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„False Flag“ in Istanbuls Innenstadt?

Eine Kämpferin der kurdischen Arbeiterpartei PKK soll in einer belebten Einkaufsstraße in Istanbul eine Bombe platziert haben. Das jedenfalls behauptet die islamisch-konservative Regierung in Ankara. Und beschießt seither die Kurdengebiete an der syrisch-türkischen Grenze. Mehr als 30 Menschen kamen dabei bislang ums Leben. Und das könnte erst der Anfang sein: Die Regierung droht nämlich mit einer großangelegten Bodenoffensive gegen die Kurden. Bei dem Anschlag in Istanbul waren sechs Menschen getötet worden. Mehr als eine Woche nach der Bluttat mehren sich nun die Zweifel an der offiziellen Version.

Von der PKK ausgebildet?

Als Täterin präsentierten die türkischen Behörden eine Frau namens Ahlam Albashir. Sie sei von der PKK oder vielmehr ihrem syrischen Ableger YPG ausgebildet und angestachelt worden, in der Istanbuler Innenstadt eine Tasche abzulegen, die den Sprengsatz enthielt. Albashir soll nach Angaben der Ermittler vor rund vier Monaten über die türkisch kontrollierte Region Afrin im Nordwesten Syriens in die Türkei eingereist sein. Ein mutmaßlicher Mittäter namens Ammar Jarkas, den die türkischen Behörden als Kopf hinter der Tat ausgemacht haben wollen, soll seit einem Jahr in der Türkei leben. Eingereist sei er über das kurdisch beherrschte Grenzgebiet rund um die Stadt Kobane in Syrien.

Menschen gedenken in der Istanbuler Unabhängigkeitsstraße der Toten des Anschlags vom 13. November. Die türkische Regierung vermutet kurdische Terroristen hinter dem Attentat. (Foto: Kurmanbek/CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

Die PKK weist die Vorwürfe entschieden zurück. Die Mehrheit der türkischen Medien dagegen stellt die offizielle Version von Vorgeschichte und Tathergang nicht in Frage. Bei näherer Betrachtung ergeben sich jedoch zahlreiche Fragezeichen. Darauf weist ein aktueller Beitrag des Portals tagesschau.de hin. Demnach haben türkische Journalisten erfahren, dass Albashir als auch Jarkas bereits deutlich länger in der Türkei leben. Auch ihre Namen wecken Zweifel. Es sind nämlich keine kurdischen. Jarkas ist selbst nach Angaben der Ermittler arabischer Syrer. Albashir könnte nach Medienberichten aus Somalia oder dem Sudan stammen.

Kämpfer der „Freien Syrischen Armee“

Im Verhör sagte Albashir aus, ihr Bruder sei Kämpfer der „Freien Syrischen Armee“ (FSA). Jene Miliz war am Beginn des Bürgerkriegs in Syrien die treibende Kraft des Aufstands gegen Präsident Baschar al-Assad. Westliche Staaten unterstützten sie finanziell und durch Ausbildung. Doch im Laufe des Bürgerkriegs geriet die FSA immer mehr ins Hintertreffen. Zuletzt war sie unter dem Namen „Syrische Nationale Armee“ kaum mehr als der verlängerte Waffenarm der Türkei in Syrien. Auch Jarkas und ein weiterer arabischer Syrer, bei dem Albashir in Istanbul gewohnt haben soll, standen offenbar in Verbindung zur „Freien Syrischen Armee“.

Kämpfer der „Freien Syrischen Armee“ (FSA) in einem türkischen Bus. Die von der Türkei gestützten Überreste der FSA treten mittlerweile als „Syrische Nationale Armee“ auf. (Foto: Voice of America/gemeinfrei)

Doch damit nicht genug der Merkwürdigkeiten. Albashir soll in ihrem Handy nämlich eine ganz besondere Sim-Karte genutzt haben. Zugelassen ist sie auf einen Ortsvorsitzenden der Partei MHP im mehrheitlich kurdisch besiedelten Südosten der Türkei. Die MHP ist Teil von Recep Tayyip Erdoğans Regierungskoalition. Vielen Beobachtern gilt sie als rechtsextrem. Der Ortsvorsitzende sieht sich dem Tagesschau-Beitrag zufolge als unschuldiges Opfer. Sein Ausweis sei kopiert worden. So habe man sich die auf seinen Namen ausgestellte Sim-Karte erschlichen. Wie kurdische Kämpfer an seinen Ausweis kommen konnten, erklärt er nicht.

Kurden in die Schuhe geschoben?

War der Anschlag in der Unabhängigkeitsstraße also eine „False Flag“, eine Operation unter falscher Flagge? Eine Bluttat türkischer Offizieller oder ihrer Unterstützer, die den Kurden in die Schuhe geschoben wird? In jedem Fall kommt der Anschlag wie gerufen für Präsident Erdoğan. Im kommenden Jahr wird in der Türkei ein neues Parlament gewählt. Erdoğans Koalition droht Umfragen zufolge ein herber Stimmenverlust. Durch die Angriffe auf das kurdische Siedlungsgebiet und eine mögliche Bodenoffensive kann sich der Präsident als starker Mann präsentieren. Und damit womöglich bei den Wählern punkten. Die PKK dagegen hätte durch den Anschlag überhaupt nichts gewonnen. Wenn sie ihn denn verübt hat.

Thomas Wolf

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Kommentar

Furchtbarer Verdacht: Klimaschutz tötet

Die radikale Klimaschutz-Bewegung hat offenbar ihr erstes Todesopfer gefordert. Eine 44-jährige Radfahrerin, die bei einem Unfall in Berlin von einem Lkw überrollt und dabei lebensgefährlich verletzt wurde, ist gestorben. Weil Aktivisten der sogenannten „Letzten Generation“ die Stadtautobahn A100 blockiert hatten, stand ein Rettungsfahrzeug im Stau und war zunächst nicht in der Lage, zum Unfallort zu gelangen. Die verunglückte Frau konnte daher wohl nur verzögert medizinisch versorgt werden. Es ist nicht bewiesen, liegt aber nahe, dass die Frau auch wegen der Protest-Aktion der Klimaschützer sterben musste.

Aktivisten der „Letzten Generation“ haben sich in Berlin auf der Straße festgeklebt. Solche Aktionen können für Unbeteiligte lebensgefährlich werden. (Foto: Stefan Müller/Climate Stuff/CC BY 2.0 via Wikimedia Commons)

Dass ein solcher Fall irgendwann eintreten würde, war zu befürchten. Experten sehen radikale Klimaschützer längst auf dem Weg, eine neue Terror-Organisation wie die RAF zu werden. Dass den Aktivisten, die sich auf Fahrbahnen oder an Kunstwerke kleben, Menschenleben wenig bedeuten, zeigen die Reaktionen auf den Tod der 44-jährigen Berlinerin. Zwar gibt sich die „Letzte Generation“ bestürzt. Zugleich kritisiert sie aber eine „Welle der Vorwürfe, Unwahrheiten und Hetze“ in den Medien. Das wahre Opfer also seien die Aktivisten, deren „demokratischer Protest“ delegitimiert werden solle. Einsicht sieht anders aus!

Hochgradig gefährlich

Wie man zum Klimaschutz steht, ist hier unerheblich. Ob man ihn zur Rettung einer womöglich durch Hitze, Dürre und steigenden Meeresspiegel bedrohten Welt für nötig hält – oder darin blanken ideologischen Unsinn erkennt. Wer Leben aufs Spiel setzt, um seine politischen Ziele zu erreichen, ist kein Demokrat, der seine grundgesetzlich verbrieften Rechte wahrnimmt. Nein, so jemand ist hochgradig gefährlich. Ein Krimineller, der über Leichen geht. Er muss mit allen Mitteln des Rechtsstaats bekämpft werden. Die Zeit der Kuschelei mit den radikalen Klimaschützern muss ein Ende haben.

Ein Notarzt löst die Handfläche eines am Asphalt festgeklebten Aktivisten der „Letzten Generation“. (Foto: Felix Müller/CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

Der Unmut in der Politik scheint nach dem Tod der Radfahrerin groß. Die Aktionen der Klimaschützer stießen nicht auf seinen Beifall, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz. Dass sich im politischen Umgang mit der „Letzten Generation“ und ihren stillschweigenden Unterstützern bei den „Fridays for Future“ aber tatsächlich etwas ändert, ist unwahrscheinlich. Ein Machtwort des Kanzlers wie zuletzt bei der Frage nach einer möglichen Laufzeit-Verlängerung der verbliebenen deutschen Atomkraftwerke ist nicht zu erwarten. Zu sehr muss Scholz Rücksicht auf seinen grünen Koalitionspartner nehmen. Und der, so ist zu befürchten, billigt vielleicht nicht die Methoden der „Letzten Generation“. Aber doch zumindest deren Ziele.

Anna Steinkamp

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Unterstützt Deutschland Al-Qaida-Ableger?

Nachdem die islamistische Miliz „Haiʾat Tahrir asch-Scham“ (HTS) die Kontrolle über die vor allem von Kurden besiedelte syrische Region Afrin übernommen hat, richtet die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) einen dringenden Appell an den Bundestag. Das Parlament müsse die Bundesregierung per Beschluss zwingen, ihre Unterstützung für islamistische Gruppen, die von der Türkei kontrolliert werden, zu überprüfen. Die HTS ist der inoffizielle Nachfolger der dschihadistischen Al-Nusra-Front. Damit ist das „Komitee zur Befreiung der Levante“ nichts anderes als der syrische Ableger des Terrornetzwerks Al-Qaida.

Die Flagge der Dschihadisten-Miliz HTS zeigt das islamische Glaubensbekenntnis. (Foto: gemeinfrei)

„Die von der deutschen Bundesregierung als gemäßigt eingestuften islamistischen Gruppen, die vorher die Kontrolle hatten, haben keinen Widerstand geleistet“, betont Kamal Sido, Nahostexperte der GfbV. „Einige haben der HTS sogar Gefolgschaft geschworen. Im Kampf gegen den sogenannten ‚Islamischen Staat‘ haben kurdische und andere Gruppen die Hauptlast getragen“, erinnert Sido. Die protürkischen islamistischen Gruppen seien nur daran interessiert, sich auf Kosten der lokalen Bevölkerung zu bereichern oder diese zu vertreiben. Ideologisch unterscheiden sie sich kaum vom „Islamischen Staat“.

Unter Erdoğans Kontrolle

Die deutsche Bundesregierung, insbesondere das Auswärtige Amt, unterstützt seit Jahren die sogenannte „Nationalkoalition syrischer Revolutions- und Oppositionskräfte“. Sie gilt als politischer Arm der islamistischen Milizen und stehe schon lange unter der vollständigen Kontrolle Recep Tayyip Erdoğans. „In Afrin sowie in anderen von der Türkei besetzten Gebieten Nordsyriens morden, vergewaltigen und terrorisieren diese Milizen die kurdische, assyrisch/aramäische, armenische, christliche, jesidische und alewitische Bevölkerung. Vor allem Frauen leiden unter den islamistischen Besatzern“, berichtet Sido.

„Erdogans Behauptungen, die Milizen würden in den von der Türkei besetzten Gebieten Nordsyriens für ‚Schutz und Sicherheit‘ sorgen, sind nur leeres Gerede. Für die Zivilbevölkerung kommen diese Gebiete tatsächlich einer Hölle gleich.“ Die deutsche Politik, kritisiert der GfbV-Experte, habe regelrecht Angst vor Erdogan. „Solange sie vor ihm einknickt, kann sie nicht von wertegeleiteter Außenpolitik sprechen. Sie schadet dem Ansehen Deutschlands weltweit“, meint Sido.

Kämpfer der Al-Nusra-Front in der syrischen Stadt Idlib 2015. Al-Nusra war einst der offizielle Al-Qaida-Ableger in Syrien. Seit 2017 bildet die umbenannte Front den Kern der HTS-Miliz. (Foto: Halab Today TV/CC BY 3.0 via Wikimedia Commons)
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Israel: Journalistin wohl durch Armee getötet

Der Tod der palästinensisch-amerikanischen Journalistin Shireen Abu Akleh bei einem israelischen Militäreinsatz im Westjordanland hat im Mai für Schlagzeilen gesorgt. Jetzt bestätigte eine interne Untersuchung der Armee, was Palästinenser von Anfang an vermutet hatten: Die Kugel, die Abu Akleh bei der Razzia in Dschenin in den Kopf traf, wurde „sehr wahrscheinlich“ von einem israelischen Soldaten abgefeuert. Der Tod der 41-Jährigen wirft ein Schlaglicht auf die Situa­tion der Pressefreiheit in den Palästinensergebieten.

Bei der Beerdigung von Shireen Abu Akleh kam es zu Tumulten und Zusammenstößen mit israelischen Sicherheitskräften. (Foto: Osps7/CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

Ihre Trauer­feier geriet zum Politikum: Behelmte Uniformierte drängten den Trauerzug zurück, Sicherheitskräfte traten und schlugen Trauergäste und Sargträger, darunter Angehörige der Toten. Der Sarg drohte umzukippen. Die Trauergemeinde rief „Shireen, unsere Märtyrerin“ und „Zusammen für Shireen  – Muslime und Christen“. Abu Akleh war palästinensische Christin und arbeitete rund 25 Jahre lang für den arabischen Fernsehsender Al-Jazeera.

Sie habe aus „ihrer Palästinenserfreundlichkeit keinen Hehl“ gemacht, beschreibt Jacques Ungar vom jüdischen Internetportal
Tachles.ch die 51-jährige Reporterin mit US-Staatsangehörigkeit. Trotzdem habe sie „als objektiv und fachkundig“ gegolten. Ihre Kollegin Dalia Hatuqa lobt: Sie „wollte die Geschichten machen, die kein anderer anpacken wollte“, und habe Menschen zu Wort kommen lassen, „von denen wir sonst nichts wüssten“. 

Im israelischen Sperrfeuer

In einem Youtube-Video sagt Hatuqa über Abu Akleh: „Wie die restlichen palästinensischen Journalisten war sie ein Ziel.“ Tatsächlich werden Journalisten in den Palästinensergebieten nicht selten an der Arbeit gehindert. Manche werden verletzt oder gar getötet. Während der Zweiten Intifada 2002 starb der italienische Fotograf Raffaele Ciriello im israelischen Sperrfeuer, als er in Ramallah eine Razzia der Armee dokumentierte.

Shireen Abu Akleh im Einsatz für den arabischen Fernsehsender Al-Jazeera – am Vorabend ihres Todes. (Foto: Al Jazeera Media Network/CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

Beim palästinensischen „Marsch der Rückkehr“ 2018 im Gaza-Streifen war das israelische Militär für den Tod von zwei palästinensischen Journalisten verantwortlich. „Kumi Now“, eine Initiative des christlichen Zentrums Sabeel, bezeichnete den Tod von Yasser Murtaja und Ahmed Abu Hassan als „das schwerwiegendste und eindeutigste Zeichen für den Umgang israelischer Besatzungsstreitkräfte mit Journalisten und Medien in Palästina“. 

Schwere Einschränkungen

Auf der Rangliste der Pressefreiheit der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ liegt Palästina auf Platz 170 von 180 – nicht nur, aber auch wegen der israelischen Besatzungspolitik. Journalisten unterliegen dort demnach „teils schweren Einschränkungen“. Die Armee schieße auf Demonstranten und verletze dabei auch Journalisten. Auch bei Luftangriffen kämen Reporter um. „Verhaftungen, Verhöre und Administrativhaft durch Israel“ seien an der Tagesordnung. 

In die Berichterstattung zu Abu Aklehs Tod mischten sich von Beginn an einseitige Schuldzuweisungen, Vorurteile und „Fake News“. Aus israelischen Regierungskreisen verlautete zunächst, die Kugel entstamme möglicherweise einem palästinensischen Gewehr. Die Menschenrechtsorganisation B’Tselem untersuchte die Standorte der israelischen Soldaten und militanter Palästinenser zum Zeitpunkt der Schüsse und kam zu dem Schluss, dass die dokumentierten Schüsse von Palästinensern „wohl nicht die waren“, die die Journalistin töteten.

Ein israelischer Soldat beobachtet einen Protest von Palästinensern. (Foto: Zang)

Die Armee schließt sich dieser Analyse nun offenbar an: „Es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Schüsse aus der Waffe eines Soldaten abgegeben wurden“, zitiert tagesschau.de einen ranghohen Vertreter des Militärs. Abu Akleh sei aber nicht als Journalistin identifiziert worden. Es bestehe auch weiterhin die Möglichkeit, dass die Schüsse von bewaffneten Palästinensern abgegeben wurden. Strafrechtliche Ermittlungen wird es jedenfalls nicht geben: „Es gibt keinen Verdacht auf eine Straftat“, hieß es vom israelischen Generalstaatsanwalt.

„Gewaltsame Besatzung“

Ori Givati von der Veteranen-Organisation „Breaking the Silence“ erklärt, dass „unschuldige Palästinenser oft durch Gewehrfeuer“ ums Leben kommen. „Egal, aus welcher Waffe die tödliche Kugel stammte: Israel ist für eine gewaltsame Besatzung und die täglichen Invasionen in palästinensische Städte und Dörfer verantwortlich, die naturgemäß zur Tötung Unschuldiger führen.“ Dies sei genau jene Realität, „die aufzudecken Shireen ihr Leben gewidmet hatte“ – eine Herzensaufgabe, bei deren Ausübung sie ums Leben kam.

Johannes Zang

Der Autor ist freier Journalist und Reiseführer für Israel und Palästina. Aktuell sind von ihm die Bücher „Erlebnisse im Heiligen Land“ und „Begegnungen mit Christen im Heiligen Land“ erhältlich.

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Im Blickpunkt

Gewalt meist gegen christliche Kirchen

Glaubt man der medialen Berichterstattung über Gewalt gegen religiöse Einrichtungen, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Christen davon praktisch nicht betroffen sind. Stattdessen scheint es, als ob solche Straftaten fast ausschließlich Juden und Muslime und ihre Gotteshäuser und Gebetsstätten treffen. Das Gegenteil ist der Fall, zeigt eine aktuelle Polizei-Statistik aus der Bundeshauptstadt.

Rund 1500 Straftaten sind demnach seit 2006 in Berlin auf religiöse Einrichtungen verübt worden. Das bedeutet: Allein in der Hauptstadt wird jeden vierten Tag eine Gebetsstätte angegriffen, nahezu zweimal pro Woche also. Mit großer Mehrheit handelt es sich bei den erfassten Delikten um Sachbeschädigung – etwa Schmierereien an Fassaden. Erfasst wurden aber auch Fälle von Brandstiftung, Volksverhetzung und Störung der Religionsausübung. Das geht aus einer Antwort des Berliner Senats auf eine parlamentarische Anfrage des AfD-Abgeordneten Tommy Tabor hervor.

Nur selten Angriffe auf Muslime oder Juden

Wer nun glaubt, christliche Ziele seien nur in den seltensten Fällen attackiert worden, den belehren die Zahlen aus Berlin eines Besseren: Von 1495 erfassten Angriffen galten 1392 Kirchen und anderen christlichen Einrichtungen – über 90 Prozent. Attacken auf muslimische und jüdische Gebetsorte fanden dagegen nur selten statt: nämlich 64 Mal auf islamische und 39 Mal auf jüdische Gemeinden.

Ein verbranntes Kreuz in einer Kirche in Nicaragua nach einem Brandanschlag. Auch in Deutschland kommt es zu Brandstiftung an religiösen Stätten. (Foto: Kirche in Not)

In Berlin gibt es nach Angaben des Evangelischen Pressedienstes 328 christliche Kirchen und elf Synagogen. Die Zahl der Gebetsräume muslimischer Gemeinschaften schätzt man auf rund 100. Selbst wenn man die Zahl der Angriffe in Relation zur Zahl der Gotteshäuser setzt, bleibt nicht zu bestreiten, dass Kirchen weitaus häufiger angegriffen werden als Moscheen oder Synagogen und christliche Gläubige häufiger an der Ausübung ihrer Religion gehindert werden als Muslime oder Juden – und das in der deutschen Hauptstadt.

Passen christliche Opfer nicht ins Narrativ?

Warum spielen Angriffe auf Christen und christliche Einrichtungen sowohl im Inland wie auch im Ausland in der Berichterstattung der großen Medien dann aber eine dermaßen untergeordnete Rolle? Passen Berichte über christliche Opfer nicht ins mediale Narrativ? Oder liegt es daran, dass laut der Berliner Polizei-Statistik nur 83 der 756 seit 2012 registrierten Straftaten gegen christliche Orte politisch motiviert gewesen seien (etwa die Hälfte von „rechts“)? Als politisch motiviert gelten auch 36 Angriffe auf jüdische und zehn auf muslimische Einrichtungen.

Nicht nur die große Mehrzahl aller Delikte, sondern auch die überwiegende Zahl der politisch motivierten Angriffe trifft also Christen. In Relation zur Zahl der Gebetsstätten stellen nun aber die Juden die weitaus größte Opfergruppe – allerdings auch nur deshalb, weil die Berliner Polizei Angriffe auf christliche Einrichtungen meist nicht als politisch motiviert einstuft. Wie fundiert diese Einschätzung ist, geht aus der Statistik nämlich nicht hervor.

Thomas Wolf

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Winnetou – jetzt erst recht!

Eigentlich war es nur eine Frage der Zeit, bis sich die „Cancel Culture“ auf der Deutschen liebsten Indianer einschießen würde: auf Winnetou. Was lange zu befürchten war, ist jetzt eingetreten: Der renommierte Buch- und Spiele-Verlag Ravensburger nimmt zwei Bücher zum aktuellen Kinofilm „Der junge Häuptling Winnetou“ aus dem Programm.

Vor einer kleinen, lautstarken Minderheit eingeknickt

Auf Instagram heißt es vom Verlag, man habe „die vielen negativen Rückmeldungen“ zu den Büchern verfolgt und entschieden, die Auslieferung der Titel zu stoppen. Auf gut Deutsch: Man ist vor dem Protest einer zwar kleinen, aber lautstarken Minderheit eingeknickt.

„Wir danken Euch für Eure Kritik“, liest man bei Instagram weiter. „Euer Feedback hat uns deutlich gezeigt, dass wir mit den Winnetou-Titeln die Gefühle anderer verletzt haben. Das war nie unsere Absicht und das ist auch nicht mit unseren Ravensburger Werten zu vereinbaren. Wir entschuldigen uns dafür ausdrücklich.“ Tiefer könnte der Kniefall vor dem virtuellen Mob kaum sein.

Ist Winnetou – hier ein Bild von den Karl-May-Festspielen in Bad Segeberg – rassistisch? Der Ravensburger-Verlag jedenfalls hat zwei Winnetou-Bücher zurückgezogen, weil sie angeblich „die Gefühle anderer verletzt“ haben. (Foto: Hinnerk11/CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

Auf der Verlagsseite sind die Produkte nicht mehr zu finden. Beim Internethändler Amazon sind das Buch zum Film und die Ausgabe für Erstleser zwar noch gelistet – noch dazu als „Bestseller“ gekennzeichnet –, aber nicht mehr erhältlich. Bei buecher.de ist immerhin das Erstlesebuch aktuell noch bestellbar. Welche Veröffentlichungen ein großer Verlag tätigt, entscheiden in Deutschland mittlerweile also nicht mehr Marktanalysen. Es entscheidet der Pöbel. Unfassbar!

Winnetou: Ein gutes Stück deutsches Kulturgut

Wer die Winnetou-Geschichten für rassistisch hält, der hat sie entweder nicht gelesen oder nicht verstanden – oder er will sie bewusst falsch verstehen. Vielleicht geht es dem „politisch korrekten“ Internet-Mob aber auch um etwas ganz anderes: Winnetou ist ein gutes Stück deutsches Kulturgut – soll es womöglich unter dem Vorwand des Kampfes gegen (vermeintlichen!) Rassismus selbst „gecancelt“, also vernichtet werden?

Generationen von deutschsprachigen Lesern haben über Karl Mays Romane vom tapferen Apachen-Häuptling und seinen Freunden die Kultur und Lebensweise der amerikanischen Ureinwohner nicht nur kennen-, sondern auch schätzen gelernt. Erfolgreicher als durch Karl Mays Bücher und die darauf basierenden Bühnenadaptionen, Filme oder Hörspiele lassen sich Vorurteile kaum abbauen.

Winnetou-Erfinder Karl May (links) mit seinem Illustrator Sascha Schneider im Jahr 1904. (Foto: Karl-May-Gesellschaft/gemeinfrei)

Über alle politischen Systeme hinweg diente Winnetou der Vermittlung eines positiven Indianerbildes: Ob im Kaiserreich, der Weimarer Republik oder im Nationalsozialismus – stets standen die Leser auf Seiten der Indianer und verfolgten gebannt ihren Kampf um ihre angestammten Rechte und gegen die Unterdrückung durch die eindringenden „Bleichgesichter“. Auch in der DDR, die ihre eigenen Indianer-Geschichten hofierte und ideologische Vorbehalte gegenüber May hegte, blieb Winnetou letztlich siegreich.

Ausgerechnet in der Bundesrepublik des Jahres 2022 landet der edle Häuptling nun auf dem „Index“ der politischen Korrektheit – allen Normen des Grundgesetzes, die derlei Verbotskultur doch gerade verhindern sollten, zum Trotz. Ich jedenfalls greife nun erst recht wieder zum Winnetou-Buch oder lege eine alte DVD ein und genieße die Abenteuer von Pierre Brice und Lex Barker. Bei mir werden der Apache und sein weißer Blutsbruder Old Shatterhand garantiert nicht „gecancelt“.

Thomas Wolf

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Im Blickpunkt

Wer steckt hinter dem Dugina-Anschlag?

Moskau steht unter Schock. Zwei Tage, nachdem die regierungsnahe russische Journalistin Darja Dugina bei einem Autobombenanschlag ums Leben kam, rätseln Ermittler und Beobachter, wer die Drahtzieher hinter dem Attentat sein könnten und was mit der Bluttat bezweckt wurde. Kreml-nahe Kreise machen Kiew für den abendlichen Anschlag verantwortlich, während andere Stimmen sogar westliche Geheimdienste hinter dem Terrorakt nicht ausschließen. Als ausführende Täterin präsentierten russische Behörden heute eine ukrainische Staatsbürgerin.

Ein Vorwand, um Staat und Gesellschaft zu säubern?

Westliche Medien berichten indes recht hilflos über den Bombenmord an der 29-jährigen Journalistin – dem gängigen Narrativ zufolge gehen Gewalt und Terror gegen Andersdenkende vom Kreml aus und treffen gerade nicht die Sympathisanten des „Systems Putin“. Um die junge Frau, die im Ukraine-Krieg klar zu den Unterstützern des Kreml-Kurses gehört, doch zu einem möglichen Putin-Opfer zu stilisieren, bemühen Kreml-Kritiker die Behauptung, der Bombenanschlag sei das Werk russischer Sicherheitskräfte, die damit einen Vorwand schaffen wollten, um Staat und Gesellschaft von vermeintlichen Verrätern zu säubern.

Darja Dugina, die Tochter des umstrittenen Philosophen und Politologen Alexander Dugin, wurde nur 29 Jahre alt. (Foto: 1RNK/CC BY 3.0 via Wikimedia Commons)

Dugina ist die Tochter des Vordenkers der geopolitischen Ideologie des Neo-Eurasismus, Alexander Dugin. Im Westen gilt der 60-jährige Politologe, Philosoph und Publizist, der manchen mit seinem wallenden Bart an den Wanderprediger und Zaren-Berater Rasputin erinnert, wahlweise als Faschist oder Ultranationalist und fast immer als Putin-Einflüsterer. Sein Einfluss auf den politischen Kurs des russischen Präsidenten soll nach neueren Medienberichten geringer sein, als bislang meist dargestellt. Der Anschlag auf Tochter Darja, mutmaßen Anhänger, könnte auch Dugin selbst gegolten haben.

Ist der Ex-Abgeordnete verantwortlich für den Anschlag?

Einer, der sich quasi selbst als Verantwortlicher für den Anschlag ins Spiel gebracht hat, ist Ilja Ponomarjow. Der 47-Jährige, den das Internetlexikon Wikipedia als IT-Unternehmer und Blogger vorstellt, war bis 2016 Abgeordneter des russischen Parlaments, der Staatsduma. Zunächst Kommunist, gehörte er später der sozialdemokratischen Partei „Gerechtes Russland“ an, die ihn ausschloss, als er 2014 als einziger Parlamentsabgeordneter gegen den Beitritt der Krim zur Russischen Föderation stimmte.

Nachdem die Staatsanwaltschaft Ermittlungen wegen Unterschlagung gegen Ponomarjow aufgenommen hatte, entzog die Duma ihm seine Abgeordnetenimmunität. Ponomarjow sprach stets von politisch motivierten Vorwürfen. Nach den Anschuldigungen kehrte er von einer Auslandsreise nicht zurück und ließ sich in Kiew nieder. Er nahm die ukrainische Staatsbürgerschaft an und trat nach der russischen Invasion als Freiwilliger der Territorialverteidigung der Ukraine bei.

„Neue Seite des Widerstands gegen den Putinismus“

Jetzt hat er sich mit einer Videobotschaft zum Bombenattentat auf Darja Dugina zu Wort gemeldet. „Dieser Anschlag schlägt eine neue Seite des russischen Widerstands gegen den Putinismus auf“, sagt Ponomarjow und ruft die Russen zum Kampf gegen den Präsidenten und seiner Regierung auf. Eine „Nationale Republikanische Armee“, deren Manifest der einstige Abgeordnete der Duma verbreitet, hat Ponomarjows Video zufolge den Sprengstoffanschlag verübt.

Eine Gruppierung dieses Namens ist zwar bislang nicht in Erscheinung getreten – ein Beweis dafür, dass Ponomarjow lügt, ist das aber nicht. Vielleicht war die Sprengung der ferngezündeten Bombe am Abend des 20. August 2022 der erste Anschlag der Partisanenbewegung – und Darja Dugina ihr erstes Opfer. Sie könnte nicht das letzte bleiben. Das jedenfalls kündigt Ponomarjow an.

Thomas Wolf

Ilja Ponomarjow bei einer Protestaktion 2013. Steckt der Putin-Gegner, der heute in der Ukraine lebt, hinter dem Bombenanschlag auf Darja Dugina? (Foto: putnik/CC BY 3.0 via Wikimedia Commons)
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Feldzug gegen die Religionsfreiheit

Die Religions- und Weltanschauungsfreiheit gehört zu den Menschenrechten, die in der Charta der Vereinten Nationen und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verankert sind. Anlässlich des heutigen UN-Gedenktags für die Opfer religiöser Gewalt erinnern Hilfswerke wie „Kirche in Not“ und die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) daran, dass die freie Religionsausübung in vielen Weltgegenden unmöglich ist. Oft, aber nicht immer sind es islamisch geprägte Staaten, die das Menschenrecht systematisch brechen.

Christen in Burkina Faso beim Gebet. Viele Gläubige in Afrika können ihre Religion nur im Verborgenen leben. (Foto: Kirche in Not)

„Die Gewalt gegen Gläubige ist weltweit auf dem Vormarsch. Täter werden nicht verfolgt und die Opfer werden von den Staaten nicht geschützt. Zum Teil sind die Opfer von glaubensbedingter und antireligiöser Verfolgung systematischer staatlicher und juristischer Unterdrückung ausgesetzt“, kritisiert Martin Lessenthin, Vorstandssprecher der IGFM in Frankfurt. In totalitär regierten Staaten wie China oder Nordkorea werden Gläubige, die sich einer staatlichen Anleitung und Registrierung widersetzen, nach Ansicht der IGFM als Gefahr für die Machthaber angesehen und mit juristischen, geheimdienstlichen, polizeilichen und erzieherischen Maßnahmen drangsaliert.

„Christen leben praktisch in Ghettos“

Bei „Kirche in Not“ sorgt man sich aktuell insbesondere um die Christen in der afrikanischen Sahelzone, erklärte Thomas Heine-Geldern, Geschäftsführender Präsident des katholischen Hilfswerks. „Man muss nicht ermordet werden, um Opfer religiöser Gewalt zu sein. Es reicht schon, wenn Grundrechte eingeschränkt werden. Christen in Mali, Niger, Nigeria und Burkina Faso, um nur einige Länder zu nennen, leben praktisch in Ghettos oder üben ihren Glauben im Verborgenen aus.“

Das Hilfswerk, das nach eigenen Angaben in 140 Ländern bedrängten und notleidenden Christen beisteht, stellt auch in anderen Weltregionen eine zunehmende Verfolgung und Diskriminierung fest. Diese reicht von blutiger Feindseligkeit bis hin zur Diskriminierung von Christen und ihren Überzeugungen. „Kirche in Not“ weist in diesem Zusammenhang auf mehrere „besorgniserregende Entwicklungen“ hin.

Thomas Heine-Geldern ist Geschäftsführender Präsident des katholischen Hilfswerks „Kirche in Not“. (Foto: Kirche in Not)

So bleibe eine internationale Reaktion auf den dschihadistischen Terror in Afrika weitestgehend aus. Trotz des rasanten Anwachsens militanter Islamistengruppen in den Ländern südlich der Sahara würden die Betroffenen religiös motivierter Gewalt in Afrika allzu oft vergessen, kritisiert das Hilfswerk. In Burkina Faso etwa im Südosten des Schwarzen Kontinents befinden sich demnach rund 80 Prozent des Landes in der Hand radikaler Islamisten. Dies habe „verheerende Folgen“ für das Wachstum und die Entwicklung. Nigeria, das bevölkerungsreichste Land Afrikas, erlebe derzeit sogar eine Gewaltspirale nie dagewesenen Ausmaßes.

Zwangsverheiratung und Zwangskonversion

Viele der Betroffenen religiöser Gewalt, stellt „Kirche in Not“ fest, müssen aus ihrer Heimat fliehen. Allein in den afrikanischen Staaten, in denen schwere religiöse Verfolgung herrscht, beträgt die Zahl der Vertriebenen nach Angaben des Hilfswerks mehr als 15 Millionen. Bei der Schätzung stützt sich die Organisation auf die Angaben lokaler Projektpartner und die Angaben internationaler Beobachter, etwa das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen. Immer häufiger gehe die Gewalt gegen religiöse Minderheiten mit sexueller Gewalt einher. In Ländern wie Pakistan, Ägypten und Nigeria bedeutet dies: Zwangsverheiratung und -konversion sowie sexuelle Ausbeutung.

Einen alarmierenden Anstieg von religionsfeindlichen Angriffen stellt „Kirche in Not“ aber nicht nur in islamisch geprägten Ländern fest – sondern auch in Lateinamerika: Besonders schlimm sei das Lage aktuell in Nicaragua, wo die katholische Kirche in den vergangenen vier Jahren über 190 Anschläge und gewaltsame Attacken erlitten habe. „Dort geht die Aggression gegen die Kirche und ihre Gläubigen von höchster politischer Stelle aus“, heißt es von dem Hilfswerk. In Ländern wie Mexiko, Kolumbien, Argentinien und Chile versuchten extremistische Gruppierungen, die freie Meinungsäußerung von Glaubensgemeinschaften einzuschränken und Kirchenvertreter zum Schweigen zu bringen.

Europa will Religionen zum Schweigen bringen

Eine Gefahr für die Religionsfreiheit sieht „Kirche in Not“ auch im Erstarken aggressiver säkularer Ideologien in Europa. Hier stoße man auf Versuche, traditionelle religiöse Ansichten zu kriminalisieren – etwa beim Lebensschutz oder beim christlichen Menschen- und Familienbild. Papst Franziskus habe dies 2016 in einer Predigt zugespitzt als „höfliche Verfolgung“ beschrieben. Er verstehe darunter den Versuch, Religionen „zum Schweigen zu bringen und auf die Verborgenheit des Gewissens jedes Einzelnen zu beschränken oder sie ins Randdasein des geschlossenen, eingefriedeten Raums der Kirchen, Synagogen oder Moscheen zu verbannen“.

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Neue Eskalation im Kaukasus?

Die seit rund zwei Jahren geltende Waffenruhe zwischen Aserbaidschan und Armenien im Konflikt um Bergkarabach wird offenbar zusehends brüchig. Die Konfliktparteien bestätigten neue Kämpfe in der zwischen beiden Seiten umstrittenen Region. Mehrere Armenier und mindestens ein Soldat aus Aserbaidschan seien ums Leben gekommen, heißt es.

Große Mehrheit der Bevölkerung ist orthodox

Der Konflikt um Bergkarabach ist alt: Seit mindestens einem Jahrhundert streiten christliche Armenier und muslimische Aserbaidschaner um die rund 3000 Quadratkilometer im Südosten des Kleinen Kaukasus. Aserbaidschan kann dabei auf das Völkerrecht verweisen: Bergkarabach gehört zum international anerkannten Staatsgebiet Aserbaidschans. Armenien dagegen hat die Bevölkerung auf seiner Seite: Mit großer Mehrheit ist die Region von orthodoxen Armeniern besiedelt.

Zu Sowjet-Zeiten war Bergkarabach Aserbaidschan zugeschlagen worden: Seit 1923 bildete es ein autonomes Gebiet innerhalb der muslimischen Republik. Als die Sowjetunion zerfiel, erklärte Bergkarabach 1991 sei­ne Unabhängigkeit. Der Bürgerkrieg, den die Unab­hängigkeitsbestrebungen mit sich brachten, endete 1994 mit einem Waffenstillstand. Bergkarabach verblieb dadurch zwar formell bei Aserbaidschan, war dank armeni­scher Militärhilfe aber faktisch selbstständig. Seit 2017 nennt das Land sich nach einer antiken Region offiziell „Republik Arzach“.

Zerstörungen nach einem aserbaidschanischen Angriff auf Stepanakert, die Hauptstadt der international nicht anerkannten Republik Arzach. (Foto: Yan Boechat/VOA)

2020 brach der jahrzehntealte Konflikt wieder auf: Nach ersten Gefechten ab Juli eskalierte die Lage im September vollends. Aserbaidschanische Truppen starteten eine großangelegte Offensive und konnten weite Teile des umstrittenen Territoriums unter ihre Kontrolle bringen. Rund 7000 armenische und aserbaidschanische Soldaten starben. Nach armenischen Angaben mussten rund 90.000 Zivilisten aus ihrer Heimat fliehen.

Russische Friedenstruppen

Ein unter russischer Vermittlung zustande gekommenes Abkommen beendete die Kampfhandlungen im November 2020 und regelte den Abzug des armenischen Militärs, das die „Republik Arzach“ gestützt hatte. Friedenstruppen der Russischen Föderation überwachen seither die Waffenruhe, die durch die neuen Feindseligkeiten nun wieder in Frage gestellt ist.

Frühzeitig hatte die Türkei Partei für ihre islamischen Glaubensgenossen ergriffen, die als Turkvolk den Türken traditionell nahestehen. Bereits 2016, als der Konflikt schon einmal kurz vor der Ausweitung zum Krieg stand, erklärte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan: „Wir werden Aserbaidschan bis zum Ende unterstützen.“ In dem Waffengang 2020 tat er dies tatsächlich – vor allem diplomatisch, indirekt aber auch militärisch.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan (links) mit Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew. Die beiden turksprachigen Länder sind traditionell eng verbunden. (Foto: President.az/CC BY 4.0 via Wikimedia Commons)

Von der Türkei angeworbene Söldner kamen auf Seiten der aserbaidschanischen Armee zum Einsatz. Rund 4000 Islamisten seien aus dem türkisch besetzten Afrin im Norden Syriens in die aserbaidschanische Hauptstadt Baku gebracht worden, um dann „in vorderster Linie an der armenisch-aserbaidschanischen Grenze“ eingesetzt zu werden, wurde damals vermeldet. Etwa 500 von ihnen bezahlten den Kriegseintritt mit dem Leben.

Die Söldner entstammten radikalen sunnitischen Gruppen, die zwar überwiegend der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) feindlich gegenüberstanden, sich in ihrer Auslegung des Korans aber nicht selten gar nicht so sehr vom IS unterschieden. Sogar von einem „heiligen Krieg gegen die Christen“ in Bergkarabach war die Rede. Die Islamisten sahen es offenbar als ihre Aufgabe an, in den Kaukasusdörfern die Scharia, das islamische Recht, durchzusetzen – ein Verhalten, das bereits aus kurdischen Dörfern im Norden Syriens bekannt war.

Thomas Wolf

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Terrorangriffe auf Nigerias Hauptstadt

In der nigerianischen Hauptstadt Abuja haben in den vergangenen Tagen islamistische Milizen öffentliche und militärische Einrichtungen angegriffen. Das berichtet das katholische Hilfswerk „Kirche in Not“ unter Berufung auf den katholischen Erzbischof von Abuja, Ignatius Kaigama. 

Kaigama nannte drei Übergriffe innerhalb einer Woche: Kämpfer seien in ein Gefängnis in der Nähe des Hauptstadt-Flughafens eingedrungen und hätten dabei mehrere Führer der Terrorsekte Boko Haram befreit. Bei einer Attacke auf einen Militärstützpunkt am Rande Abujas seien mehrere Soldaten getötet worden. Auch die Garde, die für die Sicherheit des Regierungsviertels und des Präsidentenpalasts verantwortlich ist, sei während einer Patrouille überfallen worden, berichtet der Erzbischof. 

Ignatius Kaigama ist katholischer Erzbischof der nigerianischen Hauptstadt-Diözese Abuja. (Foto: Kirche in Not)

Die Situation wertet er als „sehr ernst“. Die Bevölkerung befinde sich in großer Aufregung: „Abuja ist die Hauptstadt, und die sollte der sicherste Ort eines Landes sein.“ In der Vergangenheit habe es zwar Bombenanschläge gegeben, aber diese Art der Angriffe seien neu, sagt der Erzbischof: „Wir wissen nicht, woher die Angreifer kommen oder was als nächstes passiert.“ 

Zusammenhang mit den Wahlen 2023?

Die Milizen gingen sehr koordiniert vor, die Angriffe seien geplant und kein Zufall gewesen. Kaigama vermutet einen Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen 2023, bei denen der bisherige Amtsinhaber Muhammdu Buhari nicht mehr antreten darf: „Die Menschen wollen Macht, und sie tun alles, was sie können.“

Die amtierenden Volksvertreter kritisiert der Erzbischof scharf: Sie hätten die Hauptstadt verlassen und sechs Wochen Parlamentsferien ausgerufen. „Man hätte erwarten können, dass die Politiker fieberhaft nach Lösungen für die aktuellen Probleme suchen würden. Aber sie sind unmittelbar nach den Attacken gegangen!“

Es bestehe jetzt die Gefahr, dass die Regierungspartei die Gewalt und die Instabilität in der Hauptstadt und anderen Regionen des Landes als Vorwand benutze, um die Wahlen auf unbestimmte Zeit zu verschieben, befürchtet Kaigama. Die Kirche rufe die Menschen auf, sich jetzt für die Wählerlisten registrieren zu lassen und das Land „über die Wahlurne zu verändern“.

„Es gibt keine Gleichbehandlung für Christen“

Angesprochen auf die Situation der Christen in Nigeria und Berichte über eine zunehmende Verfolgung antwortet der Erzbischof vorsichtig: „Wir können das nicht generalisieren, indem wir sagen, dass Christen verfolgt werden. Auch in der Regierungspartei sind Christen vertreten. Aber Verfolgung besteht nicht nur darin, Menschen zu töten, sondern auch die Dinge zugunsten einer bestimmten Gruppe zu manipulieren.“ 

Nigerias Präsident Muhammadu Buhari (rechts) begrüßt US-Außenminister Antony Blinken in Abuja. Bei der Präsidentenwahl im kommenden Jahr darf der Muslim Buhari nicht erneut antreten. (Foto: US Department of State/Ron Przysucha)

Es handle sich vielmehr um eine „subtile Verfolgung“: „Es gibt keine Gleichbehandlung. Das Verhältnis von Christen und Muslimen in Nigeria ist 50/50, also sollte es eine gleichmäßige Verteilung der Ressourcen und Chancen geben. Die Menschen sollten sich in sensiblen politischen, wirtschaftlichen oder sicherheitsrelevanten Fragen einbezogen fühlen.“

Auch die Entscheidung der Regierungspartei, für die Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr zwei muslimische Spitzenkandidaten aufzustellen, werfe Fragen auf, sagt Kaigama: „Sie konnten im ganzen Norden Nigerias keinen einzigen Christen finden, der für das Amt des Vizepräsidenten geeignet ist?“