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Perversion oder Selbstbestimmung?

In den beiden separatistischen Volksrepubliken Donezk und Lugansk haben Volksabstimmungen begonnen. Sie sollen darüber entscheiden, ob sich der Donbass, die umkämpfte Industrieregion im Osten der Ukraine, der Russischen Föderation anschließt. Auch die Menschen in den teilweise besetzten ukrainischen Bezirken Saporischschja und Cherson sind aufgerufen, bis Dienstag über einen Anschluss an das Nachbarland abzustimmen. Betroffen sind nach Angaben von tagesschau.de rund 15 Prozent des ukrainischen Staatsgebiets.

Weißes Haus: Ein „Affront“

Die westliche Kritik an den Volksentscheiden ist scharf. Von „Scheinreferenden“ ist die Rede und von einem Verstoß gegen internationales Recht. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bezeichnete die Abstimmungen als „Parodie“. Im Weißen Haus sieht man einen „Affront gegen die Prinzipien von Souveränität und territorialer Integrität“. Der deutsche Völkerrechtler Maximilian Bertamini von der Universität Bochum, den die Tagesschau befragt hat, spricht gar von der „Perversion“ eines legitimen Instruments zur Selbstbestimmung. „Es wird vorgeschoben, um Gebietsgewinne in einem illegalen Angriffskrieg faktisch zu verstetigen.“ Aber ist es wirklich so einfach?

In vier ukrainischen Bezirken, darunter den „Volksrepubliken“ im Donbass, sind die Menschen aufgerufen, über einen Beitritt zu Russland abzustimmen. (Foto: Pexels)

Offensichtlich ist immerhin, dass die Abstimmungen zur Unzeit kommen – auch für Russland. Erst kürzlich hatte die prorussische Bezirksverwaltung von Cherson das geplante Referendum auf unbestimmte Zeit verschoben. Grund: die unsichere Kriegslage. Nun ist das kein Hindernis mehr. Nun soll es schnell gehen. In wenigen Tagen wurden großangelegte Abstimmungen eingeleitet, deren Vorbereitung zuvor in Wochen, ja Monaten nicht abgeschlossen war. Noch dazu befinden sich die Gebiete, in denen die Menschen zur Abstimmung aufgerufen sind, unter teils ständigem Beschuss durch ukrainische Truppen. Im Donbass sterben täglich Zivilisten – auch durch Waffen, die der Westen liefert.

Zwei Kernsätze des Völkerrechts

Die Referenden bewegen sich im Spannungsfeld zweier Kernsätze des Völkerrechts. Auf der einen Seite steht die territoriale Unversehrtheit, also die Unverletztlichkeit der international anerkannten Grenzen eines souveränen Staates. Demnach wäre jede Abspaltung eines Teils der Ukraine, dem die Regierung in Kiew nicht ausdrücklich zustimmt, völkerrechtswidrig. Egal, ob er zum Zwecke des Anschlusses an Russland oder mit dem Ziel der Unabhängigkeit erfolgen würde.

Betrachtet man einen anderen Grundsatz des Völkerrechts, sieht die Sache dagegen ganz anders aus: das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Es besagt, dass ein Volk das Recht hat, frei über seinen politischen Status, seine Staats- und Regierungsform und seine wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung zu entscheiden. Dies schließt die Freiheit ein, sich von Fremdherrschaft zu befreien und einen eigenen Staat zu bilden. Oder sich eben in freier Willensentscheidung einem anderen Staat anzuschließen. Darauf zielen ganz offensichtlich die Volksabstimmungen in der Ukraine.

Der damalige katalanische Premierminister Carles Puigdemont verkündet am 10. Oktober 2017 die Unabhängigkeit von Spanien. Weder Madrid noch die europäischen Staaten akzeptieren die Selbstständigkeit Kataloniens. (Foto: Generalitat de Catalunya)

Auch wenn westliche Völkerrechtler das Selbstbestimmungsrecht in Frage stellen – Beispiele, wo nationale oder kulturelle Minderheiten sich darauf berufen, gibt es zuhauf. So steht Schottlands Unabhängigkeit von Großbritannien erneut zur Debatte. Nordirland könnte sich mit Irland wiedervereinigen. Katalanische Separatisten betreiben die Loslösung von Spanien, während in Italien deutsche und ladinische Südtiroler die Selbstbestimmung einfordern. In Asien möchte Palästina ein eigener Staat werden. Die Kurden kämpfen seit Jahrzehnten gegen die türkische Herrschaft. Tibet widersetzt sich dem kommunistischen China.

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Ein ungeklärter Tod und verbrannte Kopftücher

Der Tod einer 22-Jährigen, die wegen angeblich „unislamischer“ Kleidung in Gewahrsam der iranischen Sittenpolizei geraten war, hat in der Islamischen Republik Massenproteste ausgelöst. Frauen schneiden sich öffentlich ihre Haare ab oder verbrennen ihr Kopftuch, das sie als Zeichen der Unterdrückung begreifen. Der klerikal-konservative Präsident Ebrahim Raisi kündigte auf Druck der Straße an, den Tod der jungen Frau untersuchen zu lassen. Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) in Göttingen kritisiert derweil eine auffällige Leerstelle in der Berichterstattung vieler Medien.

„Frau Amini war Kurdin“

„Bei aller berechtigten Empörung über Mahsa Aminis Tod wird ihre nationale Identität verschwiegen“, erklärt Dr. Kamal Sido, Nahostexperte der GfbV. „Frau Amini war Kurdin. Ihren kurdischen Vornamen Jina durfte sie im Iran nicht tragen. Neben der offensichtlich frauenverachtenden Kleiderordnung wurde die junge Frau wie Millionen andere auch als Kurdin von iranischen Behörden unterdrückt.“ Mahsa Amini, heißt es aus dem Iran, sei an einer Hirnblutung gestorben, nachdem Polizisten ihr auf den Kopf geschlagen hatten. Offiziell ist ihr Tod als Folge von Herzversagen und eines epileptischen Anfalls eingetreten.

Das Todesopfer Mahsa Amini auf einer Aufnahme, die in den sozialen Netzwerken im Internet kursiert. (Foto: Twitter)

Bereits nach der Geburt sollen iranische Behörden den Wunsch der Eltern von Jina Mahsa Amini abgelehnt haben, ihrer Tochter den kurdischen Namen „Jina“ zu geben. Das Kind wurde dann unter dem Namen „Mahsa“ registriert, ist aber mit dem kurdischen Namen „Jina“ (Leben) aufgewachsen. „Viele bezeichnen es als Trauerspiel, dass die junge Frau auch nach ihrem gewaltsamen Tod in den Medien als ‚Masha‘ bezeichnet wird. Denn dieser Name wurde ihr von denselben Behörden aufgezwungen, die jetzt für ihren Tod verantwortlich sind“, sagt Sido.

Mindestens vier Tote

Nach Bekanntgabe ihres Todes riefen kurdische Parteien im Iran zu Protesten auf. Die Sicherheitskräfte setzen Tränengas, Wasserwerfer, Knüppel und Schrotmunition ein. In einigen Ortschaften soll die Polizei mit scharfer Munition geschossen haben. „Unsere kurdischen Quellen berichten von mindestens vier Toten und 200 Verletzten allein in Ost-Kurdistan“, sagt Sido. Vor allem Frauen solidarisieren sich mit Jina Mahsa Amini. Auf der Straße rufen sie Parolen wie: „Tod dem Despoten, egal ob Schah oder Führer!“ Gemeint sind der von den USA installierte und 1979 gestürzte Schah und der jetzige Religionsführer Ayatollah Ali Chamenei. 

Irans klerikal-konservativer Präsident Ebrahim Raisi. (Foto: Duma.gov.ru/CC BY 4.0 via Wikimedia Commons)

„Ost-Kurdistan“ nennen die Kurden ihre Siedlungsgebiete im Westen der Islamischen Republik. Von etwa 85 Millionen Menschen im Iran sind nach Angaben der GfbV etwa elf Millionen Kurden. Sie stellen nicht nur in der Provinz Kurdistan die Mehrheit, sondern auch in einigen anderen Regionen. Dem Herrschaftssystem der schiitischen Mullahs bringen sie großes Misstrauen entgegen. Die Mullahs hatten den verschiedenen Volksgruppen des Landes Demokratie und Autonomie versprochen. Das Versprechen wurde jedoch nie eingelöst.

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„Ich habe es satt, belogen zu werden“

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland hat ein Problem. Nicht erst seit dem Skandal um die zunächst nur zurückgetretene und dann fristlos entlassene Intendantin des Rundfunks Berlin-Brandenburg, Patricia Schlesinger, und den Vorwürfen gegen den Norddeutschen Rundfunk stehen die die Medienhäuser massiv in der Kritik. Bereits zuvor war die politische Neutralität in Frage gestellt, zu der der öffentlich-rechtliche Rundfunk eigentlich verpflichtet ist. Immer mehr Bundesbürger weigern sich, den Rundfunkbeitrag in Höhe von derzeit 18,36 Euro monatlich zu zahlen.

Patricia Schlesinger, Intendantin des RBB, trat zurück, nachdem Vorwürfe öffentlich wurden, sie habe Spesen zu Unrecht abgerechnet und Vergünstigungen angenommen. (Foto: Gregor Fischer/re:publica/CC BY-SA 2.0 via Wikimedia Commons)

Vor zwei Jahren ergab eine Umfrage unter Volontären der ARD, dass eine große Mehrheit von über 90 Prozent der Nachwuchs-Redakteure der Sendergemeinschaft Grüne, SPD oder Linkspartei wählen würde. Den Grünen stehen demnach allein schon sechs von zehn Volontären von WDR, SWR und Co. nahe. Über die festangestellten Redakteure sagt das zwar noch nichts aus – aber an einer ausgewogenen Berichterstattung lassen die Zahlen doch manchen zweifeln. Erst recht stellen ARD und ZDF nach Ansicht der Kritiker ihre Unabhängigkeit und die stets betonte „Staatsferne“ durch ihre inhaltliche Ausrichtung der vergangenen Jahre selbst immer wieder in Frage.

Konflikte blieben nahezu unerwähnt

Bereits im Rahmen der „Flüchtlingskrise“ ab Sommer 2015 fielen die öffentlich-rechtlichen Medien durch Beiträge auf, in denen meist die Not der Flüchtlinge und die Aufnahmebereitschaft der Deutschen betont wurden. Angela Merkels „Wir schaffen das“ fand nach Ansicht der Kritiker seine Fortsetzung in Tagesschau, Tagesthemen und Heute-Nachrichten. Die Probleme und Konflikte, die die Zuwanderung von mehr als einer Million Menschen aus einem fremden Kulturraum – die Mehrheit davon junge Männer – mit sich bringt, blieben nahezu unerwähnt.

Durch die Berichterstattung in der Corona-Krise sehen die Kritiker sich vollends bestätigt. In ihren Augen wandelte sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk während der Pandemie endgültig zum reinen Verlautbarungsorgan der Regierung. Kritik an den teils harschen Schutzmaßnahmen fand kaum statt. Obwohl mittlerweile immer mehr wissenschaftliche Studien den Nutzen von Maskenpflicht und Lockdowns in Frage stellen, die Zweifel an den neuartigen, zuvor noch nie am Menschen erprobten mRNA-Impfstoffen zunehmen und die Zahl der potenziellen schweren Impfschäden steigt, spielen die öffentlich-rechtlichen Medien dies noch immer herunter.

Während in anderen europäischen Ländern die Maskenpflicht längst Geschichte ist, muss in Deutschland etwa in Bus und Bahn weiter ein medizinischer Mund-Nasen-Schutz getragen werden. Zum 1. Oktober wird die Maskenpflicht sogar wieder verschärft. (Foto: Pixabay)

Ernst Hundsdorfer reicht es nun endgültig. Der Zahnarzt aus Mainburg in Niederbayern will seinen monatlichen Rundfunkbeitrag nicht länger bezahlen und begründet dies in einem Schreiben an den ARD ZDF Deutschlandradio Beitragsservice, das unserer Redaktion vorliegt. „Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat den sogenannten öffentlich-rechtlichen Programmauftrag zu erfüllen, der in den entsprechenden gesetzlichen Grundlagen verankert ist“, schreibt Hundsdorfer. „Danach müssen die Programme den Zuschauern und Zuhörern umfassend und ausgewogen Information, Bildung, Kultur und Unterhaltung anbieten. Dies ist nicht mehr der Fall.“

Hundsdorfer beklagt, er sei wegen seiner Ablehnung der Corona-Impfung diffamiert, beleidigt und ausgegrenzt worden. Die Medien hätten daran einen wesentlichen Anteil gehabt: Man habe die Öffentlichkeit in der Corona-Krise von Anfang an falsch informiert und belogen. Wissenschaftliche Forschungsarbeiten seien den Menschen vorenthalten worden. Einen Grund dafür vermutet Hundsdorfer in den staatlichen Corona-Hilfen für Zeitungsverlage und der Erhöhung des Rundfunkbeitrags. „Auf Grund dieser hohen finanziellen Zuwendungen an die Medien erscheinen mir die Berichterstattungen nicht mehr ausgewogen, sondern völlig einseitig.“

„Über 20 Menschen nach der Impfung verstorben“

„Es kränkt, als asozial dargestellt zu werden, wenn man diese Impfung gegen Corona ablehnt“, führt Hundsdorfer aus. „In unserem erweiterten Bekanntenkreis sind über 20 Menschen nach der Impfung verstorben, mittlerweile habe ich aufgehört zu zählen.“ Patienten, die er als Zahnarzt betreut, berichteten ihm von unerwarteten Todesfällen. „Genau wie diese Patienten glaube ich nicht an Zufälle. Zwei Altenpflegerinnen erzählten mir, dass auf ihrer Station neun von 35 pflegebedürftigen Personen wenige Tage nach der Impfung verstorben sind. Ähnliches berichtete eine Altenpflegerin von einem anderen Heim. Wen wundert es also, das sich in Pflegeheimen das Personal nicht impfen lassen will?“

Bekannte berichteten Ernst Hundsdorfer von einer Häufung von Klinikpatienten mit Schlaganfällen und Herzinfarkten. (Foto: Pxhere)

Eine Nachbarin seiner Schwester, die als Krankenschwester in einer Rehaklinik arbeitet, habe ihm erzählt, dass auf ihrer Station auf dem Höhepunkt der Impfkampagne „viel mehr Patienten als früher mit Schlaganfällen und Herzinfarkten“ lagen, berichtet Hundsdorfer. Ähnliches habe er von Mitarbeitern der Universitätsklinik Regensburg gehört. „In meiner Heimatstadt Mainburg starben 2021 elf Prozent mehr Menschen als 2020. Ab 2021 stand die Impfung zur Verfügung, man möchte doch meinen, dass mit Beginn der Impfung dadurch weniger Menschen sterben würden.“ Daten des Statistischen Bundesamtes legen für den Zahnmediziner nahe, dass seit Beginn der großflächigen Impfkampagne in Deutschland „auffällig viele Menschen mittleren Lebensalters gestorben sind“.

„Natürlich wird es Spätfolgen geben“

„Professor Robert Malone, Co-Autor bei den Pionierarbeiten der derzeitigen Impfstoffen, der diese Impfstoffe entscheidend mitentwickelt hat und der als Nobelpreiskandidat gehandelt wurde, warnt wiederholt eindringlich davor, diese Impfstoffe Menschen zu verabreichen. Er selbst würde keinesfalls seine Kinder und Enkelkinder damit impfen lassen. So wie dieser herausragende Wissenschaftler werden nun viele andere renommierte Wissenschaftler in den Medien diffamiert und ignoriert“, schreibt Hundsdorfer. Während Politiker und Gesundheitsexperten der Regierung Spätfolgen der mRNA-Impfung lange Zeit ausschlossen, war Hundsdorfer sich sicher: „Natürlich wird es Spätfolgen geben.“

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Wenn Indoktrination im Kindergarten beginnt

Winnetou ist rassistisch, amerikanische Ureinwohner dürfen nicht mehr Indianer heißen, Rastalocken auf europäischen Köpfen sind „kulturelle Aneignung“ – politische Korrektheit, Diversität und „Cancel Culture“ greifen in Politik und Medien immer weiter um sich. Gerade die Kirche stand bislang nicht im Verdacht, solcherlei Indoktrination Vorschub zu leisten. Ein Beispiel aus einer katholischen Kita in Nordrhein-Westfalen zeigt, wie die „Cancel Culture“ auch im kirchlichen Bereich einzieht.

Rassistische Inhalte

„Demokratie wächst zwischen den Zeilen“ ist die Pressemitteilung überschrieben, mit der die Caritas im katholischen Bistum Münster von der Kindertagesstätte St. Martin in Marienfeld bei Gütersloh berichtet. Die kirchliche Einrichtung prüfe, heißt es, Kinderbücher kritisch auf rassistische Inhalte und fördere Diversität. Kita-Leiterin Susanne Richter Gomes möchte die Kindergeschichten in ihrer Kita vielfältiger machen. Diskriminierung solle keinen Raum haben. Manche Bücher hat sie deshalb bereits aussortiert. In anderen Fällen ändert sie Märchen spontan ab: „Heute liebt der Prinz einen Prinzen“, wird Richter Gomes zitiert.

Susanne Richter Gomes (links) und Freddy Jäschke (rechts) sortierten rund 40 Kinderbücher aus, die sie als diskriminierend empfinden. (Foto: Juliane Büker/Caritas Bistum Münster)

„Astrid Lindgren hätte das Buch heute bestimmt anders geschrieben“, sagt die Kita-Leiterin über die „Erzählungen“ der schwedischen Erfolgsautorin. Dazu verbreitet die Caritas Münster ein Foto, das Richter Gomes mit Lindgrens „Erzählungen“ zeigt. Auf dem Buchdeckel prangt ein Klebezettel in Grellrosa mit traurigem Smiley darauf. Auch „Als die Raben noch bunt waren“ von Edith Schreiber-Wicke und Carola Holland, das kleinen Kindern Toleranz vermitteln soll, fiel der Zensur der Kita-Leitung zum Opfer. Auf dem Foto hält es Richter Gomes’ Kollegin Freddy Jäschke in die Kamera.

40 Bücher aussortiert

Rund 40 Bücher hat das Team von St. Martin aussortiert, die nun nicht mehr im Bücherregal der Kita stehen. „Diskriminierende Bezeichnungen“ würden darin verwendet, glaubt die Leiterin der katholischen Einrichtung. Die vermeintliche Notwendigkeit, kritisch über die Inhalte von Kinderbüchern nachzudenken, hat Richter Gomes der Pressemitteilung zufolge ausgerechnet ein Kurs beim Caritasverband für das Bistum Münster vermittelt. Dort ließ die Kita-Leiterin sich bis Mai zur „Demokratieförderin“ ausbilden. Kritiker dürften fragen: Hat da womöglich jemand nicht verstanden, was Demokratie bedeutet?

Kindergartenkinder lieben es, Geschichten vorgelesen zu bekommen. Astrid Lindgrens „Erzählungen“ dürfen es in der Kita St. Martin in Marienfeld nicht mehr sein. (Foto: Juliane Büker/Caritas Bistum Münster)

„Hier habe ich das Rüstzeug bekommen, um mich selbstbewusst gegen Ungerechtigkeit einzusetzen“, sagt Richter Gomes über den Caritas-Kurs. Ungerechtigkeit, die sie auch in Kinderbüchern zu erkennen glaubt. Ihre politisch korrekte Säuberungsaktion setzte Richter Gomes offenbar gegen einigen Widerstand in der Kita durch. Zumindest deutet das die Pressemitteilung der Caritas zwischen den Zeilen an: Ihre „Kolleginnen brauchten zum Teil etwas Zeit, um mit der Projektidee warm zu werden, um Unsicherheiten beizulegen“, heißt es da nämlich.

Märchen mit schwulen Prinzen

Kriterien zum Aussortieren von Büchern seien neben angeblich diskriminierender Sprache auch Rollenbilder, die Richter Gomes und Co. für veraltet halten. „Wenn in Büchern nur der Vater arbeiten geht und die Mutter zu Hause bleibt, sind wir auf dem falschen Weg“, meint die Pädagogin. Neue Bücher schafft Richter Gomes mit den Kindern gemeinsam an, sagt sie. Für passend erachtet sie Geschichten, in denen der Vater die Erziehung mit übernimmt oder ein Kind im Rollstuhl selbstverständlich am Leben teilnehme. Und Märchen mit schwulen Prinzen, mag man hinzufügen, passen offenbar auch gut.

Das Zensurprojekt, mit dem Richter Gomes bei ihrer Kollegin Freddy Jäschke offene Türen eingerannt hat, richtete sich bislang vornehmlich gegen missliebige Kinderbücher. Und es ist längst nicht abgeschlossen, macht die Pressemitteilung der Caritas Münster deutlich: Wenn vermeintliche Diskriminierung und angeblicher Rassismus erst einmal aus den Bücherregalen entfernt sind und „Pluralität“ eingezogen ist, wird Richter Gomes sich dem nächsten Zensurziel widmen – Kinderliedern.

Thomas Wolf

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Ist Deutschland bereits Kriegspartei?

Mit der ukrainischen Offensive im Gebiet Charkiw und dem Rückzug der russischen Truppen in Richtung Donbass dürfte der Krieg in der Ukraine in seine entscheidende Phase eintreten. Noch mehr westliche Waffen, auch aus Deutschland, sollen Kiew den Sieg bringen. Selbst direkte deutsche Panzer-Lieferungen an die Ukraine stehen zur Diskussion. Damit wird erneut eine Frage virulent, die die Politik gern verdrängt: Ist Deutschland bereits jetzt Kriegspartei?

Mehrere Leopard 2 der Bundeswehr bei einer Gefechtsvorführung. Kampfpanzer dieser Art soll Deutschland nach dem Willen vor allem von Grünen- und FDP-Politikern an die Ukraine liefern. Kanzler Olaf Scholz (SPD) ist skeptisch. (Foto: © Bundeswehr/Modes/CC BY 2.0 via Wikimedia Commons)

Auch bei der Talkshow „Maischberger“ ging es gestern um diese Frage. Carlo Masala, Professor für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr in München, sagte: „Wir setzen keinen Fuß auf ukrainischen Boden mit jemandem, der eine Waffe in der Hand hält.“ Demnach sei die Bundesrepublik im klassischen Sinne keine Kriegspartei. Masala berät das Verteidigungsministerium und ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, die Kritikern zufolge der Rüstungsindustrie nahesteht und als so etwas wie der deutsche Ableger der US-amerikanischen Denkfabrik „Council on Foreign Relations“ gilt.

Keine klare Antwort

Deutschland sei also keine Kriegspartei im klassischen Sinne, meint Masala. Eine klare Antwort auf die derzeit wohl zentralste Frage der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist das nicht. Eine solche Antwort ist allerdings auch schwer zu geben – das Völkerrecht lässt sich vielfach interpretieren. Unbestritten dürfte sein, dass die Lieferung von leichten Waffen keinen Kriegseintritt darstellt. Auch Deutsche, die als Angehörige der eilig aufgestellten ukrainischen „Fremdenlegion“ an Kampfhandlungen gegen Russland teilnehmen, machen den deutschen Staat nicht zur Kriegspartei.

Der Bundestag in Berlin. Sein Wissenschaftlicher Dienst sieht zahlreiche Grauzonen bei der Frage nach einer direkten Kriegsbeteiligung. (Foto: Pixabay)

Eine Untersuchung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags kam im März zu der Erkenntnis, dass sich die Frage, „wann ein Staat, der eine Konfliktpartei militärisch unterstützt, selbst zur Konfliktpartei wird“, aufgrund zahlreicher „Grauzonen“ nicht pauschal beantworten lässt. Der Bochumer Völkerrechtler Pierre Thielbörger sieht Eskalationspotenzial vor allem bei der Lieferung von Kampfflugzeugen: weil sie entweder von westlichen Soldaten in die Ukraine geflogen werden müssten – oder ukrainische Soldaten damit von Militärstützpunkten im Westen starten müssten. „Die Grenzen zwischen Transport und Eingriff in den Konflikt“ wären damit „deutlich poröser geworden“.

Geheimdienste und Luftaufklärung

Beim Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags, der sich primär auf Thielbörger stützt, heißt es weiter: „Graubereiche zwischen Konfliktteilnahme und Nichtkriegsführung ergeben sich ferner mit Blick auf die Übermittlung von Geheimdienstinformationen sowie von Informationen der Luftaufklärung durch sog. AWACS-Aufklärungs-Flugzeuge, die im NATO-Luftraum an der Grenze zur Ukraine patrouillieren und Informationen an die ukrainische Luftwaffe weitergeben.“ Thielbörger meint: Je substanzieller die Unterstützung wird und je abhängiger die Ukraine davon ist, desto näher rückt ein faktischer Kriegseintritt.

Wie aber ist die Situation bei Kampfpanzern oder der deutschen Panzerhaubitze 2000. Sie wurde bereits in die Ukraine geliefert und dient dort als Panzerersatz. Ihre Bedienung gilt als vergleichsweise kompliziert, sodass die ukrainischen Soldaten, die sie einsetzen sollen, hierfür erst ausgebildet werden müssen. Der entsprechende Lehrgang findet in Idar-Oberstein statt: auf deutschem Boden also und mit deutschen Ausbildern, die die Ukrainer erst in die Lage versetzen, mit der deutschen Haubitze auf Russen zu schießen. Auch die USA nutzen Stützpunkte in der Bundesrepublik, um der Ukraine beizustehen. Der Schutz des deutschen Staatsgebiets könnte so zunehmend in Frage gestellt sein.

Sergej Netschajew ist seit 2018 russischer Botschafter in Berlin. Er warnt: Deutschland hat durch seine Waffenlieferungen an die Ukraine eine „rote Linie“ überschritten. (Foto: www.rusemb.at/CC BY 3.0 via Wikimedia Commons)

Eine eindeutige Antwort, wann Deutschland zur Kriegspartei wird, gibt das Völkerrecht aber nicht. Entscheidend ist ohnehin etwas anderes: Entscheidend ist, wie Russland das deutsche Verhalten bewertet. Sieht es darin eine Kriegsbeteiligung? Oder nur die Taten eines „unfreundlichen Staates“. Russlands Botschafter in Berlin, Sergej Netschajew, hat dieser Tage in einem Interview mit der Tageszeitung Iswestija angedeutet, dass sich die russische Geduld womöglich dem Ende zuneigt: Mit der Lieferung von Waffen an die Ukraine, „die nicht nur gegen russische Soldaten, sondern auch gegen die Zivilbevölkerung im Donbass eingesetzt werden“, habe Deutschland eine „rote Linie“ überschritten. Bleibt abzuwarten, was das für das ohnehin zerrüttete Verhältnis der beiden Länder bedeutet.

Thomas Wolf

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Türkei weitet Angriffe auf Syrien aus

Im Schatten des Ukrainekriegs bahnt sich die Eskalation weiterer militärischer Konflikte an: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan zündelt in der Ägäis und droht Griechenland unverhohlen mit Krieg: „Wenn die Zeit gekommen ist, werden wir das Nötige tun. Eines Nachts können wir kommen“, sagte er tagesschau.de zufolge. Hintergrund ist ein Streit über rund 20 griechische Inseln vor der türkischen Küste: Ankara wirft den Griechen vor, die Inseln entgegen historischer Abkommen zu militarisieren. Derweil intensiviert die Türkei ihre Angriffe auf Syrien. Das meldet die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV).

Mitverantwortlich für Kriegsverbrechen

Allein für August zählt die GfbV 1917 türkische Granatwerfer- und Raketenangriffe auf verschiedene Gebiete im Norden und Nordosten Syriens. Getroffen würden insbesondere ethnische und religiöse Minderheiten, kritisiert die Gesellschaft. Von der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock fordern die Menschenrechtler eine Verurteilung der „völkerrechtswidrigen Aggression des NATO-Partners“. „Die Grünen-Politikerin betrachtet die türkischen Angriffe auf die kurdische und andere Volksgruppen im Nachbarland als ‚Selbstverteidigung‘ und zeigt Verständnis“, erklärt GfbV-Nahostexperte Kamal Sido. „Tatsächlich finden Kriegsverbrechen statt, für die sich die Außenministerin durch ihr Schweigen mitverantwortlich macht.“

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan. (Foto: President.gov.ua/CC BY 4.0 via Wikimedia Commons)

Nach Baerbocks Türkei-Besuch Anfang August haben die türkischen Streitkräfte nach Angaben der GfbV insbesondere die „Syrian Democratic Forces“ (SDF) attackiert, die die Terrormiliz „Islamischer Staat“ bekämpfen. Hier wurden demnach 15 Angriffe durch Kampfdrohnen gemeldet. „Die Türkei beschoss mehr als 24 Mal mit schwerer Artillerie, Panzern, Raketen und Mörsern Gebiete im Süden von Afrin“, meldet die Gesellschaft. „Dort leben viele kurdische, jesidische, alewitische und christliche Vertriebene. Etwa 766 Artilleriegeschosse, Panzer- und Mörsergranaten trafen die kurdischen Dörfer Bênê, Aqîbê, Zaretê und Meyasê. Dabei wurden sechs Menschen getötet, darunter ein junges Mädchen und eine Frau. 16 Menschen, unter ihnen sechs Frauen, wurden verletzt.“

Assyrische Region angegriffen

Im Nordosten Syriens seien die Ortschaft Tel Tamr und ihre Umgebung mindestens 25 Mal angegriffen worden, davon drei Mal von Drohnen. „Bei diesen Angriffen in einer ursprünglich von assyrischen Christen bewohnten Gegend wurden sechs Menschen getötet: vier Schulmädchen und zwei Kämpfer der SDF. Fünf weitere Personen wurden verletzt“, berichtet die GfbV. „Auch die multiethnische und multireligiöse Region Qamischli wurde wiederholt Ziel türkischer Angriffe. Dort wurden 14 Menschen getötet, darunter zwei Kinder. 19 Menschen wurden verletzt, unter ihnen ein Mädchen und zwei Frauen. Die kurdische Stadt Kobani wurde vier Mal angegriffen. Hier tötete das türkische Militär sechs Menschen, darunter ein Kind. Fünf Personen, darunter ein Kind, wurden verletzt.“

Türkische Soldaten im Norden Syriens. (Foto: Zlatica Hoke/VOA/gemeinfrei)
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Israel: Journalistin wohl durch Armee getötet

Der Tod der palästinensisch-amerikanischen Journalistin Shireen Abu Akleh bei einem israelischen Militäreinsatz im Westjordanland hat im Mai für Schlagzeilen gesorgt. Jetzt bestätigte eine interne Untersuchung der Armee, was Palästinenser von Anfang an vermutet hatten: Die Kugel, die Abu Akleh bei der Razzia in Dschenin in den Kopf traf, wurde „sehr wahrscheinlich“ von einem israelischen Soldaten abgefeuert. Der Tod der 41-Jährigen wirft ein Schlaglicht auf die Situa­tion der Pressefreiheit in den Palästinensergebieten.

Bei der Beerdigung von Shireen Abu Akleh kam es zu Tumulten und Zusammenstößen mit israelischen Sicherheitskräften. (Foto: Osps7/CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

Ihre Trauer­feier geriet zum Politikum: Behelmte Uniformierte drängten den Trauerzug zurück, Sicherheitskräfte traten und schlugen Trauergäste und Sargträger, darunter Angehörige der Toten. Der Sarg drohte umzukippen. Die Trauergemeinde rief „Shireen, unsere Märtyrerin“ und „Zusammen für Shireen  – Muslime und Christen“. Abu Akleh war palästinensische Christin und arbeitete rund 25 Jahre lang für den arabischen Fernsehsender Al-Jazeera.

Sie habe aus „ihrer Palästinenserfreundlichkeit keinen Hehl“ gemacht, beschreibt Jacques Ungar vom jüdischen Internetportal
Tachles.ch die 51-jährige Reporterin mit US-Staatsangehörigkeit. Trotzdem habe sie „als objektiv und fachkundig“ gegolten. Ihre Kollegin Dalia Hatuqa lobt: Sie „wollte die Geschichten machen, die kein anderer anpacken wollte“, und habe Menschen zu Wort kommen lassen, „von denen wir sonst nichts wüssten“. 

Im israelischen Sperrfeuer

In einem Youtube-Video sagt Hatuqa über Abu Akleh: „Wie die restlichen palästinensischen Journalisten war sie ein Ziel.“ Tatsächlich werden Journalisten in den Palästinensergebieten nicht selten an der Arbeit gehindert. Manche werden verletzt oder gar getötet. Während der Zweiten Intifada 2002 starb der italienische Fotograf Raffaele Ciriello im israelischen Sperrfeuer, als er in Ramallah eine Razzia der Armee dokumentierte.

Shireen Abu Akleh im Einsatz für den arabischen Fernsehsender Al-Jazeera – am Vorabend ihres Todes. (Foto: Al Jazeera Media Network/CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

Beim palästinensischen „Marsch der Rückkehr“ 2018 im Gaza-Streifen war das israelische Militär für den Tod von zwei palästinensischen Journalisten verantwortlich. „Kumi Now“, eine Initiative des christlichen Zentrums Sabeel, bezeichnete den Tod von Yasser Murtaja und Ahmed Abu Hassan als „das schwerwiegendste und eindeutigste Zeichen für den Umgang israelischer Besatzungsstreitkräfte mit Journalisten und Medien in Palästina“. 

Schwere Einschränkungen

Auf der Rangliste der Pressefreiheit der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ liegt Palästina auf Platz 170 von 180 – nicht nur, aber auch wegen der israelischen Besatzungspolitik. Journalisten unterliegen dort demnach „teils schweren Einschränkungen“. Die Armee schieße auf Demonstranten und verletze dabei auch Journalisten. Auch bei Luftangriffen kämen Reporter um. „Verhaftungen, Verhöre und Administrativhaft durch Israel“ seien an der Tagesordnung. 

In die Berichterstattung zu Abu Aklehs Tod mischten sich von Beginn an einseitige Schuldzuweisungen, Vorurteile und „Fake News“. Aus israelischen Regierungskreisen verlautete zunächst, die Kugel entstamme möglicherweise einem palästinensischen Gewehr. Die Menschenrechtsorganisation B’Tselem untersuchte die Standorte der israelischen Soldaten und militanter Palästinenser zum Zeitpunkt der Schüsse und kam zu dem Schluss, dass die dokumentierten Schüsse von Palästinensern „wohl nicht die waren“, die die Journalistin töteten.

Ein israelischer Soldat beobachtet einen Protest von Palästinensern. (Foto: Zang)

Die Armee schließt sich dieser Analyse nun offenbar an: „Es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Schüsse aus der Waffe eines Soldaten abgegeben wurden“, zitiert tagesschau.de einen ranghohen Vertreter des Militärs. Abu Akleh sei aber nicht als Journalistin identifiziert worden. Es bestehe auch weiterhin die Möglichkeit, dass die Schüsse von bewaffneten Palästinensern abgegeben wurden. Strafrechtliche Ermittlungen wird es jedenfalls nicht geben: „Es gibt keinen Verdacht auf eine Straftat“, hieß es vom israelischen Generalstaatsanwalt.

„Gewaltsame Besatzung“

Ori Givati von der Veteranen-Organisation „Breaking the Silence“ erklärt, dass „unschuldige Palästinenser oft durch Gewehrfeuer“ ums Leben kommen. „Egal, aus welcher Waffe die tödliche Kugel stammte: Israel ist für eine gewaltsame Besatzung und die täglichen Invasionen in palästinensische Städte und Dörfer verantwortlich, die naturgemäß zur Tötung Unschuldiger führen.“ Dies sei genau jene Realität, „die aufzudecken Shireen ihr Leben gewidmet hatte“ – eine Herzensaufgabe, bei deren Ausübung sie ums Leben kam.

Johannes Zang

Der Autor ist freier Journalist und Reiseführer für Israel und Palästina. Aktuell sind von ihm die Bücher „Erlebnisse im Heiligen Land“ und „Begegnungen mit Christen im Heiligen Land“ erhältlich.

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PR-Gag oder Demokratie? – Telegram lässt abstimmen

Telegram galt lange als so etwas wie das „Enfant terrible“ der Sozialen Medien im Internet: Während Facebook oder Twitter frühzeitig dazu übergingen, tatsächliche oder vermeintliche „Fake News“ zu Themen wie Corona, der Impfkampagne oder der Flüchtlingspolitik mit Warnhinweisen zu versehen, zu zensieren oder ihre Urheber zu sperren, wollte die von dem Russen Pawel Durin gegründete Plattform nicht zum Zensurstift greifen. Das ist Vergangenheit. Längst zensiert auch Telegram auf Druck der Behörden ganze Kanäle, insbesondere, wenn es sich dabei um staatsnahe russische Medien handelt.

Nun lässt Telegram in Deutschland seine Nutzer abstimmen. „Wir, das Telegram Team, bitten dich uns deine Meinung mitzuteilen, wie die Daten der deutschen Telegram-Nutzer mit den deutschen Behörden, einschließlich der deutschen Polizei (BKA), geteilt werden können (oder nicht)“, heißt es in einer Nachricht, die alle Telegram-Nutzer erhalten haben, die bei dem Messenger-Dienst mit deutscher Telefonnummer registriert sind.

Missbrauch der Plattform

Um den Missbrauch der Plattform „durch terroristische Gruppen zu verhindern, erlaubt uns unsere aktuelle Datenschutzerklärung seit 2018, IP-Adressen und Telefonnummern von Terrorverdächtigen auf Anfrage der Regierung, die durch einen Gerichtsbeschluss gestützt wird, offenzulegen. Wir führen diese Abstimmung durch, um herauszufinden, ob unsere deutschen Nutzer unsere aktuelle Datenschutzerklärung unterstützen oder ob sie die Zahl der Fälle, in denen Telegram potenziell Daten an Behörden weitergeben kann, verringern oder erhöhen möchten.“

Zur Auswahl stehen drei Optionen. Möglichkeit Nr. 1 entspricht der aktuellen Regelung: Datenweitergabe nur auf Grundlage einer Gerichtsentscheidung. Möglichkeit Nr. 2 würde die Weitergabe auch ohne Gerichtsentscheidung erlauben – rein auf Anforderung der Behörden. „Diese Option wäre, sofern sie Zustimmung findet, komplett neu für Telegram und erfordert deswegen eine Änderung unserer Datenschutzerklärung für Nutzer aus Deutschland“, erläutert der Dienst. Möglichkeit Nr. 3 würde jegliche Datenweitergabe ausschließen.

Widerspruch zum Fernmeldegeheimnis

Nur Option 1 ist nach Ansicht des Stuttgarter Medienrechtlers Tobias Keber mit der gegenwärtigen Rechtslage vereinbar. Eine Ausweitung der Zugriffsmöglichkeiten für Sicherheitsbehörden würde dem Datenschutzrecht und dem Schutz des Fernmeldegeheimnisses widersprechen, sagte Keber der Nachrichtenagentur KNA. In der Abstimmung vermutet er einen bloßen „PR-Gag“, wodurch Telegram sich einen basisdemokratischen Anstrich geben wolle.

Aktuell liegt Option 1 knapp vorn. 39 Prozent der Teilnehmer sprechen sich für eine Beibehaltung der aktuellen Datenschutz-Regeln aus. Für ein völliges Ende der Kooperation mit den deutschen Behörden stimmen 37 Prozent. Nur 20 Prozent unterstützen eine Datenweitergabe ohne Gerichtsbeschluss. Noch bis Montag um 12 Uhr haben die Nutzer die Möglichkeit, sich an der Abstimmung zu beteiligen. Mehr als zwei Millionen haben dies bereits getan. Weltweit hat Telegram rund 700 Millionen aktive Nutzer.

Thomas Wolf

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Die tägliche Dosis Propaganda

Dass der Ukraine-Krieg ein beispielloser Propagandakrieg werden würde – das zeichnete sich bereits am 24. Februar ab, als die russische Armee in das Nachbarland einmarschierte, das durch acht Jahre Bürgerkrieg und eine politische Zerrissenheit sondergleichen geschwächt war. Der Kreml begründete die Invasion mit einer kurz zuvor vereinbarten Beistandsverpflichtung für die beiden separatistischen Donbass-Republiken Donezk und Lugansk – und mit einer vermeintlichen Notwendigkeit, die Ukraine müsse „entnazifiziert“ und „entmilitarisiert“ werden.

Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (2.v.r.) mit ihren Amtskollegen aus den USA, Frankreich und Großbritannien. Die SPD-Politikerin sieht wenig Spielraum für die Lieferung weiterer Bundeswehr-Waffen an die Ukraine. (Foto: U.S. Secretary of Defense/Chad J. McNeeley/CC BY 2.0 via Wikimedia Commons)

Für die Ukraine und den Westen ist der russische Einmarsch dagegen ein durch nichts provozierter „völkerrechtswidriger Angriffskrieg“. Erst kürzlich wieder, zum ukrainischen Unabhängigkeitstag, bekräftigten westliche Politiker wie Bundeskanzler Olaf Scholz und Großbritanniens scheidender Premierminister Boris Johnson ihre Solidarität mit Kiew. Scholz stellte weitere deutsche Waffenlieferungen in Aussicht – allerdings machte mittlerweile Verteidigungsministerin Christine Lambrecht deutlich, sie sehe kaum noch Möglichkeiten, Waffen aus Beständen der Bundeswehr in die Ukraine zu schicken.

Ultranationalistische Freiwilligenverbände

Dass die ukrainische Antiterror-Operation, die sich nach der Abspaltung der beiden „Volksrepubliken“ im Donbass gegen die Separatisten richtete, nicht nur durch die ukrainische Armee ausgeführt wurde, sondern auch durch ultranationalistische Freiwilligenverbände wie das Asow-Regiment, ist im Westen kein Geheimnis. Jene Privatarmeen, die 2015 formell in die ukrainische Nationalgarde eingegliedert wurden, sind es, deren politische Vorgeschichte und Ausrichtung aus russischer Sicht eine „Entnazifizierung“ nötig macht.

Kämpfer und gepanzerte Fahrzeuge des Asow-Regiments in Mariupol 2016. Ihre Flaggen zeigen die Wolfsangel, die Kritikern als NS-Symbol gilt. Mittlerweile soll das Regiment, das aus einem Freiwilligen-Bataillon hervorgegangen ist, sein umstrittenes Zeichen abgelegt haben. (Foto: Wanderer777/CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

Die Nazi-Vorwürfe des Kreml mögen als Teil des großen Propagandakriegs übertrieben sein. Sie mögen aus westlicher Sicht politisch nicht opportun sein. Tatsache ist aber: In den Wochen und Monaten nach der erfolgreichen prowestlichen Maidan-Revolution berichteten öffentlich-rechtliche Medien in Deutschland noch ohne Scheu von den organisierten Rechtsextremisten in der Ukraine, die selbst Minderjährige in Ferienlagern an der Waffe ausbildeten und gegen ihre russischsprachigen Landsleute hetzten, die sie offenbar als Menschen zweiter Klasse betrachteten.

Scharf kritisierte WDR-Journalist Georg Restle 2014 die ukrainischen Truppen und ihren Einsatz im Donbass. „Auch das ukrainische Militär terrorisiert die Zivilbevölkerung“, kommentierte er. „Es trägt den Krieg mit Artilleriefeuer in Wohn- und Schlafzimmer. Es nimmt kaum Rücksicht auf die Not der Menschen und auf deren Leben offenbar noch weniger.“ Heute gelten derlei Vorwürfe im Westen schnell als Kreml-Propaganda, deren Verbreitung eingedämmt werden müsse. Asow und Co., hört man, seien heute deutlich gemäßigter als 2014.

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Im Blickpunkt

Gewalt meist gegen christliche Kirchen

Glaubt man der medialen Berichterstattung über Gewalt gegen religiöse Einrichtungen, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Christen davon praktisch nicht betroffen sind. Stattdessen scheint es, als ob solche Straftaten fast ausschließlich Juden und Muslime und ihre Gotteshäuser und Gebetsstätten treffen. Das Gegenteil ist der Fall, zeigt eine aktuelle Polizei-Statistik aus der Bundeshauptstadt.

Rund 1500 Straftaten sind demnach seit 2006 in Berlin auf religiöse Einrichtungen verübt worden. Das bedeutet: Allein in der Hauptstadt wird jeden vierten Tag eine Gebetsstätte angegriffen, nahezu zweimal pro Woche also. Mit großer Mehrheit handelt es sich bei den erfassten Delikten um Sachbeschädigung – etwa Schmierereien an Fassaden. Erfasst wurden aber auch Fälle von Brandstiftung, Volksverhetzung und Störung der Religionsausübung. Das geht aus einer Antwort des Berliner Senats auf eine parlamentarische Anfrage des AfD-Abgeordneten Tommy Tabor hervor.

Nur selten Angriffe auf Muslime oder Juden

Wer nun glaubt, christliche Ziele seien nur in den seltensten Fällen attackiert worden, den belehren die Zahlen aus Berlin eines Besseren: Von 1495 erfassten Angriffen galten 1392 Kirchen und anderen christlichen Einrichtungen – über 90 Prozent. Attacken auf muslimische und jüdische Gebetsorte fanden dagegen nur selten statt: nämlich 64 Mal auf islamische und 39 Mal auf jüdische Gemeinden.

Ein verbranntes Kreuz in einer Kirche in Nicaragua nach einem Brandanschlag. Auch in Deutschland kommt es zu Brandstiftung an religiösen Stätten. (Foto: Kirche in Not)

In Berlin gibt es nach Angaben des Evangelischen Pressedienstes 328 christliche Kirchen und elf Synagogen. Die Zahl der Gebetsräume muslimischer Gemeinschaften schätzt man auf rund 100. Selbst wenn man die Zahl der Angriffe in Relation zur Zahl der Gotteshäuser setzt, bleibt nicht zu bestreiten, dass Kirchen weitaus häufiger angegriffen werden als Moscheen oder Synagogen und christliche Gläubige häufiger an der Ausübung ihrer Religion gehindert werden als Muslime oder Juden – und das in der deutschen Hauptstadt.

Passen christliche Opfer nicht ins Narrativ?

Warum spielen Angriffe auf Christen und christliche Einrichtungen sowohl im Inland wie auch im Ausland in der Berichterstattung der großen Medien dann aber eine dermaßen untergeordnete Rolle? Passen Berichte über christliche Opfer nicht ins mediale Narrativ? Oder liegt es daran, dass laut der Berliner Polizei-Statistik nur 83 der 756 seit 2012 registrierten Straftaten gegen christliche Orte politisch motiviert gewesen seien (etwa die Hälfte von „rechts“)? Als politisch motiviert gelten auch 36 Angriffe auf jüdische und zehn auf muslimische Einrichtungen.

Nicht nur die große Mehrzahl aller Delikte, sondern auch die überwiegende Zahl der politisch motivierten Angriffe trifft also Christen. In Relation zur Zahl der Gebetsstätten stellen nun aber die Juden die weitaus größte Opfergruppe – allerdings auch nur deshalb, weil die Berliner Polizei Angriffe auf christliche Einrichtungen meist nicht als politisch motiviert einstuft. Wie fundiert diese Einschätzung ist, geht aus der Statistik nämlich nicht hervor.

Thomas Wolf