Winnetou ist rassistisch, amerikanische Ureinwohner dürfen nicht mehr Indianer heißen, Rastalocken auf europäischen Köpfen sind „kulturelle Aneignung“ – politische Korrektheit, Diversität und „Cancel Culture“ greifen in Politik und Medien immer weiter um sich. Gerade die Kirche stand bislang nicht im Verdacht, solcherlei Indoktrination Vorschub zu leisten. Ein Beispiel aus einer katholischen Kita in Nordrhein-Westfalen zeigt, wie die „Cancel Culture“ auch im kirchlichen Bereich einzieht.
Rassistische Inhalte
„Demokratie wächst zwischen den Zeilen“ ist die Pressemitteilung überschrieben, mit der die Caritas im katholischen Bistum Münster von der Kindertagesstätte St. Martin in Marienfeld bei Gütersloh berichtet. Die kirchliche Einrichtung prüfe, heißt es, Kinderbücher kritisch auf rassistische Inhalte und fördere Diversität. Kita-Leiterin Susanne Richter Gomes möchte die Kindergeschichten in ihrer Kita vielfältiger machen. Diskriminierung solle keinen Raum haben. Manche Bücher hat sie deshalb bereits aussortiert. In anderen Fällen ändert sie Märchen spontan ab: „Heute liebt der Prinz einen Prinzen“, wird Richter Gomes zitiert.
„Astrid Lindgren hätte das Buch heute bestimmt anders geschrieben“, sagt die Kita-Leiterin über die „Erzählungen“ der schwedischen Erfolgsautorin. Dazu verbreitet die Caritas Münster ein Foto, das Richter Gomes mit Lindgrens „Erzählungen“ zeigt. Auf dem Buchdeckel prangt ein Klebezettel in Grellrosa mit traurigem Smiley darauf. Auch „Als die Raben noch bunt waren“ von Edith Schreiber-Wicke und Carola Holland, das kleinen Kindern Toleranz vermitteln soll, fiel der Zensur der Kita-Leitung zum Opfer. Auf dem Foto hält es Richter Gomes’ Kollegin Freddy Jäschke in die Kamera.
40 Bücher aussortiert
Rund 40 Bücher hat das Team von St. Martin aussortiert, die nun nicht mehr im Bücherregal der Kita stehen. „Diskriminierende Bezeichnungen“ würden darin verwendet, glaubt die Leiterin der katholischen Einrichtung. Die vermeintliche Notwendigkeit, kritisch über die Inhalte von Kinderbüchern nachzudenken, hat Richter Gomes der Pressemitteilung zufolge ausgerechnet ein Kurs beim Caritasverband für das Bistum Münster vermittelt. Dort ließ die Kita-Leiterin sich bis Mai zur „Demokratieförderin“ ausbilden. Kritiker dürften fragen: Hat da womöglich jemand nicht verstanden, was Demokratie bedeutet?
„Hier habe ich das Rüstzeug bekommen, um mich selbstbewusst gegen Ungerechtigkeit einzusetzen“, sagt Richter Gomes über den Caritas-Kurs. Ungerechtigkeit, die sie auch in Kinderbüchern zu erkennen glaubt. Ihre politisch korrekte Säuberungsaktion setzte Richter Gomes offenbar gegen einigen Widerstand in der Kita durch. Zumindest deutet das die Pressemitteilung der Caritas zwischen den Zeilen an: Ihre „Kolleginnen brauchten zum Teil etwas Zeit, um mit der Projektidee warm zu werden, um Unsicherheiten beizulegen“, heißt es da nämlich.
Märchen mit schwulen Prinzen
Kriterien zum Aussortieren von Büchern seien neben angeblich diskriminierender Sprache auch Rollenbilder, die Richter Gomes und Co. für veraltet halten. „Wenn in Büchern nur der Vater arbeiten geht und die Mutter zu Hause bleibt, sind wir auf dem falschen Weg“, meint die Pädagogin. Neue Bücher schafft Richter Gomes mit den Kindern gemeinsam an, sagt sie. Für passend erachtet sie Geschichten, in denen der Vater die Erziehung mit übernimmt oder ein Kind im Rollstuhl selbstverständlich am Leben teilnehme. Und Märchen mit schwulen Prinzen, mag man hinzufügen, passen offenbar auch gut.
Das Zensurprojekt, mit dem Richter Gomes bei ihrer Kollegin Freddy Jäschke offene Türen eingerannt hat, richtete sich bislang vornehmlich gegen missliebige Kinderbücher. Und es ist längst nicht abgeschlossen, macht die Pressemitteilung der Caritas Münster deutlich: Wenn vermeintliche Diskriminierung und angeblicher Rassismus erst einmal aus den Bücherregalen entfernt sind und „Pluralität“ eingezogen ist, wird Richter Gomes sich dem nächsten Zensurziel widmen – Kinderliedern.
Thomas Wolf