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Terror gegen Jesiden ist jetzt Völkermord

Kürzlich hat der Bundestag den Holodomor, den Hungertod von Millionen Menschen in der Ukraine in den frühen 1930er Jahren, als Völkermord anerkannt. Sowjet-Führer Josef Stalin habe demnach eine in großen Teilen der Sowjetunion grassierende Hungersnot gezielt gegen die Menschen in der Ukraine gerichtet. Kritiker sehen in der Resolution eine rein politische Entscheidung, von der westlichen Solidarität für die angegriffene Ukraine diktiert. Auf viel Zustimmung stößt dagegen der heutige Bundestagsbeschluss, der nun auch die Morde, Massaker und Gräueltaten an Angehörigen der Glaubensgemeinschaft der Jesiden im Nahen Osten als Genozid anerkennt.

Irakische Jesiden in traditionellen Gewändern. (Foto: Hamdi Hamad/CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

„Die Anerkennung des Völkermordes durch den Bundestag ist ein wichtiger Schritt in der Aufarbeitung der Gräueltaten“, erklärt Tabea Giesecke, Referentin für ethnische, religiöse und sprachliche Minderheiten und Nationalitäten bei der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV). „Die jesidische Community hat diesen Schritt durch ihre unermüdliche Arbeit ermöglicht. Ihren Kampf um Gerechtigkeit werden wir weiterhin unterstützen.“

Verantwortliche zur Rechenschaft ziehen

Nun sei es wichtig, auf die Details des Beschlusses zu schauen: „Mit der Anerkennung des Genozids ist die Arbeit nicht getan. Jetzt müssen konkrete Maßnahmen folgen, die die Überlebenden unterstützen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen“, fordert Giesecke. „Die jesidische Gemeinschaft muss unmittelbar an allen Entscheidungen über ihre Zukunft und die ihrer Heimatregion Sindschar beteiligt werden. Nur dann wird sich die Lage der Überlebenden wirklich verbessern.“

Jesidische Flüchtlinge in einem Lager im Nordosten Syriens 2014. Der Vormarsch der Terrormiliz „Islamischer Staat“ im Irak hatte sie zuvor zur Flucht gezwungen. (Foto: DFID – UK Department for International Development/Rachel Unkovic/International Rescue Committee/CC BY 2.0 via Wikimedia Commons)

Verantwortlich für den Genozid an der jesidischen Bevölkerung des Irak 2014 ist die dschihadistische Terrormiliz „Islamischer Staat“. Sie gilt im Nahen Osten seit einer Reihe von Gegenoffensiven im Irak und in Syrien zwar als weitgehend besiegt, macht aber dennoch immer wieder von sich reden. Nach Angaben der GfbV dauert der Genozid bis heute an. Viele jesidische Frauen seien immer noch verschwunden oder in Gefangenschaft. Zahlreiche Vertriebene sitzen demnach ohne Perspektive in Flüchtlingslagern fest, weil ihre Wohnhäuser zerstört wurden und die irakische Region Sindschar weiterhin unsicher ist. Kollektive und individuelle Traumata seien kaum aufgearbeitet worden.

Parteiübergreifende Zustimmung

Den Antrag, mit dem der Bundestag den Genozid anerkennt, haben SPD, Grüne, FDP und CDU/CSU gemeinsam eingereicht. Zugestimmt haben ihm alle Fraktionen. Der Antrag geht auf eine Petition aus der jesidischen Diasporagemeinschaft zurück. Im Februar vergangenen Jahres wurde er laut GfbV vor dem Petitionsausschuss des Bundestags und im Juni 2022 im Menschenrechtsausschuss diskutiert. Die 50.000 Unterschriften für die Petition sammelten demnach Ehrenamtliche, darunter viele jesidische Jugendliche. Der Menschenrechtsausschuss hatte dem Parlament die Anerkennung als Genozid empfohlen.

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Eine Minderheit terrorisiert die Mehrheit

Es sind Szenen, die man ansonsten nur aus Kriegsgebieten kennt. Überall knallt es, es raucht und brennt. Menschen rennen geduckt umher, suchen verzweifelt Deckung. Der Beschuss geschah nicht an der Front in der Ukraine, nicht im Jemen oder in Syrien. Die Bilder, die im Internet kursieren und die brennende Fahrzeuge und Raketen zeigen, die auf belebten Straßen explodieren, stammen dem Vernehmen nach aus Berlin. Aus der deutschen Hauptstadt. Aus der Silvesternacht. Nun steht erneut ein generelles Böllerverbot im Raum. Und damit das Ende einer Tradition, die den Jahreswechsel seit Generationen prägt.

„Gezielt gegen Menschen“

Pyrotechnik sei „ganz gezielt als Waffe gegen Menschen eingesetzt“ worden, kritisiert Stephan Weh, Berliner Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei. Und Jürgen Resch beklagt: „Unsere Befürchtungen wurden von der Realität noch übertroffen.“ Die Deutsche Umwelthilfe (DUH), deren Geschäftsführer Resch ist, hatte bereits zuvor ein bundesweites Böllerverbot gefordert. Durch die jetzigen Exzesse sieht sie sich bestätigt. Bei ihrer Forderung beruft sich die DUH auf eine Umfrage, wonach im Oktober eine knappe Mehrheit von 53 Prozent der Befragten ein Verbot des privaten Feuerwerks begrüßt hatten.

Nicht überall verlief der Jahreswechsel zum neuen Jahr 2023 friedlich. In Berlin erinnerten manche Straßen einem Kriegsgebiet. (Foto: Pixabay)

Dass der jüngste Jahreswechsel wieder lauter und explosiver werden würde, war dennoch erwartbar gewesen. Nach der durch Corona-Maßnahmen erzwungenen relativen Ruhe der Silvesternächte 2020 und 2021 haben die Deutschen ihre Lust an Raketen, Knallerbsen und Böllern diesmal wiederentdeckt. Allen Umfragen zum Trotz. Mancherorts waren die explosiven Silvester-Artikel schnell ausverkauft. Und das, obwohl die Kunden teils deutlich tiefer in die Tasche greifen mussten als vor Pandemie und Rekord-Inflation.

Eine Art Kriegszustand

Schwere Verletzungen wie abgerissene Hände und entstellte Gesichter kommen an Silvester immer wieder vor. Der Jugendliche, der sich in Leipzig beim Einsatz von Pyrotechnik so schwer verletzte, dass er im Krankenhaus starb, war beileibe nicht der erste Tote, der am Ausgang des Jahres zu beklagen ist. So schlimm wie diesmal aber war es Medienberichten zufolge noch nie. Und nirgends war die Nacht zum 1. Januar offenbar so schlimm wie in Berlin. Statt unbeschwerter Feierlaune prägte manchen Straßenzug in der Hauptstadt eine Art Kriegszustand. Mehr als 30 Einsatzkräfte wurden verletzt.

Jürgen Resch ist einer von drei Geschäftsführern der Deutschen Umwelthilfe. (Foto: DUH/Steffen Holzmann)

„Es kann nicht sein, dass unsere Leute gefährdet werden, fast überfahren werden, und hinterher wird es als Bagatelldelikt dargestellt“, beklagt Karl-Heinz Banse, Präsident des Deutschen Feuerwehr-Verbands. Randalierer hatten in Berlin nicht nur Polizeibeamte angegriffen, sondern auch Feuerwehr-Leute und Sanitäter attackiert. Mit Raketen, aber auch mit Bierkisten, Knüppeln und Steinen. Deutschland habe „eine Aggressivität in einer noch nie dagewesenen Form“ erlebt, sagt DUH-Chef Jürgen Resch. Und begründet damit seine Forderung nach einem totalen Feuerwerk-Verbot.

Gewalttätige Minderheit

Tatsächlich könnte das Abhilfe schaffen. Ohne Raketen und Böller kein Beschuss von Polizei und Rettungskräften. So die vordergründig bestechende Logik der DUH. Dass das eigentliche Problem ein anderes ist, macht Resch selbst deutlich – vielleicht unbeabsichtigt. „Es ist eine Minderheit, die die Silvesternacht ausnutzt und mit Pyrotechnik die große Mehrheit terrorisiert“, sagt er. Welchem Milieu die Silvester-„Terroristen“ entstammen, ist ein offenes Geheimnis. Dies auch auszusprechen, ist allerdings politisch nicht opportun.

Da ist es einfacher, ein unterschiedsloses Verbot des privaten Feuerwerks zu fordern. Dies würde zwar auch die gewalttätige Minderheit treffen. Aber eben auch die „große Mehrheit“, die sich nichts zu schulden hat kommen lassen. Die einfach nur ihre Silvester-Feier genießen will. Und ob ein Verbot die Bereitschaft der Minderheit zur Gewalt gegen Personen und Sachen eindämmt, dürfte zumindest äußerst fraglich sein.

Thomas Wolf

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Christen in Nahost: Durch Islamisten unterdrückt

Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) hat an das Schicksal christlicher Konvertiten in islamisch geprägten Ländern erinnert. „Das Emirat Katar, Gastgeber der Fußball-WM in der Adventszeit, finanziert und unterstützt radikal-islamistische, sunnitischen Gruppen. Diese unterdrücken, vertreiben oder ermorden überall im Nahen Osten christliche Gläubige und Angehörige anderer religiöser Minderheiten“, erklärt Kamal Sido. Er ist Nahostexperte der GfbV. „Während des Kalten Kriegs war Saudi-Arabien der wichtigste Geldgeber bewaffneter islamistischer Gruppen, Organisationen und Parteien. Diese Rolle hat nun Katar übernommen.“ Das kleine Emirat sorge für das Geld. Der türkische Staat unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan übernehme die Organisation und logistische Unterstützung der sunnitischen Islamisten weltweit.

Menschenrechte auf der Strecke

Die Erfahrungen in Afghanistan haben nach Sidos Ansicht gezeigt, wie verfehlt die Unterstützung radikaler Islamisten durch westliche Regierungen war. „Opfer dieser verantwortungslosen Politik waren vor allem christliche und andere religiöse Minderheiten, sowie unter der Mehrheitsgesellschaft insbesondere Frauen“, erinnert Sido. „Durch die aktuellen geopolitischen Konflikte mit Russland und China erfahren islamistische Staaten wie die Türkei und Katar eine Aufwertung. Westliche Regierungen sind offenbar bereit, die Unterstützung der Taliban in Afghanistan oder der Muslimbrüder in Syrien zu akzeptieren.“ Demokratie, Menschen- und Minderheitenrechte blieben dabei auf der Strecke. Ebenso die Glaubensfreiheit und das Recht der Muslime, ihren Glauben zu wechseln.

Im vorigen Jahr fiel die afghanische Hauptstadt Kabul wieder an die radikalislamischen Taliban. Kamal Sido von der Gesellschaft für bedrohte Völker meint: „Westliche Regierungen sind offenbar bereit, die Unterstützung der Taliban in Afghanistan zu akzeptieren.“(Foto: Voice of America News/gemeinfrei)

Der Iran verfolge Konvertierte massiv, kritisiert die GfbV. Viele junge Menschen suchen auch wegen der Politik des Mullah-Regimes eine religiöse Heimat im Christentum oder im altiranischen Zoroastrismus. „Während das Regime den Zoroastrismus duldet, werden konvertierte Christen brutal verfolgt“, berichtet Sido. „Ihre Gottesdienste, die meist in Privaträumen stattfinden, werden gestürmt und die Teilnehmer verhaftet.“ Im Iran gibt es viele sogenannte Hauskirchen, die nicht selten von Frauen geleitet werden. Die genaue Zahl der Hauskirchen ist unbekannt. Schätzungen zufolge gibt es mindestens 700.000 konvertierte Christen im Iran, die ihren Glauben meist im Untergrund praktizieren.

Pastoren ausgewiesen

In der Türkei wurden seit 2018 insgesamt rund 200 ausländische protestantische Pastoren und deren Familien ausgewiesen, besonders amerikanische Geistliche. Damit will die türkische Regierung nach Darstellung der GfbV die Entstehung regulärer Kirchen verhindern. Die türkischen Behörden sehen in jedem Konvertierten einen Agenten des Westens, heißt es bei der Organisation. Dies sei eine absurde Einstellung. Die Türkei gehört als NATO-Mitglied schließlich selbst zum Westen. Auch in Katar sind christliche Konvertierte besonders gefährdet. Die Behörden erkennen ihren Glaubenswechsel nicht an. Und auch die Familien setzen sie unter großen Druck, zum Islam zurückzukehren.

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Der Staatsstreich, der keiner ist

Der vermeintliche rechte Umsturz-Versuch ist die Meldung des Tages bei fast allen großen Medien. „Reichsbürger planten Staatsstreich“, titelt tagesschau.de. „Sie wollten sich bewaffnen und den Bundestag stürmen, planten einen Staatsstreich“, heißt es beim ZDF. Bei der Süddeutschen Zeitung liest man von „52 Männern und Frauen, die einen Staatsstreich geplant haben sollen“. Auch die renommierte Frankfurter Allgemeine schreibt vom „Staatsstreich“. In Internetdiskussionen und Telegram-Kanälen sieht man diese Meldungen kritisch. Man glaubt an eine Inszenierung, nicht an einen drohenden Umsturz.

Mehr als Sandkasten-Spiele?

Was die Gruppe von ehemaligen Soldaten der Bundeswehr und der Nationalen Volksarmee der DDR, von Ärzten, Unternehmern und Politikern rund um den Frankfurter Adligen Heinrich Reuß tatsächlich geplant hat, lässt sich im Moment nicht beantworten. Waren die sinistren Pläne mehr als Sandkasten-Spiele und aus dem Ruder gelaufene Polit-Diskussionen bei Telegram? Drohte der verfassungsmäßigen Staatsordnung der Bundesrepublik von jenen „Reichsbürgern“ wirklich eine Gefahr? Sollte der Bundestag tatsächlich gestürmt und Reuß zum Regenten eines erneuerten Deutschen Reichs erhoben werden?

Die deutsche Flagge auf dem Kopf. So soll sie in Reichsbürger-Kreisen Verwendung finden. Andere benutzen Schwarz-Weiß-Rot, die alten Farben des Kaiserreichs.

Eines ist bei aller Ungewissheit klar: Ein Staatsstreich war der vermeintliche Umsturz-Versuch nicht. Das ist keine strafrechtliche Frage, sondern eine der Begrifflichkeiten. Traditionell unterscheidet die deutsche Sprache den Staatsstreich vom Putsch. Während letzterer von nachrangigen Aufrührern (etwa Offizieren der Armee) durchgeführt wird, geht der Staatsstreich von den Herrschenden aus. Das muss nicht notwendigerweise das Staatsoberhaupt sein. Denkbar wäre auch die federführende Beteiligung etwa eines Ministers. Kommt der Umsturz als Teil einer Massenbewegung aus dem Volk, spricht man von Revolution.

Gegenteil eines Staatsstreichs

Der Duden gibt in seiner Online-Ausgabe als Bedeutung von Putsch an: „von einer kleineren Gruppe (von Militärs) durchgeführter Umsturz(versuch) zur Übernahme der Staatsgewalt“. Ein Staatsstreich dagegen ist demnach ein „gewaltsamer Umsturz durch etablierte Träger hoher staatlicher Funktionen“. Dem „Politiklexikon“ von Klaus Schubert und Martina Klein gilt der Putsch sogar regelrecht als Gegenteil eines Staatsstreichs. Diese klare begriffliche Trennung verschwimmt jedoch zusehends. Gerade Journalisten der großen Medienhäuser nutzen beide Ausdrücke mittlerweile offenbar synonym.

Das mag mit daran liegen, dass sich der Putsch nicht immer klar vom Staatsstreich trennen lässt. So könnte die gemeinhin als Putsch bezeichnete Umsturz in Chile am 11. September 1973 auch ein Staatsstreich gewesen sein. Putschisten-Chef Augusto Pinochet war schließlich kurz zuvor zum Oberbefehlshaber des Heeres ernannt worden. Er hatte also ein hohes Amt in der Regierung. Eindeutig ein Putsch war dagegen der gescheiterte Umsturzversuch der noch jungen Nazi-Bewegung 1923 in München, der Hitlerputsch.

Chiles Putschisten-Führer Augusto Pinochet (mit Schärpe). Zum Zeitpunkt seines Putschs 1973 war er Oberbefehlshaber des Heeres. (Foto: Biblioteca del Congreso Nacional de Chile/CC BY-SA 3.0 CL via Wikimedia Commons)

Möglicherweise liegt dem zunehmenden Gebrauch des Begriffs Staatsstreich für Putsch auch ein verdeckter Anglizismus zugrunde. Im Englischen kann das aus dem Französischen stammende „Coup d’état“ nämlich sowohl für den Putsch (von unten) als auch den Staatsstreich (von oben) stehen. Die aktuelle Reichsbürger-Revolte aber ist weit entfernt von einem Staatsstreich. Es sei denn, sie hätte hochrangige Regierungsvertreter in ihren Unterstützer-Reihen. Das aber wollen Tagesschau, Süddeutsche und Co. durch den Begriff Staatsstreich sicherlich nicht andeuten.

Das Reich ist nicht untergegangen

Die sogenannten Reichsbürger sind eine heterogene Gruppe von nur teilweise rechtsgerichteten Menschen. Der Mehrheit von ihnen gemein dürfte sein, dass sie in der Bundesrepublik kein souveränes Land sehen und von der fortdauernden Existenz des Deutschen Reichs ausgehen. Manche Reichsbürger-Gruppierungen geben eigene (Pseudo-)Pässe heraus. Immerhin in einem Punkt liegen sie nicht falsch: Das Deutsche Reich ist nicht untergegangen. Nach herrschender Lehre ist es nämlich mit der Bundesrepublik identisch.

Thomas Wolf

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„False Flag“ in Istanbuls Innenstadt?

Eine Kämpferin der kurdischen Arbeiterpartei PKK soll in einer belebten Einkaufsstraße in Istanbul eine Bombe platziert haben. Das jedenfalls behauptet die islamisch-konservative Regierung in Ankara. Und beschießt seither die Kurdengebiete an der syrisch-türkischen Grenze. Mehr als 30 Menschen kamen dabei bislang ums Leben. Und das könnte erst der Anfang sein: Die Regierung droht nämlich mit einer großangelegten Bodenoffensive gegen die Kurden. Bei dem Anschlag in Istanbul waren sechs Menschen getötet worden. Mehr als eine Woche nach der Bluttat mehren sich nun die Zweifel an der offiziellen Version.

Von der PKK ausgebildet?

Als Täterin präsentierten die türkischen Behörden eine Frau namens Ahlam Albashir. Sie sei von der PKK oder vielmehr ihrem syrischen Ableger YPG ausgebildet und angestachelt worden, in der Istanbuler Innenstadt eine Tasche abzulegen, die den Sprengsatz enthielt. Albashir soll nach Angaben der Ermittler vor rund vier Monaten über die türkisch kontrollierte Region Afrin im Nordwesten Syriens in die Türkei eingereist sein. Ein mutmaßlicher Mittäter namens Ammar Jarkas, den die türkischen Behörden als Kopf hinter der Tat ausgemacht haben wollen, soll seit einem Jahr in der Türkei leben. Eingereist sei er über das kurdisch beherrschte Grenzgebiet rund um die Stadt Kobane in Syrien.

Menschen gedenken in der Istanbuler Unabhängigkeitsstraße der Toten des Anschlags vom 13. November. Die türkische Regierung vermutet kurdische Terroristen hinter dem Attentat. (Foto: Kurmanbek/CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

Die PKK weist die Vorwürfe entschieden zurück. Die Mehrheit der türkischen Medien dagegen stellt die offizielle Version von Vorgeschichte und Tathergang nicht in Frage. Bei näherer Betrachtung ergeben sich jedoch zahlreiche Fragezeichen. Darauf weist ein aktueller Beitrag des Portals tagesschau.de hin. Demnach haben türkische Journalisten erfahren, dass Albashir als auch Jarkas bereits deutlich länger in der Türkei leben. Auch ihre Namen wecken Zweifel. Es sind nämlich keine kurdischen. Jarkas ist selbst nach Angaben der Ermittler arabischer Syrer. Albashir könnte nach Medienberichten aus Somalia oder dem Sudan stammen.

Kämpfer der „Freien Syrischen Armee“

Im Verhör sagte Albashir aus, ihr Bruder sei Kämpfer der „Freien Syrischen Armee“ (FSA). Jene Miliz war am Beginn des Bürgerkriegs in Syrien die treibende Kraft des Aufstands gegen Präsident Baschar al-Assad. Westliche Staaten unterstützten sie finanziell und durch Ausbildung. Doch im Laufe des Bürgerkriegs geriet die FSA immer mehr ins Hintertreffen. Zuletzt war sie unter dem Namen „Syrische Nationale Armee“ kaum mehr als der verlängerte Waffenarm der Türkei in Syrien. Auch Jarkas und ein weiterer arabischer Syrer, bei dem Albashir in Istanbul gewohnt haben soll, standen offenbar in Verbindung zur „Freien Syrischen Armee“.

Kämpfer der „Freien Syrischen Armee“ (FSA) in einem türkischen Bus. Die von der Türkei gestützten Überreste der FSA treten mittlerweile als „Syrische Nationale Armee“ auf. (Foto: Voice of America/gemeinfrei)

Doch damit nicht genug der Merkwürdigkeiten. Albashir soll in ihrem Handy nämlich eine ganz besondere Sim-Karte genutzt haben. Zugelassen ist sie auf einen Ortsvorsitzenden der Partei MHP im mehrheitlich kurdisch besiedelten Südosten der Türkei. Die MHP ist Teil von Recep Tayyip Erdoğans Regierungskoalition. Vielen Beobachtern gilt sie als rechtsextrem. Der Ortsvorsitzende sieht sich dem Tagesschau-Beitrag zufolge als unschuldiges Opfer. Sein Ausweis sei kopiert worden. So habe man sich die auf seinen Namen ausgestellte Sim-Karte erschlichen. Wie kurdische Kämpfer an seinen Ausweis kommen konnten, erklärt er nicht.

Kurden in die Schuhe geschoben?

War der Anschlag in der Unabhängigkeitsstraße also eine „False Flag“, eine Operation unter falscher Flagge? Eine Bluttat türkischer Offizieller oder ihrer Unterstützer, die den Kurden in die Schuhe geschoben wird? In jedem Fall kommt der Anschlag wie gerufen für Präsident Erdoğan. Im kommenden Jahr wird in der Türkei ein neues Parlament gewählt. Erdoğans Koalition droht Umfragen zufolge ein herber Stimmenverlust. Durch die Angriffe auf das kurdische Siedlungsgebiet und eine mögliche Bodenoffensive kann sich der Präsident als starker Mann präsentieren. Und damit womöglich bei den Wählern punkten. Die PKK dagegen hätte durch den Anschlag überhaupt nichts gewonnen. Wenn sie ihn denn verübt hat.

Thomas Wolf

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Kommentar

Furchtbarer Verdacht: Klimaschutz tötet

Die radikale Klimaschutz-Bewegung hat offenbar ihr erstes Todesopfer gefordert. Eine 44-jährige Radfahrerin, die bei einem Unfall in Berlin von einem Lkw überrollt und dabei lebensgefährlich verletzt wurde, ist gestorben. Weil Aktivisten der sogenannten „Letzten Generation“ die Stadtautobahn A100 blockiert hatten, stand ein Rettungsfahrzeug im Stau und war zunächst nicht in der Lage, zum Unfallort zu gelangen. Die verunglückte Frau konnte daher wohl nur verzögert medizinisch versorgt werden. Es ist nicht bewiesen, liegt aber nahe, dass die Frau auch wegen der Protest-Aktion der Klimaschützer sterben musste.

Aktivisten der „Letzten Generation“ haben sich in Berlin auf der Straße festgeklebt. Solche Aktionen können für Unbeteiligte lebensgefährlich werden. (Foto: Stefan Müller/Climate Stuff/CC BY 2.0 via Wikimedia Commons)

Dass ein solcher Fall irgendwann eintreten würde, war zu befürchten. Experten sehen radikale Klimaschützer längst auf dem Weg, eine neue Terror-Organisation wie die RAF zu werden. Dass den Aktivisten, die sich auf Fahrbahnen oder an Kunstwerke kleben, Menschenleben wenig bedeuten, zeigen die Reaktionen auf den Tod der 44-jährigen Berlinerin. Zwar gibt sich die „Letzte Generation“ bestürzt. Zugleich kritisiert sie aber eine „Welle der Vorwürfe, Unwahrheiten und Hetze“ in den Medien. Das wahre Opfer also seien die Aktivisten, deren „demokratischer Protest“ delegitimiert werden solle. Einsicht sieht anders aus!

Hochgradig gefährlich

Wie man zum Klimaschutz steht, ist hier unerheblich. Ob man ihn zur Rettung einer womöglich durch Hitze, Dürre und steigenden Meeresspiegel bedrohten Welt für nötig hält – oder darin blanken ideologischen Unsinn erkennt. Wer Leben aufs Spiel setzt, um seine politischen Ziele zu erreichen, ist kein Demokrat, der seine grundgesetzlich verbrieften Rechte wahrnimmt. Nein, so jemand ist hochgradig gefährlich. Ein Krimineller, der über Leichen geht. Er muss mit allen Mitteln des Rechtsstaats bekämpft werden. Die Zeit der Kuschelei mit den radikalen Klimaschützern muss ein Ende haben.

Ein Notarzt löst die Handfläche eines am Asphalt festgeklebten Aktivisten der „Letzten Generation“. (Foto: Felix Müller/CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

Der Unmut in der Politik scheint nach dem Tod der Radfahrerin groß. Die Aktionen der Klimaschützer stießen nicht auf seinen Beifall, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz. Dass sich im politischen Umgang mit der „Letzten Generation“ und ihren stillschweigenden Unterstützern bei den „Fridays for Future“ aber tatsächlich etwas ändert, ist unwahrscheinlich. Ein Machtwort des Kanzlers wie zuletzt bei der Frage nach einer möglichen Laufzeit-Verlängerung der verbliebenen deutschen Atomkraftwerke ist nicht zu erwarten. Zu sehr muss Scholz Rücksicht auf seinen grünen Koalitionspartner nehmen. Und der, so ist zu befürchten, billigt vielleicht nicht die Methoden der „Letzten Generation“. Aber doch zumindest deren Ziele.

Anna Steinkamp

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Unterstützt Deutschland Al-Qaida-Ableger?

Nachdem die islamistische Miliz „Haiʾat Tahrir asch-Scham“ (HTS) die Kontrolle über die vor allem von Kurden besiedelte syrische Region Afrin übernommen hat, richtet die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) einen dringenden Appell an den Bundestag. Das Parlament müsse die Bundesregierung per Beschluss zwingen, ihre Unterstützung für islamistische Gruppen, die von der Türkei kontrolliert werden, zu überprüfen. Die HTS ist der inoffizielle Nachfolger der dschihadistischen Al-Nusra-Front. Damit ist das „Komitee zur Befreiung der Levante“ nichts anderes als der syrische Ableger des Terrornetzwerks Al-Qaida.

Die Flagge der Dschihadisten-Miliz HTS zeigt das islamische Glaubensbekenntnis. (Foto: gemeinfrei)

„Die von der deutschen Bundesregierung als gemäßigt eingestuften islamistischen Gruppen, die vorher die Kontrolle hatten, haben keinen Widerstand geleistet“, betont Kamal Sido, Nahostexperte der GfbV. „Einige haben der HTS sogar Gefolgschaft geschworen. Im Kampf gegen den sogenannten ‚Islamischen Staat‘ haben kurdische und andere Gruppen die Hauptlast getragen“, erinnert Sido. Die protürkischen islamistischen Gruppen seien nur daran interessiert, sich auf Kosten der lokalen Bevölkerung zu bereichern oder diese zu vertreiben. Ideologisch unterscheiden sie sich kaum vom „Islamischen Staat“.

Unter Erdoğans Kontrolle

Die deutsche Bundesregierung, insbesondere das Auswärtige Amt, unterstützt seit Jahren die sogenannte „Nationalkoalition syrischer Revolutions- und Oppositionskräfte“. Sie gilt als politischer Arm der islamistischen Milizen und stehe schon lange unter der vollständigen Kontrolle Recep Tayyip Erdoğans. „In Afrin sowie in anderen von der Türkei besetzten Gebieten Nordsyriens morden, vergewaltigen und terrorisieren diese Milizen die kurdische, assyrisch/aramäische, armenische, christliche, jesidische und alewitische Bevölkerung. Vor allem Frauen leiden unter den islamistischen Besatzern“, berichtet Sido.

„Erdogans Behauptungen, die Milizen würden in den von der Türkei besetzten Gebieten Nordsyriens für ‚Schutz und Sicherheit‘ sorgen, sind nur leeres Gerede. Für die Zivilbevölkerung kommen diese Gebiete tatsächlich einer Hölle gleich.“ Die deutsche Politik, kritisiert der GfbV-Experte, habe regelrecht Angst vor Erdogan. „Solange sie vor ihm einknickt, kann sie nicht von wertegeleiteter Außenpolitik sprechen. Sie schadet dem Ansehen Deutschlands weltweit“, meint Sido.

Kämpfer der Al-Nusra-Front in der syrischen Stadt Idlib 2015. Al-Nusra war einst der offizielle Al-Qaida-Ableger in Syrien. Seit 2017 bildet die umbenannte Front den Kern der HTS-Miliz. (Foto: Halab Today TV/CC BY 3.0 via Wikimedia Commons)
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Israel: Journalistin wohl durch Armee getötet

Der Tod der palästinensisch-amerikanischen Journalistin Shireen Abu Akleh bei einem israelischen Militäreinsatz im Westjordanland hat im Mai für Schlagzeilen gesorgt. Jetzt bestätigte eine interne Untersuchung der Armee, was Palästinenser von Anfang an vermutet hatten: Die Kugel, die Abu Akleh bei der Razzia in Dschenin in den Kopf traf, wurde „sehr wahrscheinlich“ von einem israelischen Soldaten abgefeuert. Der Tod der 41-Jährigen wirft ein Schlaglicht auf die Situa­tion der Pressefreiheit in den Palästinensergebieten.

Bei der Beerdigung von Shireen Abu Akleh kam es zu Tumulten und Zusammenstößen mit israelischen Sicherheitskräften. (Foto: Osps7/CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

Ihre Trauer­feier geriet zum Politikum: Behelmte Uniformierte drängten den Trauerzug zurück, Sicherheitskräfte traten und schlugen Trauergäste und Sargträger, darunter Angehörige der Toten. Der Sarg drohte umzukippen. Die Trauergemeinde rief „Shireen, unsere Märtyrerin“ und „Zusammen für Shireen  – Muslime und Christen“. Abu Akleh war palästinensische Christin und arbeitete rund 25 Jahre lang für den arabischen Fernsehsender Al-Jazeera.

Sie habe aus „ihrer Palästinenserfreundlichkeit keinen Hehl“ gemacht, beschreibt Jacques Ungar vom jüdischen Internetportal
Tachles.ch die 51-jährige Reporterin mit US-Staatsangehörigkeit. Trotzdem habe sie „als objektiv und fachkundig“ gegolten. Ihre Kollegin Dalia Hatuqa lobt: Sie „wollte die Geschichten machen, die kein anderer anpacken wollte“, und habe Menschen zu Wort kommen lassen, „von denen wir sonst nichts wüssten“. 

Im israelischen Sperrfeuer

In einem Youtube-Video sagt Hatuqa über Abu Akleh: „Wie die restlichen palästinensischen Journalisten war sie ein Ziel.“ Tatsächlich werden Journalisten in den Palästinensergebieten nicht selten an der Arbeit gehindert. Manche werden verletzt oder gar getötet. Während der Zweiten Intifada 2002 starb der italienische Fotograf Raffaele Ciriello im israelischen Sperrfeuer, als er in Ramallah eine Razzia der Armee dokumentierte.

Shireen Abu Akleh im Einsatz für den arabischen Fernsehsender Al-Jazeera – am Vorabend ihres Todes. (Foto: Al Jazeera Media Network/CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

Beim palästinensischen „Marsch der Rückkehr“ 2018 im Gaza-Streifen war das israelische Militär für den Tod von zwei palästinensischen Journalisten verantwortlich. „Kumi Now“, eine Initiative des christlichen Zentrums Sabeel, bezeichnete den Tod von Yasser Murtaja und Ahmed Abu Hassan als „das schwerwiegendste und eindeutigste Zeichen für den Umgang israelischer Besatzungsstreitkräfte mit Journalisten und Medien in Palästina“. 

Schwere Einschränkungen

Auf der Rangliste der Pressefreiheit der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ liegt Palästina auf Platz 170 von 180 – nicht nur, aber auch wegen der israelischen Besatzungspolitik. Journalisten unterliegen dort demnach „teils schweren Einschränkungen“. Die Armee schieße auf Demonstranten und verletze dabei auch Journalisten. Auch bei Luftangriffen kämen Reporter um. „Verhaftungen, Verhöre und Administrativhaft durch Israel“ seien an der Tagesordnung. 

In die Berichterstattung zu Abu Aklehs Tod mischten sich von Beginn an einseitige Schuldzuweisungen, Vorurteile und „Fake News“. Aus israelischen Regierungskreisen verlautete zunächst, die Kugel entstamme möglicherweise einem palästinensischen Gewehr. Die Menschenrechtsorganisation B’Tselem untersuchte die Standorte der israelischen Soldaten und militanter Palästinenser zum Zeitpunkt der Schüsse und kam zu dem Schluss, dass die dokumentierten Schüsse von Palästinensern „wohl nicht die waren“, die die Journalistin töteten.

Ein israelischer Soldat beobachtet einen Protest von Palästinensern. (Foto: Zang)

Die Armee schließt sich dieser Analyse nun offenbar an: „Es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Schüsse aus der Waffe eines Soldaten abgegeben wurden“, zitiert tagesschau.de einen ranghohen Vertreter des Militärs. Abu Akleh sei aber nicht als Journalistin identifiziert worden. Es bestehe auch weiterhin die Möglichkeit, dass die Schüsse von bewaffneten Palästinensern abgegeben wurden. Strafrechtliche Ermittlungen wird es jedenfalls nicht geben: „Es gibt keinen Verdacht auf eine Straftat“, hieß es vom israelischen Generalstaatsanwalt.

„Gewaltsame Besatzung“

Ori Givati von der Veteranen-Organisation „Breaking the Silence“ erklärt, dass „unschuldige Palästinenser oft durch Gewehrfeuer“ ums Leben kommen. „Egal, aus welcher Waffe die tödliche Kugel stammte: Israel ist für eine gewaltsame Besatzung und die täglichen Invasionen in palästinensische Städte und Dörfer verantwortlich, die naturgemäß zur Tötung Unschuldiger führen.“ Dies sei genau jene Realität, „die aufzudecken Shireen ihr Leben gewidmet hatte“ – eine Herzensaufgabe, bei deren Ausübung sie ums Leben kam.

Johannes Zang

Der Autor ist freier Journalist und Reiseführer für Israel und Palästina. Aktuell sind von ihm die Bücher „Erlebnisse im Heiligen Land“ und „Begegnungen mit Christen im Heiligen Land“ erhältlich.

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Gewalt meist gegen christliche Kirchen

Glaubt man der medialen Berichterstattung über Gewalt gegen religiöse Einrichtungen, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Christen davon praktisch nicht betroffen sind. Stattdessen scheint es, als ob solche Straftaten fast ausschließlich Juden und Muslime und ihre Gotteshäuser und Gebetsstätten treffen. Das Gegenteil ist der Fall, zeigt eine aktuelle Polizei-Statistik aus der Bundeshauptstadt.

Rund 1500 Straftaten sind demnach seit 2006 in Berlin auf religiöse Einrichtungen verübt worden. Das bedeutet: Allein in der Hauptstadt wird jeden vierten Tag eine Gebetsstätte angegriffen, nahezu zweimal pro Woche also. Mit großer Mehrheit handelt es sich bei den erfassten Delikten um Sachbeschädigung – etwa Schmierereien an Fassaden. Erfasst wurden aber auch Fälle von Brandstiftung, Volksverhetzung und Störung der Religionsausübung. Das geht aus einer Antwort des Berliner Senats auf eine parlamentarische Anfrage des AfD-Abgeordneten Tommy Tabor hervor.

Nur selten Angriffe auf Muslime oder Juden

Wer nun glaubt, christliche Ziele seien nur in den seltensten Fällen attackiert worden, den belehren die Zahlen aus Berlin eines Besseren: Von 1495 erfassten Angriffen galten 1392 Kirchen und anderen christlichen Einrichtungen – über 90 Prozent. Attacken auf muslimische und jüdische Gebetsorte fanden dagegen nur selten statt: nämlich 64 Mal auf islamische und 39 Mal auf jüdische Gemeinden.

Ein verbranntes Kreuz in einer Kirche in Nicaragua nach einem Brandanschlag. Auch in Deutschland kommt es zu Brandstiftung an religiösen Stätten. (Foto: Kirche in Not)

In Berlin gibt es nach Angaben des Evangelischen Pressedienstes 328 christliche Kirchen und elf Synagogen. Die Zahl der Gebetsräume muslimischer Gemeinschaften schätzt man auf rund 100. Selbst wenn man die Zahl der Angriffe in Relation zur Zahl der Gotteshäuser setzt, bleibt nicht zu bestreiten, dass Kirchen weitaus häufiger angegriffen werden als Moscheen oder Synagogen und christliche Gläubige häufiger an der Ausübung ihrer Religion gehindert werden als Muslime oder Juden – und das in der deutschen Hauptstadt.

Passen christliche Opfer nicht ins Narrativ?

Warum spielen Angriffe auf Christen und christliche Einrichtungen sowohl im Inland wie auch im Ausland in der Berichterstattung der großen Medien dann aber eine dermaßen untergeordnete Rolle? Passen Berichte über christliche Opfer nicht ins mediale Narrativ? Oder liegt es daran, dass laut der Berliner Polizei-Statistik nur 83 der 756 seit 2012 registrierten Straftaten gegen christliche Orte politisch motiviert gewesen seien (etwa die Hälfte von „rechts“)? Als politisch motiviert gelten auch 36 Angriffe auf jüdische und zehn auf muslimische Einrichtungen.

Nicht nur die große Mehrzahl aller Delikte, sondern auch die überwiegende Zahl der politisch motivierten Angriffe trifft also Christen. In Relation zur Zahl der Gebetsstätten stellen nun aber die Juden die weitaus größte Opfergruppe – allerdings auch nur deshalb, weil die Berliner Polizei Angriffe auf christliche Einrichtungen meist nicht als politisch motiviert einstuft. Wie fundiert diese Einschätzung ist, geht aus der Statistik nämlich nicht hervor.

Thomas Wolf

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Kommentar

Winnetou – jetzt erst recht!

Eigentlich war es nur eine Frage der Zeit, bis sich die „Cancel Culture“ auf der Deutschen liebsten Indianer einschießen würde: auf Winnetou. Was lange zu befürchten war, ist jetzt eingetreten: Der renommierte Buch- und Spiele-Verlag Ravensburger nimmt zwei Bücher zum aktuellen Kinofilm „Der junge Häuptling Winnetou“ aus dem Programm.

Vor einer kleinen, lautstarken Minderheit eingeknickt

Auf Instagram heißt es vom Verlag, man habe „die vielen negativen Rückmeldungen“ zu den Büchern verfolgt und entschieden, die Auslieferung der Titel zu stoppen. Auf gut Deutsch: Man ist vor dem Protest einer zwar kleinen, aber lautstarken Minderheit eingeknickt.

„Wir danken Euch für Eure Kritik“, liest man bei Instagram weiter. „Euer Feedback hat uns deutlich gezeigt, dass wir mit den Winnetou-Titeln die Gefühle anderer verletzt haben. Das war nie unsere Absicht und das ist auch nicht mit unseren Ravensburger Werten zu vereinbaren. Wir entschuldigen uns dafür ausdrücklich.“ Tiefer könnte der Kniefall vor dem virtuellen Mob kaum sein.

Ist Winnetou – hier ein Bild von den Karl-May-Festspielen in Bad Segeberg – rassistisch? Der Ravensburger-Verlag jedenfalls hat zwei Winnetou-Bücher zurückgezogen, weil sie angeblich „die Gefühle anderer verletzt“ haben. (Foto: Hinnerk11/CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

Auf der Verlagsseite sind die Produkte nicht mehr zu finden. Beim Internethändler Amazon sind das Buch zum Film und die Ausgabe für Erstleser zwar noch gelistet – noch dazu als „Bestseller“ gekennzeichnet –, aber nicht mehr erhältlich. Bei buecher.de ist immerhin das Erstlesebuch aktuell noch bestellbar. Welche Veröffentlichungen ein großer Verlag tätigt, entscheiden in Deutschland mittlerweile also nicht mehr Marktanalysen. Es entscheidet der Pöbel. Unfassbar!

Winnetou: Ein gutes Stück deutsches Kulturgut

Wer die Winnetou-Geschichten für rassistisch hält, der hat sie entweder nicht gelesen oder nicht verstanden – oder er will sie bewusst falsch verstehen. Vielleicht geht es dem „politisch korrekten“ Internet-Mob aber auch um etwas ganz anderes: Winnetou ist ein gutes Stück deutsches Kulturgut – soll es womöglich unter dem Vorwand des Kampfes gegen (vermeintlichen!) Rassismus selbst „gecancelt“, also vernichtet werden?

Generationen von deutschsprachigen Lesern haben über Karl Mays Romane vom tapferen Apachen-Häuptling und seinen Freunden die Kultur und Lebensweise der amerikanischen Ureinwohner nicht nur kennen-, sondern auch schätzen gelernt. Erfolgreicher als durch Karl Mays Bücher und die darauf basierenden Bühnenadaptionen, Filme oder Hörspiele lassen sich Vorurteile kaum abbauen.

Winnetou-Erfinder Karl May (links) mit seinem Illustrator Sascha Schneider im Jahr 1904. (Foto: Karl-May-Gesellschaft/gemeinfrei)

Über alle politischen Systeme hinweg diente Winnetou der Vermittlung eines positiven Indianerbildes: Ob im Kaiserreich, der Weimarer Republik oder im Nationalsozialismus – stets standen die Leser auf Seiten der Indianer und verfolgten gebannt ihren Kampf um ihre angestammten Rechte und gegen die Unterdrückung durch die eindringenden „Bleichgesichter“. Auch in der DDR, die ihre eigenen Indianer-Geschichten hofierte und ideologische Vorbehalte gegenüber May hegte, blieb Winnetou letztlich siegreich.

Ausgerechnet in der Bundesrepublik des Jahres 2022 landet der edle Häuptling nun auf dem „Index“ der politischen Korrektheit – allen Normen des Grundgesetzes, die derlei Verbotskultur doch gerade verhindern sollten, zum Trotz. Ich jedenfalls greife nun erst recht wieder zum Winnetou-Buch oder lege eine alte DVD ein und genieße die Abenteuer von Pierre Brice und Lex Barker. Bei mir werden der Apache und sein weißer Blutsbruder Old Shatterhand garantiert nicht „gecancelt“.

Thomas Wolf