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Im Blickpunkt

Unabhängige Journalistin oder Kreml-Troll?

Alina Lipp ist umstritten. Ihren Kanal „Neues aus Russland“ verfolgen auf der Nachrichtenplattform Telegram mehr als 180.000 Menschen. Damit hat Lipp eine Reichweite, die über der manch einer Tageszeitung liegt. Alina Lipp versteht sich selbst als Journalistin. Deutschen Leitmedien gilt sie dagegen als „Putins Infokriegerin“, „Russland-Troll“ oder „Propagandistin des Kreml“. Weil sie aus Russland und dem umkämpften Donbass berichtet und ihren Telegram-Abonnenten dabei die russische Perspektive auf den Konflikt schildert, ja sich durchaus auch mit ihr gemein macht, zweifeln deutsche Medien an ihrer Unabhängigkeit.

Alina Lipp mit Helm: kein Beleg für ihre Nähe zu den russischen Streitkräften, sondern nur eine Sicherheitsvorkehrung. (Foto: Lipp)

Seit Beginn der russischen Invasion hat sich die heute 29-Jährige zu einem der bekanntesten Gesichter der „prorussischen“ Berichterstattung entwickelt. Die russische Perspektive liegt Alina Lipp sozusagen in den Genen. 1993 wurde sie in Hamburg als Tochter eines Russen und einer Deutschen geboren. 2018 wanderte Vater Wladimir auf die russisch gewordene Halbinsel Krim aus. In ihrem Kanal verlinkt Alina immer wieder Videos, in denen er vom ländlichen Leben auf der Halbinsel berichtet. Lipp studierte Umweltsicherung und Nachhaltigkeitswissenschaften und war eine Zeitlang bei den Grünen politisch aktiv.

Heute sieht sie ihre einstige Partei äußerst kritisch: „Die Grünen haben sich leider zum Negativen verändert. Sie zeigen momentan, dass sie eine Partei sind, die ausschließlich die Interessen der USA umsetzt und nicht jene der deutschen Bevölkerung.“ Die ablehnende Haltung der Partei hinsichtlich der mittlerweile gesprengten Erdgas-Leitung „Nord Stream 2“ zeuge von der „fachlichen Inkompetenz der Parteivorsitzenden“, meint Alina Lipp. Statt auf günstiges Erdgas aus Russland müsse Deutschland nun auf teures und umweltschädliches Frackinggas aus den USA zurückgreifen. „Die deutsche Wirtschaft und die Bevölkerung sollen leiden, damit es Putin weh tut.“

„Die Wahrheit vermitteln“

Als 2014 die Proteste gegen den ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowytsch eskalierten und in der Folge im Donbass ein Bürgerkrieg ausbrach, begann Lipp, das westliche Narrativ zusehends zu hinterfragen. Sie befasste sich mit Heimat, Sprache und Kultur ihres Vaters und bereiste Russland. Im August 2021 kam sie zum ersten Mal ins umkämpfte Donezk. Zusammen mit einem Bekannten, der ursprünglich aus der Stadt stammt. „Ich war ziemlich geschockt über das, was ich da gesehen habe. Dass da Zivilisten umgebracht werden und in Deutschland nicht darüber berichtet wird“, sagt Lipp. Im Oktober fuhr sie wieder nach Donezk. Diesmal, um zu bleiben. Der Wunsch, „die Wahrheit nach Deutschland zu vermitteln“, war stärker als die Angst, in einem Kriegsgebiet zu leben, das regelmäßig von ukrainischen Truppen beschossen wird. 

Durch Beschuss im Bürgerkrieg wurde das Haus dieser Menschen im Donbass zerstört. (Foto: Lipp)

„Ich hatte zwei Monate überlegt, weil ich genau wusste: Das könnte Konsequenzen für mein Leben haben.“ Sie sollte Recht behalten. Ob sie jemals in die Bundesrepublik zurückkehren kann, ist fraglich. Für ihre Berichterstattung droht ihr hierzulande eine Freiheitsstrafe. Bis zu drei Jahre Haft. Denn nach Paragraf 140 des deutschen Strafgesetzbuchs ist es verboten, bestimmte Straftaten „in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts“ zu billigen. Zu jenen Straftaten gehören Kriegsverbrechen und völkerrechtswidrige Angriffskriege. Nach westlicher Sichtweise liegt beides im Fall der russischen Invasion in der Ukraine vor.

„Jemand, der filmt, was er sieht“

Just wenige Monate vor dem Beginn von Russlands „spezieller Militäroperation“ in der Ukraine zog Lipp nach Donezk. Dass sie sich dort zum Kreml-Troll entwickelte, steht für viele deutsche Medien außer Frage. Sie selbst weist das entschieden zurück: „Ich finde das eine Frechheit, mich als Putin-Troll oder Infokrieger zu bezeichnen. Ich bin einfach jemand, der vor Ort ist, filmt, was er dort sieht, und Gespräche vor Ort ins Deutsche übersetzt. Ohne irgendwelche Aufträge zu haben.“ Nie, betont Lipp, habe sie sich als Propagandistin präsentiert. Nie habe sie sich vor die Kamera gestellt und gesagt, sie unterstütze die Spezialoperation. „Wenn man mein Material anguckt, sieht man, dass ich meistens einfach die Kamera rumschwenke und die Leute reden lasse.“ 

Die „Volksrepublik Donezk“, aus der Lipp seit Herbst 2021 berichtet, spaltete sich 2014 nach einem international kritisierten Referendum von der Ukraine ab. Seit einem nicht minder umstrittenen erneuten Volksentscheid im vergangenen Jahr gehört Donezk zur Russischen Föderation. Zumindest nach russischer Lesart. Für den Westen bildet die „Volksrepublik“ nach wie vor einen Oblast (Bezirk) der Ukraine. Meist teilt Alina Lipp in ihrem Kanal Meldungen anderer – und verbreitet so auch Inhalte, die sich dann als „Fake News“ erweisen. Das macht sie angreifbar für ihre Kritiker im Westen, die in der Deutsch-Russin nur ein junges, attraktives Gesicht der Kreml-Propaganda sehen. Sie selbst betont: „Ich habe noch nie absichtlich Fakes verbreitet. Wenn ich auf einen Fake reingefallen bin, stelle ich das immer richtig.“

Wiederaufbau geht voran

Ihre Videos, die sie selbst bei Fahrten in die Nähe der Front, ins russisch besetzte Mariupol oder in andere „befreite“ Orte der „Volksrepublik Donezk“ aufnimmt, sind wichtige Primärquellen. Das, was die Menschen ihr – so wirkt es – bereitwillig in die Kamera erzählen, weicht teils beträchtlich von dem ab, was westliche Medien und Politiker spätestens seit dem 24. Februar 2022 verbreiten. Dass für den Donbass der Krieg bereits 2014 begann. Dass das ukrainische Militär Zivilisten beschießt und als menschliche Schutzschilde missbraucht. Auch wenn der Wahrheitsgehalt der Aussagen von Deutschland aus oft nicht überprüft werden kann, so bleibt doch der Eindruck, dass die Menschen im Donbass den russischen Einmarsch großteils begrüßen. Auch der Wiederaufbau der zerstörten Orte geht zügig voran. Lipps Botschaft stimmt häufig mit dem überein, was andere westliche Journalisten aus dem Donbass berichten.

Bereits im September 2021, also Monate vor der Invasion, als Lipp noch primär von der Krim schrieb, traf die junge Deutsche in Moskau Maria Sacharowa, die Sprecherin des russischen Außenministeriums. Westlichen Medien ist das ein weiteres Mosaiksteinchen in der Argumentation, Alina Lipp sei nichts weiter als eine Marionette des Kremls. Dagegen betont die 29-Jährige, Sacharowa habe lediglich „das Buch eines norwegischen Kollegen der Krim-Freunde signiert, bei denen ich Mitglied bin. Er hatte mich dazu mitgenommen.“ Bei einer Konferenz jener Krim-Freunde im März 2022 sah Lipp Sacharowa dann noch einmal. „Maria Sacharowa ist mit einer kleinen Rede aufgetreten und dann abgehauen.“

Teil eines Medienkriegs

Finanzieren lässt sich Alina Lipp von privaten Unterstützern, sagt sie. Das ist nicht ganz unproblematisch. Der Bezahldienstleister Paypal kündigte ihr das Konto. Ebenso ihre Direktbank. Lipp sieht die Kündigung als Teil eines Medienkriegs gegen sie. Wie viel Spenden sie erhält, behält die 29-Jährige für sich. „Aussagen über das Geld, das ich bekomme, mache ich nicht.“ Deutlich wird sie allerdings auf die Frage, ob sie jemals Geld von russischen Staatsmedien oder gar vom Kreml angenommen habe.

Mit Helm und Seit’ an Seit’ mit Wladimir Putin: So zeigte das Nachrichtenportal T-Online Alina Lipp. (Foto: Screenshot T-Online.de)

„Das war dieser blöde Artikel von T-Online, der das Gerücht gestreut hat, ich würde für Staatsmedien arbeiten. Das stimmt überhaupt nicht. Als unabhängiger Journalist verkauft man sein Material. Man bekommt keine Aufträge. Wenn jemandem etwas gefällt, kauft er das. Das ist völlig normale Praxis für freie Journalisten.“ Ein einziges Mal habe sie Sputnik Deutschland beliefert. „Das war vor der Spezialoperation. Da habe ich Sputnik drei kurze Videos geschickt, die alle nur etwa eine Minute oder so dauerten. Erst nach Monaten bekam ich dafür einen Mini-Betrag.“ Absehen davon habe sie nie Geld von russischen Medien erhalten.

Wer also ist Alina Lipp? Verbreitet sie für den Kreml russische Propaganda? Ist sie die „Friedensjournalistin“, als die sie sich selbst sieht? Oder liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen? „Ich bin einfach eine Journalistin, die Ungerechtigkeit gesehen hat und versucht, diese Ungerechtigkeit bekannt zu machen und aufzudecken“, sagt Lipp. Ihre Gegner an der medialen Front wird sie damit nicht überzeugen. Alle anderen vielleicht schon.

Thomas Wolf

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Im Blickpunkt

Guter Journalismus – altbacken?

„Fake News“ allerorten – diesen Eindruck kann man gewinnen, wenn man mit offenen (und skeptischen!) Blicken durch das Internet geht. Ob Facebook, Twitter oder Telegram – überall werden Halbwahrheiten verbreitet oder wird schlicht gelogen. „Fake News“ sind aber keineswegs nur eine Spezialität der sozialen Medien oder des Internets im Allgemeinen. Auch vermeintlich seriöse Leitmedien sind nicht davor gefeit, einseitig zu berichten. Statt kritisch nachzufragen, übernehmen sie immer öfter einfach das, was Politiker ihnen ins Mikrofon diktieren.

Diese Seite will anders sein. Ihr Untertitel ist Programm: „Unabhängig – unbestechlich – ungelogen“. Wir sind ideologiefrei, lehnen Hass und Hetze ab und betreiben Journalismus, wie er eigentlich überall betrieben werden sollte: Seine Aufgabe ist nicht Stimmungsmache, sondern sachliche und unparteiische Information. Ein Journalist darf eine Meinung haben, aber man darf sie seinem Beitrag nicht ansehen – es sei denn, er ist mit „Kommentar“ überschrieben.

Guter Journalismus macht sich nicht mit politischen Zielen, Meinungen oder Haltungen gemein, selbst wenn sie noch so unterstützenswert erscheinen. Guter Journalismus geht in die Tiefe und betrachtet die Welt nicht nur oberflächlich. Er geht ganz nah ran und bleibt doch distanziert. Und wenn seine Themen und Inhalte wehtun, dann nicht, weil der Journalismus wehtun will – sondern weil irgendwer in Politik, Wirtschaft oder Gesellschaft Mist gebaut hat.

Eine Schreibmaschine – einst unverzichtbares Arbeitszeug des Journalisten. Heute wirkt sie altbacken – wie klassischer Journalismus auch? (Foto: Pexels/Pixabay)

In der schnelllebigen Ära des Internets, in der schnelle Klicks entscheidend sind und selbst Politiker ihre Inhalte in 160 Zeichen unters Twitter-Volk bringen, in Zeiten von Corona-Pandemie, gesellschaftlicher Spaltung, wiedererwachtem Ost-West-Konflikt und zunehmender Klima- und Energiekrise mag das für manchen irgendwie altbacken wirken – aber zu Unrecht! 

„Der andere Blickwinkel“ möchte Informationen bieten, die man nicht überall findet: spannende Themen, lesenswert aufbereitet und garantiert ohne „Fake News“.

»Ich bin Journalist – ich habe keine Meinung!«

Unbekannter Reporter im Film „Der Baader Meinhof Komplex“