„Slawa Ukraini!“ – mit diesem mittlerweile weltbekannten ukrainischen Schlachtruf beendete Bundeskanzler Olaf Scholz seine Videobotschaft, mit der er dem osteuropäischen Land gestern auf seinem Twitter-Auftritt zum Unabhängigkeitstag gratulierte und zugleich weitere deutsche Waffenlieferungen versprach. „Slawa Ukraini!“ – seit dem Beginn der russischen Invasion ist die pathetische Grußformel in aller Munde. Zumindest im Mund derer, die das angegriffene Land bedingungslos unterstützen und dabei womöglich die Vorgeschichte der Eskalation außer Acht lassen.
In die Nähe eines faschistischen Regimes gerückt
Was aber bedeutet „Slawa Ukraini“? Im Internet kursieren dazu verschiedene Übersetzungen, die unterschiedlicher kaum sein könnten und sich oberflächlich betrachtet ausschließen. In pro-russischen Kreisen übersetzt man die Grußformel, die in der Ukraine gemeinhin mit „Herojam Slawa“ erwidert wird, mit „Heil der Ukraine“. „Herojam Slawa“ steht demnach für „Heil den Helden“. Die Übersetzung soll an die Worte erinnern, die in Nazi-Deutschland beim Hitlergruß gesprochen wurden. Die Ukraine wird damit in die Nähe eines faschistischen Regimes gerückt.
Westliche Medien übersetzen den Schlachtruf dagegen meist unverdächtig mit „Ruhm der Ukraine – Ruhm den Helden“. Dem Internetlexikon Wikipedia zufolge sind auch „Ehre der Ukraine“ oder „Hoch lebe die Ukraine“ geläufige Übertragungen. Tatsächlich dürfte die Übersetzung „Ruhm“ der ukrainischen Bedeutung am nächsten kommen. Abgesehen davon, dass bevorzugt ukrainische Nationalisten mit „Slawa Ukraini“ grüßen, bleibt also bei der gängigen westlichen Deutung kaum etwas übrig, was an das „Sieg Heil“ der deutschen Nationalsozialisten erinnert.
Kampf gegen das bolschewistische Russland
Bei genauerer Betrachtung zeigt sich allerdings: So einfach ist die Sache nicht. „Slawa Ukraini“ hat seinen Ursprung in der noch jungen ukrainischen Nationalbewegung. Taras Schewtschenko (1814-1861), der als ukrainischer Nationaldichter gilt und mit seinen Werken zur Herausbildung eines nationalen ukrainischen Bewusstseins beitrug, soll den Ruf als einer der Ersten in einem Gedicht benutzt haben. Im Kampf der Ukraine gegen das bolschewistisch gewordene Russland ab 1917 nutzten Partisanen die Phrase als Gruß.
Bereits damals hatte „Slawa Ukraini“ einen stark antirussischen Beiklang. Zum deutschen Nationalsozialismus aber, der zu diesem Zeitpunkt nicht mal in den Kinderschuhen steckte, bestand keine Verbindung. Dies sollte sich spätestens Anfang der 1940er Jahre ändern. Damals nahm die Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) „Slawa Ukraini“ als ihren offiziellen Gruß an. Die OUN war eine nationalistische Untergrundbewegung, deren Mitglieder bis in die 1950er Jahre Widerstand gegen die sowjetische Herrschaft über die Ukraine leisteten. Kritikern gilt sie als faschistisch.
Zeitweise Kollaboration mit Nazi-Deutschland
Als am 22. Juni 1941 die deutsche Wehrmacht in der Sowjetunion einmarschierte, begrüßten viele Ukrainer die Invasion, weil sie sich dadurch die Befreiung vom Bolschewismus und Unterstützung auf dem Weg zu einem eigenständigen ukrainischen Staat versprachen. Die OUN kollaborierte eine Zeitlang mit den Deutschen, wandte sich aber von ihnen ab, als sich abzeichnete, dass die Wünsche nach Unabhängigkeit bei den Nazis auf taube Ohren stießen. Ab 1942 bekämpften die ukrainischen Nationalisten sowohl die deutsche Besatzungsmacht als auch die Sowjetunion.
Betrachtet man die Zeit genauer, als OUN und NS-Deutschland vorübergehend Seite an Seite standen, muss man zu dem Schluss kommen, dass die Übersetzung „Heil der Ukraine“ für „Slawa Ukraini“ eben doch nicht so abwegig ist, wie westliche Medien und Politiker dies gern hätten. Ein Foto, das – wohl im Sommer 1941 – im westukrainischen Schowkwa bei Lemberg (Lwiw) aufgenommen wurde, zeigt einen Torbogen des örtlichen Schlosses, der mit mehreren Spruchbändern behängt ist.
„Heil Hitler!“, liest man da – und darunter das, was offensichtlich eine ukrainische Version des Nazi-Grußes sein soll: „Slawa Gitlerowi!“. Daneben, ebenfalls in zweiter Reihe, aber fast so groß wie die Anrufung des braunen „Führers“, prangt „Slawa Banderi!“ – eine Ehrbezeugung, die Stepan Bandera (1909-1959) gilt. Der aus Galizien stammende Führer des militärischen Flügels der OUN, der Ukrainischen Aufständischen Armee (UPA), gilt vielen seiner Landsleute bis heute als Held des Widerstands gegen Bolschewismus und russische Vorherrschaft.
Judenfeindliche Ausschreitungen und Massaker
Historiker verweisen dagegen auf judenfeindliche Ausschreitungen, an denen seine UPA beteiligt gewesen sei, und werfen ihr Massaker an der polnischen Volksgruppe im Westen der Ukraine vor. Bereits im Juli 1941 war Bandera von den Deutschen verhaftet und im Konzentrationslager Sachsenhausen interniert worden, wo er ähnlich wie der ehemalige österreichische Bundeskanzler Kurt Schuschnigg den Sonderstatus eines Ehrenhäftlings genoss. Nach Kriegsende tauchte Bandera im Westen unter. 1959 tötete ihn ein KGB-Agent in München, wo er unter falschem Namen lebte.
Natürlich muss, wer die Aufnahme aus Schowkwa betrachtet, dies mit der nötigen Rücksichtnahme auf die Umstände der Zeit tun. Zumindest damals, im Sommer 1941, – das belegt das Foto klar und deutlich – sah man offensichtlich überhaupt kein Problem darin, das ukrainische „Slawa“ mit „Heil“ zu übersetzen. „Slawa Ukraini“ – also doch „Heil der Ukraine“?
Thomas Wolf
Eine Antwort auf „Ruhm, Ehre oder Heil? – Ein umstrittener Gruß“
[…] Sie hierzu einen Beitrag von Thomas Wolf auf „Der andere Blickwinkel“ vom 25.8.2022 (Links abgerufen am […]