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Kommentar

Normalität sieht anders aus

Die Bundesregierung hat ihren „Corona-Fahrplan“ für den kommenden Herbst und Winter vorgelegt. Den Entwurf des neuen Infektionsschutzgesetzes handelten zwar das Gesundheits- und das Justizministerium gemeinsam aus – er trägt aber ganz die Handschrift von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Der liberale Justizminister Marco Buschmann, der einst ein Ende aller Maßnahmen für den 20. März dieses Jahres versprochen hatte, konnte oder wollte sich offenbar nicht durchsetzen.

Die Bundesregierung will wieder verschärfen

Während Nachbarländer wie Frankreich oder Österreich ihre Pandemie-Maßnahmen weitestgehend zurückfahren oder gar ganz aufheben und der „Freedom Day“ der Briten längst schon in die Geschichtsbücher eingegangen ist, will die Bundesregierung wieder verschärfen. Und das, obwohl mittlerweile zahllose Experten die Pandemie für beendet erklärt oder zumindest klargestellt haben, dass Corona mit den aktuell kursierenden Omikron-Varianten endgültig auf dem Niveau einer etwas heftigeren Erkältung angekommen ist.

Die FFP2-Maske, die meist der OP-Maske gewichen ist, spielt im neuen Corona-Konzept der Bundesregierung eine wichtige Rolle. Auch ein Testregime an Schulen und Kitas könnte es wieder geben. (Foto: Pixabay)

Immerhin soll es mit dem neuen Infektionsschutzgesetz keine Lockdowns mehr geben – weder für Geimpfte noch für Ungeimpfte. Auch coronabedingte Schulschließungen sollen der Vergangenheit angehören. Einen Mund-Nasen-Schutz müssen Schüler erst ab der fünften Klasse tragen – und auch dann nur, wenn andernfalls der Präsenzunterricht eingestellt werden müsste. 2G gehört der Vergangenheit an.

FFP2-Pflicht im öffentlichen Nahverkehr?

Auf der anderen Seite bleibt vieles erhalten, was die Deutschen seit 2020 verfolgt: die Maskenpflicht in Fernbus, Zug und Flugzeug zum Beispiel. Hier muss ab 1. Oktober eine FFP2-Maske getragen werden. Die Länder können dies auch auf den öffentlichen Nahverkehr ausweiten. Ebenfalls in die Zuständigkeit der Länder fällt es, eine FFP2-Pflicht in öffentlich zugänglichen Innenräumen sowie eine Testpflicht an Schulen und Kitas zu verhängen.

Von der (nachvollziehbaren) Testpflicht in Krankenhäusern sowie Alten- und Pflegeheimen ist ausgenommen, wer innerhalb der vergangenen drei Monate von einer Corona-Infektion genesen ist oder sich innerhalb dieser Frist hat impfen lassen. Dabei ist längst bekannt, dass die Impfung keinen ausreichenden Schutz vor einer auch zeitnahen Infektion bietet. Gerade jene „frisch“ Geimpften können Corona also unkontrolliert unter der schutzbedürftigsten Gruppe der Alten und Schwerkranken verbreiten.

Einen ebenso großen Hammer hat Lauterbach für Gastronomie und Kultur vorbereitet – wenn auch unter dem Vorbehalt, dass hierfür formell die Länder zuständig sind: In Restaurants, Bars, Kulturbetrieben und im Freizeitbereich soll der Zutritt nur noch mit FFP2-Maske oder aktuellem Negativ-Test möglich sein. Ausgenommen sind auch hier „frisch“ Geimpfte und Genesene.

Lauterbach und Co. vertrauen der Impfung nicht

Die Maske wird so zu einem Erkennungsmal für Ungeimpfte – wobei darunter ab dem Herbst auch alle Menschen fallen werden, deren „Grundimmunisierung“ oder Impf-„Booster“ ins vergangene Jahr oder dieses Frühjahr fallen. Normalität sieht anders aus. Die Frist von drei Monaten seit der letzten Auffrischungsimpfung zeigt, wie schnell die umstrittenen mRNA-Stoffe selbst nach Ansicht der Regierung ihre Schutzwirkung gegen das Coronavirus verlieren – und wie wenig Lauterbach und Co. ihnen noch vertrauen.

Die Frist zeigt aber auch, woher der Wind (vermutlich) weht: Lauterbach plant eine neue Impfkampagne mit angepassten Omikron-Impfstoffen, die just im Herbst verfügbar sein sollen. Damit nicht wieder unzählige ungenutzte Dosen vernichtet werden müssen, will der Gesundheitsminister offenbar erneut Anreize schaffen, die die Bürger in die Nadel treiben. Am Ende droht womöglich sogar eine Neuauflage der allgemeinen Impfpflicht.

Thomas Wolf

Haben die neuen Corona-Regeln auch den Zweck, die Bürger zur Impfung mit den neuen, angepassten Omikron-Impfstoffen zu bewegen? (Foto: Pixabay)
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Im Blickpunkt

Radikaler Schiit und Christenfreund

Der 48-jährige Muqtada al-Sadr ist einer der einflussreichsten religiösen Führer des Irak. Immer wieder haben Anhänger des schiitischen Predigers für Unruhe in dem Land gesorgt – auch jetzt wieder: Seit Samstag halten sie das irakische Parlament, den Repräsentantenrat, besetzt.

Muqtada al-Sadr (rechts) im Gespräch mit Irans Revolutionsführer Ali Chamenei in Teheran. (Foto: khamanei.ir/CC BY 4.0 via Wikimedia Commons)

„Sitzstreik“ – so nennen die Parlamentsbesetzer ihre Aktion, die bereits die zweite dieser Art innerhalb weniger Tage ist. Die Tagesschau berichtet, al-Sadrs Anhänger seien am Wochenende in die sogenannte Grüne Zone eingedrungen, eine rund zehn Quadratkilometer großes Gebiet im Zentrum von Bagdad. Sie beherbergt wichtigste politische Institutionen des Landes. Auch die US-Botschaft hat hier ihren Sitz.

Sie singen und tanzen

Die Grüne Zone ist durch Betonbarrieren, Mauern und Stacheldraht abgeriegelt. Die Anhänger Muqtada al-Sadrs, schreibt Anna Osius auf tagesschau.de, hätten Absperrungen niedergerissen und seien in das Parlamentsgebäude eingedrungen. Hier kampieren sie nun, singen und tanzen – und wollen nicht gehen, bis ihre Forderungen erfüllt sind.

Anlass des Sturms ist ein seit längerer Zeit schwelender Konflikt: Im vergangenen Herbst gewann al-Sadrs Bewegung die Parlamentswahl und stellt seitdem die mit Abstand größte Fraktion. Von einer parlamentarischen Mehrheit sind al-Sadr und seine Verbündeten aber deutlich entfernt – und so scheiterte die Regierungsbildung. Stattdessen deutete sich zuletzt an, dass al-Sadrs Rivalen künftig den Ministerpräsidenten stellen könnten.

Die Anhänger des Geistlichen wollen das nicht akzeptieren und fordern einen Regierungschef aus den eigenen Reihen. Einen ersten Sturm auf das Parlament beendete al-Sadr noch selbst. Nun hält er sich zurück. Seine Anhänger sind offenbar gewillt, gegen alle Widerstände auszuharren. Schon warnen Beobachter vor einer blutigen Eskalation, sollten die Sicherheitskräfte versuchen, das besetzte Parlament zu stürmen.

Widerstand gegen die USA

Nach dem Sturz des sunnitisch geprägten Regimes von Saddam Husseins durch US-Truppen 2003 setzten die Besatzer auf Unterstützer in der schiitischen Mehrheit, der rund zwei Drittel der Bevölkerung angehören. Muqtada al-Sadr, ebenfalls Schiit, rief zum gewaltsamen Widerstand gegen die USA auf, der rund fünf Jahre andauerte. As-Sadr ist Sohn des schiitischen Großajatollahs Muhammad Sadiq al-Sadr, der 1999 bei einem Anschlag mutmaßlicher Anhänger Saddam Husseins ums Leben kam.

In westlichen Medien gilt al-Sadr meist als „radikaler schiitischer Geistlicher“. Gedanklich ist da der Weg nicht weit zum militanten Islamismus und Dschihadismus. Doch weit gefehlt: Trotz mitunter radikaler Äußerungen und seiner Aufrufe zur Gewalt gegen US-Truppen und politische Gegner hat al-Sadr sich stets dem Dschihadismus in den Weg gestellt – und sich als Freund der irakischen Christen erwiesen. Selbst den Einfluss des schiitischen Iran auf die irakische Politik kritisierte er heftig.

Als der „Islamische Staat“ (IS), der aus einer sunnitischen Terrorzelle im Irak hervorgegangen war, 2014 Teile Syriens und des Nordirak eroberte, rief al-Sadr die „Friedenskompanien“ als schiitische Freiwilligenverbände ins Leben. Sie schützten schiitische und christliche Gebetsstätten gegen die IS-Terrormiliz und halfen mit, den IS im Irak zu besiegen.

Thomas Wolf

Ein Kämpfer der sogenannten Volksmobilmachung des Irak, 2014 aufgestellt zum Kampf gegen die sunnitische Terrormiliz „Islamischer Staat“. Den meist schiitischen Freiwilligenverbänden gehörten auch Muqtada al-Sadrs „Friedenskompanien“ an. (Foto: Tasnim News Agency/CC BY 4.0 via Wikimedia Commons)
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Im Blickpunkt

Wie teuer wird das Heizen?

Voraussichtlich ab dem 1. Oktober können Gas-Importeure ihre gestiegenen Einkaufspreise an alle Verbraucher in Deutschland weitergeben. Grundlage dafür ist Paragraf 26 des Energiesicherungsgesetzes, der per Verordnung in Kraft tritt und bis September 2024 gelten könnte. Wird Heizung bald zum Luxusgut?

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), in dessen Ressort die Gas-Importe fallen, rechnet damit, dass eine vierköpfige Familie im Jahr „sicherlich einige hundert Euro“ mehr an Heizkosten bezahlen muss. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte zuvor von rund 200 bis 300 Euro gesprochen.

Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), sagte dagegen im Gespräch mit der Rheinischen Post, die Bürger müssten sich „wohl mindestens auf eine Verdreifachung der Heizkosten bei Gas vorbereiten“. Menschen mit mittleren und geringen Einkommen müssten „dringend“ weiter entlastet werden.

Die Politik nennt als Grund für die stark gestiegenen Preise Russlands Krieg in der Ukraine und die im Zusammenhang mit den westlichen Sanktionen stehenden reduzierten Gaslieferungen aus Russland. Ein Blick auf die Preisentwicklung zeigt allerdings: Die Strom- und Heizkosten sind bereits seit Herbst 2021 deutlich erhöht. Der aktuelle Anstieg begann also schon Monate vor Russlands Angriff vom 24. Februar.

Nach Angaben des Vergleichsportals Verivox stieg der Strompreis in Deutschland bei einem durchschnittlichen Jahresverbrauch von 4000 Kilowattstunden allein von Januar 2021 bis Januar 2022 um rund 35 Prozent. Im April dieses Jahres lag er zwar noch höher, doch seither sind die Preise wieder etwas zurückgegangen – vielleicht auch, weil zwischenzeitlich die EEG-Umlage abgeschafft wurde.

Thomas Wolf

Wird Heizung zum Luxusgut? (Foto: Pixabay)
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Im Blickpunkt

Guter Journalismus – altbacken?

„Fake News“ allerorten – diesen Eindruck kann man gewinnen, wenn man mit offenen (und skeptischen!) Blicken durch das Internet geht. Ob Facebook, Twitter oder Telegram – überall werden Halbwahrheiten verbreitet oder wird schlicht gelogen. „Fake News“ sind aber keineswegs nur eine Spezialität der sozialen Medien oder des Internets im Allgemeinen. Auch vermeintlich seriöse Leitmedien sind nicht davor gefeit, einseitig zu berichten. Statt kritisch nachzufragen, übernehmen sie immer öfter einfach das, was Politiker ihnen ins Mikrofon diktieren.

Diese Seite will anders sein. Ihr Untertitel ist Programm: „Unabhängig – unbestechlich – ungelogen“. Wir sind ideologiefrei, lehnen Hass und Hetze ab und betreiben Journalismus, wie er eigentlich überall betrieben werden sollte: Seine Aufgabe ist nicht Stimmungsmache, sondern sachliche und unparteiische Information. Ein Journalist darf eine Meinung haben, aber man darf sie seinem Beitrag nicht ansehen – es sei denn, er ist mit „Kommentar“ überschrieben.

Guter Journalismus macht sich nicht mit politischen Zielen, Meinungen oder Haltungen gemein, selbst wenn sie noch so unterstützenswert erscheinen. Guter Journalismus geht in die Tiefe und betrachtet die Welt nicht nur oberflächlich. Er geht ganz nah ran und bleibt doch distanziert. Und wenn seine Themen und Inhalte wehtun, dann nicht, weil der Journalismus wehtun will – sondern weil irgendwer in Politik, Wirtschaft oder Gesellschaft Mist gebaut hat.

Eine Schreibmaschine – einst unverzichtbares Arbeitszeug des Journalisten. Heute wirkt sie altbacken – wie klassischer Journalismus auch? (Foto: Pexels/Pixabay)

In der schnelllebigen Ära des Internets, in der schnelle Klicks entscheidend sind und selbst Politiker ihre Inhalte in 160 Zeichen unters Twitter-Volk bringen, in Zeiten von Corona-Pandemie, gesellschaftlicher Spaltung, wiedererwachtem Ost-West-Konflikt und zunehmender Klima- und Energiekrise mag das für manchen irgendwie altbacken wirken – aber zu Unrecht! 

„Der andere Blickwinkel“ möchte Informationen bieten, die man nicht überall findet: spannende Themen, lesenswert aufbereitet und garantiert ohne „Fake News“.

»Ich bin Journalist – ich habe keine Meinung!«

Unbekannter Reporter im Film „Der Baader Meinhof Komplex“