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Im Blickpunkt

Brandmauer gegen Rechts ist gescheitert

Die Alternative für Deutschland ist kein ostdeutsches Phänomen mehr. Die Partei, der Kritiker „Rechtspopulismus“ bis hin zu „Rechtsextremismus“ vorwerfen, hat bei den jüngsten Wahlen in Hessen und Bayern bewiesen: Mit ihr ist auch im Westen zu rechnen. 14,6 Prozent erreichte die AfD am Sonntag bei der Landtagswahl im Freistaat. In Hessen sind es sogar 18,4 Prozent. Und damit merklich mehr als die 15 oder 16 Prozent, bei denen die Partei laut Umfragen kurz vor dem Urnengang lag.

Im Osten stärkste Kraft

Natürlich ist das noch weit entfernt von den Umfragewerten in den ost- und mitteldeutschen Ländern. Dort liegt die AfD teils bei weit über 30 Prozent. In Thüringen und Sachsen ist die Alternative mit Abstand stärkste Kraft in den Umfragen. Bayern und Hessen deuten nun an, dass das Potenzial der AfD auch im Westen längst nicht ausgeschöpft ist. Wenn die politische und die wirtschaftliche Krise, in der die Bundesrepublik steckt, anhält oder sich sogar noch verschärft, könnten immer mehr Menschen ihr Kreuz bei den „Rechtspopulisten“ um Alice Weidel und Tino Chrupalla machen.

Alice Weidel steht gemeinsam mit Tino Chrupalla an der Spitze der Alternative für Deutschland. (Foto: AfD)

Das macht die Partei für die etablierte Politik zu einer gefährlichen Konkurrenz. Zum ersten Mal seit ihrer Gründung vor gut zehn Jahren stellt die einstige „Professoren-Partei“ für viele Bürger eine echte Alternative zu CDU, SPD, Grünen und Co. dar. Wie geht die etablierte Politik mit diesem Erfolg um? Die Ausgrenzung der AfD und ihrer Wähler hat offensichtlich keinen Erfolg mehr. Die Alternative für Deutschland wird mittlerweile selbst von Menschen gewählt, die die Partei für rechtsextrem halten. Zugespitzt gesagt also: Die „Brandmauer“ gegen Rechts ist gescheitert.

Trotzdem fällt der etablierten Politik offenbar nichts wirklich Neues ein. Kanzler Olaf Scholz, dessen SPD in Hessen und Bayern historisch schlechte Ergebnisse eingefahren hat, ruft nach dem Erfolg der AfD dazu auf, die Demokratie zu verteidigen. „Die Stimmen, die auf eine rechtspopulistische Partei in Deutschland entfallen sind, müssen uns besorgen“, sagte Scholz zum Abschluss der deutsch-französischen Kabinettsklausur in Hamburg. Auch die Grünen in Bayern, mit 14,4 Prozent hinter der AfD und damit nur auf dem vierten Platz gelandet, fordern einen „Notfallplan für die Demokratie“.

Erinnerung an die DDR

Die AfD-nahe Desiderius-Erasmus-Stiftung soll keine öffentlichen Gelder mehr bekommen, hört man. Und Alt-Bundespräsident Joachim Gauck plädiert für ein breites Bündnis gegen die AfD, das Kritiker an die einstige Nationale Front der DDR erinnert. Man müsse der Alternative für Deutschland das klare Signal aussenden, dass sie niemals an die Macht kommen werde, sagte Gauck dem „Stern“. Sollte die AfD nach den Landtagswahlen im kommenden Jahr im Osten Deutschlands vorne liegen, müssten sich „alle demokratischen Parteien“ zusammentun: „von der CDU bis zur Linken“.

Ex-Bundespräsident Joachim Gauck. Er fordert ein breites Bündnis gegen die AfD: von der CDU bis zur Linkspartei. (Foto: © Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

Auch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidenten Hendrik Wüst (CDU) hat offensichtlich nichts gelernt. Er nennt die AfD eine „Nazipartei“. Er könne jeden Wähler, der mit der Politik der Ampel-Koalition oder der CDU unzufrieden ist, „nur warnen, diese Menschen zu wählen, diese Partei zu wählen“, sagte Wüst gestern. Björn Höcke, die der als Merkel-nah geltende CDU-Politiker als prägende Figur der Partei begreift, dürfe als „Faschist“ und als „Nazi“ bezeichnet werden. „Wenn die prägende Figur einer Partei ein Nazi ist, ist es eine Nazipartei“, sagte Wüst. „Mit denen geht gar nichts.“

AfD verächtlich machen

In einem Offenen Brief zum Ausgang der Wahlen in Bayern und Hessen, den Karin Zimmermann an die „Damen und Herren Politiker*innen“ der „Altparteien“ geschrieben hat, liest man: Die Wahlergebnisse „und die anschließend durch Ihre Honoratioren erfolgten Äußerungen“ zeigten, „dass Sie noch immer nicht verstanden haben, dass die von Ihnen seit zehn Jahren von Merkel begonnene Politik der Ausgrenzung, Verächtlichmachung, Kriminalisierung der AfD nicht zu dem beabsichtigten Ziel führt, sondern das Gegenteil bewirkt.“ Jenes Ziel sieht die Autorin in der möglichst vollständigen Eliminierung der unliebsamen Partei.

„Nehmen Sie zur Kenntnis, dass es im politischen Spektrum nicht nur linke und mittlere, sondern auch rechtsorientierte Auffassungen geben muss und geben wird“, schreibt Zimmermann. Und weist auf den elementaren Unterschied zwischen rechtsradikal und rechtsextrem hin, der im politisch-medialen Diskurs meist unbeachtet bleibt. „Über den Begriff des Extremismus besteht oft Unklarheit. Zu Unrecht wird er häufig mit Radikalismus gleichgesetzt“, heißt es vom Bundesamt für Verfassungsschutz.

Ein Aufmarsch von Rechtsextremisten in München. Der Unterschied zu Rechten oder Rechtsradikalen ist elementar. (Foto: Rufus46/CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)

„Rechtsextremisten lehnen die freiheitliche demokratische Grundordnung ab und wollen – auch unter Anwendung von Gewalt – ein autoritäres oder gar totalitäres staatliches System errichten“, definiert die Bundeszentrale für politische Bildung. Dagegen haben radikale politische Auffassungen „in unserer pluralistischen Gesellschaftsordnung ihren legitimen Platz“. Wer radikale Vorstellungen umsetzen will, „muss nicht befürchten, dass er vom Verfassungsschutz beobachtet wird; jedenfalls nicht, solange er die Grundprinzipien unserer Verfassungsordnung anerkennt“.

Fairness für die AfD

Der Bürger, meint Zimmermann, beginne zu merken, dass Äußerungen gegen die AfD reines Politiker-Geschwätz ohne Inhalt sind. Eine inhaltliche Auseinandersetzung finde nicht statt. Statt immer nur laut dazwischen zu schreien, wenn ein AfD-Vertreter im Bundestag spricht, sollte der politische Gegner besser einmal das Grundsatzprogramm der AfD lesen, fordert Zimmermann. „Jede Wette: Die meisten von Ihnen haben das bisher nicht getan.“ Weiter fordert sie: „Begegnen Sie der AfD mit Fairness. Die AfD ist eine von vielen Bürgern demokratisch gewählte Partei.“ Wahlergebnisse als freie Willensbekundungen des Souveräns, heißt es in dem Offenen Brief weiter, müssten respektiert werden.

„Wenn Sie nicht bemerken, dass ihre bisherige Politik gegenüber der AfD falsch ist und nachhaltig geändert werden muss, wird sich die jetzt sichtbare Entwicklung fortsetzen“, vermutet die Autorin. Dies dauere so lange an, bis die Politiker der etablierten Parteien verstanden haben, dass sie es sind, die sich ändern müssen, „um nicht im Abseits zu landen“.

Thomas Wolf

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Kommentar

Wer Terror sät, wird Tod ernten

Es ist ein über die Jahre bekanntes Vorgehen. Um sich gegen die israelische Besatzung zu wehren, greifen die Palästinenser zu selbstgebastelten Bomben, attackieren Grenzposten oder sprengen sich in israelischen Bussen in die Luft. So war das vor zehn, vor 20 Jahren. Terrorismus ist der Krieg der Armen, sagte der deutsch-britische Schauspieler Sir Peter Ustinov (1921-2004) zu derlei Attacken, für die der Nahe Osten berüchtigt war. Doch das war einmal – und es war grauenvoll genug.

Beispielloser Mord

Was jetzt aber am Wochenende in Israel geschah, ist beispiellos in der Geschichte des palästinensischen Terrors. Der Großangriff von Hamas und „Islamischem Dschihad“ stellt alles in den Schatten. Binnen weniger Stunden ermordeten die Terroristen mehr als 900 Israelis. Die ganz große Mehrheit Zivilisten: Frauen, Männer und Kinder. Sie mussten wohl aus einem einzigen Grund sterben: weil sie Israelis waren, Juden. Zum Vergleich: Während der Al-Aqsa-Intifada von 2000 bis 2005, dem letzten großen Palästinenser-Aufstand, waren es nur wenige israelische Opfer mehr. Allerdings in fast fünf Jahren.

Der weltweite Schock über die Terror-Attacken auf wehrlose israelische Zivilisten ist groß. In Berlin versammelten sich zahlreiche Menschen vor dem Brandenburger Tor, um ihre Solidarität mit Israel auszudrücken. (Foto: Leonhard Lenz/CC0 via Wikimedia Commons)

„Seit dem Holocaust haben wir nicht mehr erlebt, wie jüdische Frauen und Kinder, Großeltern – sogar Holocaust-Überlebende – in Lastwagen gepfercht und in die Gefangenschaft gebracht wurden. Wir werden mit voller Kraft und unerschütterlichem Engagement handeln, um diese Bedrohung für unser Volk zu beseitigen“, sagte Israels Staatspräsident Herzog nach dem Terror-Angriff. Und der umstrittene Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sagt: „Wir sind im Krieg. Und wir werden gewinnen. Unser Feind wird einen Preis bezahlen, wie er ihn noch niemals kennengelernt hat.“

Israels Politik kritisch sehen

Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas erklärte, sein Volk habe das Recht, sich gegen den „Terror der Siedler und Besatzungstruppen“ zu wehren. Das ist richtig. Man kann auch als Deutscher die Politik Israels gegenüber den Palästinensern kritisch sehen. Und ebenso die Regierung Netanjahu oder die radikalen jüdischen Siedler, die erst jüngst wieder mit Provokationen und Übergriffen gegen Christen, Palästinenser und Andersdenkende von sich reden machten. Man kann auch Israels anhaltende Besatzung des Westjordanlands als völkerrechtswidrig ansehen. Und man kann fordern, dass das palästinensische Volk einen eigenen Staat erhält. Man sollte sogar.

Israels Besatzungspolitik im palästinensischen Westjordanland ist umstritten. (Foto: Israel Police/CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)

Nichts davon aber rechtfertigt den rassistischen Blutrausch der Hamas! Selbst wenn man den israelischen Behörden vorwerfen kann, potenzielle Warnungen in den Wind geschlagen zu haben: Das macht nichts besser. Der Angriff ist und bleibt unerträglich. Was am Morgen des 7. Oktober begann, ist ein akribisch geplantes und eiskalt umgesetztes Abschlachten, das an die Untaten des „Islamischen Staats“ in Syrien und im Irak gemahnt. Allein auf dem Musikfestival „Supernova Sukkot Gathering“ beim Kibbuz Re’im, wo junge Israelis einfach nur friedlich feiern wollten, massakrierten die Islamisten mindestens 260 Menschen. Zahlreiche weitere vergewaltigten oder verschleppten sie.

Die Terror-Banden ausrotten

Den Preis für den Terror zahlen nun die Bewohner von Gaza. Israel hat faktisch angekündigt, die Hamas und andere Terror-Banden dort auszurotten. 300.000 Reservisten wurden einberufen. Die Armee steht wohl unmittelbar davor, in den Gazastreifen einzumarschieren. Die mächtigste Militärmacht des Nahen Ostens steht bereit, das Terrornest dem Erdboden gleichzumachen. Das ist durchaus wörtlich zu nehmen. Was der Westen russischen Truppen in der Ukraine vorwirft, dürfte in Gaza Realität werden. Erste Videos von Luftschlägen zeigen bereits, dass Israel wenig Rücksicht auf die Zivilbevölkerung nehmen wird. Die Saat des Terrors der Hamas: Sie ist der Tod von Gaza.

Israelische Kinder fliehen vor einem Raketenangriff aus dem Gazastreifen. Das Bild wurde 2012 aufgenommen. Allerdings dürfte sich das Motiv nur unwesentlich von aktuellen Ereignissen während des Hamas-Überfalls unterscheiden. (Foto: Israel Defense Forces/CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)

Erschaudern lassen einen die anderen Videos. Jene nämlich, die aus Israel um die Welt gingen und die die Blutspur der islamischen Killer zeigen. Ebenso fassungslos machen die Bilder aus Orten wie Berlin. Im Problembezirk Neukölln begrüßten Migranten „Allahu akbar“ gröhlend das Wüten der Hamas-Mörder. In Hamburg kam es am Rande einer Solidaritäts-Kundgebung für Israel zu Übergriffen. Es ist schwer, dafür angemessene Worte zu finden. Wer dermaßen von Hass zerfressen ist, der beweist, dass er nicht zu Deutschland gehört. Und dass er auch nicht zu Deutschland gehören will.

Integration gescheitert

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier will solche Feiern „nicht dulden“. Und Bundesjustizminister Marco Buschmann schreibt bei X (früher: Twitter): „Wer den Hamas-Terror feiert, gehört nicht zu uns.“ Deutschland und Israel seien fest miteinander verbunden. „Die Existenz und die Sicherheit Israels sind deutsche Staatsräson.“ Auch ohne das politische Gerede von der Staatsräson muss klar sein: Die Integration dieser Menschen ist auf ganzer Linie gescheitert. Nun ist es an der Politik, die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. Ob sie es tatsächlich tun wird? Das ist allerdings mehr als fraglich.

Frank Brettemer

Wie hier im Iran kam es auch in Berlin-Neukölln zu Kundgebungen, auf denen der Hamas-Terror gerechtfertigt oder gar begrüßt wurde. (Foto: ناصر جعفری/CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)
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Keine Chance für die politische Alternative

„Die Wahl war frei, aber nicht fair.“ Dieses Urteil hört man von westlichen Politikern nicht selten, wenn eine ihr tendenziell missliebige Regierung durch einen Urnengang im Amt bestätigt wurde. Im Frühjahr war das bei der Wiederwahl des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan der Fall. „Die Türkei ist seit spätestens zehn Jahren auf dem Weg in ein autoritäres System. Die Wahlen mögen frei gewesen sein, aber sie waren eben nicht fair“, monierte der SPD-Politiker Michael Roth, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag.

Die Tatsache, dass eine Wahl frei ist, bedeutet noch nicht, dass sie auch fair ist. (Foto: Bayernnachrichten.de / Alexander Hauk / www.alexander-hauk.de / Attribution via Wikimedia Commons)

Auch für den anstehenden Urnengang in Polen befürchten westliche Medien wie die FAZ: Er wird frei sein, aber nicht fair. Am 15. Oktober wählen rund 30 Millionen Polen ein neues Parlament. Die regierende nationalkonservative und russland-kritische PiS-Partei „Recht und Gerechtigkeit“ des früheren polnischen Regierungschefs Jarosław Kaczyński kann mit ihrem Bündnis „Vereinigte Rechte“ auf einen klaren Wahlsieg hoffen. Die meisten Umfragen sehen die „Vereinigte Rechte“ bei deutlich über 30 Prozent. Und teils weit vor der liberal-konservativen Bürgerkoalition um den früheren Ministerpräsidenten Donald Tusk.

Opposition kleinhalten

Ganz zu schweigen von Ungarn, dem „Enfant terrible“ der Europäischen Union. Politische Gegner werfen Regierungschef Viktor Orbán schon seit Jahren vor, die Opposition kleinzuhalten und Menschenrechte nicht zu respektieren. Vor allem gemeint sind damit die Rechte von Homo– und Transsexuellen. Die werden im christlichen „Magyarország“ (etwa: Staat/Land Ungarn) zwar nicht diskriminiert. Öffentlich Propaganda für ihre Sache machen dürfen sie aber auch nicht. In jüngster Zeit ist zu den Vorwürfen, die Medien in Ungarn seien nicht frei, noch ein weiterer Punkt gekommen, der der EU nicht passt: Orbáns Russland-Nähe.

Frei, aber nicht fair. Wer so urteilt, der meint, die Freiheit, sein Kreuzchen bei einer Partei oder einem Kandidaten seiner Wahl machen zu dürfen, sei nicht wesentlich eingeschränkt. Zugleich fehle es aber an echter Chancengleichheit. Dann nämlich, wenn die Herrschenden oder die von ihnen unterstützten Bewerber die Macht des Staatsapparats und der einflussreichen Medien auf ihrer Seite haben. Und dadurch einen Vorteil erlangen, den ein Kandidat der Opposition niemals haben würde. Das sei im Frühjahr in der Türkei der Fall gewesen, sagen Kritiker. Das sei seit Jahren in Ungarn der Fall. Und in Polen wird es wohl ebenso laufen.

Jörg Prophet unterlag in der Stichwahl um das Amt des Oberbürgermeisters von Nordhausen Amtsinhaber Kai Buchmann. (Foto: AfD Nordhausen / CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)

Die Wahl war frei, aber nicht fair. Das dürfte demnach auch auf die gestrige Stichwahl um das Amt des Oberbürgermeisters der Stadt Nordhausen in Thüringen gelten. AfD-Kandidat Jörg Prophet gewann den ersten Wahlgang mit gut 42 Prozent der Stimmen. Der amtierende OB Kai Buchmann (parteilos) kam auf nicht einmal 24 Prozent. Gestern unterlag Prophet dem Amtsinhaber trotzdem deutlich. Er gewann nur drei Prozentpunkte hinzu und landete bei 45 Prozent. Buchmann dagegen konnte seinen Stimmen-Anteil deutlich mehr als verdoppeln: auf fast 55 Prozent. Dabei hatte Prophet zu Beginn des Auszählungs-Krimis sogar noch vorne gelegen.

Wahlkampf mit unfairen Mitteln

Dem denkwürdigen Wahlabend vorausgegangen waren zwei Wochen, in denen sich der Sieger des ersten Wahlgangs nicht nur gegen den amtierenden OB zur Wehr setzen musste. Er stand auch einer faktischen politischen Einheitsfront gegenüber. Alle Parteien außer der AfD gingen mehr oder weniger offensichtlich für Buchmann in den Kampf. Obwohl der ein Disziplinar-Verfahren am Hals hat und sich Mobbing-Vorwürfen ausgesetzt sieht. Es galt, den ersten Oberbürgermeister aus den Reihen der Alternative für Deutschland um jeden Preis zu verhindern. Und damit den bislang größten Erfolg der AfD auf kommunaler Ebene. Und sei es mit unfairen Mitteln.

Auch die Leitmedien und der Verfassungsschutz fuhren schweres Geschütz gegen Prophet auf. Weil er es gewagt hatte, mit Blick auf den Zweiten Weltkrieg auch von deutschen Opfern zu sprechen und neben NS-Todeslagern auch die anglo-amerikanischen Luftangriffe auf Städte wie Nordhausen als Verbrechen zu bezeichnen, warf der Deutschlandfunk ihm vor, er spreche die Sprache von Neonazis. Der Thüringer Verfassungsschutz, wurde vor dem entscheidenden zweiten Urnengang bekannt, soll den 61-Jährigen bereits vor geraumer Zeit beobachtet haben. Selbst der Leiter der Nordhauser KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora schaltete sich ein und warnte vor dem AfD-Bewerber.

Opfer der alliierten Luftangriffe auf Nordhausen im April 1945. Unmittelbar nach Kriegsende wurden die Todeszahlen auf mehr als 10.000 geschätzt. Jörg Prophet hält die Attacken auf Zivilisten für ein Verbrechen. (Foto: US Army/gem)

Im deutschen Grundgesetz heißt es in Artikel 38, die Abgeordneten des Bundestags „werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt“. Gleiches gilt für einen Bürgermeister in Thüringen. Frei dürfte der Urnengang in Nordhausen gewesen sein. Das stellte nicht einmal Jörg Prophet in Frage. Aber eine echte Chancengleichheit herrschte nicht. Der 61-jährige AfD-Kandidat hatte keine echte Chance, die Wahl zu gewinnen. Dafür hatte er zu viele Gegner. Oder um es mit den Worten von Michael Roth zu sagen: „Die Wahlen mögen frei gewesen sein, aber sie waren eben nicht fair.“

Thomas Wolf

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Klima-Ideologie vor Glaubwürdigkeit

Erwartungsgemäß hat der Bundestag mit der Mehrheit der Ampel-Koalition das umstrittene Gebäudeenergiegesetz beschlossen. Für das Vorhaben stimmten 399 Abgeordnete. 275 Parlamentarier votierten dagegen, fünf enthielten sich. Das vom Volksmund als Heizungsgesetz bezeichnete Gesetzeswerk zielt darauf ab, die traditionellen Öl- und Gasheizungen, die in Deutschland in mehr als 70 Prozent aller Privathaushalte zum Einsatz kommen, schrittweise durch andere Heizungsarten zu ersetzen. Solche nämlich, die nach Ansicht der Regierung klimafreundlicher sind.

Kältemittel umweltschädlich

Vor allem sind das Wärmepumpen. Ob die aber dem Klima wirklich zuträglicher sind, ist umstritten. Lässt man die grüne Ideologie-Brille einmal beiseite, so bleibt eine Heizungsart, die nicht nur das Vielfache einer klassischen Öl- oder Gasheizung kostet, sondern deren Lebensdauer auch merklich darunter liegt. Für Wohngebäude ohne Fußboden-Heizung ist sie eigentlich nicht das Mittel der Wahl. Manche Kritiker berechnen sogar einen höheren Ausstoß von Klima-Gasen als bei Öl und Gas. Ganz davon abgesehen, dass die in Wärmepumpen verwendeten Kältemittel in vielen Fällen umweltschädlich sind.

Gilt Politik und Medien als klimafreundliche Heizungsform: eine Wärmepumpe. Aber ist das zutreffend? (Foto: gemeinfrei)

Aufzuhalten wird das Gesetz wohl dennoch nicht sein. Wohl noch diesen Monat muss es zwar den Bundesrat passieren. Doch das ist kaum mehr eine Formalie. Selbst wenn die Länderkammer Einspruch einlegen sollte, ist das Gebäudeenergiegesetz damit nicht gescheitert. Vielmehr kann der Bundestag den Einspruch des Bundesrats mit der Mehrheit der Ampel-Koalitionäre zurückweisen. Und genau das wird er im Fall des Falles auch tun. Das Gesetz gilt nämlich als nicht zustimmungspflichtig.

Sozial ausbalanciert?

Das GEG sei sozial ausbalanciert, sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) heute im Bundestag noch einmal. Keiner wird zurückgelassen“, hieß es bereits zuvor mantra-artig aus der Ampel-Koalition, seit Befürchtungen laut wurden, die Klimapolitik der Regierung würde die Bürger in den Ruin treiben. „Wir haben uns fest vorgenommen, dass wir sicherstellen, dass alle unterstützt werden, die Unterstützung brauchen“, betonte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) noch Ende August in einem Interview mit dem MDR mit Blick auf das geplante dritte Energie-Entlastungspaket.

„Wir gucken genau auf die Situation von Familien, von Rentnerinnen und Rentnern, von Studierenden“, versicherte der Kanzler in dem Interview. „Wir werden auch dafür sorgen, dass diejenigen, die verdienen, aber trotzdem rechnen müssen, auch steuerlich entlastet werden.“ Die Zweifel der Bürger aber blieben. Und ebenso die Angst um die eigene Existenz im Angesicht der erwartbaren hohen Energiekosten. Wirklich transparent sind die Energie-Gesetze auch nach zahlreichen Nachbesserungen nicht, die die massive Kritik nach sich zog. Und kostengünstiger wird es für die Bürger schon mal gar nicht.

Bundeskanzler Olaf Scholz hat versprochen, die Bürger finanziell zu entlasten. (Foto: European Parliament / CC BY 2.0 via Wikimedia Commons)

Denn die Umrüstung auf erneuerbare Energien kostet. Das geben die Politiker unumwunden zu. Die Entlastung der Bürger hält sich entgegen aller Beschwichtigungen und Versprechungen aber in Grenzen. Oder wird sogar auf unbestimmte Zeit verschoben. Das Klimageld zum Beispiel, das die Regierung als sozialen Ausgleich für steigende CO2-Preise versprochen hat. Dieser Wortbruch erzürnt nicht nur Sozialorganisationen oder das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Auch die Klimaschützer von den „Fridays for Future“ fordern eine umgehende Einführung des in Aussicht gestellten Klimageldes. Vergeblich! Dabei soll schon 2024 der CO2-Preis um ein Drittel steigen.

Historische Vertrauens-Krise

DIW-Präsident Marcel Fratzscher warnt, die größte Gefahr für den Klimaschutz sei fehlende Akzeptanz. Ganz abgesehen davon droht der Regierung ein weiterer fataler Glaubwürdigkeits-Verlust. Noch dazu in einer Zeit, in der die Koalition ohnehin in einer historischen Vertrauens-Krise steckt. Oder geht es am Ende gar nicht um soziale Ausgewogenheit? Oder um Glaubwürdigkeit? Sondern schlicht darum, die Bürger zu gängeln. Und einer Ideologie zu unterwerfen, die trotz aller Kompromisse im Heizungsgesetz noch immer die Diskussionen um den Klimaschutz prägt.

Anna Steinkamp

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CSD: Kein Beispiel für Offenheit und Toleranz

Sogenannte Christopher Street Days gibt es mittlerweile an vielen Orten und in allen Teilen des Landes. Die bunte Party-Kundgebung von Schwulen, Lesben und Sympathisanten erinnert an den 28. Juni 1969. Der damalige Aufstand in der New Yorker Christopher Street, der sich gegen die Stürmung der Schwulenbar „Stonewall Inn“ durch die Polizei richtete, gilt als Geburtsstunde der modernen Homosexuellen-Bewegung. Sie richtete sich gegen Polizeigewalt und gegen jede Form der Diskriminierung. Seither hat die Bewegung sich weiterentwickelt. Sie wirbt für Offenheit, Toleranz und eine Vielfalt der Meinungen. Keine Ausgrenzung, kein Schubladendenken. Aber wird die Bewegung dem eigenen Anspruch überhaupt gerecht? Der CSD in Rostock lässt Zweifel aufkommen.

Freizügig und politisch

Schwule, Lesben und zunehmend auch Transsexuelle und Transgender feiern beim Christopher Street Day äußerst freizügig. Und zunehmend politisch. Ob Prideweek oder Pridemonth – der CSD ist mittlerweile derart politisch, dass man als Beobachter manchmal nicht mehr so genau weiß, worum es den Veranstaltern wirklich geht. Fast jede größere Partei, Behörden und eine Vielzahl an Bundes-, Landes- und Kommunalpolitikern nehmen das Thema Diversität und bunte Vielfalt für sich ein und nutzen es. Oft medienwirksam für die eigene Selbstdarstellung. Man will schließlich besonders tolerant und demokratisch erscheinen.

Das Logo des Christopher Street Day in Rostock zeigt das Wappentier der Hansestadt, einen Greifen, in den Regenbogen-Farben der „queeren“ Homo- und Transsexuellen-Bewegung. (Foto: CSD Rostock e.V.)

Wie auch an anderen Orten steht der Christopher Street Day in Rostock gleichfalls unter wechselnden Mottos. 2018 etwa war er mit „Akzeptanz beginnt im Kopf. Kein Schritt zurück!“ überschrieben. 2016 mit „Echte Liebe – Echte Vielfalt – Echte Akzeptanz – Echt für Alle“. 2010 hieß es „Kopf frei für Artikel 3“. Gemeint war Artikel 3 des Grundgesetzes. „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“, heißt es darin.

Grundrechte respektieren

Eben dieser Artikel reicht dem Verein CSD Rostock e.V., der den Christopher Street Day in der Hansestadt veranstaltet, als Basis des gesellschaftlichen Zusammenlebens nicht aus. Er soll um eine Kernforderung der Homosexuellen-Bewegung in Deutschland ergänzt werden: um das Merkmal der „sexuellen Orientierung“. Diese Forderung kann man nun unterstützen oder ablehnen. In jedem Fall wirkt sie nur dann ehrlich und aufrichtig, wenn die in Artikel 3 bereits enthaltenen Grundrechte respektiert werden und Anwendung finden. Auch im Rahmen des CSD. Und genau da hapert es gewaltig. Zumindest in Rostock.

Der Christopher Street Day in Rostock wird seit 2002 von einem Trägerverein verantwortet. (Foto: Burghard Mannhöfer/www.queer-kopf.de)

Nimmt man ernst, was der CSD-Verein öffentlich vertritt, ist es jedem erlaubt, den Christopher Street Day zu feiern und daran teilzunehmen. Natürlich vorausgesetzt, die Person ist friedlich und fügt niemandem einen Schaden zu. So wie Ralph Z. (vollständiger Name ist der Redaktion bekannt). Der Rostocker Bürger ist ein friedlicher Zeitgenosse, musikalisch, kulturell interessiert – und selbst schwul. Kein Wunder also, dass er am diesjährigen CSD in der Hansestadt teilnehmen wollte. Mitte Juli fand der statt. Doch Z. sollte nicht teilnehmen dürfen. Weil er sich ehrenamtlich politisch engagiert. Für die „falsche“ Sache.

Demo für den Weltfrieden

Der studierte Musikwissenschaftler und Pianist begleitet und kommentiert jeden Montag die Friedensdemonstration in seiner Heimatstadt. Während der Corona-Pandemie nahm er an Kundgebungen gegen die umstrittenen politischen Maßnahmen teil. In Zeiten des Ukraine-Kriegs demonstriert er nicht für die Lieferung westlicher Waffen für Kiew. Er demonstriert für den Weltfrieden. Dabei äußert er sich kritisch zu politischen Entscheidungen und Entscheidern. Das ist vollkommen legal und vom Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. Auch Grundgesetz-Artikel 3, der dem CSD Rostock ja so wichtig ist, sagt eindeutig: Wegen seiner politischen Anschauungen darf niemand benachteiligt werden.

Die Realität beim Christopher Street Day in Rostock sieht anders aus. Herr Z. wurde der Zugang zum Festgelände verwehrt. Er wurde am Eingang von einem Ordner aufgehalten. Dieser sagte, er müsse erst prüfen, ob Z. auf das Gelände darf. Die Nachfrage bei den Rostocker CSD-Verantwortlichen ergab: kein Zutritt für Z.! „Sie können sich ja denken, wie die Entscheidung ausgefallen ist“, beschied der Ordner. Wie kann das sein? Warum wurde Ralph Z. als schwuler Mann vom CSD ausgeschlossen?

Rostocks Oberbürgermeisterin Eva-Maria Kröger (Die Linke) sitzt im Vorstand des Vereins CSD Rostock. Zum Ausschluss des Friedensaktivisten Ralph Z. äußert sie sich nicht. (Foto: Screenshot www.eva-kroeger.de/zur-person)

Das wollte auch Z. selbst wissen. Und stellte per E-Mail eine entsprechende Anfrage an den CSD-Verein Rostock, die Rostocker Bürgerschaft und an die Oberbürgermeisterin der Hansestadt, Eva-Maria Kröger (Die Linke). Kröger ist als Vorstandsmitglied des CSD-Vereins tätig und kann somit als für dessen Entscheidungen mitverantwortlich betrachtet werden. Bis heute hat Z. keine Antwort erhalten. Niemand derjenigen, die öffentlich Demokratie, Meinungsfreiheit und Toleranz propagieren, hat sich zu diesem diskriminierenden Vorfall geäußert. Auch den lokalen Zeitungen ist das skandalöse Verhalten keine Schlagzeile wert. Unter ihnen ist übrigens die Ostsee-Zeitung, die zur Madsack Verlagsgesellschaft gehört. Deren größter Gesellschafter ist – die SPD.

„Das hatten wir schon mal“

Wie ehrlich ist also der CSD? Und wie ernst ist es der Politik in diesem Land mit Toleranz, Meinungsfreiheit und Demokratie? Sie propagieren das eine und leben das andere! Gerade im Osten dieses Landes sagt man sich: „Das hatten wir schon mal.“ Hier reagiert man sensibel auf die Einschränkung demokratischer Rechte. Ein Unterschied zu damals ist bei genauer Betrachtung heute kaum mehr vorhanden. Nur einer vielleicht: In der DDR war bekannt, was man sich erlauben durfte und was nicht. Es wurde nicht versucht, unterdrückte Rechte unter dem Deckmantel des Gutmenschentums als Demokratie zu verkaufen.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier – hier auf dem offiziellen Presseporträt – warnt vor Demokratie-Feinden in Deutschland. Kritiker werfen ihm vor, es seien vielmehr er und die Bundesregierung, die die Demokratie einschränken. (Foto: Bundesregierung/Steffen Kugler)

Was in Rostock passiert ist, passt ins Bild, das die deutsche Politik-Elite derzeit abgibt. Der Bundespräsident nutzt den 75. Jahrestag des Beginns der Grundgesetz-Beratungen, um vor angeblichen Feinden der Demokratie in der Gesellschaft zu warnen. Man solle sich gegen sie wehren, fordert er. „Eine Verfassung, gerade unser Grundgesetz, verträgt harte und härteste Auseinandersetzung“, sagte Frank-Walter Steinmeier beim Festakt auf der Chiemsee-Insel Herrenchiemsee. „Verfassungsfeinde jedoch kann die Verfassung nicht integrieren – und wir dürfen die Gefahr, die von ihnen ausgeht, nicht ignorieren.“ Eine Demokratie müsse wehrhaft sein gegenüber ihren Feinden. „Niemals wieder sollen demokratische Freiheitsrechte missbraucht werden, um Freiheit und Demokratie abzuschaffen.“

Verächter der Demokratie

Ja, die Verächter der Demokratie müssen in die Schranken gewiesen werden – begründet, konsequent, nachhaltig. Aber wir alle sollten uns fragen: Wer sind diese Verächter der Demokratie, die in ihrem Handeln das Grundgesetz missachten? Wer unterdrückt Meinungen und diskriminiert Andersdenkende? Wer schränkt Freiheiten willkürlich ein? Wie sang einst Reinhard Mey so trefflich? „Sei wachsam und fall nicht auf sie rein …“

Jens Scheyko

Reinhard Mey warnte in seinem Lied „Sei wachsam“ (1996) vor Politikern, die die Menschen belügen, das Grundgesetz aufweichen und das Land in militärische Auseinandersetzungen ziehen. (Foto: Sven-Sebastian Sajak/CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

Der Autor ist ist Immobilienfachwirt und hat als Geschäftsführer ein kommunales Wohnungsunternehmen geführt. Weil er sich gegen Fehlentscheidungen des politischen Establishments seiner Region stellte, verlor er seine Position, seine berufliche Erfüllung und am Ende auch seine Gesundheit. Die Information über offensichtliches Unrecht in Politik und Gesellschaft ist ihm ein außerordentliches Bedürfnis.

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Im Blickpunkt

Die Deutschen flüchten vor der Realität

Die Deutschen ziehen sich angesichts der zahlreichen Krisen der Gegenwart ins Private zurück. Das ist das Ergebnis einer tiefenpsychologischen Studie und einer repräsentativen Umfrage des Kölner Rheingold-Instituts im Auftrag der Düsseldorfer Identity Foundation, einer gemeinnützigen Stiftung für Philosophie. Die Erkenntnisse der Studie könne man als dramatisch bezeichnen, sagt Paul J. Kohtes, Gründer und Vorsitzender der Identity Foundation. Eine tiefe Resignation bedrohe unser nationales Zusammenleben. „Wir sehen zu, wie ein ganzes Land vor der Wirklichkeit in Deckung geht, während sich die Verantwortlichen in der Berliner Politik in klein-klein verheddern.“

Zwischen Klimawandel und Krieg

„Festgefahren zwischen Klimawandel und Krieg ist ein Großteil der Bevölkerung mit Blick auf Politik und Gesellschaft desillusioniert und reagiert auf die gespürte Aussichtslosigkeit mit einer Flucht ins private Glück“, heißt es von der Stiftung. Die große Mehrheit der Menschen in Deutschland, ergab die Befragung von 1000 repräsentativ ausgewählten Teilnehmern im Juni, hat kein Interesse mehr an Nachrichten und kein Vertrauen in die Politik. Um die allgegenwärtigen Krisen zu verdrängen, ziehen sich die Deutschen demnach in ein „wehrhaftes Schneckenhaus“ zurück. Zuversicht finden die Menschen im privaten Umfeld. Mit Blick auf Politik und Weltgeschehen herrsche dagegen eine „diffuse Endzeit- und Einbruchsstimmung“.

Die eigenen vier Wände werden für Millionen Deutsche zunehmend zum wichtigsten Bezugspunkt. Mit Politik und Weltgeschehen möchten viele nichts mehr zu tun haben. (Foto: Pixabay)

„Die Wucht der Krisen ist für die Menschen schwer auszuhalten“, liest man in den Ergebnissen der Studie, die mit „Deutschland auf der Flucht vor der Wirklichkeit“ überschrieben ist. „Durch die starke Verdrängung werden sich die Themen nicht konsequent vor Augen geführt und verlieren ihre Wucht.“ Ob vermeintlich drohende Klima-Katastrophe, der anhaltende Krieg in der Ukraine, die daraus resultierende Energie-Krise, die Talfahrt der deutschen Wirtschaft oder politische Radikalisierung – viele Deutsche erleben die Situation um sich herum als angespannt und feindselig. „Für viele wird mehr Aggressivität im Miteinander spürbar.“ Von dem Gefühl von Gemeinschaft und gegenseitiger Unterstützung „wie in den Anfängen der Corona-Zeit“ sei kaum etwas geblieben.

Gefahr für die Demokratie

Vielen der Befragten drängen sich Ohnmachtsgefühle auf. Darunter leidet auch das Vertrauen in die Demokratie. „Die aktuellen Herausforderungen werden als so groß und schwierig empfunden, dass in Frage gestellt wird, ob unsere Demokratie diesen standhalten kann“, fassen die Macher der Studie zusammen. Es bestehe die Angst, dass diktatorische Strukturen sich etablieren und das demokratische Wertesystem verloren geht. „Politische Radikalisierungen von rechts und links werden mit Sorge beobachtet. Der Wille zu Kompromissen fehlt, wodurch das Gefühl der Spaltung weiter wächst.“

Um ihr Heim in eine Wohlfühloase zu verwandeln, in der man Ruhe vor politischen Nachrichten hat, packen die Deutschen tatkräftig an. Mehr als 90 Prozent denken ans Renovieren oder zumindest ans Aufräumen. (Foto: Pixabay)

Der Rückzug ins Private geht den Erkenntnissen des Forscher-Teams um Anna Brand mit der Schaffung von Wohlfühloasen einher. 93 Prozent der Menschen verschönern demnach das eigene Zuhause, räumen auf, dekorieren, renovieren. 76 Prozent gehen auf Reisen, um so gewissermaßen dem tristen Alltag entfliehen zu können. Immerhin noch 56 Prozent der Befragten denken darüber nach, Deutschland zu verlassen und sich in einem anderen Land anzusiedeln. „Auch die Natur dient als Rückzugsort, in der Ruhe und Trost vom Alltag erfahren wird.“

Freunde geben Zuversicht

Gleichzeitig finden die Deutschen in „engen sozialen Kreise aus Gleichgesinnten“ Halt. „Meine Freunde geben mir viel Zuversicht. Wenn wir uns am Wochenende treffen und etwas trinken gehen, dann haben wir einfach nur Spaß. Da gibt es dann keine schlechten Nachrichten und man denkt, irgendwie wird das schon alles werden“, zitiert die Studie den 29-jährigen Thomas. Der 49-jährigen Anja bietet die Familie Stabilität in herausfordernden Zeiten. „In meiner kleinen Familie tanke ich auf. Da habe ich Gefühle von Rückhalt und Verlässlichkeit. Es ist ein schönes Gefühl, zusammen Dinge durchzustehen, auch wenn die Zeiten schwieriger sind.“

1848 wurde der Drang zur Freiheit für die Deutschen unerträglich. Sie wehrten sich gewaltsam gegen die Willkür der Fürsten. (Foto: gemeinfrei)

Dass die Deutschen sich ins Private zurückziehen, ist keine neue Entwicklung. In Krisenzeiten war dies immer wieder der Fall. Klassisches Beispiel ist die Epoche des Biedermeier. Der Begriff bezeichnet die Zeit nach dem Ende des Wiener Kongresses 1815, der Europa nach dem Sieg über Napoleon neu ordnete. Der nationale Befreiungskampf des deutschen Volkes gegen die französische Fremdherrschaft war von Erfolg gekrönt. Viele erhofften sich nun einen politischen Neuanfang in einem freien und geeinten Deutschland. Ihre Hoffnung wurde enttäuscht. Auf dem Kongress setzte sich die konservative Reaktion der Fürsten durch.

Rigides Polizei-System

Statt Einheit, Freiheit und Demokratie bekam das Land den Deutschen Bund als lockere Vereinigung der Fürstentümer und freien Städte. Und statt Meinungs- und Pressefreiheit etablierte die Obrigkeit ein rigides Spitzel- und Polizei-System. Wer sich gegen die Herrschaft der Fürsten auflehnte, wer Grundrechte und nationale Einheit forderte, dem drohten lange Haftstrafen. Statt sich dieser Gefahr auszusetzen, zogen sich die meisten Deutschen in den Schutz ihres Häuschens oder der Natur zurück. Erst 1848 erhoben sich die nach Freiheit verlangenden Massen unter den deutschen Farben Schwarz-Rot-Gold und erkämpften die erste gesamtdeutsche demokratische Verfassung.

Nicht nur die Biedermeier-Epoche, den sogenannten Vormärz, zeichnet ein Rückzug ins Private aus. Auch in der DDR waren Repression und SED-Parteilinie besser zu ertragen, wenn man sich nicht politisch äußerte. In besonderem Maße gilt das für die zwölf Jahre der nationalsozialistischen Diktatur. Der Rückzug ins Private, in die eigenen vier Wände, in die Familie, war die einzige Möglichkeit des Widerstands gegen die zunehmend radikale Ideologie und brutale Gewaltherrschaft. Sich der verordneten „Volksgemeinschaft“ verweigern, ohne offen dagegen zu sein. Mehr Widerspruch gegen die braunen Herren wäre ohne Lebensgefahr kaum möglich gewesen.

Der Münchner Bürgerbräukeller am Tag nach dem Anschlag vom 8. November 1939. Weil Adolf Hitler die Veranstaltung früher als geplant verließ, entging der NS-„Führer“ dem Attentat. (Foto: Bundesarchiv / Bild 183-E12329 / Wagner / CC BY-SA 3.0 DE via Wikimedia Commons)

Den Weg in den aktiven gewaltsamen Widerstand gingen nur wenige. Ein Georg Elser zum Beispiel. Der linksgerichtete Württemberger verübte am 8. November 1939 im Münchner Bürgerbräukeller ein Sprengstoff-Attentat auf Adolf Hitler. Es scheiterte knapp, da der „Führer“ den Ort bereits vor der Explosion verlassen hatte. Oder ein patriotischer Offizier wie Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Sein Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 brachte nationalgesinnte Konservative, Liberale und linke Nazi-Gegner zusammen. Sie einte die patriotische Sorge um Deutschland, das sie von einem verbrecherischen Regime befreien wollten, dessen Politik geradewegs in den Untergang führte.

Mit dem Leben bezahlt

Stauffenberg und zahlreiche seiner Mitverschwörer hatten die NS-Herrschaft zunächst noch begrüßt, sich aber von der immer offener zutage tretenden Politik gegen den Frieden und die Interessen des deutschen Volkes abgewandt. Stauffenbergs Sprengstoff-Attentat auf Hitler scheiterte wie jener Georg Elsers. Und wie jener bezahlte der schwäbische Offizier die Tat mit dem Leben. Der Umsturz-Plan „Unternehmen Walküre“ lief zwar trotz des erfolglosen Anschlags an, blieb aber in den Anfängen stecken. Noch in der Nacht nach dem Attentat in Hitlers Hauptquartier „Wolfsschanze“ in Ostpreußen wurden die Haupt-Verschwörer um Stauffenberg und Generaloberst Ludwig Beck in Berlin hingerichtet.

Claus Schenk Graf von Stauffenberg (ganz links) am 15. Juli 1944 in Adolf Hitlers Hauptquartier Wolfsschanze, wenige Tage vor dem Attentat auf den „Führer“. (Foto: Bundesarchiv / Bild 146-1984-079-02 / CC BY-SA 3.0 DE via Wikimedia Commons)

Elser oder Stauffenberg genügte der stille Widerspruch nicht. Es reichte ihnen nicht, einfach bloß nicht mitzumachen. Sich zurückzuhalten. Oder ihr privates Glück zu suchen, während rings um sie herum alles in Scherben fällt. Die übergroße Mehrheit der Deutschen hatte diesen Mut eines Elser oder eines Stauffenberg nicht. Zumindest nicht in der Nazi-Zeit. Dafür rund 100 Jahre früher, als sich die Deutschen in ihrer Revolution gegen Fürsten-Tyrannei und Unterdrückung auflehnten. Und 1989, als Millionen Ost- und Mitteldeutsche die Krise ihres Landes, die Lügen der Medien und die Herrschaft ihrer Polit-Kaste satt hatten. Und ihr System der Einheits-Meinung und der Gängelung hinwegfegten.

Thomas Wolf

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Kommentar

Diskriminieren? Gerne – aber nur Deutsche

Gleichbehandlung ist eine zentrale Maxime des aktuellen gesellschaftlichen und politischen Diskurses. Dahinter steht die Annahme, dass jeder Mensch gleich viel wert ist. Dass niemand aufgrund seiner Religion oder Herkunft, seines Geschlechts oder seiner sexuellen Orientierung, seines Alters, seiner Behinderung oder seiner familiären Situation schlechter behandelt werden soll. Das ist vollkommen richtig. Darüber muss man nicht diskutieren. Wohl aber darüber, wie die Politik neuerdings gedenkt, die Gleichbehandlung umzusetzen.

Nicht mehr zeitgemäß?

Aktuell machen Pläne der Unabhängigen Bundesbeauftragten für Antidiskriminierung Schlagzeilen. Ferda Ataman will das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verschärfen. Unter anderem will sie die sogenannte Kirchenklausel streichen. Das unter Schwarz-Rot 2006 eingeführte Gesetz räumt nämlich kirchlichen Arbeitgebern verschiedene Ausnahmeregelungen ein. Sie dürfen beispielsweise ihren Mitarbeitern Vorgaben zur privaten Lebensführung machen. Dies stört Ataman. Solche Vorgaben seien nicht mehr zeitgemäß und stünden EU-Recht entgegen, meint sie.

Ferda Ataman fordert, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zu verschärfen. (Foto: Stephan Röhl/Heinrich-Böll-Stiftung/CC BY-SA 2.0 via Wikimedia Commons)

Anforderungen an die Religionszugehörigkeit oder an die Lebensweise von Mitarbeitern der Kirchen soll es künftig nur noch im engsten Verkündigungsbereich geben. Dabei ist Ataman offenbar entgangen, dass die Kirchen ihr Arbeitsrecht längst liberalisiert haben. In der katholischen Kirche etwa ist die private Lebensführung von Mitarbeitern seit dem vergangenen Jahr kein Hindernis bei Bewerbungen und kein Grund zur Kündigung mehr. Selbst Menschen, die in einer homosexuellen Beziehung leben, sind seither für die Kirche nicht mehr tabu.

Doch damit nicht genug. Ferda Ataman hat generell ein Problem mit der Mehrheitsgesellschaft. Ethnische Deutsche wertet sie als „Kartoffeln“ ab. Islam-Forscher Ahmad Mansour wirft ihr vor, Denkverbote zu befördern. Seyran Ateş, Gründerin der liberalen Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin, kritisiert, Ataman messe mit zweierlei Maß. Von Debatten über den politischen Islam, zu Clan-Kriminalität, Ehrenmord oder Zwangsheirat unter Muslimen wolle sie nichts wissen. Und vor allem: Ataman diskriminiere die Mehrheit. Für die Ampel-Koalition bringt sie damit aber offenbar ideale Voraussetzungen mit, die Antidiskriminierungsstelle des Bundes zu leiten.

Politik gegen Deutsche

Die Folgen einer solchen Politik gegen die deutsche Bevölkerungs-Mehrheit kommen jetzt immer deutlicher zum Vorschein. Atamans Pläne machen nämlich längst nicht beim kirchlichen Arbeitsrecht Halt. Sie will es auch deutlich vereinfachen, eine vermeintliche Diskriminierung etwa bei der Wohnungssuche nachzuweisen. Der Nachweis soll einfach wegfallen! Stattdessen würde künftig eine „überwiegende Wahrscheinlichkeit“ schon reichen. Es genügte also, bei einer Klage das Gericht glauben zu machen, dass man aufgrund seiner Hautfarbe, seiner Geschlechts-Identität oder seiner Homosexualität die Wohnung nicht bekam.

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat ihren Sitz beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. (Foto: Jörg Zägel/CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)

Das öffnet Tür und Tor für Missbrauch. Volker Boehme-Neßler, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Oldenburg, hält Ferda Atamans Pläne sogar für verfassungswidrig. Und das auch gutem Grund. „Normalerweise müssen Sie etwas beweisen, wenn Sie etwas einklagen wollen“, erläutert er im Cicero-Interview. „Wenn Sie mich auf Schadenersatz verklagen wollen, weil ich Ihr Auto kaputt gemacht habe, dann müssen Sie beweisen, dass ich das war. Wenn Sie das aber nur glaubhaft machen müssen, dann reicht es, wenn Sie behaupten, Herr Boehme-Neßler hat mein Auto wahrscheinlich kaputt gemacht. Erstens kann er mich nicht leiden, und zweitens war er ungefähr um die Zeit in der Gegend unterwegs.“

In einem Rechtsstaat könne man nicht einfach Behauptungen aufstellen, sondern man müsse Beweise vorlegen. „Wenn die Forderung von Ferda Ataman umgesetzt würde, wäre das eine starke Gefährdung der Freiheit. Man könnte ganz einfach eine Behauptung aufstellen, um jemanden vor Gericht zu bringen. Wir erleben das ja im Augenblick, wie mit einer unheimlich großen Wirkung in der Öffentlichkeit oder auf Social Media schnell Behauptungen aufgestellt werden. Am Ende stellt sich oft heraus, dass eigentlich kaum was dran war. Diese Beweislastumkehr würde auch den Missbrauch von Diskriminierungsklagen sehr erleichtern.“

Ankläger und Richter

Und dann ist da noch etwas. Ataman fordert auch ein „altruistisches Klagerecht“ für ihre Antidiskriminierungsstelle. Laut Boehme-Neßler bedeutet das, Ataman könnte selbst Klage erheben. „Und das unabhängig davon, ob die Menschen, die – vielleicht – diskriminiert sind, eine Klage wollen oder nicht.“ Ataman und ihre Behörde erhielten damit faktisch die Kompetenz einer Staatsanwaltschaft. Und in Verbindung mit dem geplanten Instrument der verbindlichen Schlichtung würde die Antidiskriminierungsstelle sogar zu einer Art Gericht. Ankläger und Richter in einem also.

Hätte Ferda Ataman mit ihren Plänen Erfolg, würde ihre Antidiskriminierungsstelle Funktionen eines Gerichts übernehmen. So blinde (und damit unvoreingenommen) wie Justitia würde sie allerdings wohl nicht urteilen. (Foto: Pixabay)

Künftig gehen dann Wohnungen stets an Migranten. Arbeitsplätze an Menschen mit Behinderung. Führungspositionen an Frauen oder Homosexuelle. Und kirchliche Kitas dürften sich genötigt fühlen, aus Angst vor einer Klage statt einer christlichen eine muslimische Bewerberin einzustellen. Obwohl das den religiösen Bildungsauftrag einer solchen Einrichtung natürlich ad absurdum führen würde. Und das Ziel, gegen religiöse Diskriminierung vorzugehen, gleich mit. Es wäre nämlich nichts anderes als Diskriminierung derjenigen, die keiner privilegierten Minderheit angehören. Diskriminierung der deutschen Mehrheit. Also vermutlich genau das, was Ferda Ataman vorhat.

Anna Steinkamp

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Im Blickpunkt

„Einheitsfront“ ohne Alternative

Der ARD-DeutschlandTrend ist so etwas wie das Flaggschiff der Meinungsumfragen hierzulande. Entsprechend groß ist die Aufmerksamkeit, die die Ergebnisse der repräsentativen Befragung erhalten. „Wäre am kommenden Sonntag Bundestagswahl, würde die Union laut Umfrage-Ergebnissen des aktuellen DeutschlandTrends für das ARD-Morgenmagazin klar stärkste Fraktion“, liest man bei der Tagesschau. „Sie könnte ihr Ergebnis von vor drei Wochen mit 29 Prozent halten.“ Die vielleicht bedeutendste Meldung kommt direkt im Anschluss. Die AfD würde demnach „mit 19 Prozent den höchsten jemals im ARD-DeutschlandTrend ermittelten Wert für diese Partei erreichen“.

SPD auf dem dritten Platz

Die AfD überholt damit auch in der ARD-Umfrage erstmals die Sozialdemokraten. Sie ist damit die aktuell zweitstärkste politische Kraft in Deutschland. „Die SPD würde von der AfD auf den dritten Platz verdrängt werden und bekäme 17 Prozent der Stimmen“, schreibt die Tagesschau. Das ist ein Prozentpunkt weniger als bei der vorigen Umfrage. Die Grünen kämen auf 15 Prozent. Die FDP würde einen Prozentpunkt verlieren und auf sechs Prozent kommen. Für die Linkspartei würden sich unverändert vier Prozent der Wähler entscheiden. Damit bliebe ihr ein Einzug in den Bundestag höchstwahrscheinlich verwehrt.

Der ARD-DeutschlandTrend sieht die AfD erstmals als zweitstärkste politische Kraft in Deutschland. (Foto: DAB)

Ja, die Alternative für Deutschland ist auf einem Höhepunkt ihrer Beliebtheit. Nicht nur bei der ARD-Umfrage. Andere Institute sehen die Partei sogar bereits bei 20 Prozent. Und das bei noch nicht einmal ausgeschöpftem Wähler-Potenzial. Die Zustimmungswerte könnten in den kommenden Wochen und Monaten also noch einmal deutlich ansteigen. Vielleicht auf fast 30 Prozent. Betrachtet man nur die neuen Bundesländer (außer Berlin), liegt die AfD bereits jetzt bei 32 Prozent. Der Grund für den Höhenflug liegt nach nahezu einhelliger Meinung von Beobachtern an der weitverbreiteten deutlichen Ablehnung der rot-grün-gelben Regierungspolitik. An Energiewende und Klimaschutz, am Selbstbestimmungsgesetz und der Gender-Politik, an den Russland-Sanktionen und und den Waffenlieferungen an die Ukraine.

Massive Angriffe

Je weiter die Umfrage-Werte der AfD nach oben klettern, desto massiver werden die Angriffe des politischen Gegners. Rechtsextrem sei die Alternative für Deutschland, heißt es nun fast einhellig von Regierung und Leitmedien. Zuvor hatte man sich oft noch mit der Beschreibung „rechtspopulistisch“ begnügt. Selbst die Union beteiligt sich am parteiübergreifenden Kampf gegen die Alternative. Der frühere CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz nennt die AfD sogar „faschistisch“. Dabei hatten CDU und CSU zumindest bis zum Beginn der Ära Angela Merkel noch selbst vielen jener konservativen Strömungen bei sich eine Heimat geboten, die heute die Alternative für Deutschland vertritt.

Auch der Verfassungsschutz zeigt zunehmendes Engagement gegen die AfD. So sehr, dass mancher Beobachter der Behörde bereits Parteilichkeit vorwirft. Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang, selbst CDU-Mitglied, sagte kürzlich in einem ZDF-Interview: „Nicht allein der Verfassungsschutz ist dafür zuständig, die Umfragewerte der AfD zu senken.“ Er habe dazu auch keinerlei Möglichkeit, aber „wir können die Bevölkerung wachrütteln, Politiker wachrütteln“. Haldenwangs Vorgänger Hans-Georg Maaßen hatte ein Vorgehen seiner Behörde gegen die AfD noch abgelehnt. Er sei kein „Konkurrenzschutz“ für die großen Parteien.

Thomas Haldenwang ist CDU-Mitglied und Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Nach Ansicht von Verfassungsrechtlern hat er durch seine jüngsten Aussagen zur AfD seine Kompetenzen überschritten. (Foto: Christliches Medienmagazin pro/CC BY 2.0 via Wikimedia Commons)

Auch Verfassungsrechtler Volker Boehme-Neßler sieht in Haldenwangs Äußerungen eine „eindeutige Grenzüberschreitung“. Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz überschreite seine Kompetenzen ganz klar, sagte Boehme-Neßler der BILD-Zeitung. Wenn der Verfassungsschutz aus politischen Gründen agiere, sei das verfassungswidrig. Der Geheimdienst dürfe sich „von der Politik nicht instrumentalisieren lassen“, sei „keiner politischen Richtung verpflichtet“ und müsse „seinen Aufgaben im gesamten politischen Spektrum nachkommen“, machte Boehme-Neßler deutlich.

AfD an der Regierung?

Der Kampf gegen die AfD – er wird offenbar mit Verbissenheit geführt. Und bisweilen auch mit Anzeichen von Verzweiflung. So warf der beim ZDF als „Satiriker“ beschäftigte Jan Böhmermann seiner ARD-Kollegin Sandra Maischberger AfD-Nähe vor. Maischbergers Vergehen? Sie hatte AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla in ihre Sendung eingeladen. „Sandra Maischberger lädt Nazis in ihre Talkshow ein, damit Nazis nach der Machtergreifung Sandra Maischberger auch ihre Talkshow einladen“, echauffierte sich Böhmermann bei Twitter. Beobachter mutmaßten daraufhin, der Moderator des „ZDF Magazin Royale“ gehe ernsthaft von einer baldigen Regierungsübernahme der AfD aus.

ZDF-Satiriker Jan Böhmermann ist umstritten. Eine Twitter-Nachricht, in der er AfD-Sprecher Tino Chrupalla als „Nazi“ bezeichnete, deutet an, dass Böhmermann von einer baldigen Regierungsübernahme der AfD ausgeht. (Foto: Superbass/CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

Davon ist Deutschland aber weit entfernt. Etwas anders ist die Situation im thüringischen Kreis Sonneberg. Dort könnte am Sonntag der erste Landrat der AfD gewählt werden. Beim ersten Wahlgang erreichte Robert Sesselmann rund 47 Prozent der Stimmen. Erfolgreichster Konkurrent war CDU-Mann Jürgen Köpper mit rund 35 Prozent, gegen den Sesselmann nun in der Stichwahl antritt. Um den bundesweit ersten AfD-Landrat zu verhindern, stellen sich alle wesentlichen politischen Kräfte hinter Köpper.

Parallel dazu sieht sich Sesselmann kurz vor dem Urnengang mit Ermittlungen des politischen Staatsschutzes konfrontiert. Bei einem Wortgefecht soll er einen Wahlhelfer der CDU verbal attackiert und ihn bedroht haben. Der Mann habe sich zuvor an Plakaten der AfD zu schaffen gemacht, heißt es von Sesselmann. Die Polizei sprach von einem „möglicherweise strafrechtlich relevanten Sachverhalt“. Derweil ließ die Staatsanwaltschaft Mühlhausen das Privathaus von Thüringens AfD-Chef Björn Höcke durchsuchen. Die Behörde ermittelt zwar nicht gegen ihn, sondern gegen seinen minderjährigen Sohn. Wegen Waffenbesitzes. Für Anhänger der AfD kommen solche Meldungen nicht zufällig. Sie vermuten dahinter ein System. Ein Kartell der Altparteien wolle damit dem politischen Gegner schaden.

„Alle gegen die AfD“

Dem ARD-DeutschlandTrend zufolge trifft diese Strategie des „Alle gegen die AfD“ auf Zustimmung. „Um AfD-Kandidaten bei Stichwahlen für Bürgermeister- oder Landratsämter zu verhindern, haben sich zuletzt die übrigen Parteien häufiger zusammengetan und eine Wahlempfehlung für Gegenkandidaten ausgesprochen. Dieses Vorgehen hält etwa jeder zweite Bürger (52 Prozent) für richtig“, heißt es bei der Tagesschau. Immerhin 35 Prozent lehnt dieses Vorgehen allerdings ab. Auch in Mittel- und Ostdeutschland, also in den Hochburgen der Nationalkonservativen, sprechen sich 47 Prozent der Befragten für einen gemeinsamen Kampf gegen die AfD aus. Rund 40 Prozent sind allerdings klar gegen ein solches Modell einer Art „Einheitsfront“ wie zu DDR-Zeiten. Und damit deutlich mehr als im Westen.

In der DDR bildeten Block-Parteien und Massenorganisationen die „Nationale Front“. (Foto: Bundesarchiv / Bild 183-S88622 / Igel / CC-BY-SA 3.0 DE via Wikimedia Commons)

Auffällig ist, dass die 35- bis 49-Jährigen ein Zusammenwirken der Parteien gegen die AfD sogar bundesweit mehrheitlich ablehnen. Genau in dieser mittleren Altersgruppe genießt die AfD ihre größten Zustimmungswerte. Ohnehin ist die Frage, ob die Strategie der etablierten Parteien auf Dauer aufgeht. Bei der Wahl des Oberbürgermeisters in Schwerin am vorigen Wochenende gewann SPD-Kandidat Rico Badenschier mit mehr als zwei Dritteln der Stimmen deutlich gegen AfD-Herausforderer Leif-Erik Holm. Am Sonntag in Sonneberg dürfte es für die Etablierten schon bedeutend enger werden.

Thomas Wolf

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Im Blickpunkt

Stichwahl und Zweifel am Urnengang

Die Türken machen es spannend. Bei der gestrigen Präsidentenwahl erreichte Amtsinhaber Recep Tayyip Erdoğan nach Angaben der nationalen Wahlbehörde 49,51 Prozent der Stimmen. Seinen Herausforderer Kemal Kılıçdaroğlu von der sozialdemokratisch-kemalistischen CHP wählten demnach 44,88 Prozent. Erdoğan verpasste damit seine Wiederwahl knapp und muss sich am 28. Mai einer Stichwahl stellen. In Umfragen vor dem Urnengang war bisweilen sogar Kılıçdaroğlu vorne gelegen. In Deutschland fiel die Zustimmung für den islamisch-konservativen Präsidenten erwartungsgemäß deutlicher aus. Annähernd zwei Drittel der türkischen Wähler hierzulande stimmten für Erdoğan. Lediglich unter den Türken in Berlin lagen der Amtsinhaber und praktisch Kılıçdaroğlu gleichauf.

Absolute Mehrheit verteidigt

Bei der zeitgleichen Parlamentswahl konnte Erdoğans Partei AKP ihre Führung verteidigen. Sie verlor zwar deutlich an Stimmen und landet bei nur noch rund 35 Prozent. Gemeinsam mit ihrem Koalitionspartner, der ultrarechten „Partei der Nationalistischen Bewegung“ (MHP), kommt die AKP aber auf die absolute Mehrheit der Stimmen in der Großen Nationalversammlung. Kılıçdaroğlus CHP erreichte rund 25 Prozent. Der Bundestagsabgeordnete Frank Schwabe (SPD), der die Wahlbeobachter-Mission des Europarats leitet, berichtet von Behinderungen bei der Abstimmung. Sie fallen aber offenbar nicht sehr ins Gewicht. Die Wahl bewege sich „im Rahmen des Rechts“. Das Ergebnis gebe wider, wie die Menschen abgestimmt haben, sagte Schwabe.

Ein Blick in den Plenarsaal der Großen Nationalversammlung der Türkei. (Foto: Yıldız Yazıcıoğlu/gemeinfrei)

Deutliche Kritik äußert dagegen die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) in Göttingen. Die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen „waren vor allem in den kurdischen Gebieten der Türkei weder fair noch demokratisch“, heißt es in einer Mitteilung. In der kurdisch geprägten Provinz Siirt seien etwa am Tag des Urnengangs zwei spanische Wahlbeobachter festgenommen worden. „In der kurdischen Provinz Sirnak sollen türkische Sicherheitskräfte aus gepanzerten Fahrzeugen wahllos Tränengasgranaten in Straßen und Wohnviertel geschossen haben. Auch bewaffnete Anhänger Erdoğans hätten wahllos das Feuer eröffnet“, berichtet GfbV-Nahostreferent Kamal Sido.

Die Menschen einschüchtern

Nach Ansicht Sidos versuchten „das Militär und die bewaffneten Anhänger Erdoğans“, die Menschen so einzuschüchtern, dass sie nicht wählen gehen. „Denn die Kurden unterstützen mehrheitlich das kleinere Übel: den Oppositionskandidaten Kılıçdaroğlu.“ Auch von ihm und seinem oppositionellen „Bündnis der Nation“, dem türkisch-nationalistische und islamistische Kräfte angehören, halten die Kurden zwar nicht viel. Sie unterstützen Sido zufolge aber den politischen Wandel in der Türkei. Kılıçdaroğlu, der der muslimischen Gemeinschaft der Aleviten angehört, beruft sich auf den säkularen und türkisch-nationalistischen Kurs von Staatsgründer Kemal Atatürk. Erdoğan dagegen stehe sowohl für aggressiven Nationalismus als auch für sunnitischen Islamismus, sagt Sido.

Recep Tayyip Erdoğan mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Die Türkei hat im Ukraine-Konflikt unter Erdoğan eine neutrale Haltung eingenommen. (Foto: President.gov.ua/CC BY 4.0 via Wikimedia Commons)

In den Kurden-Gebieten der Türkei herrschen nach Angaben der Gesellschaft für bedrohte Völker seit jeher das türkische Militär und die Polizei mit harter Hand. Nach dem Putschversuch gegen Erdoğan 2016 seien die wenigen kurdischen Medien verboten und tausende Medienschaffende, gewählte Bürgermeister und andere Volksvertreter unter Terrorismusverdacht inhaftiert worden. Wegen eines drohenden Parteiverbots habe sich die pro-kurdische HDP gezwungen gesehen, auf Listen einer anderen Partei, der links-grünen „Yeşil Sol Parti“, an den Wahlen teilnehmen. Immer wieder kam es demnach im Vorfeld des Urnengangs zu Razzien türkischer Sicherheitskräfte gegen kurdische Wahlkämpfer. Viele seien verhaftet worden.

Übergriffe von Erdoğan-Gegnern?

Auf der anderen Seite werfen Beobachter auch Erdoğan-Gegnern Übergriffe und Gewaltanwendung vor. So griffen Anfang des Monats in Mersin Bewaffnete eine Gruppe junger Wahlkämpfer der kurdischen Hür Dava Partisi an. Jene „Partei der Freien Sache“ gilt als islamisch-nationalistisch und pro-kurdisch – gehört aber Erdoğans Wahlbündnis „Volksallianz“ an. Die linksgerichtete HDP stritt jegliche Verbindung mit der Attacke ab.

Thomas Wolf

Türkische Soldaten bei einer Übung. Nach Ansicht der Gesellschaft für bedrohte Völker ergreift das Militär in den Kurden-Gebieten zugunsten Erdoğans Partei. (Foto: MoserB/gemeinfrei)
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Im Blickpunkt

Das Ende des „Diktators“ Erdoğan?

Mehr als 60 Millionen türkische Wähler sind heute aufgerufen, ihren Präsidenten zu bestimmen. Erstmals seit Jahren prognostizieren Umfragen ein enges Rennen zwischen Amtsinhaber Recep Tayyip Erdoğan und seinem sozialdemokratischen Herausforderer Kemal Kılıçdaroğlu vom oppositionellen „Bündnis der Nation“. Teils liegt Kılıçdaroğlu sogar deutlich vorn. Türken in Deutschland dagegen dürften mit großer Mehrheit für den amtierenden Präsidenten stimmen. Erdoğan steht seit 20 Jahren in wechselnden Ämtern in Regierungsverantwortung. Zunächst war er Ministerpräsident, dann Staatsoberhaupt. Seit der Verfassungsänderung von 2018 ist er als Präsident auch wieder Regierungschef.

Im Schatten des Erdbebens

Zugleich mit dem Staatsoberhaupt wählen die Türken auch ein neues Parlament. Auch hier dürfte es für Erdoğans islamisch-konservative AKP eng werden. Umfragen sehen die AKP zwar weiterhin als stärkste Kraft. Die bisherige Koalition mit der nationalistischen MHP aber könnte scheitern. Der Urnengang steht im Schatten des verheerenden Erdbebens vom Februar. Ihm fielen im Grenzgebiet zwischen der Türkei und dem Bürgerkriegsland Syrien rund 60.000 Menschen zum Opfer. Die Regierung Erdoğan steht wegen ihrer Katastrophen-Hilfe seither massiv in der Kritik. Ironischerweise würde eine Wahl-Niederlage das im Westen verbreitete Narrativ vom Diktator Erdoğan wohl nahezu unhaltbar machen.

Kemal Kılıçdaroğlu (Zweiter von links) hat gute Chancen, Recep Tayyip Erdoğan als Präsident der Türkei abzulösen. (Foto: CHP – Cumhuriyet Halk Partisi/CC BY 3.0 via Wikimedia Commons)

Ethnische und religiöse Minderheiten in den Nachbarländern der Türkei jedenfalls hoffen auf einen Regierungswechsel, sagt Kamal Sido, Nahost-Experte der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) in Göttingen. Für die kurdischen Gebiete in Syrien und im Irak könne ein Machtwechsel das Ende der täglichen Angriffe bedeuten, betonte Sido nach einer Reise in die Region. „Die Menschen leiden dort sehr unter der Gewalt, die von der Türkei ausgeht. Während ich in der Nähe von Amuda in Nordsyrien war, wurde ein kurdischer Bauer auf seinem Feld von türkischen Grenzposten angeschossen – völlig grundlos. Er überlebte nur knapp“, berichtet Sido.

Angriffe auf die Zivilbevölkerung

Weiter südlich, bei Tal Hamis, sei ein Fahrzeug von einer türkischen Drohne angegriffen worden. „Eine junge Kurdin, die bei der autonomen Selbstverwaltung angestellt ist, berichtete, dass ihre beiden kleinen Kinder jedes Mal weinen, wenn sie etwas am Himmel hören. Sie schreien: Mama, Mama, Drohnen am Himmel!“. Viele Menschen in der Region hegten die Hoffnung, dass eine neue türkische Regierung die ständigen Angriffe auf die Zivilbevölkerung einstellt. „Vor allem dort, wo das Erdbeben Anfang Februar alles zerstört hat, sind die Menschen verzweifelt“, sagt Sido. „Denn die Türkei lässt weiterhin kaum humanitäre Hilfe zu. Nur Waffen für islamistische Milizen kommen ungehindert ins Land.“

Zugleich warnt die Gesellschaft für bedrohte Völker aber auch vor dem säkularen Oppositionskandidaten Kılıçdaroğlu. Der Vorsitzende der kemalistischen Republikanischen Volkspartei CHP kündigte an, nach einem Wahlsieg in direkte Verhandlungen mit der „legitimen Regierung Syriens“ eintreten zu wollen. Also mit Baschar al-Assad. Der gilt westlichen Politikern und Medien seit Beginn des Bürgerkriegs in seinem Land nicht mehr als Präsident, sondern bestenfalls als „Machthaber“. Die GfbV nennt ihn sogar „Diktator und Massenmörder“.

Necmettin Erbakan gilt als Ziehvater von Präsident Erdoğan. Die von ihm gegründete Partei der Glückseligkeit gehört dagegen dem oppositionellen „Bündnis der Nation“ an. (Foto: Zest at the Turkish language Wikipedia/CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)

Zu Kılıçdaroğlus Wahlbündnis gehören neben der sozialdemokratischen CHP die nationalistische İyi Parti von Meral Akşener, die liberal-konservative Demokratische Partei und die islamistische Partei der Glückseligkeit. Sie steht der radikalen Bewegung Millî Görüş (Nationale Sicht) nahe, die in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Ihr Mitbegründer Necmettin Erbakan, der in den 1990er Jahren kurzzeitig türkischer Ministerpräsident war, gilt wiederum als politischer Ziehvater von Recep Tayyip Erdoğan.

Erst einmal gewinnen

Nach Ansicht der GfbV ist Kılıçdaroğlu „in ein System eingebunden, das alles Kurdische ablehnt“ und steht für einen türkisch-nationalistischen Kurs. „Viel wird davon abhängen, welche Politik eine neue Regierung gegenüber der kurdischen und anderen Minderheiten innerhalb und außerhalb der Türkei anstrebt“, gibt Kamal Sido zu bedenken. „Und davon, ob Kılıçdaroğlu den Mut hat, ehrlich über eine friedliche Lösung der Kurdenfrage zu verhandeln.“ Doch dafür müsse die Opposition die Wahlen erst einmal gewinnen.

Thomas Wolf