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Nur Putin-Freunde wollen Frieden

Ostern ist nicht nur das christliche Fest der Auferstehung Jesu Christi. Die Ostertage sind in Deutschland auch traditionell die Zeit der Ostermärsche. In vielen Städten prägen die Kundgebungen für den Frieden das verlängerte Osterwochenende. Auch in diesem Jahr. Eine „unterm Strich positive Bilanz“ ziehen die Organisatoren. Mehr als 120 Demonstrationen brachten Zehntausende Menschen auf die Straße. Kern des Anliegens wie schon im vergangenen Jahr: Frieden in der Ukraine. Damit machen sich die Ostermarschierer angreifbar. Denn Frieden wollen nur Putin-Freunde. So jedenfalls scheint es, wenn man Äußerungen deutscher Politiker und Medien zugrunde legt.

Die Ostermärsche standen in diesem Jahr ganz im Zeichen des Ukraine-Kriegs. Im bayerischen Hof trugen Teilnehmer ein Plakat mit der Aufschrift „Für Frieden und Abrüstung“. (Foto: PantheraLeo1359531/CC BY 4.0 via Wikimedia Commons)

„Wer über die Köpfe der Ukrainerinnen und Ukrainer hinweg einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen mit Putin verlangt, der steht auf der falschen Seite der Geschichte.“ So sieht es Stephan Thomae, der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion im Bundestag. Eine Waffenruhe würde „dem russischen Aggressor diejenigen Gebiete ausliefern, die dieser durch Bruch des Völkerrechts und mit unerträglicher Brutalität erobert hat“. Und weiter: „Wir müssen alles tun, um die Ukraine in diesem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg zu unterstützen.“

Freiheit statt Frieden

Auch der frühere Bundesminister Thomas de Maizière (CDU) lehnt die Forderungen der Ostermarschierer ab. Ihren Pazifismus bezeichnet er im Interview mit dem Evangelischen Pressedienst als naiv. „Aber er ist zugleich nötig als kritischer Maßstab. Es gibt bei diesen schwierigen Abwägungen keine widerspruchsfreien Lösungen. Natürlich verlängert eine Waffenlieferung das Töten und Sterben. Wenn man das ablehnt, muss man sich aber im Klaren sein, dass der Preis dafür wahrscheinlich Unfreiheit ist. Letztlich geht es also um die Frage: Ist Frieden oder Freiheit wichtiger? Für mich ist Freiheit wichtiger als Frieden. Das ist mein Vorwurf an den Pazifismus.“

Bereits im vergangenen Jahr hatte der FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff die Teilnehmer der Ostermärsche als „fünfte Kolonne“ Putins bezeichnet. Kommentatoren sprachen angesichts dessen von „verrückten Zeiten“. In der Tat steht die Welt Kopf seit Beginn der russischen Invasion am 24. Februar 2022. Wer seine Stimme für Frieden und Verhandlungen erhebt, muss sich als Unterstützer eines „völkerrechtswidrigen Angriffskriegs“ beschimpfen lassen. Wer die Lieferung schwerer Waffen in das Kriegsgebiet kritisiert, fällt demnach der Ukraine in den Rücken. Und wer die Gesprächskanäle zu Russland nicht abreißen lassen möchte oder sich gar der Ablehnung alles Russischen entgegenstellt, ist bestenfalls „Putin-Versteher“.

FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff (links) sieht in den Teilnehmern der Ostermärsche die „fünfte Kolonne“ Wladimir Putins. (Foto: Kuhlmann/MSC/CC BY 3.0 DE via Wikimedia Commons)

Eine jener angeblichen „Putin-Versteherinnen“ ist Margot Käßmann. Die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland bekräftigte kurz vor Ostern ihre ablehnende Haltung zu Waffenlieferungen an die Ukraine. „Anfangs hieß es, wir würden reine Verteidigungswaffen liefern, jetzt sind daraus ganz klar Angriffswaffen geworden“, sagte sie im Gespräch mit der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung. Mit den gelieferten deutschen Panzern werde auf russische Soldaten geschossen. „Das kann doch auch keine Lösung sein“, sagte Käßmann.

Verhandlung, nicht Kapitulation

Dabei machte die einstige Landesbischöfin von Hannover auch deutlich, dass sie durchaus keine „Putin-Freundin“ ist. Den russischen Einmarsch sieht sie als Angriffskrieg eines Diktators auf ein freies Land. Dennoch müsse es durch Friedensverhandlungen schnellstmöglich zu einem Ende des Tötens kommen. „Verhandlung heißt nicht Kapitulation“, betonte Käßmann. Der Ukraine spricht sie nicht das Recht ab, sich zu verteidigen. Aber sie fürchte, sagt sie, dass Deutschland durch Waffenlieferungen nach und nach selbst zur Kriegspartei werde. Über allem steht für die Theologin die Vision einer „Welt ohne Waffen“. Sie wolle sie nicht aufgeben.

Kaum jemand vertritt die Forderungen nach schweren westlichen Waffen für die Ukraine seit der russischen Invasion so vehement wie mancher Grünen-Politiker. Als Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) offenbar noch hoffte, mit Helmen und Munition sei es getan, forderte Anton Hofreiter bereits deutsche Panzer für die Front im Donbass. Statt eines schnellen Friedens für die Ukraine stand bald ein Sieg über Russland auf der politischen und militärischen Agenda. „Wie irre ist die ehemalige Friedenspartei geworden?“, fragte Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht bereits vor einem Jahr.

Deutsche Kampfpanzer des Typs Leopard 2 A5 bei einer Lehr- und Gefechtsvorführung. (Foto: © Bundeswehr/Modes/CC BY 2.0 via Wikimedia Commons)

Mittlerweile sind deutsche Panzer in der Ukraine längst Realität. Selbst „Leopard 2“, deren Lieferung Kanzler Scholz lange abgelehnt hatte, sind im Einsatz gegen Russland. Kiew hätte nun gern moderne westliche Kampfflugzeuge. MiG-29 aus Polen und der Slowakei befinden sich bereits im Land. Noch zögert die Bundesregierung, lehnt die Lieferung eigener Jets ab. Doch wirklich ausgeschlossen hat dies niemand. Erst recht nicht für alle Zukunft. Er halte es nicht für richtig, „jetzt darüber zu reden“, sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vor gut zwei Monaten. „Wir tun nur Dinge, die uns nicht zur Kriegspartei werden lassen. Wobei nicht ganz klar ist, wo diese Linie verläuft.“

Westen ist „Konfliktpartei“

Genau das ist das Problem. Während der Westen betont, die Lieferung von Kampfpanzern und selbst Flugzeugen sei keine Kriegsbeteiligung, sieht Russland das naturgemäß anders. Im Kreml betonte man bereits vor Monaten, man betrachte den Westen als „Konfliktpartei“. Was immer das konkret bedeutet. Die Gefahr einer weiteren Eskalation jedenfalls ist groß. Und dürfte sich mit jeder weiteren Waffenlieferung noch vergrößern. Im schlimmsten Fall droht die äußerste Eskalation: der Atomkrieg zwischen Ost und West. Davor warnte auch Kanzler Scholz.

Vor einem handverlesenen Publikum fragte NS-Propagandaminister Joseph Goebbels am 18. Februar 1943: „Wollt ihr den totalen Krieg?“ (Foto: Bundesarchiv/Bild 183-J05235/Schwahn/CC-BY-SA 3.0 DE via Wikimedia Commons)

„Wollt ihr den totalen Krieg?“, schleuderte Joseph Goebbels, der Propagandaminister der Nazis, im Februar 1943 bei seiner Rede im Berliner Sportpalast dem ausgewählten Publikum verbal entgegen. „Totaler Krieg – kürzester Krieg“ besagte ein Transparent über der Bühne, auf der Goebbels sprach. Heute wäre der kürzeste totale Krieg ein nuklearer. Er würde aller Wahrscheinlichkeit nach zur weitgehenden Vernichtung der menschlichen Zivilisation führen. Das wissen die Russen. Und das wissen die Amerikaner. Aber wissen es auch diejenigen, die nach immer mehr schweren Waffen rufen?

Frank Brettemer

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Ein Mann und sein missverstandenes Lied

Er war Germanist, Hochschullehrer und Dichter, liberaler Demokrat und aufrechter deutscher Patriot. Sein wohl bekanntestes Werk ist bis heute umstritten: August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, der Autor des Deutschlandlieds, kam am 2. April 1798 zur Welt. Als er 1841 auf Helgoland zur Melodie von Haydns Kaiserhymne sein „Lied der Deutschen“ schrieb, war das von ihm besungene „deutsche Vaterland“ von „Einigkeit und Recht und Freiheit“ noch weit entfernt. Helgoland selbst gehörte damals als Kronkolonie zu Großbritannien. Für Hoffmann von Fallersleben war die Zeit seines Aufenthalts auf der Insel eine Art Wendepunkt im Leben.

August Heinrich Hoffmann von Fallersleben ist vor allem als Dichter des Liedes der Deutschen bekannt. (Foto: gemeinfrei)

Seinem „Lied der Deutschen“ gingen die „Unpolitischen Lieder“ voraus. Anders als der Name es auszusagen scheint, waren sie alles andere als unpolitisch. Genau das machte sie in den Augen der Herrschenden gefährlich. Hoffmann von Fallersleben spricht sich darin nämlich für bürgerliche Freiheiten und einen geeinten deutschen Nationalstaat aus. Und greift Kleinstaaterei, Zensur und Fürstenwillkür scharf an. Auf der politischen Führungsebene des Deutschen Bundes, des damaligen reaktionären Staatenbunds der deutschen Fürstentümer und freien Städte, machte er sich damit keine Freunde.

Eine Art inoffizielle Hymne

1842 enthob die preußische Regierung Hoffmann von Fallersleben wegen seiner oppositionellen Haltung seiner Professur, die er seit 1835 in Breslau innehatte. Im Jahr darauf verlor er auch die Staatsbürgerschaft Preußens und war gezwungen, rastlos durch Deutschland zu wandern. An der deutschen Revolution von 1848 beteiligte er sich nicht aktiv, konnte dadurch seine politischen Zielen aber als verwirklicht ansehen. Als die im Frühjahr 1848 gewählte Nationalversammlung in Frankfurt unter schwarz-rot-goldenen Fahnen zu ihrer ersten Sitzung zusammentrat, stimmten die Abgeordneten des ersten gesamtdeutschen demokratischen Parlaments das Deutschlandlied an. Hoffmanns Dichtung war damit zu so etwas wie einer inoffiziellen Hymne des demokratischen Deutschen Reichs geworden.

Die Revolution, die hoffnungsvoll begonnen hatte, aber scheiterte. Und mit ihr der deutsche Nationalstaat. Vorerst zumindest. Ganz zurück hinter 1848 aber konnten die Fürsten nicht. Statt den Weg einer revolutionären Erneuerung von unten ging Deutschland den einer Einigung von oben. Preußen übernahm die Führung im Deutschen Bund und versuchte, ihn zu einem Bundesstaat weiterzuentwickeln. Ohne Österreich, das nach der Niederlage im Deutschen Krieg von 1866 aus dem Bund ausscheiden musste. Als Hoffmann von Fallersleben am 19. Januar 1874 starb, hatte er den Anbruch der deutschen Nationalstaatlichkeit noch erlebt. Das Kaiserreich von 1871 ist im Kern identisch mit dem deutschen Staat der Gegenwart.

Die Lange Anna ist eine der Sehenswürdigkeiten auf Helgoland. Auf der Insel schrieb Hoffmann von Fallersleben den Text des Deutschlandlieds. (Foto: Pixabay)

Nur wenigen ist bewusst, dass von Hoffmann von Fallersleben auch zahlreiche Volks- und Kinderlieder überliefert sind, die noch heute gesungen werden. Freilich meist ohne dass Wissen um den Urheber. „Alle Vögel sind schon da“ zum Beispiel. Auch „Der Kuckuck und der Esel“, die einen Streit hatten, stammen von Hoffmann von Fallersleben. Beide Lieder hat der Dichter 1835 verfasst. Ebenso „Kuckuck, Kuckuck, ruft’s aus dem Wald“ und „Summ summ summ! Bienchen summ’ herum!“. Mit „Morgen kommt der Weihnachtsmann“ dichtete Hoffmann von Fallersleben sogar ein Lied zum Christfest, das Kinder bis heute singen. Jünger als das Deutschlandlied ist „Ein Männlein steht im Walde“ (1843).

Staatsmotto auf Münzen

Bekannt aber ist der gebürtige Niedersachse heute fast ausschließlich als Verfasser der deutschen Nationalhymne. Offiziellen Status erhielt das Lied der Deutschen erst in der Weimarer Republik. Im Kaiserreich hatte zuvor „Heil dir im Siegerkranz“ einen ähnlichen Platz eingenommen. Reichspräsident Friedrich Ebert (SPD) bestimmte 1922 Hoffmanns Lied zur Nationalhymne der ersten demokratischen deutschen Republik. „Einigkeit und Recht und Freiheit“ wurde zum Staatsmotto, das sich etwa als Aufschrift auf Münzen fand. In der NS-Zeit wurde vornehmlich die erste Strophe („Deutschland, Deutschland, über alles“) gesungen, gefolgt vom Horst-Wessel-Lied der Nazis. Vor allem jene Verwendung während der braunen Diktatur lastet bis heute auf dem Lied.

Reichspräsident Friedrich Ebert (mit Zylinder in der Hand) schreitet auf dem Platz der Republik in Berlin eine Ehrenkompanie der Reichswehr ab. 1922 verfügte Ebert, dass das Deutschlandlied Nationalhymne wird. (Foto: Bundesarchiv/Bild 102-10884/Georg Pahl/CC-BY-SA 3.0 DE via Wikimedia Commons)

Deutschland, Deutschland über alles,
Über alles in der Welt,
Wenn es stets zu Schutz und Trutze
Brüderlich zusammenhält,
Von der Maas bis an die Memel,
Von der Etsch bis an den Belt –
Deutschland, Deutschland über alles,
Über alles in der Welt!

Deutsche Frauen, deutsche Treue,
Deutscher Wein und deutscher Sang
Sollen in der Welt behalten
Ihren alten schönen Klang,
Uns zu edler Tat begeistern
Unser ganzes Leben lang –
Deutsche Frauen, deutsche Treue,
Deutscher Wein und deutscher Sang!

Einigkeit und Recht und Freiheit
Für das deutsche Vaterland!
Danach lasst uns alle streben
Brüderlich mit Herz und Hand!
Einigkeit und Recht und Freiheit
Sind des Glückes Unterpfand –
Blüh im Glanze dieses Glückes,
Blühe, deutsches Vaterland!

Insbesondere die erste Strophe ist bis heute vielfach Anfeindungen und Ablehnung ausgesetzt. Denn bei „Deutschland, Deutschland, über alles“ denken viele an die Kriege der Nazis. Doch wer Hoffmanns Vers als Aufruf zu Eroberung und übersteigertem Nationalismus liest, versteht den Dichter völlig falsch. Und damit sein Lied. Auf „Deutschland, Deutschland, über alles“ folgt nämlich „Wenn es stets zu Schutz und Trutze brüderlich zusammenhält“. Der Text gibt sich damit als defensiver Appell zu erkennen. Hintergrund dürften französische Gebietsansprüche auf das Rheinland 1840 gewesen sein. „Und wir können jeden Feind“, schrieb Hoffmann auch in seinen „Unpolitischen Liedern“, „treuverbunden überwinden“.

Brüderliche Einigung

Einigkeit nach außen, aber auch Einigkeit nach innen schwebte Hoffmann von Fallersleben vor. Die Einheit Deutschlands galt ihm mehr als die Macht der Einzelstaaten. Die brüderliche Einigung der Menschen zwischen Maas und Memel und zwischen Etsch und Belt sollte der monarchischen Zersplitterung ein Ende bereiten. Die Grenzen, die Fallersleben nennt, entsprechen ziemlich genau den damaligen Siedlungsgebieten des deutschen Volkes. Sie zeugen also gerade nicht von imperialistischen Machtgelüsten. Sondern beschreiben nüchtern und sachlich das Territorium, das zu einem Nationalstaat werden sollte.

Walther von der Vogelweide schrieb eine Art Vorläufer des Deutschlandlieds. (Foto: gemeinfrei)

Anders als die erste ist die zweite Strophe heute kaum bekannt. Für heutige Ohren klingt sie ein wenig kitschig. Und dürfte wohl in gleich mehrfacher Hinsicht als politisch unkorrekt gelten. Die Hervorhebung der „deutschen Frauen“ mag auf Kritiker sexistisch wirken, der „deutsche Wein“ für sie zu übermäßigem Alkoholkonsum aufrufen. Wie auch die erste Strophe gehen diese Verse auf ein mittelhochdeutsches Preislied Walthers von der Vogelweide zurück. „Deutsche Frauen sind besser als anderswo die edlen Damen“ hatte der mittelalterliche Dichter um das Jahr 1198 geschrieben. Und mit seinem Lied die Menschen „von der Elbe bis an den Rhein und hinunter bis nach Ungarn“ als die besten gelobt, „die ich in der Welt kennengelernt habe“.

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Schwarz-Rot-Gold: eine Erfindung von 1815?

Für das Online-Lexikon Wikipedia ist die Sache klar. Es gibt die gängige Sichtweise wieder. Die deutschen Nationalfarben Schwarz-Rot-Gold sind demnach eine Erfindung des frühen 19. Jahrhunderts. Sie gehen, liest man bei Wikipedia, auf die Befreiungskriege gegen Napoleon 1813 bis 1815 zurück. „Verweise auf das Mittelalter sind nachträglich konstruiert, trugen aber im 19. Jahrhundert erheblich zu ihrer Popularisierung bei.“ Und weiter heißt es: „Die Urburschenschaft von 1815 führte diese Farben erstmals und machte sie zu einem Symbol für die deutsche Einheit.“ Wirklich? Ein genauerer Blick zeigt: Ganz so einfach ist die Sache nicht.

Beim Hambacher Fest 1832 trugen viele Teilnehmer schwarz-rot-goldene Fahnen. Die ungewohnte Reihenfolge der Farben auf dieser Darstellung könnte auf eine falsche Kolorierung zurückzuführen sein. (Foto: gemeinfrei)

Unstrittig ist, dass die schwarz-rot-goldene Trikolore, wie sie bis heute verwendet wird, in dieser Form erstmals beim Hambacher Fest 1832 zum Einsatz kam. Damals versammelten sich hunderte Demokraten und Liberale auf dem Schloss in der Pfalz, um für das zersplitterte und unter einem rigiden Regime leidende Deutschland Freiheit und nationale Einigung zu fordern. Eine zeitgenössische Darstellung dokumentiert die Fahnen zahlreicher Teilnehmer. Allerdings zeigt sie sie in ungewohnter Reihenfolge: Gold-Rot-Schwarz. Wie heute mitunter bei sogenannten Reichsbürgern. Womöglich ist das aber auf eine falsche nachträgliche Kolorierung zurückzuführen. Eine von Johann Philipp Abresch für das Fest angefertigte Fahne mit der pathetischen Aufschrift „Deutschlands Wiedergeburt“, die erhalten blieb, beweist, dass die korrekte Reihenfolge schon damals Schwarz-Rot-Gold war.

Zeichen der Demokratie

Nach dem Hambacher Fest nahmen die deutschen Farben einen festen Platz in der nationalen und demokratischen Bewegung ein. Wer angesichts der Unterdrückung von Meinungsfreiheit und unabhängiger Presse durch den Deutschen Bund und seine fast 40 Mitgliedsstaaten für Volkssouveränität und Grundrechte eintrat, tat dies nahezu selbstverständlich im Zeichen von Schwarz-Rot-Gold. Die deutschen Farben wurden so zu einem leuchtenden Zeichen für die Demokratie. Hoffmann von Fallersleben, liberaler Patriot und Dichter des „Liedes der Deutschen“, schrieb 1843 seine „Deutsche Farbenlehre“. Darin erklärt er Schwarz, Rot und Gold zu Farben der Hoffnung:

Über unserem Vaterland ruhet eine schwarze Nacht,
und die eigene Schmach und Schande hat uns diese Nacht gebracht.
Ach wann erglänzt aus dem Dunkel der Nacht
unsere Hoffnung in funkelnder Pracht?

Und es kommt einmal ein Morgen, freudig blicken wir empor:
Hinter Wolken lang verborgen, bricht ein roter Strahl hervor.
Ach wann erglänzt aus dem Dunkel der Nacht
unsere Hoffnung in funkelnder Pracht?

Und es zieht durch die Lande überall ein goldnes Licht,
das die Nacht der Schmach und Schande und der Knechtschaft endlich bricht.
Ach wann erglänzt aus dem Dunkel der Nacht
unsere Hoffnung in funkelnder Pracht?

Lange hegten wir Vertrauen auf ein baldig Morgenrot;
kaum erst fing es an zu grauen, und der Tag ist wieder tot.
Ach wann erglänzt aus dem Dunkel der Nacht
unsere Hoffnung in funkelnder Pracht?

Immer unerfüllt noch stehen Schwarz, Rot, Gold im Reichspanier:
Alles läßt sich schwarz nur sehen, Rot und Gold, wo bleibet ihr?
Ach wann erglänzt aus dem Dunkel der Nacht
unsere Hoffnung in funkelnder Pracht?

Aus: Deutsche Salonlieder (1843)
August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, dargestellt von Ernst Henseler (1898). Das „Lied der Deutschen“ dichtete Hoffmann von Fallersleben 1841 auf Helgoland. (Foto: gemeinfrei)

Fünf Jahre nach Hoffmanns Dichtung stand Deutschland am Vorabend der Revolution. Nach dem Sturz des französischen „Bürgerkönig“ Louis-Philippe gingen auch in den deutschen Staaten immer mehr Menschen auf die Straße. Der Bundestag in Frankfurt musste den Massen entgegenkommen. Am 9. März 1848 erklärte er Schwarz-Rot-Gold zu Bundesfarben und einen rotbewehrten, schwarzen Doppelkopf-Adler auf goldenem Grund zum Bundeswappen. Der Deutsche Bund, der Staatenbund der deutschen Fürstentümer und freien Städte, legte damit erstmals nationale Symbole fest. Am 20. März ordneten die Delegierten an, dass die Festungen des Bundes und die Bundestruppen Schwarz-Rot-Gold flaggen sollten.

Gesprengte Ketten

Am 18. Mai 1848 trat in der Frankfurter Paulskirche das erste gesamtdeutsche demokratisch gewählte Parlament zusammen. Die Nationalversammlung tagte in einem Meer aus schwarz-rot-goldenen Fahnen und Bannern. Und über dem Präsidium hing das Ölgemälde einer friedfertigen, zugleich aber wehrhaften Germania. Natürlich auch in Schwarz-Rot-Gold. Hinter der als junge Frau dargestellten Personifikation Deutschlands geht die Sonne auf. Zu ihren Füßen liegen gesprengte Ketten. Statt einer Krone trägt sie einen Kranz aus Eichenlaub. Die Bedeutung der Symbole ist offenkundig. Freiheit statt Fürstenherrschaft.

Ganz im Zeichen von Schwarz-Rot-Gold: die Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche. Über dem Präsidium hängt die Germania in den Nationalfarben. (Foto: gemeinfrei)

So hoffnungsvoll der schwarz-rot-goldene Neuanfang gestartet war, so schnell endete er. Statt Freiheit, Rechtsstaat und Demokratie setzten sich die Fürsten durch. Die verbliebenen Abgeordneten der Nationalversammlung flohen nach Stuttgart und wurden dort von Militär auseinandergetrieben. Die demokratische Revolution war gescheitert. Dennoch wehten Schwarz, Rot und Gold noch bis 2. September 1850 vom Turm der Paulskirche in Frankfurt. Und erst im August 1852 wurden sie am Frankfurter Bundespalais, dem Sitz des wiederhergestellten Deutschen Bundes, eingeholt. Noch 1866 zogen süddeutsche Truppen an Österreichs Seite mit schwarz-rot-goldener Armbinde in den Krieg gegen Preußen.

Eine neue Nationalflagge

Mit dem preußischen Sieg endete der Deutsche Bund. Und die Teilhabe Österreichs an Gesamt-Deutschland. Aus dem preußischen Weiß-Schwarz und dem Weiß-Rot der Hansestädte gestalteten die Sieger von 1866 eine neue Nationalflagge. Schwarz-Weiß-Rot wurde zum Symbol des Kaiserreichs. Und nach dessen Untergang zum Erkennungszeichen von Monarchisten und rechten Gruppierungen. Die weitere Geschichte ist bekannt. Die Weimarer Republik griff wieder auf Schwarz-Rot-Gold zurück. Und nach dem Hakenkreuz-Zwischenspiel der NS-Diktatur legten 1949 sowohl die westdeutsche Bundesrepublik als auch die DDR Schwarz-Rot-Gold als Nationalflagge fest.

Die Flagge der Bundesrepublik und der DDR wehen 1973 vor dem UN-Gebäude in New York. Das Rot der beiden Hoheitszeichen fällt ungewöhnlich dunkel aus. (Foto: Bundesarchiv/Bild 183-M0925-406/Joachim Spremberg/CC BY-SA 3.0 DE via Wikimedia Commons)
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Die Demokratie: kein Import aus den USA

Fragt man Leitmedien und Politiker nach Sternstunden der deutschen Geschichte, erntet man womöglich nicht selten ein Schulterzucken. Die historischen Leistungen des eigenen Volkes sind weithin vergessen. Ein offizieller Blick zurück lässt meist nicht viel Positives übrig. Die Verbrechen des Nationalsozialismus überdecken alles, was Deutsche in der Vergangenheit erreichten. Hinzu kommen weitere dunkle Flecken, die die Medien vor allem in jüngerer Zeit stark betonen: Kolonialismus, vermeintlich struktureller Rassismus, Diktatur. Dazu das alte Narrativ vom Untertanengeist der Deutschen. Das Land der Dichter und Denker – es ist medial zu einem Land der Mörder und Henker verkommen.

Revolution vor 175 Jahren

Die Demokratie, heißt es oft, habe den Deutschen nach 1945 von den Siegermächten beigebracht werden müssen. Gemeint sind die Westalliierten, allen voran die Vereinigten Staaten von Amerika. Politisch mag die Behauptung der US-Herkunft der Demokratie in Deutschland opportun erscheinen. Historisch aber ist sie Unsinn. Schon 100 Jahre vor der US-amerikanischen Besatzung zementierten die Deutschen ein bleibendes demokratisches Fundament. Und zwar auf einem Weg, der ganz und gar nicht zum vermeintlichen Untertanengeist passen will: durch eine Revolution nämlich. Dieser Tage liegt sie genau 175 Jahre zurück.

Ein früher Höhepunkt der Revolution: die Barrikadenkämpfe in Berlin am 18. März 1848. (Foto: gemeinfrei)

„Auch das deutsche Volk hat seine revolutionäre Tradition. Es gab eine Zeit, wo Deutschland Charaktere hervorbrachte, die sich den besten Leuten der Revolutionen anderer Länder an die Seite stellen können.“ Das schrieb der kommunistische Vordenker und Karl-Marx-Vertraute Friedrich Engels 1850 in seinem Buch „Der deutsche Bauernkrieg“. Er bezog sich damit zwar auf die andere große revolutionäre Erhebung der deutschen Geschichte: eben jene Serie von Bauern-Aufständen der Jahre um 1525. Doch wird seine Analyse durch die Revolution von 1848, an der er teilnahm, vollauf bestätigt.

Erste nationale Verfassung

Was 1525 unter den Schwertern und Kanonen der fürstlichen Heere blutig erstickte, setzte sich 1848/49 durch. Formell kam die Demokratie zwar nur kurz zur Entfaltung. Und noch dazu nur in Gestalt einer konstitutionellen Monarchie. Aber immerhin: Sie brachte dem deutschen Volk die erste nationale Verfassung, einen umfangreichen Grundrechte-Katalog, einen Rechtsstaat und die erste direkt gewählte nationale Volksvertretung. Und auch wenn das damals geschaffene demokratische Deutsche Reich von den Fürsten bald wieder zerschlagen wurde – die Fundamente der Verfassung von 1849 gerieten nie wieder in Vergessenheit. Sie befruchteten die Weimarer Reichsverfassung von 1919 ebenso wie das Grundgesetz.

Eine der letzten Briefmarken der DDR erinnerte an Thomas Müntzer, den Revolutionär des 16. Jahrhunderts. Der Block zeigt seine hauptsächlichen Wirkungsstätten. (Foto: Nightflyer/gemeinfrei via Wikimedia Commons)

Die deutsche Revolution von 1848 war eingebettet in eine Reihe von nationalen Volkserhebungen in mehreren europäischen Staaten. Bereits 1830 hatten die Franzosen im Rahmen ihrer Julirevolution erneut die Königsdynastie der Bourbonen gestürzt. Zum zweiten Mal nach 1789. Hinzu kamen Unabhängigkeitsbewegungen im damals russischen Polen, in Griechenland, Belgien und Italien. In Deutschland wiederum hoffte das unterdrückte Bürgertum auf einen Neuanfang. Der Freiheitswille des Volkes, der sich in den Befreiungskriegen gegen Napoleon 1806 bis 1815 gezeigt hatte, wurde durch die Macht der Fürsten unterdrückt. Presse- und Meinungsfreiheit waren nicht vorhanden.

Versuche, den Deutschen Bund, einen Staatenbund der deutschen Fürstentümer und freien Städte, liberal zu reformieren, scheiterten. Als die Franzosen erneut revoltierten und im Februar 1848 ihren „Bürgerkönig“ Louis-Philippe aus dem Amt jagten, sprang der revolutionäre Funke auf Deutschland über. Schon am 27. Februar forderten in Mannheim mehr als 2000 Menschen die allgemeine Volksbewaffnung, Grundrechte, Presse- und Versammlungsfreiheit, Schwurgerichte und ein nationales deutsches Parlament. Bauern drängten auf die Beseitigung der Vorrechte des Adels. Handwerker, Tagelöhner und Fabrikarbeiter forderten soziale Gerechtigkeit.

Notwendigkeit einer Reform

Bald kam es in den Städten zu ersten Unruhen. Am 1. März 1848 besetzten aufgebrachte Bürger in Karlsruhe das Ständehaus des badischen Landtags. Auch in München und Berlin gingen die Menschen auf die Straße. In Wien musste der reaktionäre Staatskanzler Klemens von Metternich fliehen. Zahlreiche Fürsten lenkten ein und beriefen liberale Regierungen, die den Forderungen des Volkes entgegenkommen sollten. In Preußen reagierte König Friedrich Wilhelm IV. hinhaltend. Einerseits versprach er, auf die Wünsche des Volkes Rücksicht zu nehmen. Andererseits ließ er Truppen zusammenziehen. Der Deutsche Bund erkannte am 8. März die Notwendigkeit einer großen Bundesreform.

Eine verlassene Barrikade in der Breiten Straße in Berlin, wie sie Eduard Gaertner gezeichnet hat. Nur die schwarz-rot-goldene Fahne zeugt noch von der Revolution. (Foto: gemeinfrei)

Am 18. März eskalierte die Situation in Berlin. Bürger errichteten Barrikaden und lieferten sich Straßenkämpfe mit dem Militär. Dutzende starben. Als die Truppen die Kontrolle über die Stadt zurückerlangt hatten, ließ der König sie sogleich wieder abziehen. Am Tag darauf ver­neigte sich Friedrich Wilhelm sogar auf dem Schloss­platz vor den 100 aufgebahrten „Märzgefallenen“. Schließ­lich legte er sich eine schwarz-rot-goldene Schärpe um und versprach, sich an die Spitze der deutschen Nationalbewegung zu stellen. „Preußen geht fortan in Deutschland auf“, erklärte der König. Es war ein Etappensieg der Revolution.

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„Gibt kaum jemanden, der objektiver sein könnte“

Vor genau einem Jahr marschierten die russischen Streitkräfte in der Ukraine ein. Dem zu diesem Zeitpunkt seit acht Jahren andauernden Bürgerkrieg im Donbass brachte dies eine neue Eskalation. Die junge Deutsche Alina Lipp erlebte den Beginn der Invasion vor Ort mit. Sie war im Herbst 2021 nach Donezk in der gleichnamigen separatistischen „Volksrepublik“ gezogen, um von dort zu berichten. Ihre Videos und Nachrichten, die sie großteils über Telegram verbreitet, widersprechen spätestens seit Beginn der „speziellen Militäroperation“ dem gängigen westlichen Narrativ.

Das folgende Interview gab Alina Lipp kurz nach Kriegsbeginn. Es sollte in einer überregionalen deutschen Wochenzeitung erscheinen. Da der Chefredakteur den Vorwurf vermeintlicher „Russlandnähe“ fürchtete, flog der Beitrag kurzfristig aus dem Blatt. Erstmals veröffentlicht wurde er erst in der Januar-Ausgabe des monatlich erscheinenden Stichpunkt-Magazins.

Alina Lipp bereist den Donbass und dokumentiert Zerstörungen. (Foto: Lipp)

Frau Lipp, die deutsche Öffentlichkeit nimmt den russischen Einmarsch in der Ukraine als verbrecherischen Angriffskrieg wahr. Sie betonen dagegen, man dürfe die Vorgeschichte der Invasion nicht außer Acht lassen. Wie stellt sich diese für Sie dar?

2014 fand in Kiew ein Umsturz statt, infolgedessen eine neue west­orientierte Regierung an die Macht kam – gestützt von ultranationalisti­schen, anti­russischen Kräften. Der russischsprachige Osten des Landes, der Donbass, und die Krim-Bevölkerung haben diesen Putsch nicht unterstützt und sich von der Uk­raine losgesagt. Daraufhin schickte die illegal an die Macht gekomme­ne Regierung Armee, Polizei sowie Geheimdienste, um die abtrünnigen Gebiete mit Gewalt zurückzuholen.

Die Armee wollte nicht so rich­tig gegen ihr eigenes Volk kämpfen. Deshalb mobilisierten die Putschis­ten Rechtsradikale, bewaffnete diese und schickten sie in die abtrünnigen Republiken. Später haben Vertreter dieser paramilitärischen Einheiten wie „Asow“, „Donbass“, „Ajdar“ in der Armee, in den Geheimdiensten und in der Polizei Schlüsselpositionen übernommen.

Viele Verbrechen wurden gefilmt

Der Terror im Osten begann. Menschen verschwanden, wurden gefoltert und ermordet. Viele Ver­brechen wurden gefilmt. Ich habe selber einige grauenhafte Szenen ge­sehen. Die Menschen im Osten wurden pauschal zu Terroristen erklärt. Die Regierung startete eine „antiterroristische Operation“, die schnell in einen echten Krieg ausartete. Seit 2014 sind nach UN-Angaben rund 14.000 Menschen ums Leben gekommen. Laut OSZE gingen 75 Prozent davon auf das Konto der Ukraine.

Veteranen des umstrittenen Asow-Regiments marschieren 2019 durch Kiew. Ihr Erkennungszeichen, von dem sich die Einheit mittlerweile offiziell distanziert, ist eine Wolfsangel, die auch von NS-Verbänden genutzt wurde. (Foto: Goo3/CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

Das Minsker Abkommen brachte die Hoffnung, dass durch gegenseitige Zugeständnisse Frieden einkehrt. Doch die Ukraine hat es in acht Jahren nicht geschafft, die Schlüsselpunkte des Abkommens umzusetzen. Die Rechtsradikalen haben immer wieder gedroht, die Regierung in Kiew zu stürzen, wenn diese irgendwelche Zugeständnisse machen würde. Sie forderten die gewaltsame Lösung des Konflikts.

Russland will die Ukraine „entnazifizieren“. Im Westen heißt es dagegen, die Ultranationalisten spielten in Parlament und Regierung keine Rolle. Und ist es nicht absurd, wenn ausgerechnet der jüdische Präsident Wolodymyr Selenskyi in die Nähe der Nazis gerückt wird?

Das finde ich nicht absurd. Ein „Nazi“ ist nicht automatisch ein Antisemit, sondern jemand, der ra­dikale Ansichten über andere Men­ schengruppen oder Ethnien vertritt. In der Ukraine wurden Gesetze verabschiedet, die den russischsprachigen Teil der Bevölkerung zu Bürgern zweiter Klasse machen: Behörden und Dienstleister dürfen Russisch als Sprache im Wesentlichen nicht mehr verwenden. Russischsprachige Schulen wurden geschlossen.

Durch das „Gesetz über die ein­ heimischen Völker“ werden die Bürger der Ukraine nach völkischen Kriterien in drei Kategorien eingeteilt, die unterschiedliche Rechte haben. Russen gehören zur dritten Kategorie und haben damit weniger Rechte und Ansprüche auf finanzielle Unterstützung als Ukrainer. Stellen Sie sich vor, ein europäisches Land würde solche Gesetze verabschieden – das wäre ein Skandal!

„Russische Untermenschen“

Möglich ist eine solche Gesetz­ gebung in der Ukraine, weil Ultranationalisten eben doch eine Rolle in Parlament und Regierung spielen. Es gibt staatlich subventionierte Ferienlager, in denen Kinder lernen, man müsse „russische Untermenschen“ erschießen. Das Asow-Regiment untersteht dem Verteidigungsministerium. Die Verwendung von Nazi-Symbolik ist gut belegt. Auch das ZDF hat darüber berichtet.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyi mit Ursula von der Leyen, Präsidentin der EU-Kommission. (Foto: European Commission/Dati Bendo via Wikimedia Commons)

Selenskyi trat sein Amt als Präsident 2019 mit dem Versprechen an, den Konflikt im Donbass zu beenden. Warum ist er gescheitert?

Ich kann mir durchaus vorstellen, dass Selenskyi mit guten und ehrlichen Absichten antrat, den Frie­den wiederherzustellen. Gescheitert scheint er am Widerstand der nationalistischen Kräfte zu sein. Sobald er auch nur andeutete, Zugeständnisse gegenüber der abgespaltenen Republiken in Erwägung zu ziehen, versammelten sich radikale Nationalisten mit Molotow-Cocktails vor dem Regierungsgebäude.

Wenn es Russland um die „Befreiung“ des Donbass geht – warum marschiert es dann auf breiter Front ein und greift auch Kiew, Lemberg oder Charkiw an, die hunderte Kilometer von Donezk und Lugansk entfernt liegen?

Einfach nur die Donbass-Republiken mit Soldaten zu unterstützen hätte nichts gebracht, da die ukrainische Armee mit Raketen auf die Republiken schießt. Deshalb muss Russland die ukrainischen Einheiten so weit wie möglich zurückdrängen – und sicherstellen, dass danach nicht wieder vorgerückt wird.

Russland hat sich die Demilitari­sierung und „Entnazifizierung“ der Ukraine als Ziel gesetzt, da die nationalistischen Kräfte ansonsten im­mer wieder versuchen würden, den Donbass anzugreifen. Russland zerstört daher militärstrategische Ziele überall im Land, um die ukrainische Armee zu schwächen: Waffen­ und Öllager, Übungsplätze, militärische Flughäfen.

Warum hat Russland jetzt angegriffen – und nicht bereits 2014?

Wenn Wladimir Putin der blutrünstige Aggressor wäre, als der er in westlichen Medien meist dargestellt wird, hätte er wohl 2014 angegriffen. Das tat er aber nicht. Russland hat sich aus dem Konflikt weitgehend herausgehalten. Die im Donbass abgehaltenen Referenden, nach denen sich Donezk und Lugansk zu „Volksrepubliken“ erklärten, wurden durch Russland acht Jahre lang nicht anerkannt. Putin legte den Republiken sogar nahe, dass er ihren Antrag auf Aufnahme in die Russische Föderation nicht annehmen würde, sollten sie einen solchen stellen. Viele Menschen im Donbass haben gefragt, warum Russland ihnen nicht helfe. Einige waren sogar richtig sauer.

Die heftigen Kampfhandlungen in Mariupol ließen auch zahlreiche Wohngebiete zerstört und verwüstet zurück. (Foto: Lipp)

Ukraine in die NATO

Aktuell wurde Russland durch mehrere Umstände gezwungen, militärisch gegen die Ukraine vorzugehen. Erstens nahm der Beschuss der Donbass-Bevölkerung, von der ein Großteil die russische Staatsbürgerschaft besitzt, extrem zu. Zweitens lehnten NATO und USA Russlands Vorschläge für gegenseitige Sicherheitsgarantien ab. Damit signalisierten sie, die Ukraine in die NATO aufnehmen zu wollen, womit die Errichtung von NATO-Stützpunkten unmittelbar an der russischen Grenze ermöglicht würde. Putin hat immer wieder da­ vor gewarnt, dass dies eine rote Linie überschreiten und Konsequenzen nach sich ziehen würde.

Und drittens verkündete Selenskyi auf der Münchner Sicherheitskonferenz, dass er in Erwägung zieht, den im Budapester Abkommen geregelten Verzicht der Ukrai­ne auf den Besitz von Atomwaffen zurückzunehmen.

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Habecks Traum von verlorener Souveränität

Im Internet macht ein Video die Runde und sorgt für einigen Wirbel. Es zeigt einen Ausschnitt aus einem in englischer Sprache gehaltenen Redebeitrag des grünen Wirtschaftsministers Robert Habeck beim Weltwirtschaftsforum in Davos. Habeck äußert sich darin zu seinen Vorstellung einer Europäischen Union der Zukunft. Er wünsche sich, sagt der grüne Spitzenpolitiker, eine „federal European republic“. Also eine „europäische Bundesrepublik“, einen europäischen Superstaat anstelle der aktuellen EU, die nach deutschem Rechtsverständnis als bloßer „Staatenverbund“ gilt.

Noch mehr Macht für Brüssel

In den sozialen Medien stößt Habecks Äußerung auf viel Kritik. Schließlich ginge eine Bundesrepublik EU mit einem deutlichen Souveränitätsverlust für ihre Gliedstaaten einher. Soll heißen: noch mehr Macht für Brüssel. Statt für Berlin, Paris oder Rom. Wirklich neu ist das nicht. Seit Jahren fordern gerade deutsche Politiker die immer weitergehende Vertiefung der europäischen Integration. Dies würde notwendigerweise dazu führen, dass Deutschland und die europäischen Nationalstaaten in einem Superstaat unter Brüsseler Führung aufgehen würden. Von Charles de Gaulles Vision eines „Europas der Vaterländer“ hat sich die Bundesrepublik lange schon verabschiedet.

Neu sind Habecks Überlegungen nicht. Schon im Januar 2020 sagte er in einem Vortrag an der Georgetown-Universität in Washington, er sehe die Zukunft Deutschlands in einer weitergehenden europäischen Einigung. „Dazu gehören die Übertragung weiterer Hoheitsrechte, die Steuerhoheit, eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und letztlich die Entstehung einer europäischen Bundesrepublik.“ Zugleich dankte Habeck den USA für den Sieg über den „deutschen Faschismus“. Dies habe den Deutschen die Chance gegeben, sich „in Europa als friedliche Mitbürger zu beweisen“. Indem sie ihre Souveränität aufgeben?

Einheitliches europäisches Wahlrecht

Auch die rot-grün-gelbe Ampelkoalition spricht sich in ihrem Koalitionsvertrag für die Weiterentwicklung der EU „zu einem föderalen europäischen Bundesstaat“ aus. Dieser solle dezentral „nach den Grundsätzen der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit organisiert“ sein. „Wir werden der Gemeinschaftsmethode wieder Vorrang geben, aber wo nötig mit einzelnen Mitgliedstaaten vorangehen. Wir unterstützen ein einheitliches europäisches Wahlrecht mit teils transnationalen Listen und einem verbindlichen Spitzenkandidatensystem.“

Die Ampel-Politiker Volker Wissing (FDP), Michael Kellner (Grüne) und Lars Klingbeil (SPD) präsentieren den unterzeichneten Koalitionsvertrag. (Foto: Sandro Halank/CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

Der Koalitionsvertrag der Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD hatte 2018 noch deutlich zurückhaltendere Formulierungen gebraucht. „Wir wollen den Zusammenhalt Europas auf Basis seiner demokratischen und rechtsstaatlichen Werte auf allen Ebenen vertiefen und das Prinzip der wechselseitigen Solidarität stärken“, hieß es darin etwa. Und: „Wir wollen ein Europa der Demokratie mit einem gestärkten Europäischen Parlament und einem lebendigen Parlamentarismus auf nationaler, regionaler und kommunaler Ebene.“ Die EU solle „in ihrer Handlungsfähigkeit“ gestärkt werden, insbesondere finanziell.

Europäische Staatlichkeit

Traditionell firmieren die Forderungen nach einer europäischen Staatlichkeit unter dem Schlagwort der „Vereinigten Staaten von Europa“. Der Begriff selbst tauchte erstmals 1776 in einem Brief des späteren ersten US-Präsidenten George Washington auf. „Eines Tages werden, nach dem Muster der Vereinigten Staaten, die Vereinigten Staaten von Europa gegründet werden. Sie werden Gesetzgeber aller Nationalitäten sein“, schrieb der US-Revolutionär. Sein Landsmann, der Publizist und Naturwissenschaftler Benjamin Franklin, plädierte zwei Jahre später mit Blick auf Europa für die „Schaffung eines Bundesstaates und einer großen Republik aus all den verschiedenen Staaten und Königreichen“.

Benjamin Franklin skizzierte bereits 1778 die Grundzüge eines europäischen Bundesstaats. (Foto: gemeinfrei)

In den 1920er Jahren griff die SPD die „Bildung der Vereinigten Staaten von Europa“ als politische Vision auf. Einen europäischer Superstaat wie in Habecks Träumen schwebte den Sozialdemokraten aber offenbar nicht vor. Stattdessen war im Heidelberger Programm von 1925 die Rede von einer „europäischen Wirtschaftseinheit“, die „aus wirtschaftlichen Ursachen zwingend“ geworden sei und der „Interessensolidarität der Völker aller Kontinente“ dienen solle. Das Paneuropa-Konzept des österreichisch-japanischen Autors und Politikers Richard Coudenhove-Kalergi sah dagegen eine auch politische Union vor.

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Im Blickpunkt

Wer zuerst schießt, verliert

Es ist so eine Sache mit Familienfesten. Vielleicht kennen Sie das auch? Man sitzt im Kreise seiner lieben Verwandten, isst, trinkt, redet. Irgendwann kommt die Sprache auf ein unangenehmes Thema, das man besser nicht besprochen hätte. Ein kontroverses Thema. Politik zum Beispiel. Ein Wort gibt das andere. Und bald ist vom Familienfrieden nicht mehr allzu viel übrig. Das kann, wie kürzlich, an Weihnachten geschehen oder an Silvester. Es kann aber auch auf jeder beliebigen Geburtstagsfeier passieren. Oder im Sommer beim gemütlichen Grillabend. Der Krieg in der Ukraine ist so ein Thema, das die Gemüter in Wallung bringt und geeignet ist, höchst kontrovers diskutiert zu werden.

Der Wunsch nach Frieden

Solch familiäre Diskussionen können ganz harmlos beginnen. Für Gespräche im Freundeskreis gilt freilich dasselbe. Man wünscht sich baldigen Frieden für die kriegsgeplagte Ukraine. Dass das Kämpfen und Sterben auf dem Schlachtfeld bald enden möge. Dass die Angriffe, die immer wieder auch zivile Ziele treffen, eingestellt werden. Soweit so verständlich. Erst recht angesichts solcher Bilder wie jüngst aus Dnipro (Dnjepropetrowsk), wo ukrainischen Angaben zufolge bei einem russischen Luftschlag mindestens 40 Zivilisten getötet wurden. Sei es, weil der russische Marschflugkörper von der Flugabwehr getroffen und abgelenkt wurde. Sei es, weil die Ch-22 ein Ziel traf, auf das sie nicht programmiert war.

Wladimir Putin auf einem Truppenübungsplatz im Oblast Rjasan südöstlich von Moskau im Oktober. Der russische Präsident lässt sich dabei den Stand der Teilmobilmachung erläutern. (Foto: Kremlin.ru/CC BY 4.0 via Wikimedia Commons)

Bei Friedensappellen bleibt es im familiären Diskurs nicht. Schnell tritt die Schuldfrage in den Vordergrund. Für den gemeinen deutschen Medien-Konsumenten endet hier die Diskussion und beginnen die Fakten. Schuld ist der Russe! Und nur der Russe! Der „Teufel“ Wladimir Putin, der brutale „Diktator im Kreml“, habe die friedliebende Ukraine überfallen und ihr einen Vernichtungskrieg aufgezwungen. So oder so ähnlich hört, sieht und liest der durchschnittliche Deutsche es seit Monaten in den öffentlich-rechtlichen Medien und der Tageszeitung. Wer diesen leitmedialen Konsens in Frage stellt, ist ein böser „Putin-Versteher“, „Russland-Freund“ oder „Kreml-Propagandist“. Oder schlimmeres. Und damit praktisch ein Hochverräter an der westlichen Demokratie und ihrer gerechten Sache.

Moralischer Verlierer

Wer zuerst schießt, verliert. Getreu diesem Motto sehen die deutschen Leitmedien den Konflikt in der Ukraine offenbar. Denn dass Russlands Truppen in das Nachbarland einmarschierten, ohne dass es zuvor ukrainische Angriffe auf Russland gegeben hatte – das dürfte kaum jemand bestreiten. Vor dem 24. Februar beschränkte sich der Krieg in der Ukraine auf den Donbass. Eine großflächige Eskalation brachte erst die russische Februar-Invasion, die mit Luftschlägen und Zerstörungen in weiten Teilen des Landes einher ging. Auf dem Papier mag die Feststellung also zutreffen, dass Russland den Krieg begonnen hat. Es hat zuerst geschossen – und steht damit als moralischer Verlierer da.

Tatsächlich stellt der Einmarsch am 24. Februar eine Zäsur dar. Zumindest in der Wahrnehmung weiter Teile der deutschen Öffentlichkeit. Vom ersten Krieg in Europa seit 1945 war in den Medien die Rede. Dass das historischer Unsinn ist, dürfte vielen gar nicht bewusst sein. Obwohl selbst die Jüngeren sich eigentlich problemlos daran erinnern müssten. In den 1990er Jahren kam der Balkan nicht zur Ruhe. Mit dem Zerfall des sozialistischen Vielvölkerstaats Jugoslawien entluden sich die Spannungen in einem jahrelangen brutalen Krieg. Im Kern mag er ein Bürgerkrieg zwischen den Volksgruppen gewesen sein. Durch die westliche Anerkennung der Balkan-Staaten als unabhängig änderte sich die Situation aber schnell.

NATO-Pressesprecher Jamie Shea. Während des Kriegs gegen Jugoslawien 1999 bezeichnete er zivile Todesopfer wiederholt als „Kollateralschäden“. (Foto: Friends of Europe/CC BY 2.0 via Wikimedia Commons)

Unstrittig ein „richtiger Krieg“ war das, was am Abend des 24. März 1999 mit massiven Luftangriffen der NATO auf Belgrad und andere jugoslawische Orte begann. Mit dem hierzulande meist Kosovokrieg genannten Waffengang ergriff das Militärbündnis endgültig Partei für die kosovarische Untergrundarmee UÇK, deren Kämpfer der jugoslawischen Regierung um Slobodan Milošević als Terroristen galten. Die Angriffe dauerten bis in den Juni hinein und trafen immer wieder auch die Zivilbevölkerung. „Kollateralschäden“ nannte das NATO-Pressesprecher Jamie Shea. Die weithin als zynisch wahrgenommene Bezeichnung, die zuvor im Deutschen kaum geläufig war, wurde prompt zum Unwort des Jahres 1999 gekürt. Für Deutschland, das sich unter rot-grüner Führung an den Luftschlägen beteiligte, war der Krieg gegen Serbien und Montenegro der erste Kampfeinsatz seit Ende des Zweiten Weltkriegs.

Vorwurf des Völkermords

Dass der Krieg völkerrechtlich auf äußerst wackeligen Füßen stand, spielte in der Berichterstattung nahezu keine Rolle. Auch die zahlreichen Angriffe auf die zivile Infrastruktur, auf Brücken und Elektrizitätswerke, wurden kaum kritisch hinterfragt, solange der Einsatz lief. Hinterher konnte freilich wieder ausgiebig berichtet und diskutiert werden, ob die Begründung für die Luftschläge womöglich eine Lüge war. Zumindest mehrten sich die Zweifel an serbischen Massakern und dem sogenannten „Hufeisenplan“, der der NATO und vor allem deutschen Politikern dazu diente, die jugoslawische Regierung um Slobodan Milošević eines vorgeblich geplanten Völkermords an den Kosovo-Albanern zu bezichtigen.

Ein Mahnmal erinnert im Tasmajdan-Park in Belgrad an die serbischen Kinder, die zu Opfern der NATO-Luftangriffe wurden. „Wir waren bloß Kinder“, liest man auf der Skulptur. Die Figur eines kleines Mädchens soll Milica Rakić darstellen, die am 17. April 1999 als Dreijährige durch NATO-Streumunition getötet wurde. Eigentliches Ziel des Angriffs war wohl eine Militärbasis in rund einem Kilometer Entfernung. (Foto: Simon Legner/CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

Das damalige Vorgehen der Medien wiederholte sich – für unvoreingenommene Betrachter noch deutlicher erkennbar – im Zusammenhang mit Corona. Erst seit die Pandemie faktisch beendet und in die endemische Phase eingetreten ist, häufen sich auch in den Leitmedien Berichte über die teils erschreckenden Nebenwirkungen oder die mangelnde Wirksamkeit der Corona-Impfung. Oder über die schädlichen Folgen der Corona-Maßnahmen etwa auf Psyche und Gesundheit von Kindern. Zuvor galten die verordneten Einschränkungen noch als unbedingt nötig, um ein Massensterben nicht nur der „vulnerablen Gruppen“ zu verhindern. Und die Impfung galt (und gilt großteils bis heute) als Allheilmittel gegen das Virus. Wer dagegen seine Stimme erhob, wurde schnell zum „Querdenker“ oder gar zum „Nazi“. Kurz: zum Außenseiter. Auch innerhalb der Familie.

Die Spaltung vertieft sich

Nun also der Krieg in der Ukraine. Wieder ist die Leit-Meinung der großen Medien nahezu flächendeckend die der Regierung. Wieder überbieten sich Politiker in immer neuen Forderungen und Anschuldigungen an die Adresse der Andersdenkenden. Und wieder vertieft sich die Spaltung der Gesellschaft, stehen abweichende Stimmen am Pranger. In der Öffentlichkeit und im Kreis der Familie. Wieder drohen Freundschaften zu zerbrechen. Und mancher, der in Bezug auf den Krieg vermeintliche Gewissheiten des Westens in Frage stellt, ist besser still. Selbst wenn er vielleicht sogar Verbindungen in die Ukraine oder den Donbass hat und die dortige Situation einigermaßen unzensiert mitbekommt.

Wer sein Augenmerk allein auf den 24. Februar und die Monate danach richtet, muss zum Schluss kommen, dass die alleinige Schuld an Krieg und Eskalation bei Russland liegt. Bei Wladimir Putin. Die Vorgeschichte der Invasion spielt dann dieselbe Rolle, die sie auch in den meisten deutschen Medien spielt: keine. Dann verwundert es auch nicht, dass jeder, der Russlands Kriegsschuld relativiert, als böser Propagandist des Kreml gilt. Wetten, dass objektive Formen der Berichterstattung und freiere Diskussionen wieder zunehmen, sobald der Krieg beendet ist? Dann dürfte auch das Sterben im Donbass seit 2014 wieder vermehrt zur Sprache kommen. Und der Druck, den die NATO über Jahre gegen Russland aufbaute.

Thomas Wolf

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Weihnachten: Mehr als nur ein kirchliches Fest

Auch wenn das immer mehr Menschen nicht präsent oder zumindest egal ist: Weihnachten ist das Fest der Geburt Jesu Christi. Eines Mannes, den Milliarden Christen weltweit als Sohn Gottes verehren. Jeder Versuch, die christliche Feier zu einem Winter- oder Lichtfest umzudeuten, ist daher zum Scheitern verurteilt. Das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Weihnachten längst mehr ist als die Erinnerung an die Geburt des Mannes aus Nazareth vor gut 2000 Jahren, dessen Leben und Wirken die Weltgeschichte wie die keines Zweiten verändert hat. Weihnachten ist das wohl wichtigste Fest, das in Deutschland begangen wird. Ein wesentlicher Bestandteil der deutscher Kultur. Ein Fest des Friedens und der Familie für jede Religion. Und auch für Menschen ohne religiöse Prägung.

Weihnachten auf ein reines Winterfest zu reduzieren, greift zu kurz. Ohne seine christlichen Wurzeln ist das wichtigste Fest der Deutschen, das an die Geburt Jesu Christi erinnert, nicht denkbar. (Foto: Pixabay)

Dass Christi Geburt ausgerechnet am 24./25. Dezember gefeiert wird, dürfte auf ein altrömisches Fest der winterlichen Wiedergeburt des Sonnengottes Sol zurückzuführen sein. Zumindest ist das eine gängige Theorie. Die frühen Christen identifizierten ihren Heiland offenbar mit dem römischen Gott oder wenigstens mit dessen Symbol, der Sonne. Auch eine Verbindung zu dem aus persischem Raum stammenden Mithras-Kult der Spätantike ist möglich. Ein Zusammenhang mit Winterfesten der alten Germanen wird zwar in populärwissenschaftlichen Büchern immer wieder diskutiert, gilt aber als unwahrscheinlich. Gut möglich ist jedoch, dass bestimmtes Brauchtum wie die weihnachtliche Nutzung von Tannengrün im Kern auf germanische Ideen zurückgeht.

Fest der bürgerlichen Familie

Sicher ist, dass spätestens im 19. Jahrhundert das rein christliche Weihnachtsfest eine neue Gestalt annahm. Es wurde zu einem Fest der bürgerlichen Familie. An Heiligabend und am 25. Dezember versammelte man sich um den Christbaum, aß und feierte mit den Verwandten und machte sich gegenseitig mit Geschenken eine Freude. Dazu wurden adventliche Lieder wie das 1818 erstmals aufgeführte „Stille Nacht, heilige Nacht“ gesungen. Noch im Mittelalter waren Geschenke eher mit dem Gedenktag des heiligen Nikolaus verbunden. Der spätantike Bischof aus Kleinasien galt als Gabenbringer, dessen Werk fortgesetzt wurde.

Der amerikanische Santa Claus geht auf den heiligen Nikolaus zurück. Vom deutschen Weihnachtsmann unterscheidet er sich vor allem dadurch, dass er seine Geschenke mit einem Rentier-Schlitten ausliefert. (Foto: Douglas Rahden)

Martin Luther, der mitteldeutsche Reformator und Begründer des evangelischen Christentums, steht am Anfang des weihnachtlichen Schenkens. Er lehnte den katholischen Heiligenkult ab – und damit auch den Nikolaus. Statt seiner sollte der „Herre Christ“ die Menschen bescheren. Eben an Weihnachten. Aus ihm wurde schließlich das Christkind. Heute gilt es vor allem im überwiegend katholischen Süden des deutschen Sprachraums als weihnachtlicher Gabenbringer. Im protestantischen Norden dagegen bringt meist der Weihnachtsmann die Geschenke. Ironischerweise also gerade die säkulare Version des Nikolaus. In den USA wurde der übrigens zum Santa Claus. Mit knallrotem Mantel und Rentier-Schlitten.

Den Tannenbaum mitgebracht

Der Kern des heute weltweit verbreiteten Weihnachts-Brauchtums stammt also aus Deutschland. Albert von Sachsen-Coburg und Gotha, fränkisch-thüringischer Prinzgemahl der britischen Königin Victoria, soll das wohl typischste Utensil der deutschen Weihnacht mit nach England gebracht haben: den Tannenbaum. Heute ist er nirgendwo mehr wegzudenken. In den USA nicht, aber auch nicht im mehrheitlich muslimischen Syrien, wo Christen nur eine kleine Minderheit stellen. Auch Weihnachtsmärkte sind längst weltweit verbreitet. Und nicht mehr nur in Wien, München oder Bautzen, wo ihre Tradition historisch am weitesten zurückreicht.

Weihnachtsbäume in Chile. Hier findet das Fest der Geburt Christi im Sommer statt. (Foto: W. Bulach/CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)
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Im Blickpunkt

Wo die Wurzeln des Reformators liegen

Martin Luther ist so etwas wie der Superstar der Reformation. Hätte er nicht am 31. Oktober 1517 seine berühmten 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg genagelt – die deutsche Geschichte wäre womöglich anders verlaufen. Wie kein anderer prägte der abtrünnige Augustinermönch Luther den religiösen Neubeginn im deutschsprachigen Raum. Mit keinem anderen Ort ist sein Name so eng verbunden wie mit der „Lutherstadt“ Wittenberg an der Elbe. Bestenfalls die Wartburg im thüringischen Eisenach, wo der Reformator die Bibel ins Deutsche übersetzte, kann Wittenberg das Wasser reichen. Luthers Wurzeln aber liegen woanders: im Mansfelder Land am Rande des Harzes.

Das Lutherdenkmal auf dem Marktplatz von Eisleben. Im Hintergrund: das Rathaus der Lutherstadt (links) und der Turm der Andreaskirche. (Foto: FB)

In Eisleben ist es schier unmöglich, Luther aus dem Weg zu gehen. Auf jedem Gully-Deckel prangt sein Name. Museen sind ihm gewidmet, Kirchen erinnern an sein Wirken. Ein „Lutherweg“ führt von Wirkungsstätte zu Wirkungsstätte. Von Häuserfassaden und vom Straßenboden grüßen Luther-Zitate. Vermutlich würde es den Besucher kaum verwundern, wenn der Reformator quicklebendig um die Ecke käme. In dem kleinen Städtchen in Sachsen-Anhalt, das wenig mehr als 20.000 Einwohner zählt, ist Luther allgegenwärtig. Hier wurde er 1483 geboren. Und hier starb er auch 1546 mit 62 Jahren. Seit 1946, seit Luthers 400. Todestag, nennt Eisleben sich daher stolz wie Wittenberg: „Lutherstadt“.

Stolz und entschlossen

Auf dem Marktplatz steht Eislebens berühmtester Sohn, dem Rathaus den Rücken gekehrt, stolz, entschlossen und trotzig, die päpstliche Bannbulle in der rechten und die Bibel in den linken Hand. Seit 1883 steht der mächtige Bronze-Luther auf dem Markt. Das Denkmal schuf der preußische Bildhauer Rudolf Siemering. Den Sockel aus Granit zieren drei Reliefs, die Luthers Leben und Wirken illustrieren: der Reformator im Kreise seiner Familie, die Disputation mit dem papsttreuen Kontrahenten Johannes Eck, die Bibelübersetzung auf der Wartburg. Ein viertes Relief steht für den Sieg des Guten über das Böse.

Martin Luther auf einem Porträt aus der Werkstatt des Malers Lucas Cranach des Älteren. (Foto: gemeinfrei)

Nach Jahrzehnten der atheistisch geprägten DDR-Herrschaft und Jahren der Säkularisierung gehört heute nur noch rund jeder siebte Einwohner von Eisleben einer der beiden großen christlichen Kirchen an. Ihren Luther aber kann der Stadt keiner nehmen. Selbst die DDR-Oberen störten sich an seiner Frömmigkeit nicht und erkoren ihn spätestens zum Lutherjahr 1983 zu einer Art Vorläufer des Sozialismus. Das hatten sie zuvor bereits – etwas zutreffender – mit Thomas Müntzer gemacht. Der radikale Prediger war zeitweise Luthers Mitstreiter, dann aber sein erbitterter Kritiker. Als Führer aufständischer Bauern unterlag er 1525 bei Bad Frankenhausen in Thüringen einem verbündeten Fürsten-Heer, wurde festgenommen, brutal gefoltert und hingerichtet. Die DDR verehrte Müntzer als deutschen Nationalhelden.

Kein Schritt ohne Luther

Kaum ein Ort in der damaligen DDR, der etwas auf sich hielt, kam ohne Thomas-Müntzer-Straße aus. In Eisleben dagegen lässt sich kein Schritt gehen, ohne Luther zu begegnen. In den Schaufenstern der Geschäfte prangt sein Antlitz auf Büchern, Touristenführern und Spirituosen. Von Straßenschildern und Wegweisern grüßt sein Name. Ein Gymnasium, das auf Luther selbst zurückgeht, ist nach ihm benannt. Bei körperlichen Beschwerden hilft ein Gang zur Luther-Apotheke. Und für das leibliche Wohl sorgt der Wirt der Lutherschenke. Das Gasthaus wirbt mit einer jener deftigen Aussagen, für die Luther schon zu Lebzeichen berüchtigt war: „Ich fresse wie ein Böhme und saufe wie ein Deutscher.“

Hinter Eislebens Rathaus ragen die Türme der spätgotischen Andreaskirche in die Höhe. Von ihrer Kanzel, die natürlich auch nach dem Reformator benannt ist, hielt Luther seine vier letzten Predigten. Nur wenige Schritte von dem Gotteshaus entfernt starb er am 18. Februar 1546. Sein „Geburtshaus“ – natürlich in der Lutherstraße gelegen – ist eines der ersten Museen der Welt. 1693 wurde das Haus errichtet, um protestantische Pilger und Luther-Fans anzulocken. Luthers wahres Geburtshaus war 1689 abgebrannt. Der Museumsbau hat nach Ansicht von Historikern kaum eine Ähnlichkeit zu dem ursprünglichen Gebäude.

Schloss Mansfeld war einst das Zentrum einer Grafschaft, deren Herrscher zu den ältesten Adelshäusern des Heiligen Römischen Reichs zählten. (Foto: FB)

Das Mansfelder Land, die hügelreiche Region um und bei Eisleben, ist echtes Lutherland. Nur rund zehn Kilometer nordwestlich des Geburtsortes des Reformators liegt eine weitere „Lutherstadt“, die noch dazu ihrer ganzen Umgebung den Namen gegeben hat: Mansfeld. Im Mittelalter war das Städtchen Hauptort einer Grafschaft, deren Herrscher zu den ältesten Adelshäusern des Heiligen Römischen Reichs zählten. Das mächtige Schloss der Grafen von Mansfeld, eine der größten Burgen Mitteldeutschlands, kündet noch von der einstigen Bedeutung des Ortes. Auf einem steilen Felsen thront es hoch droben über dem Stadtkern.

Kindheit in Wohlstand

In der Lutherstraße Nr. 26 in Mansfeld verbrachte der kleine Martin ab 1484 seine Kindheit. Am Wohnhaus seiner Eltern erinnert eine Plakette, die auf der Giebelseite in die Fassade eingelassen ist, von der Sanierung des Hauses anlässlich des 500. Geburtstags des Reformators. 1983 war das. Luther wurde damals von der DDR vereinnahmt. Auf der anderen Straßenseite fällt der Blick auf einen Betonklotz, der überhaupt nicht in die Reihe der alten Bauten passen will. Das „Museum Luthers Elternhaus“ widmet sich der Kindheit des späteren Bibelübersetzers. Einer Kindheit übrigens, in der es dem kleinen Martin durchaus nicht schlecht ging. Vater Hans (1459–1530) gehörte als Besitzer von Erzgruben zu den reicheren Bürgern Mansfelds.

Luthers Elternhaus in Mansfeld. Hier wuchs der spätere Reformator auf. (Foto: FB)

„Ich bin ein Mansfeldisch Kind“, sagte Luther und blieb der Stadt bis zu seinem Tode verbunden. Wie in Eisleben, so ist er auch hier unübersehbar. Ein paar Schritte hinter dem Elternhaus erinnert ein altes Schaufenster an das Reformationsjubiläum 2017. In Mansfeld ging Martin zur Schule, lernte Lesen, Schreiben, Rechnen, Singen und Latein. Die Stadtinformation ist heute in jener „Lutherschule“ untergebracht. Gleich daneben liegt die Kirche St. Georg. Hier war Luther Ministrant. Ein Bild von ihm, das vermutlich der Schule des Malers und Luther-Freunds Lucas Cranach entstammte, war hier zu sehen. Bis es im 19. Jahrhundert übermalt wurde.

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Warum „Regime von Kiew“?

Immer wieder spricht Wladimir Putin, sprechen die russischen Behörden vom „Kiewer Regime“ oder „Regime von Kiew“. So auch jüngst wieder, als Putin nach dem Sprengstoffanschlag auf die Krim-Brücke über die Straße von Kertsch eine härtere Gangart gegenüber der Ukraine ankündigte. „Regime“: Das klingt herabwürdigend – und soll wohl auch so klingen. In Kiew sitzt demnach eine Regierung mit fragwürdiger Legitimation. Zumindest für Russland. Verbirgt sich dahinter mehr als die propagandistische Rhetorik eines verfeindeten Landes?

Die Brücke über die Straße von Kertsch hat strategische Bedeutung für die Versorgung der Krim-Halbinsel. Ein Anschlag, der mutmaßlich vom ukrainischen Geheimdienst verübt wurde, beschädigte das Bauwerk vor einigen Tagen. (Foto: Rosavtodor.ru/CC BY 4.0 via Wikimedia Commons)

Zunächst eine Begriffsbestimmung: Regime kommt aus dem Französischen und bedeutet schlicht so viel wie „Regierungsform“. Das Wort ist in seinem Ursprung also nicht negativ konnotiert. In diesem Sinne gebraucht bis heute auch die Politikwissenschaft den Begriff. Wer dagegen landläufig von einem Regime spricht, meint damit in aller Regel eine irreguläre Herrschaft. So auch Putin. Für ihn sitzt in Kiew eine illegitime Regierung – eben ein „Regime“. Wie für die USA einst im Irak das „Saddam-Regime“ oder für die NATO-Staaten das „Milošević-Regime“ in Jugoslawien.

Für den Westen dagegen ist Wolodymyr Selenskyj der legitime, demokratisch gewählte Präsident der Ukraine. Was also veranlasst Wladimir Putin, Selenskyj die Legitimität abzusprechen? Will er seinen Kriegsgegner einfach nur diskreditieren? Ihn verbal auf eine Ebene mit dem früheren irakischen Diktator Saddam Hussein stellen? Oder ist das russische Gerede vom „Kiewer Regime“ die Fortsetzung des vom Kreml ausgegebenen Ziels der „Entnazifizierung“ der Ukraine mit anderen Mitteln?

Keine reine Propaganda

Bei genauerer Betrachtung ist das „Regime von Kiew“ keine reine Kreml-Propaganda. Oder anders gesagt: Der propagandistische Gebrauch des Ausdrucks „Regime“ für die ukrainische Regierung durch Moskau bedeutet nicht, dass derlei Titulatur jegliche Berechtigung fehlen würde. Die Spurensuche führt fast ein Jahrzehnt zurück: in die Jahre 2013 und 2014. Präsident der Ukraine war damals Wiktor Janukowytsch, der westlichen Medien als prorussisch galt, in mehrerlei Hinsicht aber für einen Ausgleich zwischen Ost und West stand.

Bei der Wahl des Staatsoberhaupts 2010 hatte sich Janukowytsch, der aus dem großteils russischsprachigen Osten der Ukraine stammt, gegen die vom Westen unterstützte Julija Tymoschenko durchgesetzt. Anders als unter seinem russlandkritischen Amtsvorgänger Wiktor Juschtschenko näherte sich die Ukraine unter Janukowytschs Ägide wieder dem Kreml an. Freilich ohne die guten Kontakte zum Westen aufzugeben. Die Ukraine, betonte Janukowytsch, wolle eine „Brücke zwischen Russland und der EU“ sein.

Unterzeichnung ausgesetzt

Im November 2013 setzte die ukrainische Regierung die Unterzeichnung eines geplanten Assoziierungsabkommens mit der Europäischen Union aus, das Janukowytsch stets unterstützt hatte. Die Verhandlungsführung der EU hatte den Ukrainern offenbar Grund zu der Annahme geliefert, sie müssten sich zwischen den beiden Wirtschaftspartnern EU und Russland entscheiden. Das aber wollte Janukowytsch nicht. Ihm schwebte eine neutrale Ukraine auf halbem Weg zwischen Brüssel und Moskau vor.

Die Proteste auf dem Maidan zogen Zigtausende an. Ziel war der Sturz der Regierung Janukowytsch. (Foto: Nessa Gnatoush/CC BY 2.0 via Wikimedia Commons)

Die prowestliche Opposition wiederum wertete die vorläufige Absage an das Assoziierungsabkommen als Absage an Europa und Rückkehr in die Arme des Kreml. In kurzer Zeit organisierten Tymoschenkos „Allukrainische Vereinigung Vaterland“, die Ukrainische demokratische Allianz für Reformen (UDAR) des Ex-Profiboxers Vitali Klitschko und die weit rechts stehende nationalistische Swoboda Massendemonstrationen auf dem zentralen Kiewer Maidan-Platz. Auch der Rechte Sektor, eine militante rechtsextreme Schlägertruppe, war prominent an den Protesten beteiligt.

Dollars für die Revolution

Zum zweiten Mal innerhalb von zehn Jahren richteten sich Massendemonstrationen gegen die gewählte Regierung der Ukraine. Bereits 2004 war der Maidan Schauplatz gewaltiger Proteste. Janukowytsch, bis dato Ministerpräsident der Ukraine, war offiziellen Angaben zufolge zum Präsidenten gewählt. Sein unterlegener Kontrahent Wiktor Juschtschenko akzeptierte seine Niederlage nicht und sprach von Wahlbetrug. Nach wochenlangen Protesten erklärte das Oberste Gericht die Wahl für ungültig und ordnete ihre Wiederholung an. Dabei erhielt Juschtschenko die meisten Stimmen. Aus den USA sollen mehr als 60 Millionen Dollar zur Unterstützung jener „Orangenen Revolution“ geflossen sein.

2004, bei der „Orangenen Revolution“, blieben die Proteste gegen die gewählte Regierung friedlich. Zehn Jahre eskalierte die Gewalt. (Foto: jf1234/CC BY-SA 2.0 via Wikimedia Commons)

Anders als zehn Jahre zuvor eskalierten die Proteste 2014. Gewalt durch Sicherheitskräfte und Demonstranten wechselte sich ab. Während etwa die Bundesregierung nach Einschätzung des Münchner Politologen Günther Auth anfangs noch um eine Vermittlung zwischen Janukowytsch und der Opposition bemüht war, ergriffen andere westliche Staaten klar Partei. „Neokonservative Regierungsnetzwerke der USA hatten im Verbund mit den Spitzen der NATO und den Regierungen Polens und Litauens schon lange vor Beginn der Proteste ukrainische Nationalisten zu einer militanten Opposition gegen die prorussische Regierung Janukowytsch aufgebaut“, ist Auth überzeugt.