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Im Blickpunkt

Gewalt meist gegen christliche Kirchen

Glaubt man der medialen Berichterstattung über Gewalt gegen religiöse Einrichtungen, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Christen davon praktisch nicht betroffen sind. Stattdessen scheint es, als ob solche Straftaten fast ausschließlich Juden und Muslime und ihre Gotteshäuser und Gebetsstätten treffen. Das Gegenteil ist der Fall, zeigt eine aktuelle Polizei-Statistik aus der Bundeshauptstadt.

Rund 1500 Straftaten sind demnach seit 2006 in Berlin auf religiöse Einrichtungen verübt worden. Das bedeutet: Allein in der Hauptstadt wird jeden vierten Tag eine Gebetsstätte angegriffen, nahezu zweimal pro Woche also. Mit großer Mehrheit handelt es sich bei den erfassten Delikten um Sachbeschädigung – etwa Schmierereien an Fassaden. Erfasst wurden aber auch Fälle von Brandstiftung, Volksverhetzung und Störung der Religionsausübung. Das geht aus einer Antwort des Berliner Senats auf eine parlamentarische Anfrage des AfD-Abgeordneten Tommy Tabor hervor.

Nur selten Angriffe auf Muslime oder Juden

Wer nun glaubt, christliche Ziele seien nur in den seltensten Fällen attackiert worden, den belehren die Zahlen aus Berlin eines Besseren: Von 1495 erfassten Angriffen galten 1392 Kirchen und anderen christlichen Einrichtungen – über 90 Prozent. Attacken auf muslimische und jüdische Gebetsorte fanden dagegen nur selten statt: nämlich 64 Mal auf islamische und 39 Mal auf jüdische Gemeinden.

Ein verbranntes Kreuz in einer Kirche in Nicaragua nach einem Brandanschlag. Auch in Deutschland kommt es zu Brandstiftung an religiösen Stätten. (Foto: Kirche in Not)

In Berlin gibt es nach Angaben des Evangelischen Pressedienstes 328 christliche Kirchen und elf Synagogen. Die Zahl der Gebetsräume muslimischer Gemeinschaften schätzt man auf rund 100. Selbst wenn man die Zahl der Angriffe in Relation zur Zahl der Gotteshäuser setzt, bleibt nicht zu bestreiten, dass Kirchen weitaus häufiger angegriffen werden als Moscheen oder Synagogen und christliche Gläubige häufiger an der Ausübung ihrer Religion gehindert werden als Muslime oder Juden – und das in der deutschen Hauptstadt.

Passen christliche Opfer nicht ins Narrativ?

Warum spielen Angriffe auf Christen und christliche Einrichtungen sowohl im Inland wie auch im Ausland in der Berichterstattung der großen Medien dann aber eine dermaßen untergeordnete Rolle? Passen Berichte über christliche Opfer nicht ins mediale Narrativ? Oder liegt es daran, dass laut der Berliner Polizei-Statistik nur 83 der 756 seit 2012 registrierten Straftaten gegen christliche Orte politisch motiviert gewesen seien (etwa die Hälfte von „rechts“)? Als politisch motiviert gelten auch 36 Angriffe auf jüdische und zehn auf muslimische Einrichtungen.

Nicht nur die große Mehrzahl aller Delikte, sondern auch die überwiegende Zahl der politisch motivierten Angriffe trifft also Christen. In Relation zur Zahl der Gebetsstätten stellen nun aber die Juden die weitaus größte Opfergruppe – allerdings auch nur deshalb, weil die Berliner Polizei Angriffe auf christliche Einrichtungen meist nicht als politisch motiviert einstuft. Wie fundiert diese Einschätzung ist, geht aus der Statistik nämlich nicht hervor.

Thomas Wolf

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Kommentar

Sowjetische Ehrenmäler entfernen?

Im lettischen Riga ist ein sowjetisches Ehrenmal abgerissen worden. 80 Meter hoch ragte der Beton-Obelisk in den Himmel, der an die Befreiung Lettlands von deutscher Besatzung im Zweiten Weltkrieg erinnerte. Es war nicht das erste Mal, dass das Baltikum Hand an eine sowjetische Erinnerungsstätte legte: Auch in Estland wurde jüngst ein Sowjet-Denkmal demontiert. Damit soll auch die sichtbare Erinnerung daran beseitigt werden, dass die baltischen Länder jahrzehntelang gegen ihren Willen Teil der kommunistischen Sowjetunion waren.

Das ist durchaus verständlich – man muss immer bedenken, dass diese Denkmäler vor allem als Zeichen der Erniedrigung gedacht waren: Sie wurden errichtet, um der Bevölkerung deutlich zu sagen, wer der Herr im Haus ist. Dass die kleinen baltischen Staaten seit ihrer Unabhängigkeit lieber das neugewonnenes Selbstbewusstsein statt früherer Schmach betonen möchten, ist nachvollziehbar. Dass sie damit auch ein womöglich verheerendes Signal an die russische Minderheit im eigenen Land senden, steht auf einem anderen Blatt.

Mit Propaganda-Parolen beschmiert

Nun gibt es sowjetische Ehrenmäler auch in Deutschland, und auch hier hat mancher seit der russischen Invasion in der Ukraine die Frage gestellt, ob es nicht sinnvoll wäre, auch diese zu entfernen. Das gigantische, vor Pathos strotzende Ehrenmal im Berliner Stadtteil Treptow wurde gar bereits mit Farbe und Propaganda-Parolen beschmiert. Auch das Ehrenmal in Berlin wurde letztlich in dieser Form gebaut, um die Deutschen zu demütigen: um sie daran zu erinnern, dass sie den Krieg verloren hatten und ein besetztes Land waren – angewandte Kriegspsychologie.

Der riesige Soldat mit Schwert und Mädchen im Arm, der ein Hakenkreuz zertritt, ist im sowjetischen Ehrenmal in Berlin-Treptow nicht zu übersehen. (Foto: Toniklemm/CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

Ist eine solche Erinnerung 30 Jahre nach der Wiedervereinigung noch sinnvoll? Im Fall von Deutschland geht es allerdings nicht rein um eine militärische Niederlage, sondern auch um die damit verbundene Beseitigung der NS-Diktatur. Die Entfernung eines Denkmals zum Sieg über das Dritte Reich würde also gewaltiges Konfliktpotenzial mit sich bringen. Wer sich dafür ausspricht, muss sich letztlich den Vorwurf gefallen lassen, die braune Zeit von 1933 bis 1945 zu verharmlosen.

Allerdings muss man auch bedenken, dass die Sowjetunion kein Unschuldslamm war. Sie war sowohl an Einmarsch in Polen als auch dessen Aufteilung als Kriegsbeute beteiligt – hat sich also auch an Verbrechen gegen die Menschlichkeit beteiligt. Sowjetische Soldaten haben zudem schwere Kriegsverbrechen begangen, man denke etwa an die große Zahl von vergewaltigten deutschen Frauen und Mädchen. Auch die brutal niedergeschlagenen Aufstände in Osteuropa nach dem Krieg soll man nicht vergessen. Ob man solch ein System durch monumentale Denkmäler verherrlichen muss, ist eine berechtigte Frage.

Schlichte deutsche Soldatenfriedhöfe

Grundsätzlich wäre vielleicht zu überlegen, ob nicht ein schlichteres Mahnmal sinnvoller wäre. Eines, das nicht die Rote Armee verherrlicht, sondern daran erinnert, wie viele sowjetische Soldaten bei der Schlacht um Berlin und allgemein im Krieg gefallen sind. Keine Verherrlichung, keine Anklage – nur die Tatsachen genannt, das Schicksal der Soldaten betont. Die äußerst schlicht gehaltenen deutschen Soldatenfriedhöfe, die – auch und gerade in Russland – an die Gefallenen in deutscher Unif0rm erinnern, könnten hier Vorbild sein.

Aber: Treptow und Co. sind geschichtliche Denkmäler. Sie zu entfernen, würde bedeuten, einen Teil der Geschichte einfach wegzuräumen – und damit vergessen zu machen. Deutschland hat 1945 den Krieg verloren, Niederlage und Besatzung haben alles danach Entstandene in hohem Maße geprägt, sind Teil der deutschen Identität geworden. Gerade in Zeiten, wo bereitwillig überall Denkmäler vom Sockel gestürzt werden, weil sie nicht mehr als „politisch korrekt“ gelten, wo eine regelrechte „damnatio memoriae“ betrieben wird, sollte man sehr vorsichtig sein. Wo ein Denkmal entfernt wird, findet sich rasch ein weiteres, das plötzlich als ebenfalls anstößig gilt – ein wahrer Domino-Effekt.

Lukas Böhme

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Kommentar

Wo Kretschmer Recht hat, hat er Recht

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) stand auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie an vorderster Linie derer, denen Mindestabstand, Maskenpflicht oder Impfkampagne nicht weit genug gehen konnten. Eine allgemeine Impfpflicht hatte er zuvor noch kategorisch ausgeschlossen – dann konnte sie gar nicht schnell genug kommen. Kurz: Kretschmer war fest eingereiht in die mediale und politische Einheitsfront, deren Lösung für die Krise in immer neuen Beschränkungen der persönlichen Freiheit lag.

Unabsehbare Folgen der Sanktionspolitik

Ganz anders im Ukraine-Konflikt. Hier ist der Sachse Kretschmer einer der wenigen hochrangigen Politiker, die aus der Phalanx der nahezu kritiklosen Unterstützung des westlichen Anti-Russland-Kurses ausscheren. Schon mehrfach warnte er vor den unabsehbaren Folgen der aktuellen Sanktions- und Energiepolitik der Bundesregierung. Der Krieg in der Ukraine müsse „eingefroren“ und auf dem Verhandlungsweg beendet werden, fordert der 47-Jährige. Auch gestern wieder im ZDF-Talk mit Markus Lanz.

Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer will den Ukraine-Krieg auf dem Verhandlungsweg beenden. Unter den hochrangigen Politikern seiner Partei steht der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende damit ziemlich allein da. (Foto: Sandro Halank/CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

„Wir müssen endlich zugeben, dass wir in den nächsten fünf Jahren nicht auf russisches Gas verzichten können“, sagt Kretschmer. „Und wenn das so ist, dann müssen wir endlich die richtigen Konsequenzen ziehen.“ Die politische Debatte über Sinn und Unsinn der Sanktionen müsse breiter geführt werden. „Wenn man jeden Konflikt zum Eigenen macht“, fügt Kretschmer völlig zutreffend hinzu, „dann ist das der Untergang.“ Auch innerhalb der CDU steht der gebürtige Görlitzer damit einigermaßen isoliert da. Umso höher sind ihm seine klaren Worte anzurechnen.

Ob Kretschmer die westlichen Sanktionen nun in Frage stellt, weil er „sein Wahlvolk nicht verlieren möchte“, wie es Nadine Lindner vom Deutschlandradio ausdrückt, weil er im Wettstreit mit der in Sachsen besonders starken AfD punkten will oder einfach, weil ihm als gebürtigem Mitteldeutschen die Menschen in Mittel- und Ostdeutschland am Herzen liegen, die besonders unter den Folgen der verfehlten Energiepolitik leiden werden, sei dahingestellt. Man kann ihm jedenfalls kaum deutlich genug für seine Haltung danken.

Verhandlungen mit Russland sind alternativlos

So kritisch der Ausdruck der Alternativlosigkeit seit seiner gefühlt inflationären Benutzung in der Ära von Bundeskanzlerin Angela Merkel zu betrachten ist – hier ist er zutreffend. Verhandlungen mit Russland sind alternativlos! So kritisch man die russische Invasion auch sehen kann oder sogar muss (das tut auch Kretschmer!), so solidarisch man mit der angegriffenen Ukraine auch ist, so sehr man Wladimir Putins Politik ablehnt – es gibt keine Alternative zu Verhandlungen mit Russland.

Russische Soldaten im Osten der Ukraine. Ein Ende ihrer „Spezialoperation“ ist derzeit nicht absehbar. (Foto: Mil.ru/CC BY 4.0 via Wikimedia Commons)

Die Ukraine hat zuletzt wieder deutlich gemacht, dass sie keinerlei Kompromisse einzugehen bereit ist. Das mag verständlich sein, wenn man bedenkt, dass aus völkerrechtlicher Sicht die Ukraine das angegriffene Land ist. Eine Lösung der Krise bringt solch eine harte Haltung aber nicht näher. Im Gegenteil: In Osteuropa droht ein jahrelanger, womöglich jahrzehntelanger Waffengang – am Leben erhalten durch westliche Panzer, westliche Gewehre und westliche Munition.

Regierung nutzt Konflikt für ihre Energiewende

Schon jetzt steigen Gas- und Strompreise in Deutschland immer weiter an. Die Bundesregierung, die den neuen Ost-West-Konflikt geschickt zur Beschleunigung ihrer Energiewende nutzt, nimmt in Kauf, dass für große Teile der deutschen Bevölkerung Mobilität, Energie und Elektrizität zu Luxusgütern werden. Alle Maßnahmen, die bislang beschlossen oder diskutiert wurden, um die Bürger zu entlasten, sind meist nicht mehr als wirkungslose Tropfen auf den heißen Stein.

Russland steckt die westlichen Sanktionen derweil zwar nicht einfach weg, kommt aber offenbar doch erstaunlich gut damit klar. Zum militärischen Rückzug aus der Ukraine jedenfalls können sie Russland auch nach sechs Monaten ganz offensichtlich nicht zwingen. Man muss sich daher nicht sonderlich weit aus dem Fenster lehnen, um ein Scheitern der Sanktionen festzustellen. Die Politiker, die dafür verantwortlich sind, sollten die Größe haben, dieses Scheitern einzugestehen und auf den alternativlosen Pfad der Vernunft zurückzukehren. Noch ist es nicht zu spät.

Thomas Wolf

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Im Blickpunkt

Ruhm, Ehre oder Heil? – Ein umstrittener Gruß

„Slawa Ukraini!“ – mit diesem mittlerweile weltbekannten ukrainischen Schlachtruf beendete Bundeskanzler Olaf Scholz seine Videobotschaft, mit der er dem osteuropäischen Land gestern auf seinem Twitter-Auftritt zum Unabhängigkeitstag gratulierte und zugleich weitere deutsche Waffenlieferungen versprach. „Slawa Ukraini!“ – seit dem Beginn der russischen Invasion ist die pathetische Grußformel in aller Munde. Zumindest im Mund derer, die das angegriffene Land bedingungslos unterstützen und dabei womöglich die Vorgeschichte der Eskalation außer Acht lassen.

In die Nähe eines faschistischen Regimes gerückt

Was aber bedeutet „Slawa Ukraini“? Im Internet kursieren dazu verschiedene Übersetzungen, die unterschiedlicher kaum sein könnten und sich oberflächlich betrachtet ausschließen. In pro-russischen Kreisen übersetzt man die Grußformel, die in der Ukraine gemeinhin mit „Herojam Slawa“ erwidert wird, mit „Heil der Ukraine“. „Herojam Slawa“ steht demnach für „Heil den Helden“. Die Übersetzung soll an die Worte erinnern, die in Nazi-Deutschland beim Hitlergruß gesprochen wurden. Die Ukraine wird damit in die Nähe eines faschistischen Regimes gerückt.

Bundeskanzler Olaf Scholz gratulierte der Ukraine per Videobotschaft zu ihrem Unabhängigkeitstag und schloss mit der pathetischen Grußformel „Slawa Ukraini“. Deren Übersetzung ist strittig. (Foto: Kremlin.ru/CC BY 4.0 via Wikimedia Commons)

Westliche Medien übersetzen den Schlachtruf dagegen meist unverdächtig mit „Ruhm der Ukraine – Ruhm den Helden“. Dem Internetlexikon Wikipedia zufolge sind auch „Ehre der Ukraine“ oder „Hoch lebe die Ukraine“ geläufige Übertragungen. Tatsächlich dürfte die Übersetzung „Ruhm“ der ukrainischen Bedeutung am nächsten kommen. Abgesehen davon, dass bevorzugt ukrainische Nationalisten mit „Slawa Ukraini“ grüßen, bleibt also bei der gängigen westlichen Deutung kaum etwas übrig, was an das „Sieg Heil“ der deutschen Nationalsozialisten erinnert.

Kampf gegen das bolschewistische Russland

Bei genauerer Betrachtung zeigt sich allerdings: So einfach ist die Sache nicht. „Slawa Ukraini“ hat seinen Ursprung in der noch jungen ukrainischen Nationalbewegung. Taras Schewtschenko (1814-1861), der als ukrainischer Nationaldichter gilt und mit seinen Werken zur Herausbildung eines nationalen ukrainischen Bewusstseins beitrug, soll den Ruf als einer der Ersten in einem Gedicht benutzt haben. Im Kampf der Ukraine gegen das bolschewistisch gewordene Russland ab 1917 nutzten Partisanen die Phrase als Gruß.

Bereits damals hatte „Slawa Ukraini“ einen stark antirussischen Beiklang. Zum deutschen Nationalsozialismus aber, der zu diesem Zeitpunkt nicht mal in den Kinderschuhen steckte, bestand keine Verbindung. Dies sollte sich spätestens Anfang der 1940er Jahre ändern. Damals nahm die Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) „Slawa Ukraini“ als ihren offiziellen Gruß an. Die OUN war eine nationalistische Untergrundbewegung, deren Mitglieder bis in die 1950er Jahre Widerstand gegen die sowjetische Herrschaft über die Ukraine leisteten. Kritikern gilt sie als faschistisch.

Zeitweise Kollaboration mit Nazi-Deutschland

Als am 22. Juni 1941 die deutsche Wehrmacht in der Sowjetunion einmarschierte, begrüßten viele Ukrainer die Invasion, weil sie sich dadurch die Befreiung vom Bolschewismus und Unterstützung auf dem Weg zu einem eigenständigen ukrainischen Staat versprachen. Die OUN kollaborierte eine Zeitlang mit den Deutschen, wandte sich aber von ihnen ab, als sich abzeichnete, dass die Wünsche nach Unabhängigkeit bei den Nazis auf taube Ohren stießen. Ab 1942 bekämpften die ukrainischen Nationalisten sowohl die deutsche Besatzungsmacht als auch die Sowjetunion.

Betrachtet man die Zeit genauer, als OUN und NS-Deutschland vorübergehend Seite an Seite standen, muss man zu dem Schluss kommen, dass die Übersetzung „Heil der Ukraine“ für „Slawa Ukraini“ eben doch nicht so abwegig ist, wie westliche Medien und Politiker dies gern hätten. Ein Foto, das – wohl im Sommer 1941 – im westukrainischen Schowkwa bei Lemberg (Lwiw) aufgenommen wurde, zeigt einen Torbogen des örtlichen Schlosses, der mit mehreren Spruchbändern behängt ist.

Der Nazi-Gruß „Heil Hitler“ und seine ukrainische Entsprechung auf einem Spruchband an einem Torbogen des Schlosses Schowkwa im Westen der Ukraine. Weiter liest man: „Lang lebe der Ukrainische Unabhängige Staat!“ (Foto: gemeinfrei)

„Heil Hitler!“, liest man da – und darunter das, was offensichtlich eine ukrainische Version des Nazi-Grußes sein soll: „Slawa Gitlerowi!“. Daneben, ebenfalls in zweiter Reihe, aber fast so groß wie die Anrufung des braunen „Führers“, prangt „Slawa Banderi!“ – eine Ehrbezeugung, die Stepan Bandera (1909-1959) gilt. Der aus Galizien stammende Führer des militärischen Flügels der OUN, der Ukrainischen Aufständischen Armee (UPA), gilt vielen seiner Landsleute bis heute als Held des Widerstands gegen Bolschewismus und russische Vorherrschaft.

Judenfeindliche Ausschreitungen und Massaker

Historiker verweisen dagegen auf judenfeindliche Ausschreitungen, an denen seine UPA beteiligt gewesen sei, und werfen ihr Massaker an der polnischen Volksgruppe im Westen der Ukraine vor. Bereits im Juli 1941 war Bandera von den Deutschen verhaftet und im Konzentrationslager Sachsenhausen interniert worden, wo er ähnlich wie der ehemalige österreichische Bundeskanzler Kurt Schuschnigg den Sonderstatus eines Ehrenhäftlings genoss. Nach Kriegsende tauchte Bandera im Westen unter. 1959 tötete ihn ein KGB-Agent in München, wo er unter falschem Namen lebte.

Natürlich muss, wer die Aufnahme aus Schowkwa betrachtet, dies mit der nötigen Rücksichtnahme auf die Umstände der Zeit tun. Zumindest damals, im Sommer 1941, – das belegt das Foto klar und deutlich – sah man offensichtlich überhaupt kein Problem darin, das ukrainische „Slawa“ mit „Heil“ zu übersetzen. „Slawa Ukraini“ – also doch „Heil der Ukraine“?

Thomas Wolf

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Im Blickpunkt

Unterstützung bis zum Kriegseintritt?

Steuert der Westen im Ukraine-Konflikt auf eine direkte Kriegsbeteiligung zu? Aussagen von Politikern und Militärs lassen sich durchaus in diese Richtung interpretieren – auch wenn sie selbst diese Deutung sicherlich zurückweisen würden. Vor allem aus Großbritannien kommen immer wieder Botschaften der unverbrüchlichen Solidarität mit Kiew. Heute, zum ukrainischen Unabhängigkeitstag, ist es der scheidende Premierminister Boris Johnson, der der Ukraine militärischen Beistand verspricht.

Der scheidende britische Premierminister Boris Johnson verspricht der Ukraine „jede erdenkliche militärische Unterstützung“. (Foto: Number 10/Flickr/CC BY-NC-ND 2.0)

„Ich habe nie daran gezweifelt, dass die Ukraine diesen Kampf gewinnen wird, denn keine Macht der Erde kann den Patriotismus von 44 Millionen Ukrainern bezwingen“, sagt Johnson in einem Video. „Und wie lange es auch dauern mag: Das Vereinigte Königreich wird der Ukraine zur Seite stehen und jede erdenkliche militärische, wirtschaftliche und humanitäre Unterstützung leisten.“ Johnsons Nachfolgerin dürfte die bisherige Außenministerin Liz Truss werden, die ebenso als große Unterstützerin der Ukraine gilt.

Körperlich fit für den Kriegseinsatz?

Zuletzt kursierten nach dem Bombenattentat auf die russische Journalistin Darja Dugina Aussagen des ranghöchsten Unteroffiziers der britischen Armee, Paul Carney. Er rief seine Kameraden auf, sich auf einen Krieg gegen Russland vorzubereiten. In einer Soldatenzeitschrift schrieb er, es sei an der Zeit, mit seinen Angehörigen über eine mögliche Entsendung nach Osteuropa zu sprechen. „Ich möchte, dass wir alle überprüfen, ob wir körperlich fit für den Einsatz sind“, machte Carney deutlich.

Das bedeute freilich nicht, dass die britische Armee tatsächlich in den Krieg ziehen wird, betonte General Richard Dannatt, ehemaliger Generalstabschef der Armee. „Angesichts eines Krieges in Europa, eines aggressiven Russlands und besorgter Länder an Russlands Grenzen“ sei es aber „vernünftig, dass britische Soldaten realistisch einschätzen, was passieren könnte“.

Auch in Deutschland wird der Ton rauer. Kanzler Olaf Scholz kündigt zum ukrainischen Unabhängigkeitstag die Lieferung weiterer Waffen an. Und FDP-Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann ruft die Deutschen im Konflikt mit Russland zu Opferbereitschaft auf. „Wir müssen Putin und den Diktatoren dieser Welt, die unser demokratisches Leben hassen und zerstören wollen, entschlossen entgegenstehen“, meint sie. „Das wird von uns allen auch persönlich Opfer erfordern, schwach sollten wir trotz alledem nicht werden.“

Pazifisten: die „fünfte Kolonne“ Wladimir Putins?

Ihr Parteikollege, der frühere EU-Abgeordnete Alexander Graf Lambsdorff, der seit Beginn des Krieges häufiger durch markige Sprüche aufgefallen ist und für den Friedensaktivisten und Pazifisten wie die Ostermarschierer eine „fünfte Kolonne“ Wladimir Putins sind, warnt derweil vor Kriegsmüdigkeit im Westen. Lambsdorff ist Mitglied der USA-nahen Atlantischen Initiative, der Atlantik-Brücke und des Transatlantic Policy Network.

Der ukrainische Unabhängigkeitstag wird stets am 24. August begangen. Der Nationalfeiertag erinnert an die Unabhängigkeit der Ukraine von der zerfallenden Sowjetunion 1991. In diesem Jahr fällt er mit einem anderen Ereignis zusammen: Vor genau einem halben Jahr begann der russische Einmarsch in der Ukraine. Entsprechend steht der Nationalfeiertag diesmal ganz im Zeichen des Krieges.

„Keinerlei Zugeständnisse oder Kompromisse“

In einer Ansprache erteilte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyi nun allen ohnehin nur noch vagen Friedenshoffnungen eine Absage. Es werde einen Kampf „bis zum Ende“ gegen die russischen Angreifer geben. Die Ukraine werde „keinerlei Zugeständnisse oder Kompromisse“ machen.

Thomas Wolf

Wolodymyr Selenskyi, Präsident der Ukraine, schwört seine Landsleute auf einen Kampf „bis zum Ende“ gegen die russischen Angreifer ein. (Foto: The Presidential Office of Ukraine/CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)
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Medienkritik

Das Töten begann nicht am 24. Februar

Vor genau einem halben Jahr begann das, was englischsprachige Medien bedrohlich eine „full-scale invasion“ nannten: Russische Truppen marschierten in der Ukraine ein und beschossen Militärstellungen bis weit in den Westen des Landes. Zeitweilig schien die Hauptstadt Kiew kurz vor dem Fall zu stehen. Seither haben sich die Kämpfe in den Donbass und den Süden der Ukraine verlagert. Der Frontverlauf ändert sich nur noch langsam.

Ein verlassener russischer Panzer mit dem Z-Symbol in den ersten Wochen des Krieges. Die Aufnahme, die in der Region Donezk entstanden sein soll, stammt vom ukrainischen Verteidigungsministerium. (Foto: armyinform.com.ua/CC BY 4.0 via Wikimedia Commons)

Wenn Journalisten hierzulande über den russischen Einmarsch in der Ukraine schreiben, den sie als einen „völkerrechtswidrigen Angriffskrieg“ oder „Überfall“ bezeichnen, blenden sie die Vorgeschichte des Konflikts meist aus. Zum Verständnis dessen, was vor sechs Monaten zur Eskalation führte, ist deren Kenntnis aber unerlässlich. Das Töten hat nämlich nicht erst mit Russlands Angriff auf die Ukraine am 24. Februar begonnen. Seit acht Jahren bekämpfen sich im Donbass, in den Regionen Lugansk und Donezk, ukrainische Truppen und prorussische Separatisten. Kein Krieg, den Europa in den vergangenen Generationen erlebt hat, dauerte länger. Tausende starben, darunter auch zahlreiche Zivilisten: Frauen, Kinder, Alte.

Journalist Ulrich Heyden kennt den Konflikt

Anders als viele westliche Journalisten kennt Ulrich Heyden den Konflikt aus eigener Anschauung. Seit 2014 war der Osteuropa- und Kriegs-Korrespondent, der vorwiegend für linksgerichtete deutsche Medien und den staatsnahen russischen Sender RT schreibt, aber auch für den Deutschlandfunk und die Bundestags-Zeitschrift „Das Parlament“ tätig war, immer wieder in der Ukraine. Er hat erlebt, wie sich im Osten des Landes aus den Protesten der russischsprachigen Minderheit gegen Bevormundung und kulturelle Ausgrenzung ein rücksichtslos geführter Bür­gerkrieg entwickelte.

Buchautor Ulrich Heyden bei einer Veranstaltung der Links-Fraktion im Deutschen Bundestag 2018. (Foto: Fraktion Die Linke im Bundestag/Flickr/CC BY 2.0)

Dadurch, dass Heyden näher als andere Journalisten an dem Konflikt dran ist, erhält sein Buch, das er etwas sperrig, aber zutreffend „Der längste Krieg in Europa seit 1945“ überschrieben hat, eine beson­dere Note. Seine Perspektive liegt nicht nur auf der Politik, die durch ihr Handeln zum Scheitern des Minsker Friedensabkommens beitrug, oder auf den Militärs und Freiwilligen-Verbänden, die sich in Schützengräben und an Frontlinien erbittert bekämpfen. Sie liegt auch auf den Menschen im Donbass, die mehr als alle anderen unter der jahrelangen Ge­walt leiden: weil ihre Wohnhäuser zerbombt werden, ihre Versorgung mit Wasser oder Elektrizität versagt oder Kiew ihnen ihre Sozialleistungen kappt.

Anschaulich und ohne Scheuklappen

Das bei der Hamburger Selfpublishing-Plattform Tredition erschienene Werk ist im Kern eine Sammlung von Beiträ­gen, die Heyden im Verlauf der vergangenen acht Jah­re für verschiedene Medien verfasste. Auch wenn man es dem Buch anmerkt, dass es offenbar nach Russlands Einmarsch eilig zusammengestellt wurde, ist es doch unbedingt lesenswert: Erschreckend anschaulich und schonungslos führt Heyden die Eskalation im Osten der Ukraine vor Augen – ohne ideologische Scheuklappen und ohne Rücksicht auf verbreitete westliche Narrative.

Frank Brettemer

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Kommentar

Winnetou – jetzt erst recht!

Eigentlich war es nur eine Frage der Zeit, bis sich die „Cancel Culture“ auf der Deutschen liebsten Indianer einschießen würde: auf Winnetou. Was lange zu befürchten war, ist jetzt eingetreten: Der renommierte Buch- und Spiele-Verlag Ravensburger nimmt zwei Bücher zum aktuellen Kinofilm „Der junge Häuptling Winnetou“ aus dem Programm.

Vor einer kleinen, lautstarken Minderheit eingeknickt

Auf Instagram heißt es vom Verlag, man habe „die vielen negativen Rückmeldungen“ zu den Büchern verfolgt und entschieden, die Auslieferung der Titel zu stoppen. Auf gut Deutsch: Man ist vor dem Protest einer zwar kleinen, aber lautstarken Minderheit eingeknickt.

„Wir danken Euch für Eure Kritik“, liest man bei Instagram weiter. „Euer Feedback hat uns deutlich gezeigt, dass wir mit den Winnetou-Titeln die Gefühle anderer verletzt haben. Das war nie unsere Absicht und das ist auch nicht mit unseren Ravensburger Werten zu vereinbaren. Wir entschuldigen uns dafür ausdrücklich.“ Tiefer könnte der Kniefall vor dem virtuellen Mob kaum sein.

Ist Winnetou – hier ein Bild von den Karl-May-Festspielen in Bad Segeberg – rassistisch? Der Ravensburger-Verlag jedenfalls hat zwei Winnetou-Bücher zurückgezogen, weil sie angeblich „die Gefühle anderer verletzt“ haben. (Foto: Hinnerk11/CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

Auf der Verlagsseite sind die Produkte nicht mehr zu finden. Beim Internethändler Amazon sind das Buch zum Film und die Ausgabe für Erstleser zwar noch gelistet – noch dazu als „Bestseller“ gekennzeichnet –, aber nicht mehr erhältlich. Bei buecher.de ist immerhin das Erstlesebuch aktuell noch bestellbar. Welche Veröffentlichungen ein großer Verlag tätigt, entscheiden in Deutschland mittlerweile also nicht mehr Marktanalysen. Es entscheidet der Pöbel. Unfassbar!

Winnetou: Ein gutes Stück deutsches Kulturgut

Wer die Winnetou-Geschichten für rassistisch hält, der hat sie entweder nicht gelesen oder nicht verstanden – oder er will sie bewusst falsch verstehen. Vielleicht geht es dem „politisch korrekten“ Internet-Mob aber auch um etwas ganz anderes: Winnetou ist ein gutes Stück deutsches Kulturgut – soll es womöglich unter dem Vorwand des Kampfes gegen (vermeintlichen!) Rassismus selbst „gecancelt“, also vernichtet werden?

Generationen von deutschsprachigen Lesern haben über Karl Mays Romane vom tapferen Apachen-Häuptling und seinen Freunden die Kultur und Lebensweise der amerikanischen Ureinwohner nicht nur kennen-, sondern auch schätzen gelernt. Erfolgreicher als durch Karl Mays Bücher und die darauf basierenden Bühnenadaptionen, Filme oder Hörspiele lassen sich Vorurteile kaum abbauen.

Winnetou-Erfinder Karl May (links) mit seinem Illustrator Sascha Schneider im Jahr 1904. (Foto: Karl-May-Gesellschaft/gemeinfrei)

Über alle politischen Systeme hinweg diente Winnetou der Vermittlung eines positiven Indianerbildes: Ob im Kaiserreich, der Weimarer Republik oder im Nationalsozialismus – stets standen die Leser auf Seiten der Indianer und verfolgten gebannt ihren Kampf um ihre angestammten Rechte und gegen die Unterdrückung durch die eindringenden „Bleichgesichter“. Auch in der DDR, die ihre eigenen Indianer-Geschichten hofierte und ideologische Vorbehalte gegenüber May hegte, blieb Winnetou letztlich siegreich.

Ausgerechnet in der Bundesrepublik des Jahres 2022 landet der edle Häuptling nun auf dem „Index“ der politischen Korrektheit – allen Normen des Grundgesetzes, die derlei Verbotskultur doch gerade verhindern sollten, zum Trotz. Ich jedenfalls greife nun erst recht wieder zum Winnetou-Buch oder lege eine alte DVD ein und genieße die Abenteuer von Pierre Brice und Lex Barker. Bei mir werden der Apache und sein weißer Blutsbruder Old Shatterhand garantiert nicht „gecancelt“.

Thomas Wolf

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Im Blickpunkt

Wer steckt hinter dem Dugina-Anschlag?

Moskau steht unter Schock. Zwei Tage, nachdem die regierungsnahe russische Journalistin Darja Dugina bei einem Autobombenanschlag ums Leben kam, rätseln Ermittler und Beobachter, wer die Drahtzieher hinter dem Attentat sein könnten und was mit der Bluttat bezweckt wurde. Kreml-nahe Kreise machen Kiew für den abendlichen Anschlag verantwortlich, während andere Stimmen sogar westliche Geheimdienste hinter dem Terrorakt nicht ausschließen. Als ausführende Täterin präsentierten russische Behörden heute eine ukrainische Staatsbürgerin.

Ein Vorwand, um Staat und Gesellschaft zu säubern?

Westliche Medien berichten indes recht hilflos über den Bombenmord an der 29-jährigen Journalistin – dem gängigen Narrativ zufolge gehen Gewalt und Terror gegen Andersdenkende vom Kreml aus und treffen gerade nicht die Sympathisanten des „Systems Putin“. Um die junge Frau, die im Ukraine-Krieg klar zu den Unterstützern des Kreml-Kurses gehört, doch zu einem möglichen Putin-Opfer zu stilisieren, bemühen Kreml-Kritiker die Behauptung, der Bombenanschlag sei das Werk russischer Sicherheitskräfte, die damit einen Vorwand schaffen wollten, um Staat und Gesellschaft von vermeintlichen Verrätern zu säubern.

Darja Dugina, die Tochter des umstrittenen Philosophen und Politologen Alexander Dugin, wurde nur 29 Jahre alt. (Foto: 1RNK/CC BY 3.0 via Wikimedia Commons)

Dugina ist die Tochter des Vordenkers der geopolitischen Ideologie des Neo-Eurasismus, Alexander Dugin. Im Westen gilt der 60-jährige Politologe, Philosoph und Publizist, der manchen mit seinem wallenden Bart an den Wanderprediger und Zaren-Berater Rasputin erinnert, wahlweise als Faschist oder Ultranationalist und fast immer als Putin-Einflüsterer. Sein Einfluss auf den politischen Kurs des russischen Präsidenten soll nach neueren Medienberichten geringer sein, als bislang meist dargestellt. Der Anschlag auf Tochter Darja, mutmaßen Anhänger, könnte auch Dugin selbst gegolten haben.

Ist der Ex-Abgeordnete verantwortlich für den Anschlag?

Einer, der sich quasi selbst als Verantwortlicher für den Anschlag ins Spiel gebracht hat, ist Ilja Ponomarjow. Der 47-Jährige, den das Internetlexikon Wikipedia als IT-Unternehmer und Blogger vorstellt, war bis 2016 Abgeordneter des russischen Parlaments, der Staatsduma. Zunächst Kommunist, gehörte er später der sozialdemokratischen Partei „Gerechtes Russland“ an, die ihn ausschloss, als er 2014 als einziger Parlamentsabgeordneter gegen den Beitritt der Krim zur Russischen Föderation stimmte.

Nachdem die Staatsanwaltschaft Ermittlungen wegen Unterschlagung gegen Ponomarjow aufgenommen hatte, entzog die Duma ihm seine Abgeordnetenimmunität. Ponomarjow sprach stets von politisch motivierten Vorwürfen. Nach den Anschuldigungen kehrte er von einer Auslandsreise nicht zurück und ließ sich in Kiew nieder. Er nahm die ukrainische Staatsbürgerschaft an und trat nach der russischen Invasion als Freiwilliger der Territorialverteidigung der Ukraine bei.

„Neue Seite des Widerstands gegen den Putinismus“

Jetzt hat er sich mit einer Videobotschaft zum Bombenattentat auf Darja Dugina zu Wort gemeldet. „Dieser Anschlag schlägt eine neue Seite des russischen Widerstands gegen den Putinismus auf“, sagt Ponomarjow und ruft die Russen zum Kampf gegen den Präsidenten und seiner Regierung auf. Eine „Nationale Republikanische Armee“, deren Manifest der einstige Abgeordnete der Duma verbreitet, hat Ponomarjows Video zufolge den Sprengstoffanschlag verübt.

Eine Gruppierung dieses Namens ist zwar bislang nicht in Erscheinung getreten – ein Beweis dafür, dass Ponomarjow lügt, ist das aber nicht. Vielleicht war die Sprengung der ferngezündeten Bombe am Abend des 20. August 2022 der erste Anschlag der Partisanenbewegung – und Darja Dugina ihr erstes Opfer. Sie könnte nicht das letzte bleiben. Das jedenfalls kündigt Ponomarjow an.

Thomas Wolf

Ilja Ponomarjow bei einer Protestaktion 2013. Steckt der Putin-Gegner, der heute in der Ukraine lebt, hinter dem Bombenanschlag auf Darja Dugina? (Foto: putnik/CC BY 3.0 via Wikimedia Commons)
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Im Blickpunkt

Feldzug gegen die Religionsfreiheit

Die Religions- und Weltanschauungsfreiheit gehört zu den Menschenrechten, die in der Charta der Vereinten Nationen und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verankert sind. Anlässlich des heutigen UN-Gedenktags für die Opfer religiöser Gewalt erinnern Hilfswerke wie „Kirche in Not“ und die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) daran, dass die freie Religionsausübung in vielen Weltgegenden unmöglich ist. Oft, aber nicht immer sind es islamisch geprägte Staaten, die das Menschenrecht systematisch brechen.

Christen in Burkina Faso beim Gebet. Viele Gläubige in Afrika können ihre Religion nur im Verborgenen leben. (Foto: Kirche in Not)

„Die Gewalt gegen Gläubige ist weltweit auf dem Vormarsch. Täter werden nicht verfolgt und die Opfer werden von den Staaten nicht geschützt. Zum Teil sind die Opfer von glaubensbedingter und antireligiöser Verfolgung systematischer staatlicher und juristischer Unterdrückung ausgesetzt“, kritisiert Martin Lessenthin, Vorstandssprecher der IGFM in Frankfurt. In totalitär regierten Staaten wie China oder Nordkorea werden Gläubige, die sich einer staatlichen Anleitung und Registrierung widersetzen, nach Ansicht der IGFM als Gefahr für die Machthaber angesehen und mit juristischen, geheimdienstlichen, polizeilichen und erzieherischen Maßnahmen drangsaliert.

„Christen leben praktisch in Ghettos“

Bei „Kirche in Not“ sorgt man sich aktuell insbesondere um die Christen in der afrikanischen Sahelzone, erklärte Thomas Heine-Geldern, Geschäftsführender Präsident des katholischen Hilfswerks. „Man muss nicht ermordet werden, um Opfer religiöser Gewalt zu sein. Es reicht schon, wenn Grundrechte eingeschränkt werden. Christen in Mali, Niger, Nigeria und Burkina Faso, um nur einige Länder zu nennen, leben praktisch in Ghettos oder üben ihren Glauben im Verborgenen aus.“

Das Hilfswerk, das nach eigenen Angaben in 140 Ländern bedrängten und notleidenden Christen beisteht, stellt auch in anderen Weltregionen eine zunehmende Verfolgung und Diskriminierung fest. Diese reicht von blutiger Feindseligkeit bis hin zur Diskriminierung von Christen und ihren Überzeugungen. „Kirche in Not“ weist in diesem Zusammenhang auf mehrere „besorgniserregende Entwicklungen“ hin.

Thomas Heine-Geldern ist Geschäftsführender Präsident des katholischen Hilfswerks „Kirche in Not“. (Foto: Kirche in Not)

So bleibe eine internationale Reaktion auf den dschihadistischen Terror in Afrika weitestgehend aus. Trotz des rasanten Anwachsens militanter Islamistengruppen in den Ländern südlich der Sahara würden die Betroffenen religiös motivierter Gewalt in Afrika allzu oft vergessen, kritisiert das Hilfswerk. In Burkina Faso etwa im Südosten des Schwarzen Kontinents befinden sich demnach rund 80 Prozent des Landes in der Hand radikaler Islamisten. Dies habe „verheerende Folgen“ für das Wachstum und die Entwicklung. Nigeria, das bevölkerungsreichste Land Afrikas, erlebe derzeit sogar eine Gewaltspirale nie dagewesenen Ausmaßes.

Zwangsverheiratung und Zwangskonversion

Viele der Betroffenen religiöser Gewalt, stellt „Kirche in Not“ fest, müssen aus ihrer Heimat fliehen. Allein in den afrikanischen Staaten, in denen schwere religiöse Verfolgung herrscht, beträgt die Zahl der Vertriebenen nach Angaben des Hilfswerks mehr als 15 Millionen. Bei der Schätzung stützt sich die Organisation auf die Angaben lokaler Projektpartner und die Angaben internationaler Beobachter, etwa das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen. Immer häufiger gehe die Gewalt gegen religiöse Minderheiten mit sexueller Gewalt einher. In Ländern wie Pakistan, Ägypten und Nigeria bedeutet dies: Zwangsverheiratung und -konversion sowie sexuelle Ausbeutung.

Einen alarmierenden Anstieg von religionsfeindlichen Angriffen stellt „Kirche in Not“ aber nicht nur in islamisch geprägten Ländern fest – sondern auch in Lateinamerika: Besonders schlimm sei das Lage aktuell in Nicaragua, wo die katholische Kirche in den vergangenen vier Jahren über 190 Anschläge und gewaltsame Attacken erlitten habe. „Dort geht die Aggression gegen die Kirche und ihre Gläubigen von höchster politischer Stelle aus“, heißt es von dem Hilfswerk. In Ländern wie Mexiko, Kolumbien, Argentinien und Chile versuchten extremistische Gruppierungen, die freie Meinungsäußerung von Glaubensgemeinschaften einzuschränken und Kirchenvertreter zum Schweigen zu bringen.

Europa will Religionen zum Schweigen bringen

Eine Gefahr für die Religionsfreiheit sieht „Kirche in Not“ auch im Erstarken aggressiver säkularer Ideologien in Europa. Hier stoße man auf Versuche, traditionelle religiöse Ansichten zu kriminalisieren – etwa beim Lebensschutz oder beim christlichen Menschen- und Familienbild. Papst Franziskus habe dies 2016 in einer Predigt zugespitzt als „höfliche Verfolgung“ beschrieben. Er verstehe darunter den Versuch, Religionen „zum Schweigen zu bringen und auf die Verborgenheit des Gewissens jedes Einzelnen zu beschränken oder sie ins Randdasein des geschlossenen, eingefriedeten Raums der Kirchen, Synagogen oder Moscheen zu verbannen“.

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Russland-Freunde an den Pranger

Die Bundesregierung will härter gegen vermeintliche russische „Fake News“ vorgehen. Das meldet der Internetauftritt der Tagesschau. Die Bevölkerung müsse für russische „Angriffe auf Fakten und Realitäten“ sensibilisiert werden, heißt es da. Unter der Überschrift „Gemeinsam gegen Desinformation“ geht der Verfassungsschutz demnach gegen die angebliche und tatsächliche Manipulation der öffentlichen Meinung in Deutschland vor. Um die „Lügengebilde zu dekonstruieren“, soll es künftig sogar quasi amtliche Warnhinweise geben, insbesondere bei „identifizierten Propagandisten“ – sicherlich gleichermaßen amtlich bestätigt.

 „In den Sicherheitsbehörden geht man davon aus, dass die Kreml-Propaganda in den kommenden Monaten noch weiter zunehmen wird und sich der Fokus dabei verlagert: vom Krieg in der Ukraine zur drohenden Energiekrise und deren Folgen für die Bevölkerung“, schreibt WDR-Mitarbeiter Florian Flade in dem als „exklusiv“ überschriebenen Beitrag. „Kreml-Propaganda“ – darunter versteht der Autor offenbar alles, was in dem aktuellen Medienkrieg zwischen Ost und West dem westlichen Narrativ widerspricht. 

Der Kreml in Moskau bei Nacht. (Foto: RuED/CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)

Wer begründete Zweifel an der russischen Alleinschuld an der Eskalation des Ukraine-Konflikts hegt, wer die Geschichte des Bürgerkriegs im Donbass seit 2014 vorurteilsfrei betrachtet und dabei sehr wohl auch Fehler und Verantwortung bei der ukrainischen Regierung sieht, wer den westlichen Sanktionen gegen Russland kritisch gegenübersteht, weil sie sehr wohl auch die Deutschen empfindlich treffen, der betreibt nach Tagesschau-Lesart offenbar bereits „Kreml-Propaganda“. Der verbreitet „Fake News“. Der manipuliert die deutsche Öffentlichkeit.

Wo enden Gerüchte? Wo beginnen „Fake News“?

Ist es wirklich so einfach? Wo beginnen eigentlich „Fake News“, also das, was man früher schlicht Lügen genannt hätte? Ist eine womöglich haltlose Spekulation bereits eine Lüge? Oder ein Gerücht, das sich im Internet in rasender Geschwindigkeit verbreitet? Und vor allem: Wer bestimmt darüber, ob etwas nun gelogen ist oder nicht? Nicht immer lässt sich eine Frage mit mathematischer Präzision beantworten. 

Wer also zieht die Grenze zwischen Gerüchten, Spekulationen und zugespitzten Kommentaren einerseits – und „Fake News“ andererseits? Der Verfassungsschutz oder die Regierung? Dann sollte es keinen verwundern, wenn Menschen, die ein grundsätzlich positives Russland-Bild haben oder die sich dem neuen Ost-West-Konflikt widersetzen, künftig amtlich mit Warnhinweisen versehen werden. Ein behördlicher Pranger für Russland-Freunde und Menschen, die sich für Frieden und Versöhnung einsetzen? Bald ist er womöglich Realität.

Thomas Wolf