Heute beginnt die Fußball-Europameisterschaft in Deutschland. Am Abend trifft die Auswahl des Deutschen Fußball-Bunds beim Eröffnungsspiel in München auf das Team aus Schottland. Auf dem Papier ist die Partie eine klare Sache. Etwas anderes als ein Sieg der deutschen Fußball-Nationalmannschaft wäre schon nahe an einer Blamage. Andererseits: Hat sich die DFB-Truppe in jüngerer Vergangenheit nicht immer wieder blamiert? Zuletzt sogar unter dem neuen Bundestrainer Julian Nagelsmann.
Ein torloses Unentschieden gegen die Ukraine und ein mühevoller Sieg gegen den krassen Außenseiter Griechenland lassen für das Turnier im eigenen Land nicht unbedingt allzu viel erwarten. Das ist umso bedenklicher, als gerade das zarte Pflänzchen der Hoffnung zu keimen begann, dass diese Fußball-Meisterschaft nicht wieder zu politisch korrekten Botschaften und Regenbogen-Bekundungen missbraucht werden würde. Schließlich hat Nagelsmann betont, man wolle die Politik diesmal nicht mit auf den Platz nehmen.
Blamables Aus in Gruppenphase
Unter dem neuen Trainer schien es, als besinne sich die Nationalelf auf ihre Kern-Tugenden. Und damit auf den Sport, auf die Leistungen auf dem Rasen. Die „Polit-Offiziere“ unter den Spielern, die dem Team 2022 bei der WM im Wüstenstaat Katar zuerst die „One Love“-Armbinde und schließlich das blamable Aus in der Gruppenphase bescherten, schienen entmachtet. Leon Goretzka: aussortiert. Kapitän Manuel Neuer: verletzt. Ein Neustart ohne Politik und Regenbogen-Fantasien schien möglich. Doch zu früh gefreut! Der von SPD-Mann Bernd Neuendorf geführte DFB grätschte dazwischen.
Das Auswärtstrikot, das man für die Heim-EM entwerfen ließ, erinnert in Knallpink und Lila mehr an ein Werbe-Shirt der Telekom als an ein Dress der deutschen Nationalmannschaft. „Klassisch mal anders“ – so beschreibt der DFB das Adidas-Trikot. Es werde zu 100 Prozent aus recycelten Materialien hergestellt. Dies helfe dabei, „Müll zu reduzieren, unsere Abhängigkeit von nicht erneuerbaren Ressourcen einzuschränken und den CO2-Fußabdruck unserer Produkte zu verringern“. Trotzdem wird das Trikot in Vietnam gefertigt und muss erst um den halben Erdball geschifft werden, bevor es bei den Fans ankommt.
Politisch korrekte Fußball-EM
Hinzu kommt: Keine Europameisterschaft der Vergangenheit war je so politisch wie die in Deutschland. Und damit auch: so politisch korrekt. Dass sie nachhaltig sein soll, ist schon selbstverständlich. Ebenso, dass Russland ausgeschlossen wurde. Bei der EM gehe es aber auch um „Vertretung von Minderheiten, Förderung der Geschlechtergleichstellung und Vorbeugung von Diskriminierung und Rassismus“, stellte voriges Jahr ein Strategie-Papier fest. Auch Unisex-Toiletten und ein veganes Speise-Angebot sah es vor. Kooperieren, hieß es darin, wolle man etwa mit Amnesty International, Migranten-Organisationen, dem Lesben- und Schwulenverband LSVD und den „Queer Football Fans“.
Mittlerweile steht sogar Manuel Neuner wieder im deutschen Tor. Auch wenn er die Spielführer-Binde an Ilkay Gündogan abgeben musste, der ungleich weniger politisch korrekt denkt. Dafür hat Antonio Rüdiger einen Islamismus-Skandal an der Backe. Echte EM-Begeisterung will nicht so recht aufkommen. Ist da ein neues Sommermärchen überhaupt möglich? Ein schwarz-rot-goldenes Fußball-Fest wie bei der Heim-WM 2006? Damals waren die deutschen Farben überall präsent. Die Deutschen konnten unverkrampft ihren Fußball-Patriotismus zeigen. 18 Jahre später gilt schnell als „Rassist“ oder „Nazi“, wer die Farben der deutschen Demokratie zeigt. Völlig widersinnig!
Auch Philosoph Peter Sloterdijk ist in Sachen Sommermärchen pessimistisch: „Märchen dieser Art kann man nicht à la carte bestellen“, sagte er kürzlich. So weit wie 2006, als die deutschen Nationalkicker WM-Dritter wurden und sich von den Fans zum „Weltmeister der Herzen“ küren ließen, werde die Euphorie diesmal nicht gehen. Die identitätsstiftende Wirkung der DFB-Elf von damals gebe es in dieser Form inzwischen nicht mehr, betont Sloterdijk. „Obgleich der Bundestrainer sich außerprotokollarisch auf einer Stufe mit dem Bundespräsidenten befindet“, ergänzt der Philosoph augenzwinkernd.
Gegen deutsche Flaggen
Ja, Deutschland hat ein Identitätsproblem. Ein gewaltiges. Das ist nicht nur ein Gefühl, das lässt sich auch nachweisen. Einer Umfrage zufolge nämlich will ein Viertel der Bevölkerung keine deutschen Flaggen im Stadtbild sehen. Unter den 18- bis 24-Jährigen ist es sogar mehr als die Hälfte. Es ist diese Denke, die deutsche Fußball-Nationalspieler dazu bringt, lieber mit den Farben des Regenbogens aufzulaufen als mit Schwarz-Rot-Gold. Wer sagt, er sei stolz auf sein Land oder seine deutsche Nationalität, schießt sich ins politisch korrekte Abseits.
Stattdessen propagieren Politik und Medien permanent ihr Ideal einer möglichst großen Diversität. Eine gemeinsame – und damit: einende! – Identität stört da nur. Es braucht ganz sicher mehr als ein paar Wochen Fußball-EM, um sie wiederzufinden. Aber vielleicht kann das Turnier im eigenen Land zumindest ein wenig von der Magie des Sommermärchens von 2006 zurückbringen. Gemeinsam feiern, einfach mal stolz auf die – hoffentlich guten – Leistungen „unserer“ Mannschaft und Deutschlands Rolle als Gastgeber eines Welt-Ereignisses sein: Das kann nicht verkehrt sein!
Anna Steinkamp