besseres Deutschland zu schaffen, mit dem Leben.

„Hier starben für Deutschland“: Im Berliner Bendlerblock, heute Dienstsitz des Bundesministeriums der Verteidigung, damals Sitz des Befehlshaber des Ersatzheeres, erinnert eine Gedenktafel an Stauffenberg und vier weitere getötete Nazi-Gegner aus der Verschwörergruppe des 20. Juli. (Foto: Michael Klemm / CC BY-SA 3.0)

Wer waren die Helden des 20. Juli 1944? Meist wird der Widerstand um Stauffenberg auf seinen militärischen Kern reduziert. Tatsächlich wurde die Verschwörung vom 20. Juli insbesondere von konservativ denkenden Offizieren der Wehrmacht getragen. Der Kreis ihrer Unterstützer aber ging weit über die führend beteiligten Militärs hinaus. Der Potsdamer Historiker Kurt Finker sprach von den Widerstandskämpfern gegen die Nazis als den „wahren, den besseren Deutschen“. Was waren seine Wurzeln? Was waren die Quellen, die sein revolutionäres Tun speisten?

Wie ein Vermächtnis schleuderte der gescheiterte Hitler-Attentäter in der Nacht auf den 21. Juli 1944 dem Exekutionskommando seine ganze Überzeugung entgegen. „Es lebe das heilige Deutschland“, rief der 36-jährige Oberst Stauffenberg, bevor die Kugeln ihn und drei weitere Verschwörer gegen das NS-Regime auf dem Hof des Berliner Bendlerblocks aus dem Leben rissen. Stauffenberg, Spross eines alten schwäbischen Adelsgeschlechts, war zeitlebens Patriot – und überzeugter Christ.

Braune Terror-Herrschaft

Anfangs hatte Stauffenberg die Machtergreifung Adolf Hitlers noch begrüßt. Doch erkannte er nach Beginn des Zweiten Weltkriegs immer deutlicher den verbrecherischen Charakter der Nazi-Diktatur. Das „heilige Deutschland“, das der Adelige nach dem Sturz Hitlers aufbauen wollte, sollte sich vollkommen von der braunen Terror-Herrschaft unterscheiden. Die Werte des Christentums sollten es maßgeblich prägen. Stauffenberg und seine engsten Mitstreiter waren der Überzeugung, dass „menschliche Existenz auch im Staat ohne Bindung an Göttliches nicht gedeihen“ könne.

Was Stauffenberg vorschwebte, war allerdings kein naives amtskirchliches Idyll mit sonntäglichem Gottesdienst und massivem Priester-Einfluss. „Wir sind nicht das, was man im eigentlichen Sinne Katholiken nennt“, sagte Stauffenbergs Bruder Berthold nach dem Attentat im Verhör der NS-Geheimpolizei Gestapo. „Wir gingen nur selten zur Kirche und nicht zur Beichte. Mein Bruder und ich sind der Meinung, dass aus dem Christentum heraus kaum noch etwas Schöpferisches kommen kann.“ Gemeint war offenbar das amtliche Christentum: die Kirche.

Claus Schenk Graf von Stauffenberg war 36 Jahre alt, als er Hitlers Leben mit einer Bombe im Führerhauptquartier ein Ende setzen wollte. (Foto: Gedenkstätte Deutscher Widerstand)

Stauffenbergs religiöse Versatzstücke hatten eine andere Quelle: den christlich-mystizistischen Dichter Stefan George. Mit ihm waren Claus und seine Brüder Berthold und Alexander bereits in jungen Jahren in Kontakt gekommen. George, dem eine hierarchische Gesellschaft mit einer geistig-seelischen Aristokratie vorschwebte, sammelte nach Ende des Ersten Weltkriegs einen Kreis von „Jüngern“ um sich, um mit ihnen die Grundlagen eines neuen deutschen Staatswesen zu schaffen. Stauffenbergs letzte Worte gehen nach Ansicht vieler Historiker auf Georges Vision eines „heiligen und geistigen Deutschlands“ zurück. Georges Gedicht „Der Widerchrist“ mit seiner eindringlichen Warnung vor dem „Fürst des Geziefers“ bestärkte Stauffenberg im Widerstand.

Attentat abgeblasen

Stauffenberg national-religiöse Prägung war in Widerstandskreisen keine Ausnahme. „Christ sein spielte bei unserem Widerstand eine entscheidende Rolle“, sagte später auch Philipp Freiherr von Boeselager. Er war 1942 zum Widerstand gestoßen, nachdem er von der Ermordung von Juden und Zigeunern erfahren hatte. Im März 1943 stand er selbst dicht davor, Hitler zu töten. Mit entsicherter Pistole saß er dem Diktator gegenüber und wartete auf das verabredete Signal, Hitler und Reichsführer-SS Heinrich Himmler zu erschießen. Doch Himmler erschien nicht und das Attentat wurde abgeblasen.

Boeselager, der erst 2008 starb, erinnerte sich an lebhafte Diskussionen, ob die Ermordung Hitlers mit christlichen Grundsätzen in Einklang zu bringen sei. Henning von Tresckow etwa, einer der führenden Köpfe der geplanten Erhebung, hatte große Bedenken, „einen neuen Staat mit dem Unrecht eines Mordes zu beginnen“. Jeder hatte die Tat mit seinem eigenen Gewissen zu vereinbaren. Boeselager wusste um die Verbrechen des Regimes und verweigerte sich dem gewaltsamen Umsturz nicht. Er besorgte den Sprengstoff, den Stauffenberg am 20. Juli 1944 um 12.42 Uhr in Hitlers Hauptquartier Wolfsschanze in Ostpreußen zur Explosion brachte.

Das vermutlich letzte Bild, das Stauffenberg (ganz links im Profil) lebend zeigt: Der spätere Attentäter am 15. Juli 1944 bei Adolf Hitler in der Wolfsschanze.
Kategorien
Im Blickpunkt

Worum es beim Ukraine-Krieg wirklich geht

Glaubt man dem politischen und medialen Mainstream, so hat im Februar 2022 ein aggressiv-nationalistisches Regime in Gestalt der Russischen Föderation die friedliebende, demokratische Ukraine überfallen und mit einem Vernichtungskrieg überzogen. Unprovoziert und aus rein imperialistischen Beweggründen. Aber ist das wirklich so?

Buchautor Thomas Mayer stellt das gängige westliche Narrativ in Frage. Mit „Wahrheitssuche im Ukraine-Krieg – Um was es wirklich geht“ hat der gebürtige Allgäuer, der 1988 Mitbegründer von Mehr Demokratie war, für die Einführung von Regionalgeld wirkte und mehrere Volksbegehren begleitete, ein Buch vorgelegt, das hinter die Kulissen der Vorgeschichte des Ukraine-Kriegs blicken will.

Ein zerstörter russischer Panzer aus den ersten Tagen nach Beginn des Krieges. (Foto: Mvs.gov.ua / CC BY 4.0)

„Mich persönlich hat im Februar 2022 die Kriegsbeteiligung Deutschlands im Kern getroffen. Ich bin in dem Selbstverständnis aufgewachsen, von Deutschland darf nie wieder ein Krieg ausgehen. In der Ukraine sterben nun durch die vielen Milliarden Euro, die Waffenlieferungen und die militärische Unterstützung der NATO-Staaten hunderttausende Menschen. Das ist schwer auszuhalten“, beschreibt Mayer seine Beweggründe für das Buch.

Wie ist der Konflikt entstanden?

Er fragte sich: „Wie ist der Konflikt historisch entstanden? Mit welchen Weichenstellungen wurde auf den Krieg hingesteuert? Wie haben die Ukraine, die USA, die NATO und Russland die Eskalations-Spirale angetrieben?“ Im Interview spricht Mayer über seine Erkenntnisse und Einschätzungen.

Herr Mayer, für Ihr Buch haben Sie umfassend zur Vorgeschichte des russischen Einmarschs in der Ukraine geforscht. Was glauben Sie: Worum geht es wirklich in diesem Krieg, der schon über zwei Jahre dauert?

Ich sehe in der Überschau drei Hauptthemen: Erstens geht es darum, die Weltbevölkerung in einem psychologischen Kriegszustand und in Angst zu halten. So sind Menschen lenkbar. Es fällt zum Beispiel auf: Als der Krieg gegen das Corona-Virus an Kraft verlor, begann der Ukraine-Krieg.

USA seit 100 Jahren gegen Russland

Zweitens geht es um die Weltherrschaft der USA. Das geopolitische Interesse der USA ist es seit 100 Jahren zu verhindern, dass Russland sich mit Europa verbindet, damit kein gleichwertiger geopolitischer Konkurrent entsteht. Ich lege in meinem Buch gründlich die Tatsache dar, dass im Ukraine-Krieg nicht Russland der Angreifer war. Stattdessen hat der US-geführte Westen die Ukraine für einen lange vorbereiteten Stellvertreterkrieg gegen Russland missbraucht.

Drittens geht es in der Ukraine den dort regierenden Nationalisten darum, eine ethnisch reine Ukraine zu schaffen auf Kosten der 30 Prozent russisch-verbundener Bevölkerung.

Buchautor Thomas Mayer hinterfragt Russlands Kriegsschuld. (Foto: privat)

Welche Belege haben Sie gefunden, dass der Westen die Ukraine in einen Stellvertreterkrieg getrieben hat, um Russland zu schwächen?

Ich fand sehr viele Belege dafür. Das ist auch ein Grund, warum mein Buch so umfangreich wurde. Historisch betrachtet ist es eine übliche außenpolitische Strategie der USA, regionale Konflikte zu schüren und Stellvertreterkriege anzuzetteln. Die „Rand Corporation“, eine Denkfabrik des Pentagon und des CIA, beschrieb 2019 auf etwa 300 Seiten, was die USA tun sollte, um Russland zu schwächen und zu destabilisieren. Ein Vorschlag war, die
Waffenlieferungen und Militärhilfe für die Ukraine zu verstärken. Der seit 2014 laufende Krieg im Donbass sollte eskalieren, um Russland zu einem kostenreichen Engagement zu zwingen. Dieser Bürgerkrieg begann aufgrund des von den USA unterstützen verfassungswidrigen Maidan-Putsches.

„Es ging nie um die Ukraine“

Wie oft haben wir in den letzten Jahren von NATO-Politikern gehört, dass Russland nicht gewinnen dürfe. Es ging nie um Frieden oder die Ukraine. Unverblümt sprechen US-Militärs, wie zum Beispiel der einflussreiche General Jack Kean, der in einem Interview bei Fox News betonte: „Die Investition der Vereinigten Staaten in die Ukraine ist es wert. Die 66 Milliarden US-Dollar in 2022 sind nur 1,1 Prozent unseres Staatshaushaltes.“ Für 66 Milliarden Dollar erhalte man eine Ukraine, die die „russische Armee auf dem Schlachtfeld buchstäblich vernichtet“. Es ist also für die USA ein preiswerter Krieg. Dass dabei auch hunderttausende Soldaten sterben, spielt keine Rolle.

John M. „Jack“ Keane – hier eine Aufnahme von 1999 – ist ein ehemaliger General der US-Armee, der mittlerweile als TV-Kommentator tätig ist. (Foto: U.S. Army/gemeinfrei)

Sie sprechen ferner von einem psychologischen Kriegszustand, in welchem die Menschen gehalten werden. Was meinen Sie: Von wem – und wieso?

Das ist eine große Frage. Krieg beginnt immer mit Feindbild-Aufbau, Angst-Erzeugung und Massen-Hypnose. Das war auch für diesen nicht erklärten Krieg notwendig, den heute die NATO mit Russland führt. Es gibt verschiedene Akteure und Interessen: die Geopolitik der Weltmacht USA, die Finanzinteressen der Rüstungsindustrie, das Profilierungsinteresse von Politikern und übergreifend im Hintergrund der materialistische Transhumanismus, der Seele und Geist des Menschen leugnet und den Menschen als Maschine sieht, der moralisch von außen gesteuert werden kann.

Lügen und Unwahrheiten

Ein vielzitiertes Sprichwort lautet: „Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit.“ Soll heißen: Propaganda-Lügen bestimmen jeden Krieg. Welche wesentlichen Lügen und Unwahrheiten prägen den Ukraine-Krieg? 

Die wichtigste Unwahrheit ist, dass es ein unmotivierter Angriffskrieg Russlands war. Mit dieser Propagandalüge wurden die immensen Geld- und Waffenlieferungen und der Wirtschaftskrieg und die Sanktionen der Bevölkerung verkauft. Es war aber kein unmotivierter Angriffskrieg Russlands. Ich habe auf 600 Seiten beschrieben, wie Russland vom Westen zum Kriegseintritt gedrängt wurde. Wenn man die Vorgänge genau ansieht, zeigt sich, dass die Ukraine 2014 einen Angriffskrieg gegen die beiden Donbass-Republiken begann. Dem ging der verfassungswidrige Maidan-Putsch voraus, der von NATO-Staaten unterstützt wurde und mit dem Nationalisten in Kiew an die Macht kamen.

Die Proteste des „Euromaidan“ führten zum Sturz der Regierung des ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowytsch. Thomas Mayer spricht von einem Putsch. (Foto: spoilt.exile from Kiev/Ukraine / CC BY-SA 2.0)
Kategorien
Kommentar

Identitätskrise statt Sommermärchen

Heute beginnt die Fußball-Europameisterschaft in Deutschland. Am Abend trifft die Auswahl des Deutschen Fußball-Bunds beim Eröffnungsspiel in München auf das Team aus Schottland. Auf dem Papier ist die Partie eine klare Sache. Etwas anderes als ein Sieg der deutschen Fußball-Nationalmannschaft wäre schon nahe an einer Blamage. Andererseits: Hat sich die DFB-Truppe in jüngerer Vergangenheit nicht immer wieder blamiert? Zuletzt sogar unter dem neuen Bundestrainer Julian Nagelsmann.

Seit 2023 trainiert Julian Nagelsmann die deutsche Fußball-Nationalmannschaft. Der 36-Jährige trat in die Fußstapfen des glücklosen Hansi Flick. (Foto: Steffen Prößdorf / CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

Ein torloses Unentschieden gegen die Ukraine und ein mühevoller Sieg gegen den krassen Außenseiter Griechenland lassen für das Turnier im eigenen Land nicht unbedingt allzu viel erwarten. Das ist umso bedenklicher, als gerade das zarte Pflänzchen der Hoffnung zu keimen begann, dass diese Fußball-Meisterschaft nicht wieder zu politisch korrekten Botschaften und Regenbogen-Bekundungen missbraucht werden würde. Schließlich hat Nagelsmann betont, man wolle die Politik diesmal nicht mit auf den Platz nehmen.

Blamables Aus in Gruppenphase

Unter dem neuen Trainer schien es, als besinne sich die Nationalelf auf ihre Kern-Tugenden. Und damit auf den Sport, auf die Leistungen auf dem Rasen. Die „Polit-Offiziere“ unter den Spielern, die dem Team 2022 bei der WM im Wüstenstaat Katar zuerst die „One Love“-Armbinde und schließlich das blamable Aus in der Gruppenphase bescherten, schienen entmachtet. Leon Goretzka: aussortiert. Kapitän Manuel Neuer: verletzt. Ein Neustart ohne Politik und Regenbogen-Fantasien schien möglich. Doch zu früh gefreut! Der von SPD-Mann Bernd Neuendorf geführte DFB grätschte dazwischen.

Momentan ausverkauft: Das umstrittene knallpink-violette Auswärtstrikot des DFB-Teams soll ein Kassenschlager sein. (Foto: Screenshot dfb-fanshop.de)

Das Auswärtstrikot, das man für die Heim-EM entwerfen ließ, erinnert in Knallpink und Lila mehr an ein Werbe-Shirt der Telekom als an ein Dress der deutschen Nationalmannschaft. „Klassisch mal anders“ – so beschreibt der DFB das Adidas-Trikot. Es werde zu 100 Prozent aus recycelten Materialien hergestellt. Dies helfe dabei, „Müll zu reduzieren, unsere Abhängigkeit von nicht erneuerbaren Ressourcen einzuschränken und den CO2-Fußabdruck unserer Produkte zu verringern“. Trotzdem wird das Trikot in Vietnam gefertigt und muss erst um den halben Erdball geschifft werden, bevor es bei den Fans ankommt.

Politisch korrekte Fußball-EM

Hinzu kommt: Keine Europameisterschaft der Vergangenheit war je so politisch wie die in Deutschland. Und damit auch: so politisch korrekt. Dass sie nachhaltig sein soll, ist schon selbstverständlich. Ebenso, dass Russland ausgeschlossen wurde. Bei der EM gehe es aber auch um „Vertretung von Minderheiten, Förderung der Geschlechtergleichstellung und Vorbeugung von Diskriminierung und Rassismus“, stellte voriges Jahr ein Strategie-Papier fest. Auch Unisex-Toiletten und ein veganes Speise-Angebot sah es vor. Kooperieren, hieß es darin, wolle man etwa mit Amnesty International, Migranten-Organisationen, dem Lesben- und Schwulenverband LSVD und den „Queer Football Fans“.

Mittlerweile steht sogar Manuel Neuner wieder im deutschen Tor. Auch wenn er die Spielführer-Binde an Ilkay Gündogan abgeben musste, der ungleich weniger politisch korrekt denkt. Dafür hat Antonio Rüdiger einen Islamismus-Skandal an der Backe. Echte EM-Begeisterung will nicht so recht aufkommen. Ist da ein neues Sommermärchen überhaupt möglich? Ein schwarz-rot-goldenes Fußball-Fest wie bei der Heim-WM 2006? Damals waren die deutschen Farben überall präsent. Die Deutschen konnten unverkrampft ihren Fußball-Patriotismus zeigen. 18 Jahre später gilt schnell als „Rassist“ oder „Nazi“, wer die Farben der deutschen Demokratie zeigt. Völlig widersinnig!

Die radikal-muslimische Gruppe „Generation Islam“ nutzt die umstrittene Geste von DFB-Abwehrspieler Antonio Rüdiger für ihre Zwecke. Der erhobene rechte Zeigefinger soll den Ein-Gott-Glauben der Muslime symbolisieren. Auch militante Islamisten nutzen das Zeichen. (Foto: Screenshot X / @genislam1)

Auch Philosoph Peter Sloterdijk ist in Sachen Sommermärchen pessimistisch: „Märchen dieser Art kann man nicht à la carte bestellen“, sagte er kürzlich. So weit wie 2006, als die deutschen Nationalkicker WM-Dritter wurden und sich von den Fans zum „Weltmeister der Herzen“ küren ließen, werde die Euphorie diesmal nicht gehen. Die identitätsstiftende Wirkung der DFB-Elf von damals gebe es in dieser Form inzwischen nicht mehr, betont Sloterdijk. „Obgleich der Bundestrainer sich außerprotokollarisch auf einer Stufe mit dem Bundespräsidenten befindet“, ergänzt der Philosoph augenzwinkernd.

Gegen deutsche Flaggen

Ja, Deutschland hat ein Identitätsproblem. Ein gewaltiges. Das ist nicht nur ein Gefühl, das lässt sich auch nachweisen. Einer Umfrage zufolge nämlich will ein Viertel der Bevölkerung keine deutschen Flaggen im Stadtbild sehen. Unter den 18- bis 24-Jährigen ist es sogar mehr als die Hälfte. Es ist diese Denke, die deutsche Fußball-Nationalspieler dazu bringt, lieber mit den Farben des Regenbogens aufzulaufen als mit Schwarz-Rot-Gold. Wer sagt, er sei stolz auf sein Land oder seine deutsche Nationalität, schießt sich ins politisch korrekte Abseits.

Bei früheren Turnieren – im Bild bei der WM 2018 in Russland – war der deutsche Fanblock ein schwarz-rot-goldenes Fahnenmeer. Mittlerweile gelten die Farben der deutschen Freiheit und Demokratie politisch korrekten Kreisen fast schon als ungehörig. (Foto: Дмитрий Садовников / CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)

Stattdessen propagieren Politik und Medien permanent ihr Ideal einer möglichst großen Diversität. Eine gemeinsame – und damit: einende! – Identität stört da nur. Es braucht ganz sicher mehr als ein paar Wochen Fußball-EM, um sie wiederzufinden. Aber vielleicht kann das Turnier im eigenen Land zumindest ein wenig von der Magie des Sommermärchens von 2006 zurückbringen. Gemeinsam feiern, einfach mal stolz auf die – hoffentlich guten – Leistungen „unserer“ Mannschaft und Deutschlands Rolle als Gastgeber eines Welt-Ereignisses sein: Das kann nicht verkehrt sein!

Anna Steinkamp

Kategorien
Im Blickpunkt

Wie der Westen die Sowjetunion niederrang

Im Internet macht dieser Tage ein martialisches Zitat die Runde. Es stammt vom ehemaligen Vizekanzler Sigmar Gabriel. „Ich glaube, dass der Konflikt viel größer ist als nur in der Ukraine“, warnte der frühere SPD-Vorsitzende in der ZDF-Talkshow von Maybrit Illner. „Wir sehen, dass Russland schon heute in vielen anderen Regionen der Welt versucht, gegen den Westen anzutreten.“ Deswegen werde man ganz anders als bisher antworten müssen, nicht nur militärisch. „Im Grunde müssen wir die Russen so niederkämpfen, wie das mal mit der Sowjetunion gelungen ist!“

Sigmar Gabriel (vorne, Zweiter von links) im Gespräch mit Russlands Präsident Wladimir Putin. Dieses Bild entstand 2015. Heute fordert Gabriel, die Russen niederzukämpfen wie einst die Sowjetunion. (Foto: Kremlin.ru / CC BY 4.0)

Manch ein Beobachter mag im ersten Moment gemeint haben, Gabriel spiele auf das „Unternehmen Barbarossa“ an. Also auf die Invasion der deutschen Wehrmacht in der Sowjetunion im Sommer 1941, als deutsche Panzer gen Osten rollten. Dieser Angriff aber ging bekanntermaßen gewaltig schief. Und endete letztlich mit dem Untergang des Nazi-Regimes und der Spaltung Deutschlands. Das kann Gabriel unmöglich gemeint haben. Hat er auch nicht. Nein, Gabriel sprach vom Untergang der Sowjetunion Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre.

Aber welche Rolle spielte der Westen dabei? War wirklich er es, der das rote Riesenreich „niederkämpfte“? In der gängigen Vorstellung kollabierte der Ostblock aufgrund der Unzulänglichkeiten seines sozialistischen Wirtschaftssystems. Und nicht zuletzt aufgrund der herrschenden Unfreiheit, die immer mehr Menschen dazu bewegte, sich gegen das starre politische System aufzulehnen. Mancher schreibt sogar dem polnischen Papst Johannes Paul II. eine gewisse Rolle zu. Weil der sich auf die Seite der antikommunistischen polnischen Gewerkschaft Solidarność gestellt habe.

Niedergang des Sowjet-Imperiums

Ein Blick in die Details der Geschichte verrät: Der US-geführte Westen hatte trotz aller Entspannungspolitik tatsächlich einen gar nicht geringen Anteil am Niedergang des sowjetischen Imperiums. Er stellte sich ihm vor allem politisch entgegen, aber in nicht zu unterschätzendem Ausmaß auch wirtschaftlich. Der Westen trieb zwar Handel mit den Ostblock-Staaten, erhielt etwa russisches Erdgas geliefert. Zugleich sorgten aber westlicher Boykott und Embargos dafür, dass die Möglichkeiten der sozialistischen Staaten auf dem Weltmarkt deutlich eingeschränkt waren.

Beispiel: Mikroelektronik. Allen voran die DDR erkannte früh das Potenzial der Computer-Technik. Im sozialistischen Teil Deutschlands stellten mehrere volkseigene Betriebe nahezu alles im eigenen Land her, was für eine moderne Büro-Ausstattung und für die Automatisierung der Wirtschaft nötig war. Bis hin zum Industrie-Roboter „Made in GDR“. Da auf Mikroelektronik ein westliches Embargo herrschte, konnte der Arbeiter- und Bauern-Staat aber nicht einfach westliche Technik verbauen. Er musste auch die Komponenten selbst herstellen.

Der in Dresden entwickelte 1-Megabit-Speicherchip U 61000 war ein Meilenstein für die Computer-Technik der sozialistischen Staaten. Der Westen war ihm allerdings rund vier Jahre voraus. (Foto: Bundesarchiv / Bild 183-1989-0313-123 / CC-BY-SA 3.0 DE)

So entstand in der DDR eine für Ostblock-Verhältnisse äußerst fortschrittliche IT-Produktion. Während sich die sowjetischen Genossen ihre Chips meist illegal aus dem Westen besorgten und dann nachbauten, hatten die Techniker im VEB Forschungszentrum Mikroelektronik Dresden (ZMD) dies nicht mehr nötig. Trotzdem herrschte in der DDR verglichen mit dem Westen ein technologischer Rückstand von mehreren Jahren. Als das ZMD 1988 den 1-Megabit-Chip U61000 vorstellte, feierte die DDR dies als großen Wurf. In den USA dagegen war jener Stand der Technik schon 1984 erreicht.

Militärisch gegen die Sowjetunion

Damit nicht genug. Auch militärisch ging der Westen gegen die Sowjetunion vor. Wenn auch nur indirekt. 1979 marschierten sowjetische Truppen in Afghanistan ein. Dort hatten sich im Vorjahr „nationaldemokratische“ Kräfte an die Macht geputscht. Unter Nur Muhammad Taraki, dem Vorsitzenden des Revolutionsrates, näherte sich das Land der Sowjetunion an. Gewaltakte gegen die alte Oberschicht und vor allem die strenge Säkularisierung, die die neuen Machthaber durchzusetzen versuchten, trafen auf wachsenden Widerstand seitens traditionalistisch-konservativer Strukturen in der Bevölkerung.

Taraki bat die Sowjetunion um Militärhilfe. Der Kreml lehnte zunächst ab. 1979 verschärften sich die Spannungen auch innerhalb der neuen Führungsriege des nun Demokratische Republik Afghanistan genannten Staates. Hafizullah Amin, seit März 1979 Ministerpräsident und als Chef der Geheimpolizei Haupt-Verantwortlicher des Terrors, zwang Taraki zum Rücktritt und ließ ihn ermorden. Im Kreml befürchtete man, Amin könnte NATO-Truppen ins Land holen. Also beschloss Moskau einzugreifen. Bei der Erstürmung des Tajbeg-Palasts südlich von Kabul durch sowjetische Spezialkräfte fand Amin den Tod.

Der Tajbeg-Palast südlich von Kabul. Hier töteten sowjetische Spezialkräfte den afghanischen Machthaber Hafizullah Amin. (Foto: Tracy Hunter from Kabul / CC BY 2.0)
Kategorien
Im Blickpunkt

Klima-Geschichte(n) und ein vergessener Vulkan

„So heiß wie seit mindestens 125.000 Jahren nicht“, titelt die Tagesschau. Gemeint ist damit eine Schätzung (!) des europäischen Klimawandeldiensts „Copernicus Climate Change Service“, wonach der vergangene Oktober weltweit im Schnitt 1,7 Grad wärmer war als vor Beginn der Industrialisierung. „Der Rekord wurde um 0,4 Grad Celsius gebrochen, was eine enorme Marge ist“, sagt Samantha Burgess, die stellvertretende Copernicus-Direktorin. An der Meeresoberfläche seien so hohe Temperaturen gemessen worden wie noch nie in einem Oktober.

Die Erde brennt: So in etwa stellen sich manche Menschen die „Klimahölle“ vor, in die sich der Planet nach Ansicht mancher Panikmacher durch die globale Erwärmung verwandelt. (Foto: Pixabay)

Schon im Juni hat die Erde erstmals im Sommer die Schwelle eines 1,5-Grad-Temperaturanstiegs gegenüber dem 19. Jahrhundert überschritten. Diese Schwelle, erläuterte damals der „Focus“, „ist deshalb bedeutsam, weil sich die Weltgemeinschaft bei der Pariser Klimakonferenz im Jahr 2015 darauf geeinigt habe, die Erderwärmung bis zum Jahr 2100 auf maximal 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen“.

Umstrittene Interpretation

Bei Copernicus geht man noch weit über solche Aussagen hinaus. Und das, obwohl der EU-Einrichtung lediglich Wetterdaten seit den 1940er Jahren vorliegen. „Wenn wir unsere Daten mit denen des IPCC kombinieren, können wir sagen, dass dies das wärmste Jahr der vergangenen 125.000 Jahre ist“, meint Vize-Direktorin Burgess. Der sogenannte „Weltklimarat“ IPCC greift laut der Erläuterung im Tagesschau-Beitrag auf Messwerte zurück, die auf der Auswertung von Eisbohrkernen, Baumringen und Korallen-Ablagerungen basieren. Genau deren Interpretation ist aber umstritten.

Seit Beginn der Industrialisierung steigen die globalen Temperaturen. Dem gängigen politisch-medialen Narrativ zufolge ist dies im Wesentlichen menschengemacht und liegt am steigenden Anteil des Kohlendioxids in der Atmosphäre. (Foto: gemeinfrei)

Andere Forscher gehen davon aus, dass der Nullpunkt der Klima-Diskussion, also der Beginn der Industrialisierung, der kälteste Zeitpunkt der zurückliegenden 10.000 Jahre ist. Seit Ende der letzten großen Eiszeit. Soweit muss man freilich nicht gehen. In jedem Fall aber liegt jener Bezugspunkt am Ende der sogenannten „Kleinen Eiszeit“. Sie dauerte mit wechselnder Intensität vom ausgehenden Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert hinein an. Die Temperaturen lagen damals merklich unter denen des 20. Jahrhunderts, aber auch unter denen früherer Epochen wie Hochmittelalter oder klassische Antike.

Der Mensch ist schuld

Schuld an den vermeintlichen oder tatsächlichen Temperatur-Rekorden des Jahres 2023 sind laut dem Tagesschau-Beitrag – wie könnte es anders sein – die Kohlendioxid-Emissionen des Menschen. Dazu passend liefert ein zweiter Beitrag sogleich eine weitere Anklage an die Adresse der Befürworter fossiler Brennstoffe. Das Ziel der Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad sei „mit den geplanten Fördermengen an Kohle, Öl und Gas kaum zu erreichen“, heißt es mit Verweis auf einen Bericht des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP). Die globale Öl- und Gasförderung verschärfe die Klimakrise.

Bilder des Wettersatelliten GOES-17 zeigen den Ausbruch des Hunga Tonga am Abend des 15. Januar 2022. Die Einzelbilder wurden in einem Abstand von rund 30 Sekunden aufgenommen. (Foto: U.S. National Oceanic and Atmospheric Administration)

Kein Wort liest man dagegen vom untermeerischen Vulkan Hunga Tonga-Hunga Ha’apai im Pazifik. Dessen Mega-Eruption im Januar 2022 löste nicht nur einen Tsunami aus, verwüstete den Insel-Staat Tonga und störte die Satelliten-Kommunikation. Sie schleuderte auch enorme Mengen an Wasserdampf in die Atmosphäre. Der Ausbruch war nach Analysen von Vulkanologen eine der stärksten jemals gemessenen Eruptionen. Die Explosionsstärke war weit stärker als alle jemals durchgeführten Kernwaffentests und in etwa vergleichbar mit dem Ausbruch des Krakatau 1883. Jene Groß-Eruption führte auf der Nordhalbkugel zu einer um etwa 0,5 bis 0,8 Grad kühleren Temperatur.

Untypisch für einen Vulkan

Anders der Hunga Tonga. Experten zufolge erhöht die enorme Menge des in die Atmosphäre geschleuderten Wasserdampfs die globalen Temperaturen auf Jahre hinaus. Zwei Wochen nach der Eruption überwog der das Klima erwärmende Effekt der mehr als 100 Megatonnen Wasserdampf in der Stratosphäre den kühlenden Effekt der Schwefelaerosole. Eine Studie kam 2023 zu dem Schluss, dass der Wasserdampf „vermutlich und für einen großen Vulkanausbruch untypisch“ zu einem vorübergehenden globalen Temperaturanstieg führen werde. Auf mehr als 1,5 Grad gegenüber dem Beginn der Industrialisierung. 

Die Aschewolke vom Ausbruch des Hunga Tonga verdunkelt am 16. Januar 2022 Teile der Erdatmosphäre. Ausgenommen wurde das Bild von der Raumstation ISS. (Foto: NASA/Kayla Barron)

Andere Wissenschaftler meinen zwar, das der abkühlende Effekt der Aerosole überwogen und im Sommer 2022 sogar eine leichte Abkühlung verursacht habe. Die Gesamtmenge an Schwefeldioxid aber, die durch die Eruption in die Atmosphäre gelangte, wird auf nur 0,4 Megatonnen geschätzt. Ein fühlbarer Einfluss auf das Klima wäre laut Atmosphären-Forschern aber erst ab fünf Megatonnen zu erwarten. „Was die wahrscheinlichen Auswirkungen auf das Klima betrifft“, sei der Ausbruch des Hunga Tonga „einem Dutzend anderer Eruptionen in den letzten 20 Jahren nicht unähnlich“, erklärt Brian Toon von der University of Colorado.

Mehr Extrem-Wetter?

Davon liest man bei der Tagesschau nichts. Stattdessen dies: „Der Klimawandel führt zu Extremereignissen.“ Dazu gehörten laut dem Flaggschiff der öffentlich-rechtlichen Nachrichten-Vermittlung in diesem Jahr Überschwemmungen in Libyen, die Tausende Menschen töteten, heftige Hitzewellen in Südamerika und die schlimmste Waldbrandsaison, die Kanada je erlebt hat. Die tödlichen Fluten wurden indes nicht durch den Klimawandel oder steigende Temperaturen ausgelöst. Sondern durch den Bruch zweier veralteter Staudämme, deren mangelnde Widerstandskraft gegen Hochwasser Experten bekannt war und die zudem nur unzureichend gewartet wurden.

Die Fluten in Libyen hinterließen zahlreiche zerstörte Gebäude. (Foto: Mchs.gov.ru / CC BY 4.0 via Wikimedia Commons)

Auch verursacht eine mögliche Erderwärmung keine Waldbrände. Auch wenn dies gut ins medial transportierte Bild von der Klima-Hölle passen würde. Bestenfalls können Dürre und Trockenheit dazu beitragen, dass ein entstandener Brand mehr Nahrung erhält. Grund für die teils verheerenden Feuer aber ist nicht das steigende Thermometer. Sondern meist Brandstiftung oder Fahrlässigkeit. Belege dafür gibt es zuhauf. Insbesondere aus den europäischen Waldbrand-Gebieten. Das aber erfährt der durchschnittliche Tagesschau-Leser bestenfalls im Kleingedruckten.

Thomas Wolf

Kategorien
Im Blickpunkt

Brandmauer gegen Rechts ist gescheitert

Die Alternative für Deutschland ist kein ostdeutsches Phänomen mehr. Die Partei, der Kritiker „Rechtspopulismus“ bis hin zu „Rechtsextremismus“ vorwerfen, hat bei den jüngsten Wahlen in Hessen und Bayern bewiesen: Mit ihr ist auch im Westen zu rechnen. 14,6 Prozent erreichte die AfD am Sonntag bei der Landtagswahl im Freistaat. In Hessen sind es sogar 18,4 Prozent. Und damit merklich mehr als die 15 oder 16 Prozent, bei denen die Partei laut Umfragen kurz vor dem Urnengang lag.

Im Osten stärkste Kraft

Natürlich ist das noch weit entfernt von den Umfragewerten in den ost- und mitteldeutschen Ländern. Dort liegt die AfD teils bei weit über 30 Prozent. In Thüringen und Sachsen ist die Alternative mit Abstand stärkste Kraft in den Umfragen. Bayern und Hessen deuten nun an, dass das Potenzial der AfD auch im Westen längst nicht ausgeschöpft ist. Wenn die politische und die wirtschaftliche Krise, in der die Bundesrepublik steckt, anhält oder sich sogar noch verschärft, könnten immer mehr Menschen ihr Kreuz bei den „Rechtspopulisten“ um Alice Weidel und Tino Chrupalla machen.

Alice Weidel steht gemeinsam mit Tino Chrupalla an der Spitze der Alternative für Deutschland. (Foto: AfD)

Das macht die Partei für die etablierte Politik zu einer gefährlichen Konkurrenz. Zum ersten Mal seit ihrer Gründung vor gut zehn Jahren stellt die einstige „Professoren-Partei“ für viele Bürger eine echte Alternative zu CDU, SPD, Grünen und Co. dar. Wie geht die etablierte Politik mit diesem Erfolg um? Die Ausgrenzung der AfD und ihrer Wähler hat offensichtlich keinen Erfolg mehr. Die Alternative für Deutschland wird mittlerweile selbst von Menschen gewählt, die die Partei für rechtsextrem halten. Zugespitzt gesagt also: Die „Brandmauer“ gegen Rechts ist gescheitert.

Trotzdem fällt der etablierten Politik offenbar nichts wirklich Neues ein. Kanzler Olaf Scholz, dessen SPD in Hessen und Bayern historisch schlechte Ergebnisse eingefahren hat, ruft nach dem Erfolg der AfD dazu auf, die Demokratie zu verteidigen. „Die Stimmen, die auf eine rechtspopulistische Partei in Deutschland entfallen sind, müssen uns besorgen“, sagte Scholz zum Abschluss der deutsch-französischen Kabinettsklausur in Hamburg. Auch die Grünen in Bayern, mit 14,4 Prozent hinter der AfD und damit nur auf dem vierten Platz gelandet, fordern einen „Notfallplan für die Demokratie“.

Erinnerung an die DDR

Die AfD-nahe Desiderius-Erasmus-Stiftung soll keine öffentlichen Gelder mehr bekommen, hört man. Und Alt-Bundespräsident Joachim Gauck plädiert für ein breites Bündnis gegen die AfD, das Kritiker an die einstige Nationale Front der DDR erinnert. Man müsse der Alternative für Deutschland das klare Signal aussenden, dass sie niemals an die Macht kommen werde, sagte Gauck dem „Stern“. Sollte die AfD nach den Landtagswahlen im kommenden Jahr im Osten Deutschlands vorne liegen, müssten sich „alle demokratischen Parteien“ zusammentun: „von der CDU bis zur Linken“.

Ex-Bundespräsident Joachim Gauck. Er fordert ein breites Bündnis gegen die AfD: von der CDU bis zur Linkspartei. (Foto: © Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

Auch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidenten Hendrik Wüst (CDU) hat offensichtlich nichts gelernt. Er nennt die AfD eine „Nazipartei“. Er könne jeden Wähler, der mit der Politik der Ampel-Koalition oder der CDU unzufrieden ist, „nur warnen, diese Menschen zu wählen, diese Partei zu wählen“, sagte Wüst gestern. Björn Höcke, die der als Merkel-nah geltende CDU-Politiker als prägende Figur der Partei begreift, dürfe als „Faschist“ und als „Nazi“ bezeichnet werden. „Wenn die prägende Figur einer Partei ein Nazi ist, ist es eine Nazipartei“, sagte Wüst. „Mit denen geht gar nichts.“

AfD verächtlich machen

In einem Offenen Brief zum Ausgang der Wahlen in Bayern und Hessen, den Karin Zimmermann an die „Damen und Herren Politiker*innen“ der „Altparteien“ geschrieben hat, liest man: Die Wahlergebnisse „und die anschließend durch Ihre Honoratioren erfolgten Äußerungen“ zeigten, „dass Sie noch immer nicht verstanden haben, dass die von Ihnen seit zehn Jahren von Merkel begonnene Politik der Ausgrenzung, Verächtlichmachung, Kriminalisierung der AfD nicht zu dem beabsichtigten Ziel führt, sondern das Gegenteil bewirkt.“ Jenes Ziel sieht die Autorin in der möglichst vollständigen Eliminierung der unliebsamen Partei.

„Nehmen Sie zur Kenntnis, dass es im politischen Spektrum nicht nur linke und mittlere, sondern auch rechtsorientierte Auffassungen geben muss und geben wird“, schreibt Zimmermann. Und weist auf den elementaren Unterschied zwischen rechtsradikal und rechtsextrem hin, der im politisch-medialen Diskurs meist unbeachtet bleibt. „Über den Begriff des Extremismus besteht oft Unklarheit. Zu Unrecht wird er häufig mit Radikalismus gleichgesetzt“, heißt es vom Bundesamt für Verfassungsschutz.

Ein Aufmarsch von Rechtsextremisten in München. Der Unterschied zu Rechten oder Rechtsradikalen ist elementar. (Foto: Rufus46/CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)

„Rechtsextremisten lehnen die freiheitliche demokratische Grundordnung ab und wollen – auch unter Anwendung von Gewalt – ein autoritäres oder gar totalitäres staatliches System errichten“, definiert die Bundeszentrale für politische Bildung. Dagegen haben radikale politische Auffassungen „in unserer pluralistischen Gesellschaftsordnung ihren legitimen Platz“. Wer radikale Vorstellungen umsetzen will, „muss nicht befürchten, dass er vom Verfassungsschutz beobachtet wird; jedenfalls nicht, solange er die Grundprinzipien unserer Verfassungsordnung anerkennt“.

Fairness für die AfD

Der Bürger, meint Zimmermann, beginne zu merken, dass Äußerungen gegen die AfD reines Politiker-Geschwätz ohne Inhalt sind. Eine inhaltliche Auseinandersetzung finde nicht statt. Statt immer nur laut dazwischen zu schreien, wenn ein AfD-Vertreter im Bundestag spricht, sollte der politische Gegner besser einmal das Grundsatzprogramm der AfD lesen, fordert Zimmermann. „Jede Wette: Die meisten von Ihnen haben das bisher nicht getan.“ Weiter fordert sie: „Begegnen Sie der AfD mit Fairness. Die AfD ist eine von vielen Bürgern demokratisch gewählte Partei.“ Wahlergebnisse als freie Willensbekundungen des Souveräns, heißt es in dem Offenen Brief weiter, müssten respektiert werden.

„Wenn Sie nicht bemerken, dass ihre bisherige Politik gegenüber der AfD falsch ist und nachhaltig geändert werden muss, wird sich die jetzt sichtbare Entwicklung fortsetzen“, vermutet die Autorin. Dies dauere so lange an, bis die Politiker der etablierten Parteien verstanden haben, dass sie es sind, die sich ändern müssen, „um nicht im Abseits zu landen“.

Thomas Wolf

Kategorien
Kommentar

Wer Terror sät, wird Tod ernten

Es ist ein über die Jahre bekanntes Vorgehen. Um sich gegen die israelische Besatzung zu wehren, greifen die Palästinenser zu selbstgebastelten Bomben, attackieren Grenzposten oder sprengen sich in israelischen Bussen in die Luft. So war das vor zehn, vor 20 Jahren. Terrorismus ist der Krieg der Armen, sagte der deutsch-britische Schauspieler Sir Peter Ustinov (1921-2004) zu derlei Attacken, für die der Nahe Osten berüchtigt war. Doch das war einmal – und es war grauenvoll genug.

Beispielloser Mord

Was jetzt aber am Wochenende in Israel geschah, ist beispiellos in der Geschichte des palästinensischen Terrors. Der Großangriff von Hamas und „Islamischem Dschihad“ stellt alles in den Schatten. Binnen weniger Stunden ermordeten die Terroristen mehr als 900 Israelis. Die ganz große Mehrheit Zivilisten: Frauen, Männer und Kinder. Sie mussten wohl aus einem einzigen Grund sterben: weil sie Israelis waren, Juden. Zum Vergleich: Während der Al-Aqsa-Intifada von 2000 bis 2005, dem letzten großen Palästinenser-Aufstand, waren es nur wenige israelische Opfer mehr. Allerdings in fast fünf Jahren.

Der weltweite Schock über die Terror-Attacken auf wehrlose israelische Zivilisten ist groß. In Berlin versammelten sich zahlreiche Menschen vor dem Brandenburger Tor, um ihre Solidarität mit Israel auszudrücken. (Foto: Leonhard Lenz/CC0 via Wikimedia Commons)

„Seit dem Holocaust haben wir nicht mehr erlebt, wie jüdische Frauen und Kinder, Großeltern – sogar Holocaust-Überlebende – in Lastwagen gepfercht und in die Gefangenschaft gebracht wurden. Wir werden mit voller Kraft und unerschütterlichem Engagement handeln, um diese Bedrohung für unser Volk zu beseitigen“, sagte Israels Staatspräsident Herzog nach dem Terror-Angriff. Und der umstrittene Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sagt: „Wir sind im Krieg. Und wir werden gewinnen. Unser Feind wird einen Preis bezahlen, wie er ihn noch niemals kennengelernt hat.“

Israels Politik kritisch sehen

Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas erklärte, sein Volk habe das Recht, sich gegen den „Terror der Siedler und Besatzungstruppen“ zu wehren. Das ist richtig. Man kann auch als Deutscher die Politik Israels gegenüber den Palästinensern kritisch sehen. Und ebenso die Regierung Netanjahu oder die radikalen jüdischen Siedler, die erst jüngst wieder mit Provokationen und Übergriffen gegen Christen, Palästinenser und Andersdenkende von sich reden machten. Man kann auch Israels anhaltende Besatzung des Westjordanlands als völkerrechtswidrig ansehen. Und man kann fordern, dass das palästinensische Volk einen eigenen Staat erhält. Man sollte sogar.

Israels Besatzungspolitik im palästinensischen Westjordanland ist umstritten. (Foto: Israel Police/CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)

Nichts davon aber rechtfertigt den rassistischen Blutrausch der Hamas! Selbst wenn man den israelischen Behörden vorwerfen kann, potenzielle Warnungen in den Wind geschlagen zu haben: Das macht nichts besser. Der Angriff ist und bleibt unerträglich. Was am Morgen des 7. Oktober begann, ist ein akribisch geplantes und eiskalt umgesetztes Abschlachten, das an die Untaten des „Islamischen Staats“ in Syrien und im Irak gemahnt. Allein auf dem Musikfestival „Supernova Sukkot Gathering“ beim Kibbuz Re’im, wo junge Israelis einfach nur friedlich feiern wollten, massakrierten die Islamisten mindestens 260 Menschen. Zahlreiche weitere vergewaltigten oder verschleppten sie.

Die Terror-Banden ausrotten

Den Preis für den Terror zahlen nun die Bewohner von Gaza. Israel hat faktisch angekündigt, die Hamas und andere Terror-Banden dort auszurotten. 300.000 Reservisten wurden einberufen. Die Armee steht wohl unmittelbar davor, in den Gazastreifen einzumarschieren. Die mächtigste Militärmacht des Nahen Ostens steht bereit, das Terrornest dem Erdboden gleichzumachen. Das ist durchaus wörtlich zu nehmen. Was der Westen russischen Truppen in der Ukraine vorwirft, dürfte in Gaza Realität werden. Erste Videos von Luftschlägen zeigen bereits, dass Israel wenig Rücksicht auf die Zivilbevölkerung nehmen wird. Die Saat des Terrors der Hamas: Sie ist der Tod von Gaza.

Israelische Kinder fliehen vor einem Raketenangriff aus dem Gazastreifen. Das Bild wurde 2012 aufgenommen. Allerdings dürfte sich das Motiv nur unwesentlich von aktuellen Ereignissen während des Hamas-Überfalls unterscheiden. (Foto: Israel Defense Forces/CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)

Erschaudern lassen einen die anderen Videos. Jene nämlich, die aus Israel um die Welt gingen und die die Blutspur der islamischen Killer zeigen. Ebenso fassungslos machen die Bilder aus Orten wie Berlin. Im Problembezirk Neukölln begrüßten Migranten „Allahu akbar“ gröhlend das Wüten der Hamas-Mörder. In Hamburg kam es am Rande einer Solidaritäts-Kundgebung für Israel zu Übergriffen. Es ist schwer, dafür angemessene Worte zu finden. Wer dermaßen von Hass zerfressen ist, der beweist, dass er nicht zu Deutschland gehört. Und dass er auch nicht zu Deutschland gehören will.

Integration gescheitert

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier will solche Feiern „nicht dulden“. Und Bundesjustizminister Marco Buschmann schreibt bei X (früher: Twitter): „Wer den Hamas-Terror feiert, gehört nicht zu uns.“ Deutschland und Israel seien fest miteinander verbunden. „Die Existenz und die Sicherheit Israels sind deutsche Staatsräson.“ Auch ohne das politische Gerede von der Staatsräson muss klar sein: Die Integration dieser Menschen ist auf ganzer Linie gescheitert. Nun ist es an der Politik, die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. Ob sie es tatsächlich tun wird? Das ist allerdings mehr als fraglich.

Frank Brettemer

Wie hier im Iran kam es auch in Berlin-Neukölln zu Kundgebungen, auf denen der Hamas-Terror gerechtfertigt oder gar begrüßt wurde. (Foto: ناصر جعفری/CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)
Kategorien
Kommentar

Keine Chance für die politische Alternative

„Die Wahl war frei, aber nicht fair.“ Dieses Urteil hört man von westlichen Politikern nicht selten, wenn eine ihr tendenziell missliebige Regierung durch einen Urnengang im Amt bestätigt wurde. Im Frühjahr war das bei der Wiederwahl des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan der Fall. „Die Türkei ist seit spätestens zehn Jahren auf dem Weg in ein autoritäres System. Die Wahlen mögen frei gewesen sein, aber sie waren eben nicht fair“, monierte der SPD-Politiker Michael Roth, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag.

Die Tatsache, dass eine Wahl frei ist, bedeutet noch nicht, dass sie auch fair ist. (Foto: Bayernnachrichten.de / Alexander Hauk / www.alexander-hauk.de / Attribution via Wikimedia Commons)

Auch für den anstehenden Urnengang in Polen befürchten westliche Medien wie die FAZ: Er wird frei sein, aber nicht fair. Am 15. Oktober wählen rund 30 Millionen Polen ein neues Parlament. Die regierende nationalkonservative und russland-kritische PiS-Partei „Recht und Gerechtigkeit“ des früheren polnischen Regierungschefs Jarosław Kaczyński kann mit ihrem Bündnis „Vereinigte Rechte“ auf einen klaren Wahlsieg hoffen. Die meisten Umfragen sehen die „Vereinigte Rechte“ bei deutlich über 30 Prozent. Und teils weit vor der liberal-konservativen Bürgerkoalition um den früheren Ministerpräsidenten Donald Tusk.

Opposition kleinhalten

Ganz zu schweigen von Ungarn, dem „Enfant terrible“ der Europäischen Union. Politische Gegner werfen Regierungschef Viktor Orbán schon seit Jahren vor, die Opposition kleinzuhalten und Menschenrechte nicht zu respektieren. Vor allem gemeint sind damit die Rechte von Homo– und Transsexuellen. Die werden im christlichen „Magyarország“ (etwa: Staat/Land Ungarn) zwar nicht diskriminiert. Öffentlich Propaganda für ihre Sache machen dürfen sie aber auch nicht. In jüngster Zeit ist zu den Vorwürfen, die Medien in Ungarn seien nicht frei, noch ein weiterer Punkt gekommen, der der EU nicht passt: Orbáns Russland-Nähe.

Frei, aber nicht fair. Wer so urteilt, der meint, die Freiheit, sein Kreuzchen bei einer Partei oder einem Kandidaten seiner Wahl machen zu dürfen, sei nicht wesentlich eingeschränkt. Zugleich fehle es aber an echter Chancengleichheit. Dann nämlich, wenn die Herrschenden oder die von ihnen unterstützten Bewerber die Macht des Staatsapparats und der einflussreichen Medien auf ihrer Seite haben. Und dadurch einen Vorteil erlangen, den ein Kandidat der Opposition niemals haben würde. Das sei im Frühjahr in der Türkei der Fall gewesen, sagen Kritiker. Das sei seit Jahren in Ungarn der Fall. Und in Polen wird es wohl ebenso laufen.

Jörg Prophet unterlag in der Stichwahl um das Amt des Oberbürgermeisters von Nordhausen Amtsinhaber Kai Buchmann. (Foto: AfD Nordhausen / CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)

Die Wahl war frei, aber nicht fair. Das dürfte demnach auch auf die gestrige Stichwahl um das Amt des Oberbürgermeisters der Stadt Nordhausen in Thüringen gelten. AfD-Kandidat Jörg Prophet gewann den ersten Wahlgang mit gut 42 Prozent der Stimmen. Der amtierende OB Kai Buchmann (parteilos) kam auf nicht einmal 24 Prozent. Gestern unterlag Prophet dem Amtsinhaber trotzdem deutlich. Er gewann nur drei Prozentpunkte hinzu und landete bei 45 Prozent. Buchmann dagegen konnte seinen Stimmen-Anteil deutlich mehr als verdoppeln: auf fast 55 Prozent. Dabei hatte Prophet zu Beginn des Auszählungs-Krimis sogar noch vorne gelegen.

Wahlkampf mit unfairen Mitteln

Dem denkwürdigen Wahlabend vorausgegangen waren zwei Wochen, in denen sich der Sieger des ersten Wahlgangs nicht nur gegen den amtierenden OB zur Wehr setzen musste. Er stand auch einer faktischen politischen Einheitsfront gegenüber. Alle Parteien außer der AfD gingen mehr oder weniger offensichtlich für Buchmann in den Kampf. Obwohl der ein Disziplinar-Verfahren am Hals hat und sich Mobbing-Vorwürfen ausgesetzt sieht. Es galt, den ersten Oberbürgermeister aus den Reihen der Alternative für Deutschland um jeden Preis zu verhindern. Und damit den bislang größten Erfolg der AfD auf kommunaler Ebene. Und sei es mit unfairen Mitteln.

Auch die Leitmedien und der Verfassungsschutz fuhren schweres Geschütz gegen Prophet auf. Weil er es gewagt hatte, mit Blick auf den Zweiten Weltkrieg auch von deutschen Opfern zu sprechen und neben NS-Todeslagern auch die anglo-amerikanischen Luftangriffe auf Städte wie Nordhausen als Verbrechen zu bezeichnen, warf der Deutschlandfunk ihm vor, er spreche die Sprache von Neonazis. Der Thüringer Verfassungsschutz, wurde vor dem entscheidenden zweiten Urnengang bekannt, soll den 61-Jährigen bereits vor geraumer Zeit beobachtet haben. Selbst der Leiter der Nordhauser KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora schaltete sich ein und warnte vor dem AfD-Bewerber.

Opfer der alliierten Luftangriffe auf Nordhausen im April 1945. Unmittelbar nach Kriegsende wurden die Todeszahlen auf mehr als 10.000 geschätzt. Jörg Prophet hält die Attacken auf Zivilisten für ein Verbrechen. (Foto: US Army/gem)

Im deutschen Grundgesetz heißt es in Artikel 38, die Abgeordneten des Bundestags „werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt“. Gleiches gilt für einen Bürgermeister in Thüringen. Frei dürfte der Urnengang in Nordhausen gewesen sein. Das stellte nicht einmal Jörg Prophet in Frage. Aber eine echte Chancengleichheit herrschte nicht. Der 61-jährige AfD-Kandidat hatte keine echte Chance, die Wahl zu gewinnen. Dafür hatte er zu viele Gegner. Oder um es mit den Worten von Michael Roth zu sagen: „Die Wahlen mögen frei gewesen sein, aber sie waren eben nicht fair.“

Thomas Wolf

Kategorien
Kommentar

Klima-Ideologie vor Glaubwürdigkeit

Erwartungsgemäß hat der Bundestag mit der Mehrheit der Ampel-Koalition das umstrittene Gebäudeenergiegesetz beschlossen. Für das Vorhaben stimmten 399 Abgeordnete. 275 Parlamentarier votierten dagegen, fünf enthielten sich. Das vom Volksmund als Heizungsgesetz bezeichnete Gesetzeswerk zielt darauf ab, die traditionellen Öl- und Gasheizungen, die in Deutschland in mehr als 70 Prozent aller Privathaushalte zum Einsatz kommen, schrittweise durch andere Heizungsarten zu ersetzen. Solche nämlich, die nach Ansicht der Regierung klimafreundlicher sind.

Kältemittel umweltschädlich

Vor allem sind das Wärmepumpen. Ob die aber dem Klima wirklich zuträglicher sind, ist umstritten. Lässt man die grüne Ideologie-Brille einmal beiseite, so bleibt eine Heizungsart, die nicht nur das Vielfache einer klassischen Öl- oder Gasheizung kostet, sondern deren Lebensdauer auch merklich darunter liegt. Für Wohngebäude ohne Fußboden-Heizung ist sie eigentlich nicht das Mittel der Wahl. Manche Kritiker berechnen sogar einen höheren Ausstoß von Klima-Gasen als bei Öl und Gas. Ganz davon abgesehen, dass die in Wärmepumpen verwendeten Kältemittel in vielen Fällen umweltschädlich sind.

Gilt Politik und Medien als klimafreundliche Heizungsform: eine Wärmepumpe. Aber ist das zutreffend? (Foto: gemeinfrei)

Aufzuhalten wird das Gesetz wohl dennoch nicht sein. Wohl noch diesen Monat muss es zwar den Bundesrat passieren. Doch das ist kaum mehr eine Formalie. Selbst wenn die Länderkammer Einspruch einlegen sollte, ist das Gebäudeenergiegesetz damit nicht gescheitert. Vielmehr kann der Bundestag den Einspruch des Bundesrats mit der Mehrheit der Ampel-Koalitionäre zurückweisen. Und genau das wird er im Fall des Falles auch tun. Das Gesetz gilt nämlich als nicht zustimmungspflichtig.

Sozial ausbalanciert?

Das GEG sei sozial ausbalanciert, sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) heute im Bundestag noch einmal. Keiner wird zurückgelassen“, hieß es bereits zuvor mantra-artig aus der Ampel-Koalition, seit Befürchtungen laut wurden, die Klimapolitik der Regierung würde die Bürger in den Ruin treiben. „Wir haben uns fest vorgenommen, dass wir sicherstellen, dass alle unterstützt werden, die Unterstützung brauchen“, betonte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) noch Ende August in einem Interview mit dem MDR mit Blick auf das geplante dritte Energie-Entlastungspaket.

„Wir gucken genau auf die Situation von Familien, von Rentnerinnen und Rentnern, von Studierenden“, versicherte der Kanzler in dem Interview. „Wir werden auch dafür sorgen, dass diejenigen, die verdienen, aber trotzdem rechnen müssen, auch steuerlich entlastet werden.“ Die Zweifel der Bürger aber blieben. Und ebenso die Angst um die eigene Existenz im Angesicht der erwartbaren hohen Energiekosten. Wirklich transparent sind die Energie-Gesetze auch nach zahlreichen Nachbesserungen nicht, die die massive Kritik nach sich zog. Und kostengünstiger wird es für die Bürger schon mal gar nicht.

Bundeskanzler Olaf Scholz hat versprochen, die Bürger finanziell zu entlasten. (Foto: European Parliament / CC BY 2.0 via Wikimedia Commons)

Denn die Umrüstung auf erneuerbare Energien kostet. Das geben die Politiker unumwunden zu. Die Entlastung der Bürger hält sich entgegen aller Beschwichtigungen und Versprechungen aber in Grenzen. Oder wird sogar auf unbestimmte Zeit verschoben. Das Klimageld zum Beispiel, das die Regierung als sozialen Ausgleich für steigende CO2-Preise versprochen hat. Dieser Wortbruch erzürnt nicht nur Sozialorganisationen oder das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Auch die Klimaschützer von den „Fridays for Future“ fordern eine umgehende Einführung des in Aussicht gestellten Klimageldes. Vergeblich! Dabei soll schon 2024 der CO2-Preis um ein Drittel steigen.

Historische Vertrauens-Krise

DIW-Präsident Marcel Fratzscher warnt, die größte Gefahr für den Klimaschutz sei fehlende Akzeptanz. Ganz abgesehen davon droht der Regierung ein weiterer fataler Glaubwürdigkeits-Verlust. Noch dazu in einer Zeit, in der die Koalition ohnehin in einer historischen Vertrauens-Krise steckt. Oder geht es am Ende gar nicht um soziale Ausgewogenheit? Oder um Glaubwürdigkeit? Sondern schlicht darum, die Bürger zu gängeln. Und einer Ideologie zu unterwerfen, die trotz aller Kompromisse im Heizungsgesetz noch immer die Diskussionen um den Klimaschutz prägt.

Anna Steinkamp