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Im Blickpunkt

Die Grünen und die Demokratie

„Egal, was meine deutschen Wähler denken“ – mit diesen Worten bekannte sich Bundesaußenministerin Annalena Baerbock Anfang September zur unverbrüchlichen Solidarität der rot-grün-gelben Bundesregierung mit der angegriffenen Ukraine. Nach Ansicht ihrer Kritiker würdigte sie damit das Volk als demokratischen Souverän herab. Und das ausgerechnet als Vertreterin einer Partei, die sich viele Jahre als Speersitze des demokratischen Fortschritts sah. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich: Von den Grundsätzen ihrer Anfangsjahre haben sich die Grünen längst verabschiedet.

Linke und Konservative

Als sie sich 1980 gründeten, waren die Grünen das, was man heute wohl eine Graswurzel-Bewegung nennen würde. Aus verschiedenen Milieus kommend, schlossen sich Menschen zusammen, die zuvor wenig mit Parteipolitik am Hut hatten. Man war auf Konsens ausgerichtet, sah sich als „basisdemokratisch“ und wollte das Land von unten verändern. Die Partei, der schnell der Einzug in den Bundestag gelang, vereinte linke Straßenkämpfer, konservative Umweltschützer, Friedensaktivisten, Kernkraftgegner und radikale Gesellschaftsveränderer.

Ricarda Lang spricht auf einer Demonstration der „Fridays for Future“. Ihre Grünen sind eng mit der Klimaschutzbewegung vernetzt. (Foto: Stefan Müller (climate stuff) from Germany/CC BY 2.0 via Wikimedia Commons)

Politische Macht sollte nach Ansicht der frühen Grünen begrenzt und kontrolliert werden. Dies galt auch innerhalb der Partei. Die Doppelspitze – derzeit Ricarda Lang und Omid Nouripour – zeugt noch heute davon. Die einst typisch grüne Trennung von Amt und Mandat ist dagegen seit Jahren deutlich aufgeweicht. Bereits seit 2003 dürfen Teile des Bundesvorstands zugleich Abgeordnete sein. Und ein Beschluss von 2018, der auf Robert Habeck zurückgeht, erlaubt die gleichzeitige Besetzung von Amt und Mandat sogar generell für acht Monate.

Nach der Gründung abserviert

Von der bunten Truppe der grünen Gründungsphase war noch schneller kaum etwas übrig. Die Konservativen in der Partei wurden abserviert, kaum war die Gründung richtig abgeschlossen. Beispiel: Herbert Gruhl. Der Sachbuchautor gehörte mehrere Jahrzehnte der CDU an. 1979 kandidierte er bei der ersten direkten Europawahl als Spitzenkandidat für die „Sonstige Politische Vereinigung Die Grünen“. Als sich im Jahr darauf die grüne Partei bildete, unterlag Gruhl bei der Wahl zum Bundesvorsitz. Er selbst meinte, der linke Flügel habe seine Wahl bewusst zu unterdrücken versucht.

1983 zogen die Grünen um Otto Schily und Petra Kelly erstmals in den Bundestag ein. Ein Großteil der Konservativen hatte die Partei zu diesem Zeitpunkt bereits verlassen. (Foto: Bundesarchiv/B 145 Bild-F065187-0022/Engelbert Reineke/CC BY-SA 3.0 DE via Wikimedia Commons)

Schon 1981 verließ Gruhl die Partei und gründete im Jahr darauf die Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP). Sie sollte dem konservativen Flügel der Grünen einen neue Heimat bieten. Mit Gruhl traten etwa ein Drittel der Grünen-Mitglieder aus. Auch August Haußleiter und Baldur Springmann wurden in der neuen Partei, die sie mitbegründet hatten, nicht glücklich. Springmann beteiligte sich an der ÖDP-Gründung und hatte später Kontakt zu rechten Gruppen. Der als national geltende Haußleiter saß noch bis 1987 für die Grünen im bayrischen Landtag. Dann legte er sein Mandat aus gesundheitlichen Gründen nieder. Mit Wilhelm Knabe war bereits 1984 der letzte Konservative aus dem Kreis der grünen Bundessprecher ausgeschieden.

Grüne nicht mehr für Volksentscheide

Bundesweite Volksentscheide gehörten über viele Jahre zu den zentralen Forderungen der Grünen. Allerdings scheiterte die Umsetzung vor allem an der Blockade der Unionsparteien. Zuletzt wurde der Widerstand allerdings spürbar weniger, vor allem bei der CSU in Bayern. Bevor nun aber womöglich ein neuer Anlauf unternommen werden konnte: die Kehrtwende. Die Grünen wollen nicht mehr! In ihrem Programm zur Bundestagswahl 2021 war die Forderung nach bundesweiten Volksentscheiden nicht mehr enthalten. Auch die Ampelkoalition sieht keine Notwendigkeit, die direkte Demokratie auszubauen. Von allen Bundestagsparteien steht damit nur noch die AfD vorbehaltlos zur Mitbestimmung des Souveräns.

Woran das liegen könnte? Woher der Wind wehen dürfte, zeigt ein Schreiben des Vereins „Mehr Demokratie“, den Mitglieder und Unterstützer vor wenigen Tagen erhalten haben. Der Brief, der von Bundesvorstandssprecherin Claudine Nierth und Vorstandsmitglied Karl-Martin Hentschel unterzeichnet ist, warnt vor einem „Deichbruch im Norden“. Gemeint ist die Bürgerbeteiligung in Schleswig-Holstein. Der im Juni vereinbarte Koalitionsvertrag von CDU und Grünen sieht nämlich vor, die direkte Demokratie im hohen Norden einzuschränken. „Mit einer Generalklausel soll die Landesregierung unliebsame Bürgerbegehren in den Kommunen einfach unterbinden können“, beklagt der Verein.

Windkraftanlagen im Abendrot. Bürgerbegehren gegen ihren Bau könnten schon bald in Schleswig-Holstein unmöglich werden. (Foto: Pixabay)

Die laut Seite 83 des Koalitionsvertrags vorgesehene Generalklausel lautet so: „Ein Bürgerbegehren findet nicht statt über Entscheidungen in Selbstverwaltungsaufgaben, die nach Feststellung der Landesregierung unverzichtbare Voraussetzung für Infrastruktur- oder Investitionsvorhaben von landes- oder bundesweiter Bedeutung für die Versorgung der Bevölkerung mit wichtigen Gütern oder Dienstleistungen sind oder Projekte, die der Erreichung der Klimaziele der Landesregierung dienen. Die Feststellung der Landesregierung kann auf Antrag einer obersten Landesbehörde für eine einzelne Gemeinde oder mehrere Gemeinden getroffen werden.“

Demokratie abbauen?

Damit wäre ein Einspruch der Bürger gegen Photovoltaik-Anlagen oder Groß-Windräder künftig nicht mehr möglich. Oder zumindest nur noch dann, wenn es der Landesregierung passt. „Mehr Demokratie“ vermutet die CDU hinter den Plänen. Aber ist das realistisch? Natürlich können die Christdemokraten mit der Generalklausel Infrastruktur-Vorhaben besser durchdrücken. Das Verbot des Widerspruchs gegen die Klimapolitik aber trägt die Handschrift der Grünen. Haben nicht auch Greta Thunberg und ihre grüne deutsche Mitstreiterin Luisa Neubauer gefordert, demokratische Prinzipien zugunsten des Klimaschutzes abzubauen?

„Wir müssen versuchen, diesen Deichbruch zu verhindern“, fordert „Mehr Demokratie“ mit Blick auf Schleswig-Holstein. Man befürchtet, dass dem Vorbild aus dem Norden bald weitere Länder folgen werden. „Schon springt Baden-Württemberg auf“, liest man in dem Brief. „Dort hat der Präsident des Gemeindetages bereits ein ähnliches Gesetz gefordert.“ Wie in Schleswig-Holstein stellen auch in Baden-Württemberg Grüne und CDU die Landesregierung. Wenn auch unter grüner Führung.

Grüne Wahlgewinner

Geschadet hat den Grünen ihre zunehmende Distanz zum Souverän bislang nicht. Auch Baerbocks Äußerung, bei der Unterstützung der Ukraine nehme sie keine Rücksicht auf ihre Wähler, hat sie offenbar keine Sympathien gekostet. Ganz im Gegenteil: Bei der Landtagswahl in Niedersachsen am Sonntag legten die Grünen um fast sechs Prozentpunkte zu. Sie sind damit größter Wahlgewinner neben der AfD.

Thomas Wolf

Annalena Baerbock beim Besuch in Kiew. Ihre Unterstützung für die Ukraine ist ihr wichtiger als das, was ihre Wähler in Deutschland empfinden. (Foto: Kmu.gov.ua/CC BY 4.0 via Wikimedia Commons)
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Kommentar

84 Millionen – Fluch oder Segen?

Aktuelle statistische Zahlen zeigen, dass die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland erneut gestiegen ist: Nun leben im Land bereits über 84 Millionen Menschen. 2020 waren es noch etwas über 83 Millionen. Geschuldet ist dieser jüngste Anstieg den vielen Menschen, die aus der Ukraine nach Deutschland kommen. Aber auch die Zuwanderung aus Afrika und dem Nahen Osten ist noch immer bedeutend. Vor allem über den Familiennachzug gelangen immer wieder Menschen nach Deutschland.

Die Bevölkerung wächst

Demografen atmen auf: Deutschlands Bevölkerung sinkt nicht, sondern wächst weiter. Das Schreckensszenario sinkender Einwohnerzahlen bewahrheitet sich nicht. Erst vor einigen Monaten wurde reißerisch berichtet, in den neuen Bundesländern sei inzwischen das Bevölkerungsniveau von um 1905 erreicht. Die anhaltende Zuwanderung wird nicht nur mit einem angeblich bestehenden Mangel an Fachkräften gerechtfertigt. Ein Mangel übrigens, der trotz Zigtausender Zuzüge nach wie vor besteht. Nein, man will offensichtlich auch die Bevölkerungszahl gleich halten oder sogar steigern.

Das deutsche Handwerk beklagt seit Jahren Nachwuchssorgen. Um den Mangel an Fachkräften auszugleichen, setzt die Politik auf Zuwanderung. (Foto: Pixabay)

Das heißt: Hat man mal eine gewisse Zahl erreicht, darf es nicht mehr darunter gehen. Die Geburtenrate in Deutschland aber ist wie in allen europäischen Ländern niedrig. Auch Osteuropa ist keine Ausnahme. Da die Politik auch nicht durch eine vernünftige Familienförderung Abhilfe schafft, lässt sich die Bevölkerung nur durch immer neue Zuwanderung stabil halten. Damit verändert sich auf Dauer die Zusammensetzung der Bevölkerung.

90 Millionen erstrebenswert?

Diese Entwicklung kann man nun als bereichernd empfinden oder als schockierend kritisieren. Weniger Beachtung findet eine nicht minder bedeutsame Frage: Ist es überhaupt sinnvoll, dass die Bevölkerung des Landes anwächst? Ist es erstrebenswert, dass Deutschland in einigen Jahren vielleicht kurz vor der 90-Millionen-Marke steht?

Interessant ist hierbei ein Blick in die Vergangenheit. Das Deutsche Reich hatte 1937 knapp 68 Millionen Bewohner. Und das bei einer höheren Geburtenzahl und vor allem deutlich mehr Fläche. Man denke an die deutschen Ostgebiete. Im Vergleich dazu leben die Menschen in der Bundesrepublik deutlich beengter. Bevölkerungen wachsen eben grundsätzlich, mag man einwenden. Nur ist auffällig, dass Deutschlands Nachbarn heute bei einer in etwa vergleichbaren Fläche und ähnlichen naturräumlichen Gegebenheiten deutlich weniger Einwohner haben.

Im Vergleich zu den meisten seiner Nachbarländer hat Deutschland eine deutlich höhere Bevölkerungsdichte. (Foto: Pixabay)

Polen hat nur 38 Millionen, Frankreich 68 Millionen – beides deutlich weniger als Deutschland. Wobei auch Frankreich einer sehr starke Einwanderung ausgesetzt ist. Ohne diese wäre die Zahl wohl noch niedriger. Auch das restliche Europa ist ähnlich aufgestellt: In der Ukraine, die größer als Deutschland ist, lebten vor dem Krieg rund 42 Millionen Menschen. Russland als größtes Land der Erde hat nicht einmal doppelt so viele Bewohner wie Deutschland! Die Türkei hat die gleiche Einwohnerzahl wie Deutschland, allerdings deutlich mehr Fläche.

Stichwort: Überbevölkerung

Deutschland fällt, was sein Verhältnis von Fläche zu Bevölkerung angeht, aus dem Rahmen. Stichwort: Überbevölkerung. Bei dem Begriff denkt man meist an Dritte-Welt-Länder, wo durch hohe Geburtenzahlen die Bevölkerung in kurzer Zeit deutlich ansteigt. Bei Überbevölkerung geht es aber nicht um bestimmte Zahlen oder eine konkrete Vermehrungsrate, sondern um die Tragfähigkeit des Bodens. Das heißt: Eine Milliarde Menschen in Indien sind kein Problem, wenn Indien diesen Menschen auch genug Raum bietet und ihre Ernährung sichern kann.

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Wo der Osten schon weiter ist

Vor 32 Jahren endete die Teilung Deutschlands. Um Mitternacht am 3. Oktober 1990 trat jener Vertrag in Kraft, der beide deutschen Staaten nach mehr als 40 Jahren zusammenführte. Oder anders ausgedrückt: der die DDR der Bundesrepublik eingliederte. Denn eine echte Vereinigung, eine Fusion auf Augenhöhe, war die Deutsche Einheit vom 3. Oktober 1990 nicht. Auch die in Artikel 146 des Grundgesetzes vorgesehene Volksabstimmung über eine neue Verfassung fand nicht statt.

„Danke, Gorbi“ haben glückliche Deutsche 1990 auf die Reste der Berliner Mauer geschrieben. Die Wiedervereinigung wäre ohne die Hilfe aus Russland kaum möglich gewesen. (Foto: RIA Novosti archive/image #428452/Boris Babanov/CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)

Seither ist viel geschehen. Die von Bundeskanzler Helmut Kohl versprochenen „blühenden Landschaften“ sind in einigen Regionen Wirklichkeit geworden, in anderen aber nicht. Bei der Bildung läuft Sachsen den West-Schwergewichten Bayern und Baden-Württemberg zunehmend den Rang ab. Auch wirtschaftlich ist der Freistaat gut aufgestellt. Beispielhaft steht dafür die Marke „Silicon Saxony“. Sie zeichnet Sachsen als Zentrum der Hochtechnologie aus, deren Wurzeln teils in DDR-Zeiten zurückreichen.

Die berüchtigte „Mauer in den Köpfen“ ist merklich kleiner geworden. Das sieht man daran, dass die jüngere Generation meist kein Ost und West mehr kennt. Die deutsche Teilung hat sie nicht erlebt. Oder zumindest nicht wahrgenommen. Es spielt für sie keine Rolle, ob jemand aus Hamburg, Köln oder München stammt – oder aus Rostock, Halle oder Dresden. Ob er Schwabe ist, Rheinländer oder Thüringer. Für die jüngere Generation ist die Einheit zumindest mental vollendet. Das ist gut so.

Von oben herab

Gerade unter „Wessis“, die sich noch aktiv an die Teilung erinnern, ist die „Mauer in den Köpfen“ aber durchaus noch vorhanden. Noch immer ist da die Rede von „drüben“. Von der „Ehemaligen“ oder gar von „Dunkeldeutschland“. Man kennt niemanden aus den „neuen Bundesländern“ und will vielleicht auch niemanden kennen. Man versteht die Mentalität der Menschen nicht und will sie auch nicht verstehen. Daraus resultiert ein Blick von oben herab, der sich einfach nicht gehört. Manch einer war selbst nach über 30 Jahren nicht einmal in einer der Urlaubsregionen in Mittel- und Nordostdeutschland. Ganz zu schweigen davon, dass die Gehälter im Osten noch immer niedriger ausfallen als in den alten Bundesländern. Es ist also noch einiges zu tun.

Ein arbeitsfreier Herbsttag – mehr als das ist der 3. Oktober für die meisten Deutschen nicht. Denn als Nationalfeiertag hat er keine größere Bedeutung. (Foto: Pixabay)

Heute nun begehen Politik und Medien den Tag der Deutschen Einheit. Für die meisten Bundesbürger hat der Nationalfeiertag keine größere Bedeutung. Ein arbeitsfreier Montag, der ihnen in diesem Jahr ein verlängertes Herbst-Wochenende ermöglicht. Mehr nicht. Nach 32 Jahren ist die Freude über die Einheit abgeebbt. Die Sorgen des Alltags lasten schwer auf den Schultern der Menschen. Die steigenden Energie- und Lebenshaltungskosten, Kriegsangst und eine angesichts der Krise überforderte Regierung lassen keine Feierstimmung aufkommen.

Friedliche Revolution

Ohnehin ist der Tag der Deutschen Einheit weniger emotional aufgeladen als die Nationalfeiertage anderer Völker. Frankreichs 14. Juli etwa erinnert an den Sturm auf die Bastille. Und in den USA hat der Unabhängigkeitstag am 4. Juli eine viel festlichere Bedeutung. In Deutschland dagegen hängen die Emotionen eher am 9. November, dem Tag des Mauerfalls. Nicht wenige denken dieser Tage an jene Krönung der Friedlichen Revolution von 1989.

Bei den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen gingen im Osten mehr Menschen auf die Straße als im Westen. Dies ist auch bei den aktuellen Kundgebungen der Fall. Im Bild: eine Querdenken-Demo in Leipzig 2020 (Foto: Roy Zuo/CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

Heute gehen wieder Zigtausende auf die Straßen. Vor allem im Osten. Weil der von der hausgemachten Krise besonders betroffen ist. Hier ist man mehr als anderswo von russischer Energie abhängig. Allem Gerede vom Missbrauch der Krise durch die politische Rechte zum Trotz – friedlicher Protest gehört zu den höchsten Gütern einer Demokratie. Vor allem in einer Situation wie dieser, da eine kopflose Politik das Land gegen alle Vernunft weiter in die Rezession treibt. Die Menschen im Osten haben das begriffen. Und auch, dass man durch Protest etwas bewirken kann. Damit sind sie weiter als die meisten ihrer Landsleute im Westen.

Frank Brettemer

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Wahlkampf-Getöse und Sozialtourismus

Wer in den vergangenen Tagen die Nachrichten verfolgt hat, wird sich vielleicht gewundert haben. Von bekannten Politikern kommen plötzlich Töne, die man vorher so nicht gehört hat. Vor ein paar Tagen erst sagte Innenministerin Nancy Faeser (SPD), die Migrationszahlen in Deutschland seien zu hoch geworden. So könne es nicht weitergehen. Zuvor war wochenlang zu hören, dass jeder willkommen sei. „Wir haben Platz!“, lautete die Parole ungeachtet des zunehmenden Kampfs auf dem Wohnungsmarkt. Nun musste sich CDU-Chef Friedrich Merz entschuldigen. Er hatte Ukrainern in Deutschland Sozialmissbrauch vorgeworfen.

Ausgebuchte Flixbusse

Hinweise darauf, dass Merz mit seiner Kritik richtig lag, gibt es zuhauf. Man denke an Berichte über ausgebuchte Flixbusse von Kiew nach Berlin und zurück oder Wucher bei Mieten durch Landsleute. Darüber sprechen wollte das politische Berlin nicht. Passen doch Ukrainer, die zwischen Deutschland und dem Kriegsgebiet pendeln, nicht ins vorherrschende Bild. Alles, was mit der Ukraine zu tun hat, muss positiv gesehen werden, um nicht der Propaganda des Kreml Vorschub zu leisten. Soweit die Logik der Politik. Ukrainer, die vom Krieg gar nicht betroffen sind, sondern nur Geld abgreifen wollen, sind da mehr als unbequem.

Ausgebuchte Flixbusse von und nach Kiew deuten darauf hin, dass Friedrich Merz mit seinem Vorwurf des Sozialtourismus nicht falsch lag. (Foto: Lupus in Saxonia/CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

Sind die Merz-Äußerungen nun erste Anzeichen für einen Umschwung in Teilen der Union? Beginnen die Christdemokraten zu zweifeln, ob der bisherige Weg bei Zuwanderung und Asyl der richtige ist? Als Oppositionspartei kann die Union manche Dinge aus anderer Warte betrachten. Auch die im Wesentlichen von den Grünen geprägte Energiepolitik. Sie ist bereits krachend gescheitert. Viele Deutsche fürchten sich vor kalten Wohnungen im Winter. Da liegt es nahe, auch die anderen Betätigungsfelder der Grünen kritischer in Augenschein zu nehmen.

2015: eine einzigartige Zäsur

Die Grünen sind die größten Befürworter der Zuwanderung nach Deutschland. Ihre Positionen konnten sie bis in der Mitte der Gesellschaft verankern. Die verfehlte Zuwanderungspolitik der vergangenen Jahre aber geht auf das Konto der Regierung von Angela Merkel! 16 Jahre regierte die Union das Land. In dieser Zeit hat sich das Asylproblem drastisch verschärft. Das Jahr 2015 stellt eine einzigartige Zäsur dar. Nie zuvor kamen unkontrolliert so viele Menschen in die Bundesrepublik. Dies und der Familiennachzug haben das Land verändert. Die Folgen sind heute in vielen Städten und zunehmend auch im ländlichen Umkreis wahrnehmbar.

CDU-Chef Friedrich Merz beim Kongress der Europäischen Volkspartei in Rotterdam. (Foto: European People’s Party/CC BY 2.0 via Wikimedia Commons)

Auch nach Amtsantritt der Ampelkoalition tat die Merz-Union in Sachen Zuwanderung wenig. Dass jetzt der Chef einer Partei, die zu den Verursachern der Krise zu zählen ist, den über Jahre gutgeheißenen Kurs kritisiert, ist verdächtig. Es liegt der Verdacht nahe, dass dahinter keine Überzeugung steckt, sondern Kalkül. Mit den jüngsten Wahlen in Schweden und Italien sind in zwei westlichen Ländern konservative Kräfte auf dem Vormarsch. Beides Länder übrigens, die sichtliche Probleme mit der Zuwanderung aus Afrika und dem Nahen Osten haben.

Keine Hochburg der AfD

Nun steht am 9. Oktober die Landtagswahl in Niedersachsen an. Die AfD kann Umfragen zufolge mit einem Stimmenzuwachs rechnen. Durchaus bemerkenswert, da Niedersachsen gerade keine Hochburg der Partei darstellt. In diesem Kontext ist Merz’ Pendler-Kritik wohl zu sehen. Man gibt vor, in Sachen Zuwanderung einen harten Kurs zu fahren, damit weniger Wähler ihr Kreuz bei der AfD machen. Beim Wähler verfängt diese Taktik allerdings bislang nicht. Prognosen sehen die Union als größten Verlierer der Wahl. Die Christdemokraten könnten bis zu fünf Prozent verlieren.

Der Niedersächsische Landtag wird am 9. Oktober neu gewählt. Die AfD könnte ihren Stimmenanteil merklich verbessern. Friedrich Merz’ CDU droht ein Debakel. (Foto: Tim Rademacher/CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)

Vor anstehenden Wahlen hauen CDU und CSU gerne mal auf den Tisch. Man hört dann mitunter Aussagen, die einer regelrechten Kehrtwende gleichkommen. Besonders beliebt: das Thema „Leitkultur“. Nach der Wahl verschwindet es schnell wieder in der Versenkung. Ein Meister hierbei war Horst Seehofer. Als Innenminister unter Angela Merkel profilierte er sich mit der Schaffung des „Heimatministeriums“. Dies bestärkte die Hoffnung, die Union würde sich auf ihre konservativen Wurzeln besinnen. ass dergleichen nicht geschah, dürfte viele traditionelle CDU-Anhänger enttäuscht haben.

Konservative Wähler zurückgewinnen

Dass nun gerade Friedrich Merz den Sozialmissbrauch durch Ukrainer anprangert, passt ins Schema. Merz gilt als Vertreter des konservativen Flügels der CDU. Er stehe für eine andere Politik innerhalb der Union, heißt es. Merz hätte somit das Potenzial, konservative Wähler für die Christdemokraten zurückzugewinnen. Dass seine jüngsten Äußerungen aber mehr sind als Wahlkampf-Getöse, ist unwahrscheinlich. Immerhin hat er sich ja bereits für seine Äußerung entschuldigt.

Hätte Merz das, was er sagte, ernst gemeint – er hätte keinen Grund zurückzurudern. So aber ist davon auszugehen, dass es sich bei der Debatte um das bekannte Täuschungsmanöver der Union handelt. Vor den Wahlen kräftig „rechts zu blinken“, dann aber doch nach „links abzubiegen“. Echte Opposition sieht anders aus.

Lukas Böhme

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Kommentar

Europa vor dem Rechtsruck?

In Italien ist es mit den jüngsten Wahlen zu einer sichtlichen Machtverschiebung hin zum rechten Lager gekommen. Es sieht ganz danach aus, dass es zu einer Koalition zwischen den Fratelli d’Italia, der Lega sowie der Forza Italia kommt. Die 45-jährige Giorgia Meloni dürfte neue Ministerpräsidentin werden. Steht Europa nun vor einem gewaltigen Rechtsruck?

Rückkehr des Faschismus?

Der politisch-mediale Wirbel ist nun groß – erst recht, weil bei der Reichstagswahl in Schweden, einem traditionell sozialdemokratisch geprägten Land, ebenfalls das konservative Lager punkten konnte. Etablierte Medien malen bereits düstere Zeiten für Europa an die Wand. Schon vor der Wahl wurde eine mögliche Koalition unter Führung der Fratelli d’Italia als die rechteste Regierung seit dem „Duce“ Benito Mussolini bezeichnet. Nach der Wahl wird nun gar gemutmaßt, mit Meloni kehre der Faschismus zurück.

Giorgia Meloni dürfte neue Ministerpräsidentin Italiens werden. Ihr Bündnis errang bei den Wahlen die absolute Mehrheit im Parlament. (Foto: Vox España/CC0)

Das sind jedoch sehr populistische Vergleiche. Der Wahlsieg in Italien hat seinen Ursprung darin, dass viele Italiener mit der Entwicklung der Europäischen Union in den vergangenen Jahren unzufrieden sind. Vor allem die anhaltende massive Einwanderung aus Afrika und dem Nahen Osten empfinden viele Italiener als Bedrohung für ihre Lebensart. Gab es doch auch in Italien Fälle aggressiver Migranten wie etwa kürzlich den Vorfall am Gardasee, wo ein größerer Mob junger Afrikaner auftrat und den Ort als ihr Territorium deklarierte.

Ein linker Kampfbegriff

Grundsätzlich sollte man vorsichtig sein, von „Faschismus“ zu sprechen. Der Begriff ist zu einem linken Kampfbegriff verkommen, den man gerne einsetzt, obwohl die damit bezeichneten Personen und Gruppen selten zentrale Merkmale eben dessen erfüllen. So steht im Faschismus grundsätzlich der Staat über allem und Gewalt wird als legitimes politisches Mittel betrachtet. Man denke an all die paramilitärischen Organisationen, die in den 1920er Jahren aufkamen: die Schwarzhemden in Italien, die Sturmabteilung in Deutschland oder die Legion Erzengel Michael in Rumänien. Von solchen Zuständen ist Italien weit entfernt!

Heutigen Parteien, die mehr nationale Selbstbestimmung fordern und der derzeitigen Migrationspolitik einen Riegel vorschieben wollen, eine Nähe zum Faschismus zu unterstellen, ist ein durchschaubares Manöver. Dabei gibt es in Europa tatsächlich Entwicklungen, die man als faschistisch bezeichnen könnte. Oder die dem Faschismus zumindest nahe stehen. So kommt es etwa im EU-Mitgliedsland Kroatien seit den 1990er Jahren zunehmend zur Verherrlichung der Ustascha. Bis in die Mitte der Gesellschaft hinein! Die Ustascha kollaborierte im Zweiten Weltkrieg mit den Nazis. Ihre Anhänger verübten zahlreichen Verbrechen.

Ein Soldat der kroatischen Ustascha im Jahr 1942. (Foto: Landesarchiv Baden-Württemberg/Fotograf: Willy Pragher/CC BY 3.0 DE via Wikimedia Commons)
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Medienkritik

Ein Mönch gegen „Cancel Culture“

Notker Wolf ist kein Revolutionär, aber auch keiner, der sich den Mund verbieten lässt. Der ehemalige Erzabt der bayerischen Benediktinerabtei St. Ottilien steht zu dem, was er denkt. Und er denkt nicht selten kritisch: über den Zustand der Kirche, aber auch über Politik und Gesellschaft. Auch zur „Cancel Culture“, die mittlerweile selbst die Kirche erreicht, hat er eine klare Meinung. Und er scheut sich nicht, diese zu äußern. In seinem neuen Buch „Warum lassen wir uns verrückt machen?“ nimmt er Stellung zu Indianer-Verboten, Corona-Ängsten und politisch korrekten Straßenumbenennungen.

Der Benediktiner Notker Wolf wendet sich klar gegen politisch korrekte Verbote und Zensur. (Foto: Simon Pi/CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

Ein zentraler Begriff seines Buchs ist Angst: Der Kirchenmann warnt davor, sich von Ängsten beherrschen zu lassen. „Wen die Angst befällt, den macht sie schwach, sie selbst aber ist mächtig“, schreibt Wolf. Denn wo die Ängstlichen den Ton angeben, werde Angst zur Tugend. „Dann werden die Furchtsamen zu Helden und die Furchtlosen zu Verrätern.“ Wohin das führen kann, hat die Corona-Pandemie gezeigt: Die Menschen igelten sich auf Anweisung der Regierung ein, kappten ihre sozialen Kontakte und sahen in jedem Gegenüber eine potenziell todbringende Virenschleuder. Manche handeln so bis heute.

Angst vor Berührungen

Insbesondere die Angst vor Berührungen machen dem Benediktiner Wolf Sorgen. Keineswegs nur in Bezug auf Corona, sondern auch hinsichtlich des Umgangs mit anderen Kulturen. „Mehr als jede Berührung stört mich der Verfolgungswahn von Leuten, die hinter jeder Straßenecke einen Ausländerfeind vermuten und in jedem Mitmenschen eine Gefahr für meine Gesundheit erblicken“, schreibt der ehemalige Erzabt, der zu den bekanntesten Vertretern der Kirche in Deutschland zählen dürfte.

Wolf befasst sich mit einer Vielzahl an Schauplätzen, auf denen die politische Korrektheit derzeit ihr Unwesen treibt. Ob es nun Straßen sind, deren Namen (scheinbar) nicht mehr in die Zeit passen, Denkmäler, Formulierungen und Ausdrücke in Kinderbüchern oder der (wie Wolf es nennt) „Tanz um das Goldene Kalb der Minderheiten und Identitäten“ – der Benediktiner steht der wachsenden Zahl an Feldzügen, die eine kleine, aber lautstarke Minderheit gegen Sprache und Kultur führt, äußerst kritisch gegenüber.

Abweichende Meinung bekämpfen

Streitfragen zu lösen, indem man etwas verbietet, verbannt oder anderweitig unsichtbar macht, lehnt Wolf ab. Und macht ein Grundübel der grassierenden „Cancel Culture“ deutlich: Sie will abweichende Meinungen gar nicht hören, sondern bekämpfen. Dahinter stecke, meint der Ordensmann, die Angst vor einem Konflikt mit anderen Menschen, also auch eine Berührungsangst. Letztlich wird hier aus Angst davor, im Umgang mit fremden Kulturen oder Minderheiten Fehler zu machen, die Meinungsfreiheit eingeschränkt.

Jesus treibt die Händler aus dem Tempel – auch ein Zeichen des Kampfes gegen den Zeitgeist vor 2000 Jahren. (Foto: Distant Shores Media/Sweet Publishing/CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)

Nun ist Notker Wolf kein Politiker, sondern Kirchenmann. Und als solcher darf in seiner Argumentation jener nicht fehlen, auf den die Kirche sich seit 2000 Jahren beruft: Jesus Christus. Ihn führt Wolf als Paradebeispiel eines furchtlosen und politisch unkorrekten Menschen an. Obwohl er sich dadurch mächtige Feinde machte, habe sich Jesus nicht vom „Dämon der Ängstlichkeit“ einschüchtern lassen und dem Zeitgeist stets mutig getrotzt. „Er könnte auch uns Heutigen einiges zu sagen haben“, schreibt der Benediktiner. 

Scheinheiliges Moraldiktat

Notker Wolf hat ein Buch vorgelegt, das für einen auf Ausgleich bedachten Kirchenmann überraschend deutlich ausfällt. Das mutig Stellung bezieht und klar aufzeigt: Probleme bewältigt man nicht mit Panik, Furcht und Berührungsangst – oder gar mit Zensur und Verboten. „Warum lassen wir uns verrückt machen?“ ist unbedingt lesenswert, weil es die politische Korrektheit aus ungewöhnlicher Perspektive attackiert. Und weil es das scheinheilige Moral- und Meinungsdiktat unserer Zeit schonungslos aufdeckt.

Anna Steinkamp

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Im Blickpunkt

Ist Deutschland bereits Kriegspartei?

Mit der ukrainischen Offensive im Gebiet Charkiw und dem Rückzug der russischen Truppen in Richtung Donbass dürfte der Krieg in der Ukraine in seine entscheidende Phase eintreten. Noch mehr westliche Waffen, auch aus Deutschland, sollen Kiew den Sieg bringen. Selbst direkte deutsche Panzer-Lieferungen an die Ukraine stehen zur Diskussion. Damit wird erneut eine Frage virulent, die die Politik gern verdrängt: Ist Deutschland bereits jetzt Kriegspartei?

Mehrere Leopard 2 der Bundeswehr bei einer Gefechtsvorführung. Kampfpanzer dieser Art soll Deutschland nach dem Willen vor allem von Grünen- und FDP-Politikern an die Ukraine liefern. Kanzler Olaf Scholz (SPD) ist skeptisch. (Foto: © Bundeswehr/Modes/CC BY 2.0 via Wikimedia Commons)

Auch bei der Talkshow „Maischberger“ ging es gestern um diese Frage. Carlo Masala, Professor für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr in München, sagte: „Wir setzen keinen Fuß auf ukrainischen Boden mit jemandem, der eine Waffe in der Hand hält.“ Demnach sei die Bundesrepublik im klassischen Sinne keine Kriegspartei. Masala berät das Verteidigungsministerium und ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, die Kritikern zufolge der Rüstungsindustrie nahesteht und als so etwas wie der deutsche Ableger der US-amerikanischen Denkfabrik „Council on Foreign Relations“ gilt.

Keine klare Antwort

Deutschland sei also keine Kriegspartei im klassischen Sinne, meint Masala. Eine klare Antwort auf die derzeit wohl zentralste Frage der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist das nicht. Eine solche Antwort ist allerdings auch schwer zu geben – das Völkerrecht lässt sich vielfach interpretieren. Unbestritten dürfte sein, dass die Lieferung von leichten Waffen keinen Kriegseintritt darstellt. Auch Deutsche, die als Angehörige der eilig aufgestellten ukrainischen „Fremdenlegion“ an Kampfhandlungen gegen Russland teilnehmen, machen den deutschen Staat nicht zur Kriegspartei.

Der Bundestag in Berlin. Sein Wissenschaftlicher Dienst sieht zahlreiche Grauzonen bei der Frage nach einer direkten Kriegsbeteiligung. (Foto: Pixabay)

Eine Untersuchung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags kam im März zu der Erkenntnis, dass sich die Frage, „wann ein Staat, der eine Konfliktpartei militärisch unterstützt, selbst zur Konfliktpartei wird“, aufgrund zahlreicher „Grauzonen“ nicht pauschal beantworten lässt. Der Bochumer Völkerrechtler Pierre Thielbörger sieht Eskalationspotenzial vor allem bei der Lieferung von Kampfflugzeugen: weil sie entweder von westlichen Soldaten in die Ukraine geflogen werden müssten – oder ukrainische Soldaten damit von Militärstützpunkten im Westen starten müssten. „Die Grenzen zwischen Transport und Eingriff in den Konflikt“ wären damit „deutlich poröser geworden“.

Geheimdienste und Luftaufklärung

Beim Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags, der sich primär auf Thielbörger stützt, heißt es weiter: „Graubereiche zwischen Konfliktteilnahme und Nichtkriegsführung ergeben sich ferner mit Blick auf die Übermittlung von Geheimdienstinformationen sowie von Informationen der Luftaufklärung durch sog. AWACS-Aufklärungs-Flugzeuge, die im NATO-Luftraum an der Grenze zur Ukraine patrouillieren und Informationen an die ukrainische Luftwaffe weitergeben.“ Thielbörger meint: Je substanzieller die Unterstützung wird und je abhängiger die Ukraine davon ist, desto näher rückt ein faktischer Kriegseintritt.

Wie aber ist die Situation bei Kampfpanzern oder der deutschen Panzerhaubitze 2000. Sie wurde bereits in die Ukraine geliefert und dient dort als Panzerersatz. Ihre Bedienung gilt als vergleichsweise kompliziert, sodass die ukrainischen Soldaten, die sie einsetzen sollen, hierfür erst ausgebildet werden müssen. Der entsprechende Lehrgang findet in Idar-Oberstein statt: auf deutschem Boden also und mit deutschen Ausbildern, die die Ukrainer erst in die Lage versetzen, mit der deutschen Haubitze auf Russen zu schießen. Auch die USA nutzen Stützpunkte in der Bundesrepublik, um der Ukraine beizustehen. Der Schutz des deutschen Staatsgebiets könnte so zunehmend in Frage gestellt sein.

Sergej Netschajew ist seit 2018 russischer Botschafter in Berlin. Er warnt: Deutschland hat durch seine Waffenlieferungen an die Ukraine eine „rote Linie“ überschritten. (Foto: www.rusemb.at/CC BY 3.0 via Wikimedia Commons)

Eine eindeutige Antwort, wann Deutschland zur Kriegspartei wird, gibt das Völkerrecht aber nicht. Entscheidend ist ohnehin etwas anderes: Entscheidend ist, wie Russland das deutsche Verhalten bewertet. Sieht es darin eine Kriegsbeteiligung? Oder nur die Taten eines „unfreundlichen Staates“. Russlands Botschafter in Berlin, Sergej Netschajew, hat dieser Tage in einem Interview mit der Tageszeitung Iswestija angedeutet, dass sich die russische Geduld womöglich dem Ende zuneigt: Mit der Lieferung von Waffen an die Ukraine, „die nicht nur gegen russische Soldaten, sondern auch gegen die Zivilbevölkerung im Donbass eingesetzt werden“, habe Deutschland eine „rote Linie“ überschritten. Bleibt abzuwarten, was das für das ohnehin zerrüttete Verhältnis der beiden Länder bedeutet.

Thomas Wolf

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Kommentar

Polen wurde bereits entschädigt

Nachdem das Thema bereits länger im Raum schwebte, werden nun in Warschau Nägel mit Köpfen gemacht: Die Republik Polen fordert offiziell von der Bundesrepublik Deutschland 1,3 Billionen Euro Wiedergutmachung für das, was das Deutsche Reich Polen im Zweiten Weltkrieg angetan hat. Berlin lehnt die Reparationen ab – aus gutem Grund.

Einen hohen Blutzoll gefordert

Polen war lange Zeit zwischen seinen Nachbarn aufgeteilt und hatte es erst nach dem Ersten Weltkrieg geschafft, wieder einen eigenen Staat zu erhalten. Dieser währte aber nicht lange. Das polnische Staatsgebiet wurde 1939 als Interessenssphäre zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion aufgeteilt. Teile sollten dem Reich einverleibt, das verbliebene Rest-Polen fortan als Reservoir billiger Arbeitskräfte dienen. Krieg und Besatzung forderten einen hohen Blutzoll. Diese Zeit ist somit zu einem Trauma geworden, das Polen bis heute prägt.

Polens Hauptstadt Warschau wurde im Zweiten Weltkrieg zu großen Teilen zerstört. Die Schäden, die das Land erlitt, beziffert die Regierung auf rund 1,3 Billionen Euro – und fordert diese als Reparationen von Deutschland. (Foto: M.Świerczyński/gemeinfrei)

Sind vor diesem Hintergrund die polnischen Forderungen aber gerechtfertigt? Dass Polen in den 1950er Jahren auf Reparationen verzichtet hatte und dies mehrfach bekräftigte, lässt sich noch damit erklären, dass Polen bis zur Wende 1990 kein gänzlich freier Staat war, sondern ein Satellitenstaat der Sowjetunion. Unlogisch ist aber, dass Polen keine Forderungen an Russland stellt – schließlich hatte die Sowjetunion damals für Polens Verzicht eigene Reparationen versprochen, die aber nie erfolgt sind. Und nicht zu vergessen: Die Sowjetunion war als Bündnispartner des Deutschen Reichs am Angriff auf Polen beteiligt gewesen.

„Ostdeutschland“ von Polen annektiert

Eine wichtige Tatsache wird bei der Diskussion stets ignoriert: Polen wurde bereits entschädigt – nicht mit Geld, aber mit Land. Ein Drittel des deutschen Staatsgebietes, nämlich das Gebiet östlich der Oder und Neiße, lange Zeit noch als „Ostdeutschland“ bezeichnet, ging nach dem Zweiten Weltkrieg an Polen! Dieses verwaltete es de jure zwar nur, de facto wurde das Gebiet aber annektiert und die deutsche Bevölkerung weitgehend vertrieben: aus Hinterpommern, dem Osten Brandenburgs, aus Schlesien und dem südlichen Ostpreußen. Ganz zu schweigen davon, dass zuvor bereits vieles von dort nach Zentralpolen geschafft wurde.

Erst 1990 wurde im Zwei-plus-Vier-Vertrag geregelt, dass die Ostgebiete nicht mehr Teil des deutschen Staatsgebiets sind. Es stellt sich daher die Frage, ob Polen mit deren Inbesitznahme nicht bereits eine ausreichende Reparation erfahren hat. Bedenken sollte man dabei auch, dass Polen seit seinem EU-Beitritt 2004 viel Geld
bekommen hat. 2020 etwa hat es 13,2 Mrd. Euro erhalten und ist damit der mit deutlichem Abstand größte Nettoempfänger in der EU. Deutschland hat hingegen als größter Nettozahler im selben Jahr 15,5 Milliarden gegeben. Somit hat Polen bereits viel Geld aus der Bundesrepublik bekommen und wird es auch weiter erhalten.

Der deutsche Geldbeutel sitzt locker

Wozu also will Polen Reparationen haben, wenn es jedes Jahr schon große Summen aus Deutschland erhält? Grundsätzlich verdenken kann man es Polen freilich verdenken, wenn es versucht, von seinem Nachbarn noch mehr Geld herauszuschlagen. Es dürfte nur allzu bekannt sein, wie locker der Bundesrepublik der Geldbeutel sitzt. So zahlt Deutschland etwa Kindergeld für im Ausland lebende Kinder, von denen man nicht einmal sicher weiß, ob es sie wirklich gibt, und illegal ins Land gekommene Menschen können ohne eine Gegenleistung sogleich eine üppige Sozialhilfe einstreichen.

Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki. Seine Regierung hält die Hand auf. (Foto: Gov.pl/CC BY 3.0 PL via Wikimedia Commons)

Wenn deutsches Geld für jedermann zu haben ist – weshalb sollte dann Polen nicht auch seine Hand aufhalten? Auffällig ist, dass das Thema gerade jetzt aufkommt. Das dürfte einen Grund haben: Polen wählt im kommenden Jahr sein Parlament neu. Die rechte Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) hofft wohl darauf, die nach wie vor starke antideutsche Stimmung im Land für ihren Wahlkampf zu nutzen. Derzeit sieht es nämlich so aus, als ob sie deutliche Verluste erleiden wird und es zum Erstarken der Opposition kommt.

Unter dem Strich zeigen die polnischen Forderungen, dass das deutsch-polnische Verhältnis auch fast 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs angespannt ist. Anders als zu anderen einstigen Kriegsgegnern hat sich kein wirklich freundschaftliches Verhältnis zu Polen entwickelt. Dass sich daran etwas ändert, falls Deutschland die geforderte Summe doch zahlen sollte, ist nicht anzunehmen. Auf eine „Freundschaft“, die sich auf Druck und Geld gründet, sollte man doch lieber ganz verzichten.

Lukas Böhme

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Kommentar

Baerbocks Rücktritt ist längst überfällig

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock hat deutlich gemacht: Deutschland wird die Ukraine weiter unterstützen und die Sanktionen gegen Russland aufrecht erhalten – auch gegen alle Widerstände hierzulande. „Wenn ich den Menschen in der Ukraine das Versprechen gegeben habe, ‚Wir stehen an eurer Seite – so lange, wie ihr uns braucht‘, dann will ich das auch einhalten – egal, was meine deutschen Wähler denken“, sagte Baerbock bei der Konferenz „Forum 2000“ in Prag.

„Egal, was meine deutschen Wähler denken“ – der Nebensatz hat Sprengkraft, denn er offenbart Baerbocks völlig verqueres Politikverständnis. Die meisten deutschen Medien ignorierten den Satz zunächst oder versuchten, ihn zu relativieren. Aus der Welt schaffen ließ er sich nicht mehr – und mit ihm der Skandal um eine deutsche Außenministerin, die ihren Amtseid offenbar nicht verstanden hat. Bei Twitter trendet nun #BaerbockRuecktritt.

Transatlantische Pflichterfüllung

Tatsächlich ist der Amtsverzicht der Grünen-Politikerin längst überfällig. Die offensichtliche Missachtung und damit Herabwürdigung des Wählerwillens ist nur eine von mehreren Entgleisungen der 41-Jährigen, deren politische Agenda ganz offensichtlich deutlich mehr von transatlantischer Pflichterfüllung geprägt ist statt davon, die Interessen des deutschen Volkes zu vertreten.

Schon die Berufung der US-Amerikanerin und langjährigen Greenpeace-Funktionärin Jennifer Morgan zur Staatssekretärin im Außenministerium hätte Warnung genug sein müssen, welches Amtsverständnis Baerbock mitbringt. Mit Morgan ist eine Klimaaktivistin und Lobbyistin ersten Ranges in leitender Position ins Auswärtige Amt eingezogen – noch dazu eine, deren US-Staatsangehörigkeit dies eigentlich ausgeschlossen hätte. Nicht aber für Annalena Baerbock. Morgans Einbürgerung im Rekordtempo spricht Bände.

Greenpeace-Funktionärin Jennifer Morgan wurde im Eiltempo deutsche Staatsbürgerin. (Foto: Kuhlmann/MSC/CC BY 3.0 DE via Wikimedia Commons)

Auch die Zugangsvoraussetzungen zum diplomatischen Dienst sollen aufgeweicht werden. Die Befürchtung, dass für Baerbock Ideologie und politische Angepasstheit vor Befähigung kommen, ist naheliegend. Naheliegend ist auch, dass die grüne Hausherrin im Außenministerium damit zwar bestimmte Partikularinteressen vertritt – aber nicht die Interessen Deutschlands, denen sie als Ministerin verpflichtet ist.

Baerbock beschädigt ihr Amt

Dass Kritiker nun mahnen, Baerbock möge sich an ihren Amtseid erinnern, in welchem sie sich verpflichtet hat, dem Wohle des deutschen Volkes zu dienen und Schaden von ihm zu abzuwenden, ist nachvollziehbar. Es genügt aber nicht. Annalena Baerbock beschädigt ihr Amt und sie beschädigt Deutschland. Hätte sie ihren politischen Anstand nicht verloren, würde sie zurücktreten. Nötig wäre es.

Thomas Wolf

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Im Blickpunkt

Gewalt meist gegen christliche Kirchen

Glaubt man der medialen Berichterstattung über Gewalt gegen religiöse Einrichtungen, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Christen davon praktisch nicht betroffen sind. Stattdessen scheint es, als ob solche Straftaten fast ausschließlich Juden und Muslime und ihre Gotteshäuser und Gebetsstätten treffen. Das Gegenteil ist der Fall, zeigt eine aktuelle Polizei-Statistik aus der Bundeshauptstadt.

Rund 1500 Straftaten sind demnach seit 2006 in Berlin auf religiöse Einrichtungen verübt worden. Das bedeutet: Allein in der Hauptstadt wird jeden vierten Tag eine Gebetsstätte angegriffen, nahezu zweimal pro Woche also. Mit großer Mehrheit handelt es sich bei den erfassten Delikten um Sachbeschädigung – etwa Schmierereien an Fassaden. Erfasst wurden aber auch Fälle von Brandstiftung, Volksverhetzung und Störung der Religionsausübung. Das geht aus einer Antwort des Berliner Senats auf eine parlamentarische Anfrage des AfD-Abgeordneten Tommy Tabor hervor.

Nur selten Angriffe auf Muslime oder Juden

Wer nun glaubt, christliche Ziele seien nur in den seltensten Fällen attackiert worden, den belehren die Zahlen aus Berlin eines Besseren: Von 1495 erfassten Angriffen galten 1392 Kirchen und anderen christlichen Einrichtungen – über 90 Prozent. Attacken auf muslimische und jüdische Gebetsorte fanden dagegen nur selten statt: nämlich 64 Mal auf islamische und 39 Mal auf jüdische Gemeinden.

Ein verbranntes Kreuz in einer Kirche in Nicaragua nach einem Brandanschlag. Auch in Deutschland kommt es zu Brandstiftung an religiösen Stätten. (Foto: Kirche in Not)

In Berlin gibt es nach Angaben des Evangelischen Pressedienstes 328 christliche Kirchen und elf Synagogen. Die Zahl der Gebetsräume muslimischer Gemeinschaften schätzt man auf rund 100. Selbst wenn man die Zahl der Angriffe in Relation zur Zahl der Gotteshäuser setzt, bleibt nicht zu bestreiten, dass Kirchen weitaus häufiger angegriffen werden als Moscheen oder Synagogen und christliche Gläubige häufiger an der Ausübung ihrer Religion gehindert werden als Muslime oder Juden – und das in der deutschen Hauptstadt.

Passen christliche Opfer nicht ins Narrativ?

Warum spielen Angriffe auf Christen und christliche Einrichtungen sowohl im Inland wie auch im Ausland in der Berichterstattung der großen Medien dann aber eine dermaßen untergeordnete Rolle? Passen Berichte über christliche Opfer nicht ins mediale Narrativ? Oder liegt es daran, dass laut der Berliner Polizei-Statistik nur 83 der 756 seit 2012 registrierten Straftaten gegen christliche Orte politisch motiviert gewesen seien (etwa die Hälfte von „rechts“)? Als politisch motiviert gelten auch 36 Angriffe auf jüdische und zehn auf muslimische Einrichtungen.

Nicht nur die große Mehrzahl aller Delikte, sondern auch die überwiegende Zahl der politisch motivierten Angriffe trifft also Christen. In Relation zur Zahl der Gebetsstätten stellen nun aber die Juden die weitaus größte Opfergruppe – allerdings auch nur deshalb, weil die Berliner Polizei Angriffe auf christliche Einrichtungen meist nicht als politisch motiviert einstuft. Wie fundiert diese Einschätzung ist, geht aus der Statistik nämlich nicht hervor.

Thomas Wolf