Kategorien
Im Blickpunkt

Ermöglichen Katars Milliarden die Invasion?

Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) befürchtet eine erneute großangelegte Invasion der Türkei im Norden Syriens. Eine Milliarden-Zahlung aus dem sunnitisch-wahhabitischen Golf-Emirat Katar mache dieses Szenario wahrscheinlicher, meint Kamal Sido, Nahostexperte der GfbV. Zuletzt habe der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan erklärt, was er von einer solchen Invasion erwartet. „Er will Millionen von Menschen vertreiben und Nordsyrien kurdenfrei machen“, sagt Sido. „Nun soll Katar mindestens 10 Milliarden US-Dollar für die Türkei bereitgestellt haben. Davon kann man viele islamistische Söldner in den Krieg schicken. Sie sind bereits jetzt zahlreich in der Region präsent und terrorisieren die Menschen dort im Auftrag des NATO-Staates Türkei.“

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Die Gesellschaft für bedrohte Völker befürchtet, dass er seine Truppen in naher Zukunft in Syrien einmarschieren lässt. (Foto: Gobierno de Guatemala/PDM-owner via Wikimedia Commons)

Die Türkei greift den Norden Syriens bereits seit Wochen immer wieder mit Artillerie und aus der Luft an. In einem Fernsehinterview verkündete der türkische Präsident, Nordostsyrien sei „für den Lebensstil der Kurden nicht geeignet, weil es Wüste ist“. „Der türkische Machthaber scheint zu bestimmen, welche Volksgruppe wo leben darf oder auch nicht. Und natürlich verschweigt er dabei, dass die Region seit Jahrhunderten kurdisch besiedelt ist“, erklärt Sido. „Jetzt mobilisiert Erdoğan Unterstützung, wo er sie bekommen kann. Katar hat er offenbar für seine islamistischen Großmacht-Ambitionen gewinnen können.“

Nordsyrien ethnisch säubern

Das kleine Katar, dass gerade einen Gas-Liefervertrag mit der Bundesrepublik abgeschlossen hat, könne sich die Unterstützung offensichtlich leisten. „Das WM-Gastgeberland unterstützt überall im Nahen Osten sunnitische Islamisten. Zum sunnitischen Islamisten Erdoğan gibt es schon lange gute Beziehungen. Nun ist er innenpolitisch angeschlagen. Er hat Angst, die Wahlen im nächsten Jahr zu verlieren. Die Invasion ist für ihn auch ein Mittel im Wahlkampf. Dazu kann er Nordsyrien ethnisch und religiös säubern und eine neue Fluchtwelle auslösen, mit der er Europa erpressen kann.“

Türkische Soldaten der KFOR-Mission im Kosovo. Mittlerweile liegt das Augenmerk der Streitkräfte auf Syrien. (Foto: Sgt. 1st Class Michael Hagburg/116th Public Affairs Detachment/gemeinfrei via Wikimedia Commons)

Erdoğan gilt der Gesellschaft für bedrohte Völker als politischer Kopf des radikalen sunnitischen Islam. Ähnlich wie die iranischen Mullahs, die schiitischen Gruppen anführen. „Das sunnitische Lager von Katar und der Türkei hat durch die NATO-Anbindung allerdings eine bessere Ausgangsposition. Ohne Duldung durch die NATO, Russland oder den Iran wird Erdoğan niemals eine neue Invasion wagen“, meint Sido. „Da aber selbst die deutsche Bundesregierung ‚Verständnis für die Sicherheitsinteressen der Türkei‘ äußert, dürfte er bald genügend Unterstützung gesammelt haben. Sobald das der Fall ist, wird die Invasion beginnen.“

Kategorien
Im Blickpunkt

„False Flag“ in Istanbuls Innenstadt?

Eine Kämpferin der kurdischen Arbeiterpartei PKK soll in einer belebten Einkaufsstraße in Istanbul eine Bombe platziert haben. Das jedenfalls behauptet die islamisch-konservative Regierung in Ankara. Und beschießt seither die Kurdengebiete an der syrisch-türkischen Grenze. Mehr als 30 Menschen kamen dabei bislang ums Leben. Und das könnte erst der Anfang sein: Die Regierung droht nämlich mit einer großangelegten Bodenoffensive gegen die Kurden. Bei dem Anschlag in Istanbul waren sechs Menschen getötet worden. Mehr als eine Woche nach der Bluttat mehren sich nun die Zweifel an der offiziellen Version.

Von der PKK ausgebildet?

Als Täterin präsentierten die türkischen Behörden eine Frau namens Ahlam Albashir. Sie sei von der PKK oder vielmehr ihrem syrischen Ableger YPG ausgebildet und angestachelt worden, in der Istanbuler Innenstadt eine Tasche abzulegen, die den Sprengsatz enthielt. Albashir soll nach Angaben der Ermittler vor rund vier Monaten über die türkisch kontrollierte Region Afrin im Nordwesten Syriens in die Türkei eingereist sein. Ein mutmaßlicher Mittäter namens Ammar Jarkas, den die türkischen Behörden als Kopf hinter der Tat ausgemacht haben wollen, soll seit einem Jahr in der Türkei leben. Eingereist sei er über das kurdisch beherrschte Grenzgebiet rund um die Stadt Kobane in Syrien.

Menschen gedenken in der Istanbuler Unabhängigkeitsstraße der Toten des Anschlags vom 13. November. Die türkische Regierung vermutet kurdische Terroristen hinter dem Attentat. (Foto: Kurmanbek/CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

Die PKK weist die Vorwürfe entschieden zurück. Die Mehrheit der türkischen Medien dagegen stellt die offizielle Version von Vorgeschichte und Tathergang nicht in Frage. Bei näherer Betrachtung ergeben sich jedoch zahlreiche Fragezeichen. Darauf weist ein aktueller Beitrag des Portals tagesschau.de hin. Demnach haben türkische Journalisten erfahren, dass Albashir als auch Jarkas bereits deutlich länger in der Türkei leben. Auch ihre Namen wecken Zweifel. Es sind nämlich keine kurdischen. Jarkas ist selbst nach Angaben der Ermittler arabischer Syrer. Albashir könnte nach Medienberichten aus Somalia oder dem Sudan stammen.

Kämpfer der „Freien Syrischen Armee“

Im Verhör sagte Albashir aus, ihr Bruder sei Kämpfer der „Freien Syrischen Armee“ (FSA). Jene Miliz war am Beginn des Bürgerkriegs in Syrien die treibende Kraft des Aufstands gegen Präsident Baschar al-Assad. Westliche Staaten unterstützten sie finanziell und durch Ausbildung. Doch im Laufe des Bürgerkriegs geriet die FSA immer mehr ins Hintertreffen. Zuletzt war sie unter dem Namen „Syrische Nationale Armee“ kaum mehr als der verlängerte Waffenarm der Türkei in Syrien. Auch Jarkas und ein weiterer arabischer Syrer, bei dem Albashir in Istanbul gewohnt haben soll, standen offenbar in Verbindung zur „Freien Syrischen Armee“.

Kämpfer der „Freien Syrischen Armee“ (FSA) in einem türkischen Bus. Die von der Türkei gestützten Überreste der FSA treten mittlerweile als „Syrische Nationale Armee“ auf. (Foto: Voice of America/gemeinfrei)

Doch damit nicht genug der Merkwürdigkeiten. Albashir soll in ihrem Handy nämlich eine ganz besondere Sim-Karte genutzt haben. Zugelassen ist sie auf einen Ortsvorsitzenden der Partei MHP im mehrheitlich kurdisch besiedelten Südosten der Türkei. Die MHP ist Teil von Recep Tayyip Erdoğans Regierungskoalition. Vielen Beobachtern gilt sie als rechtsextrem. Der Ortsvorsitzende sieht sich dem Tagesschau-Beitrag zufolge als unschuldiges Opfer. Sein Ausweis sei kopiert worden. So habe man sich die auf seinen Namen ausgestellte Sim-Karte erschlichen. Wie kurdische Kämpfer an seinen Ausweis kommen konnten, erklärt er nicht.

Kurden in die Schuhe geschoben?

War der Anschlag in der Unabhängigkeitsstraße also eine „False Flag“, eine Operation unter falscher Flagge? Eine Bluttat türkischer Offizieller oder ihrer Unterstützer, die den Kurden in die Schuhe geschoben wird? In jedem Fall kommt der Anschlag wie gerufen für Präsident Erdoğan. Im kommenden Jahr wird in der Türkei ein neues Parlament gewählt. Erdoğans Koalition droht Umfragen zufolge ein herber Stimmenverlust. Durch die Angriffe auf das kurdische Siedlungsgebiet und eine mögliche Bodenoffensive kann sich der Präsident als starker Mann präsentieren. Und damit womöglich bei den Wählern punkten. Die PKK dagegen hätte durch den Anschlag überhaupt nichts gewonnen. Wenn sie ihn denn verübt hat.

Thomas Wolf

Kategorien
Im Blickpunkt

Syrien: „Schlimmer als während des Krieges“

2011 eskalierten die Proteste gegen die Regierung von Syriens säkularem Präsidenten Baschar al-Assad zum blutigen Bürgerkrieg. Islamistische Gruppierungen, die nicht selten von der Türkei oder Katar oder sogar vom Westen unterstützt wurden, bemächtigten sich ganzer syrischer Regionen und töteten oder vertrieben Zigtausende, darunter viele Christen. Heute, mehr als zehn Jahre nach Beginn der Mordens, ist in weiten Teilen des Landes die heiße Phase der Kämpfe vorbei. Nach Ansicht der Ordensschwester Annie Demerjian ist die Lage aber „schlimmer als während des Krieges, was die wirtschaftliche Situation und den Alltag der Menschen angeht“. Das sagte Demerjian in einem Interview mit dem katholischen Hilfswerk „Kirche in Not“.

Kinder beten im syrischen Ost-Ghouta vor der Ikone „Unsere Liebe Frau von den Schmerzen, Trösterin der Syrer“. (Foto: Kirche in Not)

In einigen Landesteile seien auch nach elf Jahren des Bürgerkriegs noch immer islamistische Milizen wie der „Islamische Staat“ oder Nachfolge-Organisationen der al-Qaida-nahen Al-Nusra-Front aktiv, beklagt Demerjian. Dort werde nach wie vor gekämpft. In den anderen Landesteilen fielen zwar keine Bomben mehr, „aber das Leben ist nicht friedlich. Es gibt keinen geregelten Alltag, denn unser Volk kämpft jeden Tag ums Überleben“. Demerjian gehört der Gemeinschaft der „Schwestern Jesu und Mariens“. Zusammen mit ihren Mitschwestern betreut sie kirchliche Hilfseinrichtungen in Syrien und im benachbarten Libanon.

Die Lage der Infrakstruktur sei vielerorts desolat, sagt die Ordensfrau: Viele Menschen hätten nur ein bis zwei Stunden am Tag Strom, die Wasserversorgung sei unterbrochen. Die Löhne könnten mit den enorm gestiegenen Preisen nicht mithalten: „Ein Familienvater in Aleppo verdient durchschnittlich umgerechnet um die 30 Euro. Allein die Miete beträgt aber 40 bis 50 Euro, in der Hauptstadt Damaskus sogar noch mehr. Wie soll das funktionieren?“ Viele Menschen seien der Situation überdrüssig. Die Auswanderungswelle, mit der Syrien seit Jahren zu kämpfen hat, setze sich fort.

Kritik an Sanktionen

Scharf kritisiert die Ordensfrau die Sanktionen, die die Europäische Union und die US-Regierung nach Beginn der Unruhen gegen Syrien verhängten: „Sie treffen das einfache Volk und machen uns das Leben sehr schwer. Ich verstehe die Länder nicht, die von Menschenrechten reden und Sanktionen gegen das Leben der Menschen verhängen.“ Die Kirche versuche, die schlimmsten Nöte zu lindern und weitere Auswanderungen zu stoppen, erklärt Schwester Annie. Sie schätzt, dass im Vergleich zur Zeit vor dem Bürgerkrieg nur noch etwa ein Drittel der Christen in Syrien geblieben seien.

Die Kirche versucht, den Syrern mit Suppenküchen zu helfen. (Foto: Kirche in Not)

Das Engagement von Schwester Annies Gemeinschaft erstreckt sich deshalb auch auf den Libanon, wo sich nach wie vor viele syrische Flüchtlinge aufhalten. Im syrischen Aleppo konzentriert sich die Hilfe auf rund 300 mittellose Familien. Die Ordensfrauen leisten Beihilfen für die Miete und versorgen die Menschen mit Lebensmitteln und Medikamenten. Diese seien nach wie vor ein besonders rares Gut, erzählt Demerjian: „Ich weiß von vielen Menschen, dass sie ihre Medikamente nur alle paar Tage einnehmen. Sie strecken sie, damit sie möglichst lang den Bedarf decken können.“ 

Traumatisierte Kinder

Für traumatisierte Kinder bieten die Ordensfrauen Musik- und Kunsttherapien an. „Das Trauma, das unsere Kinder erlitten haben, ist sehr stark, besonders bei denen, die während des Krieges geboren wurden“, sagt Schwester Annie. Ein weiteres Augenmerk liege auf dem Bereich Arbeit und Bildung. In der christlich geprägten Kleinstadt Maalula im Südwesten Syriens nahe der libanesischen Grenze hat die Gemeinschaft eine Nähwerkstatt aufgebaut, in der über 20 Frauen Arbeit und Lohn finden. Während des Kriegs war Maalula zeitweise von dschihadistischen Kämpfern besetzt.

Schwester Annie Demerjian (links) mit Frauen in der Nähwerkstatt der christlichen Siedlung Maalula. (Foto: Kirche in Not)
Kategorien
Im Blickpunkt

Ein „Palazzo Prozzo“ für Olaf Scholz?

Als „Erichs Lampenladen“ verspottete der Volksmund einst den 2008 abgerissenen Palast der Republik in Berlin. Als Sitz der DDR-Volkskammer war er so etwas wie das Reichstagsgebäude für die heutige Bundesrepublik. Da das Parlament im SED-Staat aber kaum mehr als ein Abnick-Gremium war, erlangte er größere Bedeutung als gesellschaftliches und mediales Zentrum. Im Palast der Republik traten Künstler auf, fanden Großkonzerte, Fernsehshows und Parteitage statt. Auch Restaurants, Bars und eine Bowlingbahn beherbergte der „Palazzo Prozzo“, wie man das modernistische Protz-Gebäude aus Glas, Stahlbeton und viel Asbest auch nannte. Dieser Tage macht ein neuer „Palazzo Prozzo“ Schlagzeilen. Wieder in Berlin. Die Rede ist vom neuen Bundeskanzleramt.

Der Palast der Republik, das gesellschaftliche Zentrum der DDR, galt dem Volksmund als „Erichs Lampenladen“ oder „Palazzo Prozzo“. (Foto: Lutz Schramm aus Potsdam/www.lutzschramm.de/CC BY-SA 2.0 via Wikimedia Commons)

Für (Stand heute) 777 Millionen soll der ohnehin schon riesige Kanzlerbau, der 2001 nach vierjähriger Bauzeit fertiggestellt und vom damaligen SPD-Kanzler Gerhard Schröder bezogen wurde, eine Erweiterung erfahren. Es sei zu klein, heißt es zur Begründung von der Bundesregierung. Dabei kann das Gebäude bereits als größte Regierungszentrale der westlichen Welt gelten. Die Nutzfläche findet man im Internet mit gut 25.000 Quadratmetern angegeben. Die Brutto-Grundfläche beträgt sogar über 60.000 Quadratmeter. Das entspricht einem Vielfachen der Fläche des Weißen Hauses in Washington!

400 neue Büros

Der geplante Erweiterungsbau würde den bisherigen Kanzlerpark jenseits der Spree mit dem bestehenden Gebäudekomplex verbinden. Dadurch würde sich die Fläche des Kanzleramts noch einmal ungefähr verdoppeln, liest man. Von 400 Büros, die dort entstehen sollen, ist bei der Bundesregierung die Rede. „Seit das Kanzleramtsgebäude im Jahr 2001 erstmals bezogen wurde, sind weitere Aufgaben hinzugekommen“, heißt es zur Begründung für den Erweiterungsbau, „darunter Themen wie Pandemie, Energiepolitik, Finanzkrise, Ukrainekrieg, die Bekämpfung von Cyberkriminalität und Digitalisierung.“

Das erweiterte Bundeskanzleramt wird sich nach Fertigstellung über rund 600 Meter erstrecken. Bereits jetzt ist es die größte Regierungszentrale der westlichen Welt. (Foto: Schultes Frank Architekten via bundeskanzler.de)

Die Zahl der Beschäftigten habe sich seit 2001 auf derzeit 750 erhöht. Da der ursprüngliche Bau, den CDU-Kanzler Helmut Kohl in den 1990er Jahren beauftragt hatte, „für maximal 460 Arbeitsplätze ausgelegt war“, habe man mehr als 200 Mitarbeiter auf andere Gebäude verteilen müssen. „Ziel des Erweiterungsbaus ist es, alle Beschäftigten wieder zusammenzuführen“ – und das auch noch möglichst klimaneutral. Zum Vergleich: Unter dem ersten Bundeskanzler Konrad Adenauer arbeiteten überhaupt nur rund 150 Beamte und Angestellte im damals Bonner Kanzleramt.

Monumentales „Band des Bundes“

Der Erweiterungsbau wurde noch unter der Ägide von Angela Merkel beschlossen, die in ihrer Amtszeit die Zahl der Mitarbeiter deutlich aufgestockt hatte. In den Genuss einer Nutzung wird womöglich nicht einmal Nachfolger Olaf Scholz kommen. Schließlich ist mit einer Fertigstellung nicht vor 2027 zu rechnen. Das Bundeskanzleramt gehört als westlichstes Teilstück zum sogenannten „Band des Bundes“. Diese Aneinanderreihung von monumentalen staatlichen Bürogebäuden soll symbolisch Ost und West zusammenführen. An etwa derselben Stelle planten einst die Nazis ihre „Halle des Volkes“ als Teil der (erst nach dem Krieg so bezeichneten) „Welthauptstadt Germania“.

Das „Band des Bundes“ mit Kanzleramt (links) und Paul-Löbe-Haus und Blick zum Berliner Fernsehturm. (Foto: Torinberl/CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)

Politiker wie Wirtschaftsminister Robert Habeck, der gleichfalls grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg Winfried Kretschmann oder Ex-Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) geben dem Volk Tipps, wie es Wasser sparen oder den durch die erzwungene Abkehr von russischem Erdgas drohenden kalten Winter überstehen kann. Viele Bürger sehen in solchen Ratschlägen nichts als den Hohn einer wohlhabenden Politiker-Kaste, die sich von den Sorgen und Nöten der Menschen längst weit entfernt hat. Manch einer sieht sich gar an die letzte Phase der DDR erinnert. Und an ihren „Palazzo Prozzo“, wohin die SED-Führung noch zur Feier des Sozialismus lud, während ihr System draußen bereits am Kollabieren war.

Rapide Teuerung

Schon jetzt ist der Kanzlerbau mit fast 800 Millionen Euro veranschlagt. Dass es bei dieser ohnehin schon großen Summe bleiben wird, ist angesichts der rapide zunehmenden Teuerung nahezu ausgeschlossen. Wenn die Bundesregierung dennoch an dem Protzbau aus Stahlbeton und Glas festhält, sendet dies für viele ein verheerendes Signal aus: Für Angelas und Olafs „Palazzo Prozzo“ ist Geld genug da – aber das Volk soll besser einen zweiten Pullover überziehen. Wenn es nicht frieren will.

Thomas Wolf

Eine Tanzveranstaltung im Palast der Republik. Gefeiert wurde in dem protzigen Glaspalast auch noch, als die DDR bereits zerbröckelte. (Foto: Bundesarchiv/Bild 183-R0706-417/Jürgen Sindermann/CC BY-SA 3.0 DE via Wikimedia Commons)
Kategorien
Im Blickpunkt

Die Grünen bitten zur Kasse

Darf der Staat eine Sonderabgabe erheben, um die finanziellen Belastungen zu schultern, die durch Klimaschutzmaßnahmen und den Ukraine-Krieg entstehen? Im Prinzip ja, meint der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags. Er sollte sich auf Antrag der grünen Bundestags­vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt mit der Frage nach einer einmaligen Vermögensabgabe befassen. Das Gutachten liegt dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) vor.

Katrin Göring-Eckardt, grüne Vizepräsidentin des Bundestags, ließ prüfen, ob eine einmalige Vermögensabgabe verfassungsrechtlich möglich ist. (Foto: © Raimond Spekking/CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

„Wir haben eine Notsituation“, sagt Göring-Eckardt, „nicht wegen einer, sondern gleich mehrerer Krisen. Mit einer Pandemie, die zum steten Begleiter wird, mit dem brutalen russischen Krieg gegen die Ukraine und zunehmenden Angriffen auf unsere kritische Infrastruktur. Mit explodierenden Gaspreisen, steigender Inflation und einer Klimakrise, die mit Waldbränden, Artenaussterben und Überflutungen immer drastischer unseren Alltag bestimmt. Alle Krisen verschärfen die soziale Unwucht.“

„Etwas abgeben“

Von den Krisen, die Göring-Eckardt ausgemacht hat, seien rund 40 Prozent der Menschen existenziell betroffen. Reiche dagegen „können Belastungen ausgleichen und haben zudem ausreichend Möglichkeiten zu helfen, die Krisenfolgen gerechter zu verteilen“. Deshalb sollten „Menschen mit sehr hohen Vermögen etwas abgeben“. Diese Auffassung hat der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags nun also im Prinzip bestätigt.

Das Bundes­verfassungs­gericht habe die Frage zwar nicht geklärt, zitiert RND aus dem Bundestags-Gutachten, und „große Teile des Schrifttums“ würden „eine deutlich strengere Auffassung vertreten“. Doch: „Auf der Grundlage dieser Auslegung können auch die Folgelasten der Klimakrise oder des Krieges gegen die Ukraine nach der Einschätzung des Gesetzgebers ein tauglicher Anlass für die einmalige Erhebung einer Vermögens­abgabe sein.“

Emilia Fester will die Vermögensabgabe. (Foto: Grüne im Bundestag/S. Kaminski)

Emilia Fester, mit 24 Jahren jüngste Bundestagsabgeordnete der Grünen und mehrfach mit kuriosen Aussagen und Aktionen ins Gerede gekommen, freut sich: Jetzt sei die Zeit für eine einmalige Abgabe gekommen. Gemeinsam mit ihren Fraktionskollegen Göring-Eckardt, Andreas Audretsch und Till Steffen will Fester auf dem am Freitag beginnenden Grünen-Parteitag einen entsprechenden Antrag einbringen. Wo genau für die Grünen die Grenze von Wohlstand und Reichtum liegen sollen, ab welchem Einkommen oder Vermögen Fester und Co. also zur Kasse bitten wollen, ist noch unklar.

Medienunternehmen der SPD

Das Redaktionsnetzwerk Deutschland ist die überregionale Redaktion der Verlagsgesellschaft Madsack GmbH & Co. KG in Hannover. Zu ihr gehören 19 Tageszeitungen in ganz Deutschland. Die Auflage aller Titel, an denen Madsack Mehrheitsbeteiligungen hält, lag 2021 bei rund 725.000 Exemplaren. Größte Kommanditistin von Madsack ist mit einem Anteil von 23,1 Prozent die Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft, das Medienunternehmen der SPD.

Thomas Wolf

Kategorien
Im Blickpunkt

Wird der Iran zum nächsten Syrien?

Die Situation im schiitisch geprägten Iran eskaliert immer weiter. Nachdem eine junge Kurdin nach ihrer Festnahme unter ungeklärten Umständen gestorben war, gingen in der Hauptstadt Teheran und in den kurdischen Landesteilen Zigtausende Menschen auf die Straße. Die 22-jährige Mahsa Amini soll gegen die islamischen Kleidervorschriften verstoßen haben. Die Behörden machen für ihren plötzlichen Tod eine Vorerkrankung am Herzen verantwortlich. Ihre Familie und Oppositionelle vermuten dagegen, sie sei im Gewahrsam der Sittenpolizei durch Schläge gegen den Kopf getötet worden.

Aufstand gegen die Mullahs

Die anfänglichen Proteste gegen Polizeigewalt und für Frauenrechte nehmen immer mehr die Züge eines Aufstands gegen das klerikale Mullah-Regime an. In der Hauptstadt warfen Demonstranten Molotow-Cocktails. Die Polizei setzt Tränengas und scharfe Munition ein. Mehr als 80 Menschen sollen bei den Unruhen nach Informationen von Amnesty International bereits ums Leben gekommen sein. Darunter sind auch Sicherheitskräfte. Teheran spricht von Krawallmachern und Terroristen, gegen die es vorgehen müsse. Iranische Truppen griffen sogar kurdische Stellungen im benachbarten Irak an.

Iranische Polizisten während einer Demonstration. (Foto: Fars Media Corporation/CC BY 4.0 via Wikimedia Commons)

Beobachter erinnern die Auseinandersetzungen im Iran an den Beginn des Bürgerkriegs in Syrien 2011. Aus einzelnen Protestaktionen gegen die autoritäre Politik von Präsident Baschar al-Assad entwickelte sich binnen weniger Monate ein rücksichtslos geführter Krieg verschiedener militanter Gruppen gegen die Regierung in Damaskus. Damals wie heute stellte sich der Westen schnell an die Seite der vorgeblich demokratischen Proteste gegen das autoritäre Regime. Tatsächlich war von der demokratischen Gesinnung der syrischen Opposition bald nichts mehr zu spüren.

Sunnitischer Terror

Stattdessen setzten sich radikale Islamisten und militante Extremisten unter den Aufständischen durch. Die sunnitische Terrorgruppe Al-Qaida und die aus ihrer irakischen Sektion hervorgegangene Terrormiliz „Islamische Staat“ (IS) griffen in den Bürgerkrieg ein. Zeitweise standen weite Teile Syriens und des nördlichen Iraks unter IS-Kontrolle. Kurdische Kämpfer und dem Iran nahestehende Schiiten-Milizen drängten die sunnitischen Dschihadisten zurück. Heute gilt der IS zwar als weitgehend besiegt. Aus dem Untergrund heraus allerdings wird er immer wieder aktiv.

Die islamisch-konservativ geführte Türkei stand zeitweilig im Verdacht, im Kampf gegen das ihr verhasste, weil säkulare Assad-Regime mit den Dschihadisten gemeinsame Sache zu machen. Belegt ist immerhin, dass die Türkei eigene Islamisten-Verbände ausgerüstet und in Syrien eingesetzt hat. Rund 4000 von ihnen wurden später als Söldner angeworben, um in der umstrittenen Kaukasus-Region Bergkarabach gegen christliche Armenier zu kämpfen. Dabei soll sogar von einem „heiligen Krieg gegen die Christen“ in Bergkarabach die Rede gewesen sein.

Syriens Präsident Baschar al-Assad (links) besucht mit Wladimir Putin eine orthodoxe Kirche. Rechts: Patriarch Johannes X. von Antiochien. (Foto: Kremlin.ru/CC BY 4.0 via Wikimedia Commons)

Auch seitens der westlichen Politik war es mit der Demokratie offenbar nicht allzu weit her. Der Nahost-Experte und ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Jürgen Todenhöfer warf den Regierungen Europas und der USA schon 2012 vor, an einer echten Demokratie in Syrien nicht interessiert zu sein. „Der größte Widerstand gegen demokratische Reformen geht derzeit von der westlichen Politik aus“, sagte Todenhöfer damals. Assad, den er persönlich kennt, bescheinigte der Ex-Abgeordnete einen ernsthaften Reformwillen. „Ich habe den Eindruck, dass Assad Syrien in der Tat in Richtung Demokratie umgestalten will.“

Verbündeter Irans

Todenhöfer hat den syrischen Präsidenten als ruhigen Mann erlebt, der rational argumentierte. Er sei „nicht der typische Macho-Diktator, als der er im Westen dargestellt wird“. Für Todenhöfer stellte sich der Westen aus einem ganz bestimmten Grund auf die Seite der syrischen Opposition: Er hoffte, mit Assad einen wichtigen Bündnispartner des Iran zu beseitigen. „Assad könnte morgen die perfekte Demokratie in Syrien einführen – solange er Verbündeter Irans ist, würden die USA immer einen Grund finden, ihn zu bekämpfen“, zeigte Todenhöfer sich überzeugt.

Hier nun schließt sich der Kreis zu den eskalierenden Protesten im Iran. Werden sie in Kürze ebenfalls in einen Bürgerkrieg münden? Exiliraner hoffen bereits auf eine Revolution, die das strenge schiitische Herrschaftssystem hinwegfegen könnte. Womöglich stacheln westliche Geheimdienste die Proteste sogar ganz bewusst an. Gerade die USA dürften ein großes Interesse daran haben, dass das Mullah-Regime fällt. Nicht nur wegen des seit Jahren schwelenden Atomstreits. Auch im Ukraine-Krieg hat das Land sich für den westlichen Geschmack etwas zu pro-russisch positioniert.

Thomas Wolf

Irans Revolutionsführer Ali Chamenei. Die Massenproteste richten sich zunehmend gegen sein schiitisch-konservatives Mullah-System. (Foto: Khamenei.ir/CC BY 4.0 via Wikimedia Commons)
Kategorien
Im Blickpunkt

Elon Musk und der Frieden in der Ukraine

Eine skurrile Auseinandersetzung auf Twitter sorgt dieser Tage für Gesprächsstoff. Der südafrikanische Multimilliardär Elon Musk, Gründer des Elektroautoherstellers Tesla und mittlerweile wieder an einem Kauf des Kurznachrichtendienstes interessiert, präsentiert einen Friedensplan für die Ukraine. Und wird dafür angefeindet. Sogar der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj greift in den Streit ein. Bevor er nun offenbar in Ungnade fiel, galt Musk als Unterstützer der Ukraine. Sein Satelliten-Internet-System Starlink half den Kiewer Truppen, die digitale Infrastruktur des Landes nach dem russischen Einmarsch aufrecht zu erhalten.

Elon Musk zofft sich wegen seines Friedensplans auf Twitter mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyi. Eigentlich unterstützt Musk die Ukraine. (Foto: Ministério das Comunicações/CC BY 2.0 via Wikimedia Commons)

Nun hat Musk es sich ganz offensichtlich mit Kiew verscherzt. Hintergrund ist eine Twitter-Nachricht von gestern. Der reichste Mann der Welt schlug darin vor, die jüngsten Volksabstimmungen im Donbass und in den russisch besetzten Gebieten Saporischschja und Cherson unter Aufsicht der Vereinten Nationen zu wiederholen. Wenn dies der Wille der Menschen vor Ort ist, solle Russland seine Truppen abziehen. Die Krim solle dagegen als Teil Russlands anerkannt und ihre Wasserversorgung sichergestellt werden. Die Ukraine erhalte einen dauerhaft neutralen Status.

Krim „seit 1783“ Teil Russlands

Die Krim-Halbinsel, schrieb Musk, sei „seit 1783“ Teil Russlands gewesen. Erst „Chruschtschows Fehler“ habe sie der Ukraine überantwortet. Gemeint ist damit ein umstrittener Rechtsakt von 1954. Damals übertrug Sowjetführer Nikita Chruschtschow die Oberhoheit über die Halbinsel, die zuvor Teil Russlands gewesen war, der Ukraine. In einer Wodka-Laune, mutmaßen manche. Andere vermuten, Chruschtschow wollte sich durch eine Art Morgengabe der Solidarität der Ukrainer sichern. Fest steht nur eines: Chruschtschow hatte selbst engste persönliche und politische Verbindungen zur Ukraine. Und er schenkte seiner langjährigen Heimat eine Halbinsel von strategischer Bedeutung.

Sowjetführer Nikita Chruschtschow war bekannt für seine emotionalen Ausbrüche. Womöglich hat er die Krim 1954 in einer Wodka-Laune der Ukraine geschenkt. (Foto: Anefo/CC0 via Wikimedia Commons)

Dass die Menschen damit nicht unbedingt einverstanden waren, zeigte sich am 20. Januar 1991. An jenem Tag stimmte in einem Referendum eine überwältigende Mehrheit der Krim-Bewohner für die Unabhängigkeit ihrer Halbinsel innerhalb einer erneuerten Sowjetunion. Die Ukraine erkannte die Abstimmung nicht an. So blieb die Krim weiterhin Kiew unterstellt – wenn auch mit gewissen Autonomierechten. Auch ein Beschluss der Volksvertretung der Autonomen Republik Krim vom 5. Mai 1992 änderte daran nichts. Statt der erhofften Unabhängigkeit erreichte man lediglich einen etwas höheren Grad an Selbstständigkeit innerhalb der Ukraine. Erst die Abstimmung von 2014 löste die Krim effektiv von Kiew und machte sie zum Gliedstaat der Russischen Föderation.

Ungünstiger Zeitpunkt

Vielen Menschen, selbst in der Ukraine, dürfte Elon Musks Vorstoß vernünftig erscheinen. Schließlich könnte er womöglich helfen, den Krieg, der mittlerweile mehr als sieben Monate dauert und dessen Vorgeschichte ganze acht Jahre zurückreicht, zu beenden. Für Kiew und seine Unterstützer im Westen kommt der Musk-Tweet dagegen zum ungünstigsten Zeitpunkt. Und das hat seinen Grund: Die ukrainischen Truppen stoßen offenbar immer weiter Richtung Osten vor. Aus dem Oblast Charkiw mussten sich die russischen Streitkräfte bereits weitestgehend zurückziehen. Im Bereich Cherson, heißt es, seien ihre Verteidigungslinien sogar förmlich zusammengebrochen.

Ukrainische Soldaten auf ihrem Vormarsch. Das aktuelle Kriegsglück der Ukraine macht Friedensverhandlungen unwahrscheinlich. (Foto: Mil.gov.ua/CC BY 4.0 via Wikimedia Commons

Nein, Friedensverhandlungen sind für die ukrainische Regierung dieser Tage so wenig opportun wie wohl noch nie. Der Sieg auf dem Schlachtfeld, den der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell bereits vor Monaten beschwor – für die Ukraine scheint er aktuell zum Greifen nah. Entsprechend heftig fiel die Reaktion auf Musks Twitter-Beitrag aus. Selenskyi startete eine Umfrage, welchen Elon Musk die Nutzer eher mögen: denjenigen, der die Ukraine unterstützt. Oder denjenigen, der Russland unterstützt. Erwartungsgemäß liegt der pro-ukrainische Musk meilenweit vorn.

Ukraine-Sieg unwahrscheinlich

„Russland hat dreimal so viele Einwohner wie die Ukraine“ und ein Sieg der Ukraine sei entsprechend unwahrscheinlich, reagierte Musk auf den Shitstorm, der auf ihn einprasselte. Wem die Menschen in der Ukraine am Herzen liegen, der müsse sich für Frieden einsetzen, forderte der Tesla-Mogul. Selenskyi-Berater Mychajlo Podljak meint dagegen: „Es gibt einen besseren Vorschlag.“ Die Ukraine werde ihr Territorium zurückerobern – einschließlich der „annektierten Krim“. Russland werde demilitarisiert, müsse seine Atomwaffen abgeben und „kann niemandem mehr drohen“. Und Andrij Melnyk, Noch-Botschafter der Ukraine in Berlin, kommentierte: „Fuck off.“

Thomas Wolf

Kategorien
Kommentar

84 Millionen – Fluch oder Segen?

Aktuelle statistische Zahlen zeigen, dass die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland erneut gestiegen ist: Nun leben im Land bereits über 84 Millionen Menschen. 2020 waren es noch etwas über 83 Millionen. Geschuldet ist dieser jüngste Anstieg den vielen Menschen, die aus der Ukraine nach Deutschland kommen. Aber auch die Zuwanderung aus Afrika und dem Nahen Osten ist noch immer bedeutend. Vor allem über den Familiennachzug gelangen immer wieder Menschen nach Deutschland.

Die Bevölkerung wächst

Demografen atmen auf: Deutschlands Bevölkerung sinkt nicht, sondern wächst weiter. Das Schreckensszenario sinkender Einwohnerzahlen bewahrheitet sich nicht. Erst vor einigen Monaten wurde reißerisch berichtet, in den neuen Bundesländern sei inzwischen das Bevölkerungsniveau von um 1905 erreicht. Die anhaltende Zuwanderung wird nicht nur mit einem angeblich bestehenden Mangel an Fachkräften gerechtfertigt. Ein Mangel übrigens, der trotz Zigtausender Zuzüge nach wie vor besteht. Nein, man will offensichtlich auch die Bevölkerungszahl gleich halten oder sogar steigern.

Das deutsche Handwerk beklagt seit Jahren Nachwuchssorgen. Um den Mangel an Fachkräften auszugleichen, setzt die Politik auf Zuwanderung. (Foto: Pixabay)

Das heißt: Hat man mal eine gewisse Zahl erreicht, darf es nicht mehr darunter gehen. Die Geburtenrate in Deutschland aber ist wie in allen europäischen Ländern niedrig. Auch Osteuropa ist keine Ausnahme. Da die Politik auch nicht durch eine vernünftige Familienförderung Abhilfe schafft, lässt sich die Bevölkerung nur durch immer neue Zuwanderung stabil halten. Damit verändert sich auf Dauer die Zusammensetzung der Bevölkerung.

90 Millionen erstrebenswert?

Diese Entwicklung kann man nun als bereichernd empfinden oder als schockierend kritisieren. Weniger Beachtung findet eine nicht minder bedeutsame Frage: Ist es überhaupt sinnvoll, dass die Bevölkerung des Landes anwächst? Ist es erstrebenswert, dass Deutschland in einigen Jahren vielleicht kurz vor der 90-Millionen-Marke steht?

Interessant ist hierbei ein Blick in die Vergangenheit. Das Deutsche Reich hatte 1937 knapp 68 Millionen Bewohner. Und das bei einer höheren Geburtenzahl und vor allem deutlich mehr Fläche. Man denke an die deutschen Ostgebiete. Im Vergleich dazu leben die Menschen in der Bundesrepublik deutlich beengter. Bevölkerungen wachsen eben grundsätzlich, mag man einwenden. Nur ist auffällig, dass Deutschlands Nachbarn heute bei einer in etwa vergleichbaren Fläche und ähnlichen naturräumlichen Gegebenheiten deutlich weniger Einwohner haben.

Im Vergleich zu den meisten seiner Nachbarländer hat Deutschland eine deutlich höhere Bevölkerungsdichte. (Foto: Pixabay)

Polen hat nur 38 Millionen, Frankreich 68 Millionen – beides deutlich weniger als Deutschland. Wobei auch Frankreich einer sehr starke Einwanderung ausgesetzt ist. Ohne diese wäre die Zahl wohl noch niedriger. Auch das restliche Europa ist ähnlich aufgestellt: In der Ukraine, die größer als Deutschland ist, lebten vor dem Krieg rund 42 Millionen Menschen. Russland als größtes Land der Erde hat nicht einmal doppelt so viele Bewohner wie Deutschland! Die Türkei hat die gleiche Einwohnerzahl wie Deutschland, allerdings deutlich mehr Fläche.

Stichwort: Überbevölkerung

Deutschland fällt, was sein Verhältnis von Fläche zu Bevölkerung angeht, aus dem Rahmen. Stichwort: Überbevölkerung. Bei dem Begriff denkt man meist an Dritte-Welt-Länder, wo durch hohe Geburtenzahlen die Bevölkerung in kurzer Zeit deutlich ansteigt. Bei Überbevölkerung geht es aber nicht um bestimmte Zahlen oder eine konkrete Vermehrungsrate, sondern um die Tragfähigkeit des Bodens. Das heißt: Eine Milliarde Menschen in Indien sind kein Problem, wenn Indien diesen Menschen auch genug Raum bietet und ihre Ernährung sichern kann.

Kategorien
Im Blickpunkt

Wird bald der Gasverbrauch begrenzt?

Der private Gasverbrauch liegt aktuell höher als im selben Zeitraum der Vorjahre. Das meldet die Bundesnetzagentur. Aufmerksamen Beobachtern dürfte zwar aufgefallen sein, dass dies daran liegt, dass die herbstlich-kühlen Temperaturen diesmal früher einsetzten als in den vergangenen Jahren. Dennoch schlägt die Behörde Alarm. Jetzt komme es „auf jeden Einzelnen“ an. Gemeint ist damit: Die Bundesbürger sollen sparen, ihre Heizungen drosseln, seltener, kürzer und vor allem kälter duschen. Und das natürlich ausgerechnet in der kühlen Jahreszeit.

Robert Habecks Sparappelle

Unausgesprochen schwingt bei der Mahnung der Bundesnetzagentur mit, dass künftig der private Gasverbrauch begrenzt werden könnte. Die Aussage von Wirtschaftsminister Robert Habeck, wonach trotz des neuen milliardenschweren Hilfspakets der Bundesregierung weiterhin Gas eingespart werden müsse, sorgt im Internet gleichfalls für Diskussionen. Wollte auch Habeck damit andeuten, dass die Regierung eine Gas-Obergrenze für private Haushalte einführen könnte, wenn alle Sparappelle nichts bringen?

Der grüne Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck bei einem Wahlkampf-Auftritt in Köln. (Foto: © Raimond Spekking/CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

Der Unmut in der Bevölkerung jedenfalls wächst. Immer mehr Menschen gehen auf die Straße und protestieren gegen eine in ihren Augen völlig verfehlte Energiepolitik. Auch die Sanktionen gegen Russland, die den Kreml offensichtlich nicht von seinem Kurs abbringen und vielmehr dem eigenen Land massiv schaden, stehen in der Kritik. Die Menschen verstehen zudem nicht, wie Politik und Medien ohne Beweise Russland für die Sprengung der beiden Gas-Pipelines Nord Stream 1 und 2 verantwortlich machen können, ja sogar von einem russischen „Energiekrieg“ sprechen. Ein anderer potenzieller Schuldiger bleibt dagegen unbehelligt. Die Vereinigten Staaten nämlich.

Speicherziel nicht zu erreichen?

Bereits Wochen vor den Attentaten floss durch Nord Stream 1 kein Gas mehr. Dennoch sind die deutschen Gasspeicher derzeit zu über 91,5 Prozent gefüllt. Bis zum 1. November müssten sie einen Füllstand von 95 Prozent erreichen. Der Gasspeicherverband „Initiative Energien Speichern“ ist skeptisch, ob dieses Speicherziel erreicht werden kann. Sein Geschäftsführer Sebastian Bleschke sagte der Deutschen Presseagentur: „Die steigenden Gasverbräuche aufgrund fallender Temperaturen reduzieren zunehmend die Einspeichermöglichkeiten.“

Der Winter in Deutschland könnte kalt und ungemütlich werden. (Foto: Pixabay)

Ganz abgesehen davon sind Experten ohnehin nicht sicher, ob die deutschen Gasvorräte bis zum Ende der Heizperiode reichen werden. Als ausgeschlossen gilt dies, falls sich die kommenden Monate als ausgesprochen kalt erweisen sollten. So oder so könnte der Bundesrepublik ein ungemütlicher Winter bevorstehen. Nicht nur in den abgekühlten Privathaushalten. Auch auf den Straßen.

Thomas Wolf

Kategorien
Kommentar

Wasser predigen und Wein trinken?

Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann rät den Deutschen, sich mit dem Waschhandschuh zu waschen statt zu duschen. Auch Strom- und Energiespartipps von dem offenbar völlig überforderten Wirtschaftsminister Robert Habeck haben im Internet traurige Berühmtheit erlangt. Von vielen Bundesbürgern werden sie angesichts einer Krise, die zum Gutteil von der Regierung selbstverschuldet ist, zu Recht als Hohn begriffen. Nun ruft auch die Kirche in Gestalt des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz die Deutschen zum Verzicht auf.

Bischof Georg Bätzing (Mitte), der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, bei einem Gottesdienst. (Foto: Christian Pulfrich/CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

„Gerade wir hier im reichen Norden und Westen müssen zu einem anderen Lebensstil finden“, sagte der Limburger Bischof Georg Bätzing bei der Eröffnung der Herbstvollversammlung der Bischofskonferenz in Fulda. „Der kommende Herbst und Winter wird da aufgrund der Energiekrise ein realistisches Übungsfeld werden. Werden wir es durch Konsumverzicht und gelebte soziale Verantwortung schaffen, als Gesellschaft zusammenzuhalten, füreinander zu sorgen und nicht denen das Feld zu überlassen, die mutwillig Spaltungen provozieren und es darauf anlegen, unsere Demokratie zu destabilisieren?“

Kein „Weiter so!“

Wer insgeheim denke, man werde schon irgendwie ohne große Einschnitte im eigenen Wohlstand über die Runden kommen, der irre sich. Ein einfaches „Weiter so!“ sei höchst gefährlich. Zu lange schon sei die Begrenztheit der Erde verbissen ignoriert worden. „Wenn wir so weitermachen wie bisher, werden wir keine Zukunft haben“, warnte Bätzing. Das mag im Kern nicht mal falsch sein, klingt aber nicht anders als die Horrorszenarien der „Fridays for Future“ und anderer Weltuntergangs-Propheten. Und angesichts der Energiekrise ist es gleich doppelt problematisch.

Gerade die Kirche sollte vorsichtig sein mit solchen Ratschlägen. Seit Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten werfen ihr Kritiker vor, sie horte Reichtum. Tatsächlich dürfte die Institution Kirche zu den größten Grundbesitzern in Deutschland gehören. Schnell ist da der Vorwurf zur Stelle, die Kirche predige Wasser und trinke selbst Wein. Und das nicht einmal zu Unrecht! Auch wenn die Immobilien der Bistümer natürlich häufig jahrhundertealte Gotteshäuser und soziale Einrichtungen sind.

Den Mantel geteilt

Ermahnungen, die letztlich nur die „Tipps“ der Regierenden nachbeten, sind fehl am Platze. Sie verschärfen die gesellschaftliche Spaltung und liefern keine Lösung für die Krise. Bätzing und seine Amtskollegen sollten sich vielmehr darauf besinnen, was die irdische Kernkompetenz von Kirche ist: tatkräftige Hilfe und Solidarität für Menschen in Not. Durchaus auch unter Einsatz eigener Mittel. Der heilige Martin hat dem Bettler vor den Toren der Stadt im tiefsten Winter schließlich auch nicht gesagt, er müsse halt den Gürtel enger schnallen. Sondern er teilte seinen Mantel mit ihm, sodass er nicht erfrieren musste.

Statt nutzloser Ermahnungen ein Zeichen gelebter Nächstenliebe: Der heilige Martin von Tours teilt den Mantel mit einem Bettler. (Foto: Gebhard Fugel/gemeinfrei)

Die Kirchenführer sollten auch nicht vergessen, wofür jener Mann steht, der die Kirche vor 2000 Jahren begründet hat: Jesus Christus. Der Mann aus Nazareth wuchs in der Familie eines erfolgreichen Zimmermanns auf und gehörte damit bestimmt nicht zu den Ärmsten. Als Prediger war er stets unangepasst, ließ sich nicht den Mund verbieten und ergriff mutig Partei für die Schwachen und Unterdrückten. Damit machte er sich die Mächtigen seiner Zeit zum Feind – statt ihnen nach dem Maul zu reden.

Den Regierenden Paroli bieten

Das sage nicht nur ich – das sagt auch einer, der sich damit auskennt: Benediktinerpater Notker Wolf. Für ihn ist Jesus Christus das beste Beispiel für einen Menschen, der sich gegen die politische Korrektheit auflehnt. Und den Regierenden Paroli bietet. Die Kirche des Jahres 2022 könnte sich mehr als nur ein Scheibchen davon abschneiden.

Thomas Wolf