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Warum „Regime von Kiew“?

Immer wieder spricht Wladimir Putin, sprechen die russischen Behörden vom „Kiewer Regime“ oder „Regime von Kiew“. So auch jüngst wieder, als Putin nach dem Sprengstoffanschlag auf die Krim-Brücke über die Straße von Kertsch eine härtere Gangart gegenüber der Ukraine ankündigte. „Regime“: Das klingt herabwürdigend – und soll wohl auch so klingen. In Kiew sitzt demnach eine Regierung mit fragwürdiger Legitimation. Zumindest für Russland. Verbirgt sich dahinter mehr als die propagandistische Rhetorik eines verfeindeten Landes?

Die Brücke über die Straße von Kertsch hat strategische Bedeutung für die Versorgung der Krim-Halbinsel. Ein Anschlag, der mutmaßlich vom ukrainischen Geheimdienst verübt wurde, beschädigte das Bauwerk vor einigen Tagen. (Foto: Rosavtodor.ru/CC BY 4.0 via Wikimedia Commons)

Zunächst eine Begriffsbestimmung: Regime kommt aus dem Französischen und bedeutet schlicht so viel wie „Regierungsform“. Das Wort ist in seinem Ursprung also nicht negativ konnotiert. In diesem Sinne gebraucht bis heute auch die Politikwissenschaft den Begriff. Wer dagegen landläufig von einem Regime spricht, meint damit in aller Regel eine irreguläre Herrschaft. So auch Putin. Für ihn sitzt in Kiew eine illegitime Regierung – eben ein „Regime“. Wie für die USA einst im Irak das „Saddam-Regime“ oder für die NATO-Staaten das „Milošević-Regime“ in Jugoslawien.

Für den Westen dagegen ist Wolodymyr Selenskyj der legitime, demokratisch gewählte Präsident der Ukraine. Was also veranlasst Wladimir Putin, Selenskyj die Legitimität abzusprechen? Will er seinen Kriegsgegner einfach nur diskreditieren? Ihn verbal auf eine Ebene mit dem früheren irakischen Diktator Saddam Hussein stellen? Oder ist das russische Gerede vom „Kiewer Regime“ die Fortsetzung des vom Kreml ausgegebenen Ziels der „Entnazifizierung“ der Ukraine mit anderen Mitteln?

Keine reine Propaganda

Bei genauerer Betrachtung ist das „Regime von Kiew“ keine reine Kreml-Propaganda. Oder anders gesagt: Der propagandistische Gebrauch des Ausdrucks „Regime“ für die ukrainische Regierung durch Moskau bedeutet nicht, dass derlei Titulatur jegliche Berechtigung fehlen würde. Die Spurensuche führt fast ein Jahrzehnt zurück: in die Jahre 2013 und 2014. Präsident der Ukraine war damals Wiktor Janukowytsch, der westlichen Medien als prorussisch galt, in mehrerlei Hinsicht aber für einen Ausgleich zwischen Ost und West stand.

Bei der Wahl des Staatsoberhaupts 2010 hatte sich Janukowytsch, der aus dem großteils russischsprachigen Osten der Ukraine stammt, gegen die vom Westen unterstützte Julija Tymoschenko durchgesetzt. Anders als unter seinem russlandkritischen Amtsvorgänger Wiktor Juschtschenko näherte sich die Ukraine unter Janukowytschs Ägide wieder dem Kreml an. Freilich ohne die guten Kontakte zum Westen aufzugeben. Die Ukraine, betonte Janukowytsch, wolle eine „Brücke zwischen Russland und der EU“ sein.

Unterzeichnung ausgesetzt

Im November 2013 setzte die ukrainische Regierung die Unterzeichnung eines geplanten Assoziierungsabkommens mit der Europäischen Union aus, das Janukowytsch stets unterstützt hatte. Die Verhandlungsführung der EU hatte den Ukrainern offenbar Grund zu der Annahme geliefert, sie müssten sich zwischen den beiden Wirtschaftspartnern EU und Russland entscheiden. Das aber wollte Janukowytsch nicht. Ihm schwebte eine neutrale Ukraine auf halbem Weg zwischen Brüssel und Moskau vor.

Die Proteste auf dem Maidan zogen Zigtausende an. Ziel war der Sturz der Regierung Janukowytsch. (Foto: Nessa Gnatoush/CC BY 2.0 via Wikimedia Commons)

Die prowestliche Opposition wiederum wertete die vorläufige Absage an das Assoziierungsabkommen als Absage an Europa und Rückkehr in die Arme des Kreml. In kurzer Zeit organisierten Tymoschenkos „Allukrainische Vereinigung Vaterland“, die Ukrainische demokratische Allianz für Reformen (UDAR) des Ex-Profiboxers Vitali Klitschko und die weit rechts stehende nationalistische Swoboda Massendemonstrationen auf dem zentralen Kiewer Maidan-Platz. Auch der Rechte Sektor, eine militante rechtsextreme Schlägertruppe, war prominent an den Protesten beteiligt.

Dollars für die Revolution

Zum zweiten Mal innerhalb von zehn Jahren richteten sich Massendemonstrationen gegen die gewählte Regierung der Ukraine. Bereits 2004 war der Maidan Schauplatz gewaltiger Proteste. Janukowytsch, bis dato Ministerpräsident der Ukraine, war offiziellen Angaben zufolge zum Präsidenten gewählt. Sein unterlegener Kontrahent Wiktor Juschtschenko akzeptierte seine Niederlage nicht und sprach von Wahlbetrug. Nach wochenlangen Protesten erklärte das Oberste Gericht die Wahl für ungültig und ordnete ihre Wiederholung an. Dabei erhielt Juschtschenko die meisten Stimmen. Aus den USA sollen mehr als 60 Millionen Dollar zur Unterstützung jener „Orangenen Revolution“ geflossen sein.

2004, bei der „Orangenen Revolution“, blieben die Proteste gegen die gewählte Regierung friedlich. Zehn Jahre eskalierte die Gewalt. (Foto: jf1234/CC BY-SA 2.0 via Wikimedia Commons)

Anders als zehn Jahre zuvor eskalierten die Proteste 2014. Gewalt durch Sicherheitskräfte und Demonstranten wechselte sich ab. Während etwa die Bundesregierung nach Einschätzung des Münchner Politologen Günther Auth anfangs noch um eine Vermittlung zwischen Janukowytsch und der Opposition bemüht war, ergriffen andere westliche Staaten klar Partei. „Neokonservative Regierungsnetzwerke der USA hatten im Verbund mit den Spitzen der NATO und den Regierungen Polens und Litauens schon lange vor Beginn der Proteste ukrainische Nationalisten zu einer militanten Opposition gegen die prorussische Regierung Janukowytsch aufgebaut“, ist Auth überzeugt.

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Im Blickpunkt

„Ich habe es satt, belogen zu werden“

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland hat ein Problem. Nicht erst seit dem Skandal um die zunächst nur zurückgetretene und dann fristlos entlassene Intendantin des Rundfunks Berlin-Brandenburg, Patricia Schlesinger, und den Vorwürfen gegen den Norddeutschen Rundfunk stehen die die Medienhäuser massiv in der Kritik. Bereits zuvor war die politische Neutralität in Frage gestellt, zu der der öffentlich-rechtliche Rundfunk eigentlich verpflichtet ist. Immer mehr Bundesbürger weigern sich, den Rundfunkbeitrag in Höhe von derzeit 18,36 Euro monatlich zu zahlen.

Patricia Schlesinger, Intendantin des RBB, trat zurück, nachdem Vorwürfe öffentlich wurden, sie habe Spesen zu Unrecht abgerechnet und Vergünstigungen angenommen. (Foto: Gregor Fischer/re:publica/CC BY-SA 2.0 via Wikimedia Commons)

Vor zwei Jahren ergab eine Umfrage unter Volontären der ARD, dass eine große Mehrheit von über 90 Prozent der Nachwuchs-Redakteure der Sendergemeinschaft Grüne, SPD oder Linkspartei wählen würde. Den Grünen stehen demnach allein schon sechs von zehn Volontären von WDR, SWR und Co. nahe. Über die festangestellten Redakteure sagt das zwar noch nichts aus – aber an einer ausgewogenen Berichterstattung lassen die Zahlen doch manchen zweifeln. Erst recht stellen ARD und ZDF nach Ansicht der Kritiker ihre Unabhängigkeit und die stets betonte „Staatsferne“ durch ihre inhaltliche Ausrichtung der vergangenen Jahre selbst immer wieder in Frage.

Konflikte blieben nahezu unerwähnt

Bereits im Rahmen der „Flüchtlingskrise“ ab Sommer 2015 fielen die öffentlich-rechtlichen Medien durch Beiträge auf, in denen meist die Not der Flüchtlinge und die Aufnahmebereitschaft der Deutschen betont wurden. Angela Merkels „Wir schaffen das“ fand nach Ansicht der Kritiker seine Fortsetzung in Tagesschau, Tagesthemen und Heute-Nachrichten. Die Probleme und Konflikte, die die Zuwanderung von mehr als einer Million Menschen aus einem fremden Kulturraum – die Mehrheit davon junge Männer – mit sich bringt, blieben nahezu unerwähnt.

Durch die Berichterstattung in der Corona-Krise sehen die Kritiker sich vollends bestätigt. In ihren Augen wandelte sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk während der Pandemie endgültig zum reinen Verlautbarungsorgan der Regierung. Kritik an den teils harschen Schutzmaßnahmen fand kaum statt. Obwohl mittlerweile immer mehr wissenschaftliche Studien den Nutzen von Maskenpflicht und Lockdowns in Frage stellen, die Zweifel an den neuartigen, zuvor noch nie am Menschen erprobten mRNA-Impfstoffen zunehmen und die Zahl der potenziellen schweren Impfschäden steigt, spielen die öffentlich-rechtlichen Medien dies noch immer herunter.

Während in anderen europäischen Ländern die Maskenpflicht längst Geschichte ist, muss in Deutschland etwa in Bus und Bahn weiter ein medizinischer Mund-Nasen-Schutz getragen werden. Zum 1. Oktober wird die Maskenpflicht sogar wieder verschärft. (Foto: Pixabay)

Ernst Hundsdorfer reicht es nun endgültig. Der Zahnarzt aus Mainburg in Niederbayern will seinen monatlichen Rundfunkbeitrag nicht länger bezahlen und begründet dies in einem Schreiben an den ARD ZDF Deutschlandradio Beitragsservice, das unserer Redaktion vorliegt. „Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat den sogenannten öffentlich-rechtlichen Programmauftrag zu erfüllen, der in den entsprechenden gesetzlichen Grundlagen verankert ist“, schreibt Hundsdorfer. „Danach müssen die Programme den Zuschauern und Zuhörern umfassend und ausgewogen Information, Bildung, Kultur und Unterhaltung anbieten. Dies ist nicht mehr der Fall.“

Hundsdorfer beklagt, er sei wegen seiner Ablehnung der Corona-Impfung diffamiert, beleidigt und ausgegrenzt worden. Die Medien hätten daran einen wesentlichen Anteil gehabt: Man habe die Öffentlichkeit in der Corona-Krise von Anfang an falsch informiert und belogen. Wissenschaftliche Forschungsarbeiten seien den Menschen vorenthalten worden. Einen Grund dafür vermutet Hundsdorfer in den staatlichen Corona-Hilfen für Zeitungsverlage und der Erhöhung des Rundfunkbeitrags. „Auf Grund dieser hohen finanziellen Zuwendungen an die Medien erscheinen mir die Berichterstattungen nicht mehr ausgewogen, sondern völlig einseitig.“

„Über 20 Menschen nach der Impfung verstorben“

„Es kränkt, als asozial dargestellt zu werden, wenn man diese Impfung gegen Corona ablehnt“, führt Hundsdorfer aus. „In unserem erweiterten Bekanntenkreis sind über 20 Menschen nach der Impfung verstorben, mittlerweile habe ich aufgehört zu zählen.“ Patienten, die er als Zahnarzt betreut, berichteten ihm von unerwarteten Todesfällen. „Genau wie diese Patienten glaube ich nicht an Zufälle. Zwei Altenpflegerinnen erzählten mir, dass auf ihrer Station neun von 35 pflegebedürftigen Personen wenige Tage nach der Impfung verstorben sind. Ähnliches berichtete eine Altenpflegerin von einem anderen Heim. Wen wundert es also, das sich in Pflegeheimen das Personal nicht impfen lassen will?“

Bekannte berichteten Ernst Hundsdorfer von einer Häufung von Klinikpatienten mit Schlaganfällen und Herzinfarkten. (Foto: Pxhere)

Eine Nachbarin seiner Schwester, die als Krankenschwester in einer Rehaklinik arbeitet, habe ihm erzählt, dass auf ihrer Station auf dem Höhepunkt der Impfkampagne „viel mehr Patienten als früher mit Schlaganfällen und Herzinfarkten“ lagen, berichtet Hundsdorfer. Ähnliches habe er von Mitarbeitern der Universitätsklinik Regensburg gehört. „In meiner Heimatstadt Mainburg starben 2021 elf Prozent mehr Menschen als 2020. Ab 2021 stand die Impfung zur Verfügung, man möchte doch meinen, dass mit Beginn der Impfung dadurch weniger Menschen sterben würden.“ Daten des Statistischen Bundesamtes legen für den Zahnmediziner nahe, dass seit Beginn der großflächigen Impfkampagne in Deutschland „auffällig viele Menschen mittleren Lebensalters gestorben sind“.

„Natürlich wird es Spätfolgen geben“

„Professor Robert Malone, Co-Autor bei den Pionierarbeiten der derzeitigen Impfstoffen, der diese Impfstoffe entscheidend mitentwickelt hat und der als Nobelpreiskandidat gehandelt wurde, warnt wiederholt eindringlich davor, diese Impfstoffe Menschen zu verabreichen. Er selbst würde keinesfalls seine Kinder und Enkelkinder damit impfen lassen. So wie dieser herausragende Wissenschaftler werden nun viele andere renommierte Wissenschaftler in den Medien diffamiert und ignoriert“, schreibt Hundsdorfer. Während Politiker und Gesundheitsexperten der Regierung Spätfolgen der mRNA-Impfung lange Zeit ausschlossen, war Hundsdorfer sich sicher: „Natürlich wird es Spätfolgen geben.“

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PR-Gag oder Demokratie? – Telegram lässt abstimmen

Telegram galt lange als so etwas wie das „Enfant terrible“ der Sozialen Medien im Internet: Während Facebook oder Twitter frühzeitig dazu übergingen, tatsächliche oder vermeintliche „Fake News“ zu Themen wie Corona, der Impfkampagne oder der Flüchtlingspolitik mit Warnhinweisen zu versehen, zu zensieren oder ihre Urheber zu sperren, wollte die von dem Russen Pawel Durin gegründete Plattform nicht zum Zensurstift greifen. Das ist Vergangenheit. Längst zensiert auch Telegram auf Druck der Behörden ganze Kanäle, insbesondere, wenn es sich dabei um staatsnahe russische Medien handelt.

Nun lässt Telegram in Deutschland seine Nutzer abstimmen. „Wir, das Telegram Team, bitten dich uns deine Meinung mitzuteilen, wie die Daten der deutschen Telegram-Nutzer mit den deutschen Behörden, einschließlich der deutschen Polizei (BKA), geteilt werden können (oder nicht)“, heißt es in einer Nachricht, die alle Telegram-Nutzer erhalten haben, die bei dem Messenger-Dienst mit deutscher Telefonnummer registriert sind.

Missbrauch der Plattform

Um den Missbrauch der Plattform „durch terroristische Gruppen zu verhindern, erlaubt uns unsere aktuelle Datenschutzerklärung seit 2018, IP-Adressen und Telefonnummern von Terrorverdächtigen auf Anfrage der Regierung, die durch einen Gerichtsbeschluss gestützt wird, offenzulegen. Wir führen diese Abstimmung durch, um herauszufinden, ob unsere deutschen Nutzer unsere aktuelle Datenschutzerklärung unterstützen oder ob sie die Zahl der Fälle, in denen Telegram potenziell Daten an Behörden weitergeben kann, verringern oder erhöhen möchten.“

Zur Auswahl stehen drei Optionen. Möglichkeit Nr. 1 entspricht der aktuellen Regelung: Datenweitergabe nur auf Grundlage einer Gerichtsentscheidung. Möglichkeit Nr. 2 würde die Weitergabe auch ohne Gerichtsentscheidung erlauben – rein auf Anforderung der Behörden. „Diese Option wäre, sofern sie Zustimmung findet, komplett neu für Telegram und erfordert deswegen eine Änderung unserer Datenschutzerklärung für Nutzer aus Deutschland“, erläutert der Dienst. Möglichkeit Nr. 3 würde jegliche Datenweitergabe ausschließen.

Widerspruch zum Fernmeldegeheimnis

Nur Option 1 ist nach Ansicht des Stuttgarter Medienrechtlers Tobias Keber mit der gegenwärtigen Rechtslage vereinbar. Eine Ausweitung der Zugriffsmöglichkeiten für Sicherheitsbehörden würde dem Datenschutzrecht und dem Schutz des Fernmeldegeheimnisses widersprechen, sagte Keber der Nachrichtenagentur KNA. In der Abstimmung vermutet er einen bloßen „PR-Gag“, wodurch Telegram sich einen basisdemokratischen Anstrich geben wolle.

Aktuell liegt Option 1 knapp vorn. 39 Prozent der Teilnehmer sprechen sich für eine Beibehaltung der aktuellen Datenschutz-Regeln aus. Für ein völliges Ende der Kooperation mit den deutschen Behörden stimmen 37 Prozent. Nur 20 Prozent unterstützen eine Datenweitergabe ohne Gerichtsbeschluss. Noch bis Montag um 12 Uhr haben die Nutzer die Möglichkeit, sich an der Abstimmung zu beteiligen. Mehr als zwei Millionen haben dies bereits getan. Weltweit hat Telegram rund 700 Millionen aktive Nutzer.

Thomas Wolf

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Die tägliche Dosis Propaganda

Dass der Ukraine-Krieg ein beispielloser Propagandakrieg werden würde – das zeichnete sich bereits am 24. Februar ab, als die russische Armee in das Nachbarland einmarschierte, das durch acht Jahre Bürgerkrieg und eine politische Zerrissenheit sondergleichen geschwächt war. Der Kreml begründete die Invasion mit einer kurz zuvor vereinbarten Beistandsverpflichtung für die beiden separatistischen Donbass-Republiken Donezk und Lugansk – und mit einer vermeintlichen Notwendigkeit, die Ukraine müsse „entnazifiziert“ und „entmilitarisiert“ werden.

Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (2.v.r.) mit ihren Amtskollegen aus den USA, Frankreich und Großbritannien. Die SPD-Politikerin sieht wenig Spielraum für die Lieferung weiterer Bundeswehr-Waffen an die Ukraine. (Foto: U.S. Secretary of Defense/Chad J. McNeeley/CC BY 2.0 via Wikimedia Commons)

Für die Ukraine und den Westen ist der russische Einmarsch dagegen ein durch nichts provozierter „völkerrechtswidriger Angriffskrieg“. Erst kürzlich wieder, zum ukrainischen Unabhängigkeitstag, bekräftigten westliche Politiker wie Bundeskanzler Olaf Scholz und Großbritanniens scheidender Premierminister Boris Johnson ihre Solidarität mit Kiew. Scholz stellte weitere deutsche Waffenlieferungen in Aussicht – allerdings machte mittlerweile Verteidigungsministerin Christine Lambrecht deutlich, sie sehe kaum noch Möglichkeiten, Waffen aus Beständen der Bundeswehr in die Ukraine zu schicken.

Ultranationalistische Freiwilligenverbände

Dass die ukrainische Antiterror-Operation, die sich nach der Abspaltung der beiden „Volksrepubliken“ im Donbass gegen die Separatisten richtete, nicht nur durch die ukrainische Armee ausgeführt wurde, sondern auch durch ultranationalistische Freiwilligenverbände wie das Asow-Regiment, ist im Westen kein Geheimnis. Jene Privatarmeen, die 2015 formell in die ukrainische Nationalgarde eingegliedert wurden, sind es, deren politische Vorgeschichte und Ausrichtung aus russischer Sicht eine „Entnazifizierung“ nötig macht.

Kämpfer und gepanzerte Fahrzeuge des Asow-Regiments in Mariupol 2016. Ihre Flaggen zeigen die Wolfsangel, die Kritikern als NS-Symbol gilt. Mittlerweile soll das Regiment, das aus einem Freiwilligen-Bataillon hervorgegangen ist, sein umstrittenes Zeichen abgelegt haben. (Foto: Wanderer777/CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

Die Nazi-Vorwürfe des Kreml mögen als Teil des großen Propagandakriegs übertrieben sein. Sie mögen aus westlicher Sicht politisch nicht opportun sein. Tatsache ist aber: In den Wochen und Monaten nach der erfolgreichen prowestlichen Maidan-Revolution berichteten öffentlich-rechtliche Medien in Deutschland noch ohne Scheu von den organisierten Rechtsextremisten in der Ukraine, die selbst Minderjährige in Ferienlagern an der Waffe ausbildeten und gegen ihre russischsprachigen Landsleute hetzten, die sie offenbar als Menschen zweiter Klasse betrachteten.

Scharf kritisierte WDR-Journalist Georg Restle 2014 die ukrainischen Truppen und ihren Einsatz im Donbass. „Auch das ukrainische Militär terrorisiert die Zivilbevölkerung“, kommentierte er. „Es trägt den Krieg mit Artilleriefeuer in Wohn- und Schlafzimmer. Es nimmt kaum Rücksicht auf die Not der Menschen und auf deren Leben offenbar noch weniger.“ Heute gelten derlei Vorwürfe im Westen schnell als Kreml-Propaganda, deren Verbreitung eingedämmt werden müsse. Asow und Co., hört man, seien heute deutlich gemäßigter als 2014.

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Ruhm, Ehre oder Heil? – Ein umstrittener Gruß

„Slawa Ukraini!“ – mit diesem mittlerweile weltbekannten ukrainischen Schlachtruf beendete Bundeskanzler Olaf Scholz seine Videobotschaft, mit der er dem osteuropäischen Land gestern auf seinem Twitter-Auftritt zum Unabhängigkeitstag gratulierte und zugleich weitere deutsche Waffenlieferungen versprach. „Slawa Ukraini!“ – seit dem Beginn der russischen Invasion ist die pathetische Grußformel in aller Munde. Zumindest im Mund derer, die das angegriffene Land bedingungslos unterstützen und dabei womöglich die Vorgeschichte der Eskalation außer Acht lassen.

In die Nähe eines faschistischen Regimes gerückt

Was aber bedeutet „Slawa Ukraini“? Im Internet kursieren dazu verschiedene Übersetzungen, die unterschiedlicher kaum sein könnten und sich oberflächlich betrachtet ausschließen. In pro-russischen Kreisen übersetzt man die Grußformel, die in der Ukraine gemeinhin mit „Herojam Slawa“ erwidert wird, mit „Heil der Ukraine“. „Herojam Slawa“ steht demnach für „Heil den Helden“. Die Übersetzung soll an die Worte erinnern, die in Nazi-Deutschland beim Hitlergruß gesprochen wurden. Die Ukraine wird damit in die Nähe eines faschistischen Regimes gerückt.

Bundeskanzler Olaf Scholz gratulierte der Ukraine per Videobotschaft zu ihrem Unabhängigkeitstag und schloss mit der pathetischen Grußformel „Slawa Ukraini“. Deren Übersetzung ist strittig. (Foto: Kremlin.ru/CC BY 4.0 via Wikimedia Commons)

Westliche Medien übersetzen den Schlachtruf dagegen meist unverdächtig mit „Ruhm der Ukraine – Ruhm den Helden“. Dem Internetlexikon Wikipedia zufolge sind auch „Ehre der Ukraine“ oder „Hoch lebe die Ukraine“ geläufige Übertragungen. Tatsächlich dürfte die Übersetzung „Ruhm“ der ukrainischen Bedeutung am nächsten kommen. Abgesehen davon, dass bevorzugt ukrainische Nationalisten mit „Slawa Ukraini“ grüßen, bleibt also bei der gängigen westlichen Deutung kaum etwas übrig, was an das „Sieg Heil“ der deutschen Nationalsozialisten erinnert.

Kampf gegen das bolschewistische Russland

Bei genauerer Betrachtung zeigt sich allerdings: So einfach ist die Sache nicht. „Slawa Ukraini“ hat seinen Ursprung in der noch jungen ukrainischen Nationalbewegung. Taras Schewtschenko (1814-1861), der als ukrainischer Nationaldichter gilt und mit seinen Werken zur Herausbildung eines nationalen ukrainischen Bewusstseins beitrug, soll den Ruf als einer der Ersten in einem Gedicht benutzt haben. Im Kampf der Ukraine gegen das bolschewistisch gewordene Russland ab 1917 nutzten Partisanen die Phrase als Gruß.

Bereits damals hatte „Slawa Ukraini“ einen stark antirussischen Beiklang. Zum deutschen Nationalsozialismus aber, der zu diesem Zeitpunkt nicht mal in den Kinderschuhen steckte, bestand keine Verbindung. Dies sollte sich spätestens Anfang der 1940er Jahre ändern. Damals nahm die Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) „Slawa Ukraini“ als ihren offiziellen Gruß an. Die OUN war eine nationalistische Untergrundbewegung, deren Mitglieder bis in die 1950er Jahre Widerstand gegen die sowjetische Herrschaft über die Ukraine leisteten. Kritikern gilt sie als faschistisch.

Zeitweise Kollaboration mit Nazi-Deutschland

Als am 22. Juni 1941 die deutsche Wehrmacht in der Sowjetunion einmarschierte, begrüßten viele Ukrainer die Invasion, weil sie sich dadurch die Befreiung vom Bolschewismus und Unterstützung auf dem Weg zu einem eigenständigen ukrainischen Staat versprachen. Die OUN kollaborierte eine Zeitlang mit den Deutschen, wandte sich aber von ihnen ab, als sich abzeichnete, dass die Wünsche nach Unabhängigkeit bei den Nazis auf taube Ohren stießen. Ab 1942 bekämpften die ukrainischen Nationalisten sowohl die deutsche Besatzungsmacht als auch die Sowjetunion.

Betrachtet man die Zeit genauer, als OUN und NS-Deutschland vorübergehend Seite an Seite standen, muss man zu dem Schluss kommen, dass die Übersetzung „Heil der Ukraine“ für „Slawa Ukraini“ eben doch nicht so abwegig ist, wie westliche Medien und Politiker dies gern hätten. Ein Foto, das – wohl im Sommer 1941 – im westukrainischen Schowkwa bei Lemberg (Lwiw) aufgenommen wurde, zeigt einen Torbogen des örtlichen Schlosses, der mit mehreren Spruchbändern behängt ist.

Der Nazi-Gruß „Heil Hitler“ und seine ukrainische Entsprechung auf einem Spruchband an einem Torbogen des Schlosses Schowkwa im Westen der Ukraine. Weiter liest man: „Lang lebe der Ukrainische Unabhängige Staat!“ (Foto: gemeinfrei)

„Heil Hitler!“, liest man da – und darunter das, was offensichtlich eine ukrainische Version des Nazi-Grußes sein soll: „Slawa Gitlerowi!“. Daneben, ebenfalls in zweiter Reihe, aber fast so groß wie die Anrufung des braunen „Führers“, prangt „Slawa Banderi!“ – eine Ehrbezeugung, die Stepan Bandera (1909-1959) gilt. Der aus Galizien stammende Führer des militärischen Flügels der OUN, der Ukrainischen Aufständischen Armee (UPA), gilt vielen seiner Landsleute bis heute als Held des Widerstands gegen Bolschewismus und russische Vorherrschaft.

Judenfeindliche Ausschreitungen und Massaker

Historiker verweisen dagegen auf judenfeindliche Ausschreitungen, an denen seine UPA beteiligt gewesen sei, und werfen ihr Massaker an der polnischen Volksgruppe im Westen der Ukraine vor. Bereits im Juli 1941 war Bandera von den Deutschen verhaftet und im Konzentrationslager Sachsenhausen interniert worden, wo er ähnlich wie der ehemalige österreichische Bundeskanzler Kurt Schuschnigg den Sonderstatus eines Ehrenhäftlings genoss. Nach Kriegsende tauchte Bandera im Westen unter. 1959 tötete ihn ein KGB-Agent in München, wo er unter falschem Namen lebte.

Natürlich muss, wer die Aufnahme aus Schowkwa betrachtet, dies mit der nötigen Rücksichtnahme auf die Umstände der Zeit tun. Zumindest damals, im Sommer 1941, – das belegt das Foto klar und deutlich – sah man offensichtlich überhaupt kein Problem darin, das ukrainische „Slawa“ mit „Heil“ zu übersetzen. „Slawa Ukraini“ – also doch „Heil der Ukraine“?

Thomas Wolf

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Medienkritik

Das Töten begann nicht am 24. Februar

Vor genau einem halben Jahr begann das, was englischsprachige Medien bedrohlich eine „full-scale invasion“ nannten: Russische Truppen marschierten in der Ukraine ein und beschossen Militärstellungen bis weit in den Westen des Landes. Zeitweilig schien die Hauptstadt Kiew kurz vor dem Fall zu stehen. Seither haben sich die Kämpfe in den Donbass und den Süden der Ukraine verlagert. Der Frontverlauf ändert sich nur noch langsam.

Ein verlassener russischer Panzer mit dem Z-Symbol in den ersten Wochen des Krieges. Die Aufnahme, die in der Region Donezk entstanden sein soll, stammt vom ukrainischen Verteidigungsministerium. (Foto: armyinform.com.ua/CC BY 4.0 via Wikimedia Commons)

Wenn Journalisten hierzulande über den russischen Einmarsch in der Ukraine schreiben, den sie als einen „völkerrechtswidrigen Angriffskrieg“ oder „Überfall“ bezeichnen, blenden sie die Vorgeschichte des Konflikts meist aus. Zum Verständnis dessen, was vor sechs Monaten zur Eskalation führte, ist deren Kenntnis aber unerlässlich. Das Töten hat nämlich nicht erst mit Russlands Angriff auf die Ukraine am 24. Februar begonnen. Seit acht Jahren bekämpfen sich im Donbass, in den Regionen Lugansk und Donezk, ukrainische Truppen und prorussische Separatisten. Kein Krieg, den Europa in den vergangenen Generationen erlebt hat, dauerte länger. Tausende starben, darunter auch zahlreiche Zivilisten: Frauen, Kinder, Alte.

Journalist Ulrich Heyden kennt den Konflikt

Anders als viele westliche Journalisten kennt Ulrich Heyden den Konflikt aus eigener Anschauung. Seit 2014 war der Osteuropa- und Kriegs-Korrespondent, der vorwiegend für linksgerichtete deutsche Medien und den staatsnahen russischen Sender RT schreibt, aber auch für den Deutschlandfunk und die Bundestags-Zeitschrift „Das Parlament“ tätig war, immer wieder in der Ukraine. Er hat erlebt, wie sich im Osten des Landes aus den Protesten der russischsprachigen Minderheit gegen Bevormundung und kulturelle Ausgrenzung ein rücksichtslos geführter Bür­gerkrieg entwickelte.

Buchautor Ulrich Heyden bei einer Veranstaltung der Links-Fraktion im Deutschen Bundestag 2018. (Foto: Fraktion Die Linke im Bundestag/Flickr/CC BY 2.0)

Dadurch, dass Heyden näher als andere Journalisten an dem Konflikt dran ist, erhält sein Buch, das er etwas sperrig, aber zutreffend „Der längste Krieg in Europa seit 1945“ überschrieben hat, eine beson­dere Note. Seine Perspektive liegt nicht nur auf der Politik, die durch ihr Handeln zum Scheitern des Minsker Friedensabkommens beitrug, oder auf den Militärs und Freiwilligen-Verbänden, die sich in Schützengräben und an Frontlinien erbittert bekämpfen. Sie liegt auch auf den Menschen im Donbass, die mehr als alle anderen unter der jahrelangen Ge­walt leiden: weil ihre Wohnhäuser zerbombt werden, ihre Versorgung mit Wasser oder Elektrizität versagt oder Kiew ihnen ihre Sozialleistungen kappt.

Anschaulich und ohne Scheuklappen

Das bei der Hamburger Selfpublishing-Plattform Tredition erschienene Werk ist im Kern eine Sammlung von Beiträ­gen, die Heyden im Verlauf der vergangenen acht Jah­re für verschiedene Medien verfasste. Auch wenn man es dem Buch anmerkt, dass es offenbar nach Russlands Einmarsch eilig zusammengestellt wurde, ist es doch unbedingt lesenswert: Erschreckend anschaulich und schonungslos führt Heyden die Eskalation im Osten der Ukraine vor Augen – ohne ideologische Scheuklappen und ohne Rücksicht auf verbreitete westliche Narrative.

Frank Brettemer

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Im Blickpunkt

Russland-Freunde an den Pranger

Die Bundesregierung will härter gegen vermeintliche russische „Fake News“ vorgehen. Das meldet der Internetauftritt der Tagesschau. Die Bevölkerung müsse für russische „Angriffe auf Fakten und Realitäten“ sensibilisiert werden, heißt es da. Unter der Überschrift „Gemeinsam gegen Desinformation“ geht der Verfassungsschutz demnach gegen die angebliche und tatsächliche Manipulation der öffentlichen Meinung in Deutschland vor. Um die „Lügengebilde zu dekonstruieren“, soll es künftig sogar quasi amtliche Warnhinweise geben, insbesondere bei „identifizierten Propagandisten“ – sicherlich gleichermaßen amtlich bestätigt.

 „In den Sicherheitsbehörden geht man davon aus, dass die Kreml-Propaganda in den kommenden Monaten noch weiter zunehmen wird und sich der Fokus dabei verlagert: vom Krieg in der Ukraine zur drohenden Energiekrise und deren Folgen für die Bevölkerung“, schreibt WDR-Mitarbeiter Florian Flade in dem als „exklusiv“ überschriebenen Beitrag. „Kreml-Propaganda“ – darunter versteht der Autor offenbar alles, was in dem aktuellen Medienkrieg zwischen Ost und West dem westlichen Narrativ widerspricht. 

Der Kreml in Moskau bei Nacht. (Foto: RuED/CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)

Wer begründete Zweifel an der russischen Alleinschuld an der Eskalation des Ukraine-Konflikts hegt, wer die Geschichte des Bürgerkriegs im Donbass seit 2014 vorurteilsfrei betrachtet und dabei sehr wohl auch Fehler und Verantwortung bei der ukrainischen Regierung sieht, wer den westlichen Sanktionen gegen Russland kritisch gegenübersteht, weil sie sehr wohl auch die Deutschen empfindlich treffen, der betreibt nach Tagesschau-Lesart offenbar bereits „Kreml-Propaganda“. Der verbreitet „Fake News“. Der manipuliert die deutsche Öffentlichkeit.

Wo enden Gerüchte? Wo beginnen „Fake News“?

Ist es wirklich so einfach? Wo beginnen eigentlich „Fake News“, also das, was man früher schlicht Lügen genannt hätte? Ist eine womöglich haltlose Spekulation bereits eine Lüge? Oder ein Gerücht, das sich im Internet in rasender Geschwindigkeit verbreitet? Und vor allem: Wer bestimmt darüber, ob etwas nun gelogen ist oder nicht? Nicht immer lässt sich eine Frage mit mathematischer Präzision beantworten. 

Wer also zieht die Grenze zwischen Gerüchten, Spekulationen und zugespitzten Kommentaren einerseits – und „Fake News“ andererseits? Der Verfassungsschutz oder die Regierung? Dann sollte es keinen verwundern, wenn Menschen, die ein grundsätzlich positives Russland-Bild haben oder die sich dem neuen Ost-West-Konflikt widersetzen, künftig amtlich mit Warnhinweisen versehen werden. Ein behördlicher Pranger für Russland-Freunde und Menschen, die sich für Frieden und Versöhnung einsetzen? Bald ist er womöglich Realität.

Thomas Wolf

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Kommentar

Wie Journalisten manipulieren

Auf Tagesschau.de ist dieser Tage ein Interview mit der US-amerikanischen Historikerin und Journalistin Anne Elizabeth Applebaum zu lesen. Thema: das vermeintlich faschistische Russland unter Wladimir Putin. Das Interview, das die RBB-Mitarbeiter Daniel Donath und Silvio Duwe für das Politikmagazin „Kontraste“ führten, zeigt beispielhaft, wie Journalismus manipulieren kann, auch wenn er scheinbar neutral und objektiv arbeitet.

Z – das neue Hakenkreuz?

Vordergründig machen Donath und Duwe nur ihre Arbeit als Journalisten: Sie führen ein Interview mit einer Person, bei der sie eine Expertise zu einem bestimmten Themenbereich (hier: Russland) vermuten und machen sich die Haltung der Interviewpartnerin aus den USA nicht zu eigen. Ihren Aussagen, Russland unter Präsident Putin sei ein faschistisches System, das Z-Symbol für die “Spezialoperation“ in der Ukraine entspreche dem Hakenkreuz in Nazi-Deutschland, das russische Vorgehen im Nachbarland sei “genozidal“ geprägt und Friedensverhandlungen seien erst nach einer Kriegsniederlage möglich, muss man als Interviewer nicht zustimmen – auch wenn man sie als Deutscher mit dem Wissen um die deutsche Geschichte vielleicht besser mit einem großen Fragezeichen versehen sollte.

Das Z-Symbol, das in Russland seit Kriegsbeginn weite Verbreitung findet, sieht US-Journalistin Anne Applebaum als eine Art neues Hakenkreuz – eine Ansicht, die auch die Ukraine vertritt. (Foto: Alexander Davronov/CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

Im Großen und Ganzen bewegt sich das Interview von Donath und Duwe im Bereich dessen, was journalistischer Alltag ist – die teils kruden Behauptungen der Interviewten inklusive. Problematisch wird es, wenn Tagesschau.de den Lesern verschweigt, wer Anne Applebaum ist. „Sie lehrte an Hochschulen in den USA und Europa und schreibt Kolumnen für Publikationen vor allem in den USA und Großbritannien“, stellt Tagesschau.de die 58-Jährige vor. Als Historikerin hat sie demnach den stalinistischen Terror und das sowjetische Gulag-Lagersystem erforscht. „Das 2017 publizierte Buch ’Roter Hunger‘ mit der These eines geplanten Genozids an den Ukrainern zu Sowjetzeiten führte zu einer Kontroverse auch unter Wissenschaftlern.“

Engagement für transatlantische Denkfabriken

Das ist bestenfalls die halbe Wahrheit: Applebaum war nämlich mehrere Jahre Abteilungsleiterin beim Legatum Institute, einer konservativen britischen Denkfabrik mit Verbindungen zu einer milliardenschweren Investmentgesellschaft. Sie sitzt im Vorstand des “National Endowment for Democracy“ und ist Mitglied im „Council on Foreign Relations“ – beides Denkfabriken, die für ihre transatlantische Agenda bekannt sind. Das „Center for European Policy Analysis“, in dessen Beirat Applebaum sitzt, ist finanziell eng verbandelt mit der US-Politik, mit amerikanischen Rüstungskonzernen und dem Pentagon. Bereits in der Vergangenheit ist Applebaum durch russlandkritische Aussagen aufgefallen.

Natürlich ist ihr Engagement für NED und CFR, die zu einer Reihe von US-Denkfabriken mit klar antirussischer Ausrichtung gehören, nicht per se verwerflich. Dass Tagesschau.de dies verschweigt und Applebaum als objektive Osteuropa-Expertin verkauft, macht das Interview aber eben doch zu einer manipulativen Propagandawaffe im Konflikt mit Russland. Journalistisch neutral ist es jedenfalls nicht.

Thomas Wolf

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Im Blickpunkt

Amnesty: Ukraine gefährdet Zivilisten

Amnesty International wirft der Ukraine vor, im Krieg gegen Russland gegen das Völkerrecht zu verstoßen. Die Armee verschanze sich in Schulen und Krankenhäusern und operiere aus Wohngebieten heraus. Vorwürfe wie diese, wonach die Ukraine ihre eigene Zivilbevölkerung gefährde und als „menschliche Schutzschilde“ missbrauche, galten bislang im Westen als russische Propaganda. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyi kritisierte den Amnesty-Bericht scharf.

Ein ukrainischer Panzer in den Straßen von Kiew. Amnesty International wirft den Streitkräften der Ukraine vor, aus Wohngebieten heraus zu operieren und dadurch die Zivilbevölkerung zu gefährden. (Foto: VoidWanderer/CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

Die Menschenrechtsorganisation hat eigenen Angaben zufolge zwischen April und Juni im Kriegsgebiet Untersuchungen angestellt und mit Bewohnern sowie Überlebenden russischen Beschusses gesprochen. Den Erkenntnissen zufolge haben ukrainische Streitkräfte „Zivilisten in Gefahr gebracht, indem sie in Wohngebieten, einschließlich Schulen und Krankenhäusern, Stützpunkte errichteten und Waffensysteme einsetzten“.

Vergeltungsfeuer russischer Streitkräfte

Im umkämpften Donbass sowie in den Regionen Charkiw und Mykolajiw berichteten Augenzeugen „dass das ukrainische Militär zur Zeit der Angriffe in der Nähe ihrer Häuser operierte und das Gebiet dem Vergeltungsfeuer russischer Streitkräfte aussetzte“. Ein derartiges Verhalten hat Amnesty International an zahlreichen Orten beobachtet.

Der Bericht zitiert eine Frau, deren 50-jähriger Sohn bei einem Raketenangriff südlich von Mykolajiw ums Leben kam: „Das Militär wohnte in einem Haus neben unserem Haus und mein Sohn brachte den Soldaten oft Essen. Ich bat ihn mehrmals, sich von dort fernzuhalten, weil ich um seine Sicherheit fürchtete.“ Zum Zeitpunkt des russischen Beschusses habe sich ihr Sohn vor dem Haus aufgehalten. „Er wurde auf der Stelle getötet. Sein Körper wurde in Fetzen gerissen.“

„Ein klarer Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht“

An fünf Orten konnte Amnesty aufgrund von Zeugenaussagen nachweisen, dass ukrainische Soldaten Krankenhäuser als Militärstützpunkte nutzten. In einer Stadt feuerten die Streitkräfte sogar von Stellungen in der Nähe eines Krankenhauses. In mindestens einem Fall kamen beim russischem Beschuss einer medizinischen Labors Zivilisten zu Schaden. Ukrainische Soldaten hatten dort zuvor ihre Basis eingerichtet. „Die Nutzung von Krankenhäusern für militärische Zwecke ist ein klarer Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht“, betont Amnesty.

Russischen Beschuss macht die Ukraine für die Zerstörung einer Geburtsklinik in Mariupol am 9. März verantwortlich. In anderen Fällen konnte Amnesty nachweisen, dass ukrainische Truppen das Krankenhausareal als Stützpunkt genutzt haben. (Foto: armyinform.com.ua/CC BY 4.0 via Wikimedia Commons)

Die Wohngebiete, in denen sich ukrainische Truppen aufhielten, waren nach Erkenntnissen von Amnesty meist „kilometerweit von den Frontlinien entfernt“. Zivilisten hätten also nicht gefährdet werden müssen, stellte die Menschenrechtsorganisation fest. Auch habe das ukrainische Militär es versäumt, die entsprechende Gegend zu evakuieren.

Auch die Ukraine muss das Völkerrecht respektieren

Zwar fand Amnesty nicht an jedem Ort, an dem russische Angriffe zum Tod von Zivilisten führten, Belege dafür, dass die ukrainischen Streitkräfte das Gebiet missbraucht haben könnten. Agnès Callamard, Generalsekretärin von Amnesty International, sieht dennoch geradezu ein „Muster“ darin, dass die ukrainischen Streitkräfte die Zivilbevölkerung gefährden und gegen das Kriegsrecht verstoßen. Die Tatsache, dass sich die Ukraine gegen einen Angreifer verteidigt, befreie das ukrainische Militär nicht von der Verpflichtung, „das humanitäre Völkerrecht zu respektieren“, betont Callamard.

Thomas Wolf

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