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Im Blickpunkt

Deutschlands gescheiterte Revolution

Auf den ersten Blick sieht man den Deutschen ihre revolutionäre Ader nicht an. Wer an historische Umwälzungen denkt, denkt weit eher an Frankreich oder Amerika. An den französischen Sturm auf die Bastille und den Sturz des Königs 1789 und den Krieg der Amerikaner gegen die britische Kolonialmacht 1776. Aber die Deutschen? Sie entpuppten sich nicht zuletzt während der Corona-Pandemie mehrheitlich als brave Untertanen, die Politik und Medienberichte nicht in Frage stellten. Jede Einschränkung ihrer Freiheit, jede Ausgrenzung nahmen sie hin. Die Kritik an Impf-Kampagne und drohender Impfpflicht blieb verhalten.

Nur kurzzeitig erfolgreich

Doch dieser erste Eindruck täuscht. Wer genauer hinsieht, erkennt auch in der deutschen Geschichte eine unübersehbare revolutionäre Tendenz. War nicht die Friedliche Revolution der Ostdeutschen gegen die SED-Herrschaft 1989 auch eine Revolution? Ganz zu schweigen von der demokratischen Volkserhebung der Deutschen 1848, die – wenn auch nur kurzzeitig erfolgreich – zum ersten deutschen Nationalstaat und zur ersten deutschlandweiten demokratischen Wahl führte.

Ein Bauer mit Freiheitsfahne: Die bekannte Darstellung, die häufig im Zusammenhang mit dem Bauernkrieg 1525 abgebildet ist, soll tatsächlich aus einem Flugblatt stammen, das sich gegen die Reformation richtete. (Foto: gemeinfrei)

Just damals, vor dem noch frischen Eindruck der Revolution von 1848, schrieb der kommunistische Vordenker Friedrich Engels: „Auch das deutsche Volk hat seine revolutionäre Tradition. Es gab eine Zeit, wo Deutschland Charaktere hervorbrachte, die sich den besten Leuten der Revolutionen anderer Länder an die Seite stellen können.“ Gemeint ist der Deutsche Bauernkrieg, der 1524 begann und dessen Nachwehen bis 1526 dauerten. Engels nannte die Erhebung vor 500 Jahren den „großartigsten Revolutionsversuch des deutschen Volkes“.

Der Journalist Christian Pantle spricht vom „größten Volksaufstand, den Europa bis zur Französischen Revolution 1789 erlebt“ habe. Historiker schätzen, dass sich damals 200.000 Menschen gegen Willkür, Ungerechtigkeit und drückende Adelsherrschaft erhoben. Klingt nicht übertrieben viel. Aber: Im deutschen Südwesten, dort, wo der Aufstand seinen Anfang nahm, soll die Mehrheit der waffenfähigen Männer beteiligt gewesen sein. Über Wochen herrschte in den Dörfern und Städten, die der „gemeine Mann“ kontrollierte, das Volk.

Auf dem Weg zur Demokratie

In Memmingen im Allgäu trafen sich im März 1525 Vertreter verschiedener Bauern-Haufen und verabschiedeten die „Zwölf Artikel“ – eine der ältesten Menschenrechts-Erklärungen der Welt. Rund zwei Monate später, am 12. Mai, trat in Heilbronn eine weitere Versammlung revolutionärer Bauern zusammen. Unter Leitung von „Bauernkanzler“ Wendel Hipler sollten die Binnenzölle im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation abgeschafft sowie Münzen, Maße und Gewichte vereinheitlicht werden. Sogar eine neue Verfassungs-Ordnung war im Gespräch. Deutschland schien auf dem Weg zur Demokratie – bis die Revolution von den Heeren des Adels blutig zerschmettert wurde.

Dieser Briefmarkenblock, den die Deutsche Post der DDR 1989 anlässlich der Thomas-Müntzer-Ehrung herausgab, zeigt den Wirkungskreis und ein Bild des radikalen Theologen. (Foto: Nightflyer / gemeinfrei via Wikimedia Commons)

Einer, der wie kaum ein Zweiter für den revolutionären Charakter des Bauernkriegs steht, ist der radikale Theologe Thomas Müntzer. Geboren um 1489 in Stolberg im Harz, war er zunächst Mitstreiter Martin Luthers. Doch bald entzweiten sich die beiden Reformatoren. Luther setzte auf die Hilfe des Adels, um seine Ideen eines reformierten Christentums an den Gläubigen zu bringen. Müntzer dagegen setzte ganz auf das Volk. In der DDR wurde er dafür als Nationalheld und Vorläufer des Sozialismus verehrt. Ohnehin traf der Bauernkrieg im Osten Deutschlands, wo man sich gern auf progressive Aspekte der deutschen Geschichte bezog, auf deutlich mehr Interesse als im Westen.

Kriegserklärung an die Fürsten

Seine Kritik an der Obrigkeit brachte Müntzer schnell in Konflikt mit den Mächtigen. In seiner „Fürstenpredigt“, die er am 13. Juli 1524 auf Schloss Allstedt im Süden des heutigen Sachsen-Anhalt hielt, forderte er, die Fürsten müssten das Schwert ergreifen, um die „Gottlosen zu vertilgen“. Stellten sie sich nicht an die Spitze der revolutionären Erhebung, werde ihnen das Schwert genommen. „Die Gewalt soll dem Volk gegeben werden, wenn die Fürsten nicht nach dem Willen Gottes handeln“, kündigte Müntzer an. Sein Landesherr, der sächsische Herzog Johann, musste das als Kriegserklärung verstehen.

Der Prediger floh in die Reichsstadt Mühlhausen in Thüringen und gründete dort den militanten „Ewigen Bund Gottes“. Im Winter 1524 reiste er in den deutschen Südwesten und erlebte dort die Erhebung der Bauern. Zurück in Mühlhausen setzten er und seine Anhänger die reichsstädtische Obrigkeit ab und einen gewählten „Ewigen Rat“ ein, der die Regierungsgeschäfte in der Stadt übernahm. Ähnlich wie die kurzzeitige Herrschaft der Bauern in Süddeutschland hielt auch Müntzers Regiment in Thüringen dem Ansturm des Feindes nicht lange stand.

Die Thüringer Bauern um Thomas Müntzer kämpften unter dem Banner des Regenbogens. In christlichem Verständnis steht der Regenbogen für den ewigen Bund Gottes mit den Menschen. (Foto: Basileus1389 / CC BY 4.0)

Schon am 15. Mai 1525, nur drei Tage nach dem Untergang der schwäbischen Bauern in der Schlacht bei Böblingen, unterlagen die Thüringer Bauern, die unter einem weißen Banner mit dem Regenbogen fochten, bei Bad Frankenhausen der Übermacht eines Heeres aus Hessen, Sachsen und Braunschweig. Ironie der Geschichte: Während sich Katholiken und Protestanten in jenen Tagen der Reformation spinnefeind waren, vereinten sich hier die Fürsten verschiedener Konfession, um die Rebellion gemeinsam niederzuschlagen. Der Ort des Gemetzels, dem rund 6000 Bauern zum Opfer fielen, heißt noch heute Schlachtberg.

Müntzer-Ehrung der DDR

Müntzer entkam zunächst, wurde aber schnell gefangen genommen und in Heldrungen auf Befehl des Grafen Ernst von Mansfeld gefoltert. Am 27. Mai 1525 wurde er mit 53 weiteren Revolutionären vor den Toren von Mühlhausen enthauptet, sein Körper zur Abschreckung zur Schau gestellt. 1989, zum vermuteten 500. Ge- burtstag, erinnerte die DDR mit der „Thomas-Müntzer-Ehrung“ an den revolutionären Reformator. Briefmarken wurden gedruckt, Medaillen und Münzen geprägt. Das DDR-Fernsehen strahlte den Film „Ich, Thomas Müntzer, Sichel Gottes“ aus.

Auf dem Schlachtberg entstand im Vorfeld des Müntzer-Jubiläums das Panorama-Museum mit einem monumentalen Rundgemälde in historisierendem Stil. Werner Tübkes „Frühbürgerliche Revolution in Deutschland“ ist 123 Meter breit und 14 Meter hoch. Mehr als 3000 Figuren hat der 2004 verstorbene Künstler der Leipziger Schule dargestellt. Von Bauern und Landsknechten über Engel und Dämonen bis hin zu den Großen der frühen Neuzeit. Den Ehrentitel „Sixtina des Nordens“ brachte das dem Rundbau ein.

Frank Brettemer

Das Panorama-Museum in Bad Frankenhausen erinnert an Thomas Müntzer und die Erhebung der Thüringer Bauern. Sein Kern bildet das monumentale Rundgemälde „Frühbürgerliche Revolution in Deutschland“ von Werner Tübke. (Foto: Michael Wittwer / CC BY-SA 4.0)
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Der Wunsch nach Frieden und Freundschaft

Am 8. Mai 1945 kapitulierte die deutsche Wehrmacht vor den Truppen der Sowjetarmee und der Westalliierten. Der Zweite Weltkrieg endete – zumindest in Europa. Nach sechs blutigen Jahren und mehr als 60 Millionen Toten. 80 Jahre danach ist der Frieden, der seitdem im Herzen Europas herrschte und lange wie selbstverständlich schien, fragil geworden. Wieder rollen deutsche Panzer gegen Russland. Wieder sterben russische Soldaten durch deutsche Waffen. Noch immer droht die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine, die womöglich eine weitere Eskalation des Ost-West-Konflikts bringen würde.

Mahnung aktueller denn je

Carin Ecker (Name von der Redaktion geändert) will die neue Zwietracht zwischen Deutschland und Russland nicht hinnehmen. Die gebürtige DDR-Bürgerin und Leserin unseres Telegram-Kanals liebt Russland und sehnt sich von ganzem Herzen nach deutsch-russischer Freundschaft. Im Interview mit dem „anderen Blickwinkel“ erzählt sie von ihrer Verbindung in das weite Land der einstigen Zaren und von ihren Wünschen für eine friedliche Zukunft. 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs sind ihre Mahnungen aktueller denn je.

Ein Bild, das um die Welt ging: Sowjetische Soldaten hissen am 2. Mai 1945 die Flagge der Sowjetunion auf dem zerstörten Reichstag in Berlin. Das Foto von Jewgeni Chaldei ist inszeniert. Tatsächlich wurde die erste sowjetische Fahne bereits am 30. April, Adolf Hitlers Todestag, auf dem Gebäude angebracht. (Foto: Mil.ru / gemeinfrei)

Carin, Du warst zuletzt mehrfach in Russland und bist auch ganz aktuell zum Weltkriegsgedenken wieder dort. Warum?

Im Januar 2024 gab es aus einem russischen Telegram-Kanal die Frage: „Du möchtest Russland besuchen, aber dir fehlt es an Erfahrung? Wir bieten den Lesern unseres Kanals an, sie für ein Wochenende nach Kaliningrad zu begleiten und bei der Organisation zu unterstützen.“ Ich war sofort entschlossen – die erste Anmeldung. Mein Wunsch sollte in Erfüllung gehen, Russland endlich zu erleben!

Es wurde mit etwa 20 bis 25 Reisenden gerechnet. Weit gefehlt, es wurden 75 Anmeldungen! Die Teilnehmer reisten aus Deutschland, der Schweiz, aus Österreich, Polen und Schweden an. Wir erlebten ein fantastisches Wochenende in Kaliningrad. Es war das Jahr zum 300. Geburtstag Immanuel Kants 2024.

Russische Gastfreundschaft

Alle Teilnehmer waren wie angezündet nach diesen Tagen. Es stimmt, wenn gesagt wird: „Wenn du einmal in Russland warst, lässt du einen Teil deiner Seele dort und willst wieder hin.“ So erging es auch mir und vielen anderen Teilnehmern. Viele planten danach eine eigene Reise nach Russland. Russische Gastfreundschaft kann man nicht beschreiben, man muss sie erleben!

Seit meiner Kindheit fasziniert mich dieses große Land mit seiner Vielfalt an Naturlandschaften, seinen Weiten, dem Reichtum an Bodenschätzen und dem friedlichen Zusammenleben der über 200 ethnischen Volksgruppen. Es sind wunderbare, sehr stolze und gebildete Menschen.

Mit Russland groß geworden

Ich bin in der DDR mit Russland groß geworden, lernte ab der 5. Klasse die Sprache in der Schule. Wir haben literarische Werke Russlands in der Schule gelesen und haben Aufsätze darüber geschrieben. Als Kinder lachten wir über die Zeichentrickfilme von „Hase und Wolf“ und sein „Nu Pagadi“. Wir wuchsen mit vielen russischen Kinderfilmen auf, sahen später russische Filmklassiker mit tollen Schauspielern. Natürlich fieberten wir für die russischen Sportler bei großen internationalen Wettkämpfen mit.

Diese sowjetische Briefmarke aus dem Jahr 1988 ist den Figuren Hase und Wolf aus der russischen Zeichentrickserie „Nu Pagadi“ gewidmet, die auch in der DDR sehr populär war. (Foto: gemeinfrei)

Der erste Kosmonaut Juri Gagarin war ein Held meiner Zeit. So auch Walentina Tereschkowa, die erste Frau im All, die heute als 88-Jährige Abgeordnete der Duma ist. Gern erinnere ich mich an Besuche mit meinem Vater im Magazin der sowjetischen Truppen. Das Moskauer Eis war lecker und das russische Konfekt, das anders schmeckte als unsere Süßigkeiten. Heute freue ich mich darüber, in Russland dieses russische Konfekt wieder zu entdecken.

Du sagtest es bereits: Du bist in der DDR aufgewachsen. Wie beeinflusst Deine Sozialisation im Arbeiter-und-Bauern-Staat Deine heutige Haltung gegenüber Russland?

Heute bin ich sehr bewusst dankbar, in der DDR aufgewachsen zu sein. Der Vorteil, in einem Arbeiter-und-Bauern-Staat groß zu werden, lag darin, nie diese Angst durchs Leben zu schieben, seine Arbeit oder gar Wohnung zu verlieren. Die Familie stand im Mittelpunkt der Gesellschaft! Krippe, Kindergarten, Schule, Ausbildung und Studium wurden vom Staat finanziert. Freizeit und Kultur waren allen zu erschwinglichen Preisen zugänglich. Wir sind als Gemeinschaft groß geworden, ohne Konkurrenzdenken! 

Zum Frieden erzogen

Wir wuchsen sehr behütet auf und wurden von klein auf zum Frieden erzogen. In den 1960er Jahren tobte der Krieg der USA in Vietnam. Auch das wurde uns Kindern nähergebracht. Ich fragte meine Eltern damals: „Wieso tun die das?“ Leider tun sie es bis heute immer noch.

Die Freundschaft zur Sowjetunion ist uns bereits im Kindergarten vermittelt worden, so wie auch zu vielen anderen Ländern dieser Erde! Es gab die Organisation der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft, in der jeder Schüler und Werktätige Mitglied war. Es gab sechs Millionen Mitglieder!

Die Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft war eine der Massenorganisationen der DDR. (Foto: Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft / Amt für industrielle Formgestaltung / gemeinfrei)

All diese Werte sind auch in Russland heute weiterhin präsent. Kinder sind der größte Schatz einer Gesellschaft, denn sie sind die Zukunft! In Russland und der DDR werden bzw. wurden die Menschen zu Frieden und gegenseitigem Respekt mit anderen Völkern erzogen. Friedliche Koexistenz der Völker ist bis heute das große Prinzip. Meine freundschaftliche Haltung zu Russland ist ungebrochen!

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Im Blickpunkt

„Die Ukraine wollte einen Krieg mit Russland“ 

Am 24. Februar 2022 spitzte sich der Konflikt zwischen Russland auf der einen und der vom Westen unterstützten Ukraine gefährlich zu. Russische Truppen marschierten im Nachbarland ein. Den Schuldigen für die Eskalation hatte die westliche Politik schnell ausgemacht: Russland – nur Russland. Ganz anders sieht das Dieter Staudt, gläubiger Christ und Unternehmer. Von 2011 bis Mitte 2022 lebte er im Osten der Ukraine. Heute sagt er, die Ukraine habe den Krieg gewollt. „Das ukrainische Militär plante einen Angriff zur Eroberung der Donbass-Volksrepubliken am 6. März 2022.“ 

Als russische Truppen am 24. Februar 2022 in der Ukraine einmarschierten, kamen sie damit laut Dieter Staudt einem ukrainischen Angriff auf den Donbass nur um wenige Tage zuvor. (Foto: Mil.ru / CC BY 4.0 via Wikimedia Commons)

Russland musste reagieren

Von den Angriffsplänen, sagt er, habe er direkt von ukrainischen Soldaten erfahren. Nach Staudt musste Russland auf diese Bedrohung reagieren. So sei es zum direkten russischen Kriegseintritt am 24. Februar 2022 gekommen. „Die Ukraine wollte einen Krieg mit Russland und war kein unschuldiges Opfer“, lautet Staudts Fazit. Im Interview mit Thomas Mayer führt der Unternehmer seine Sicht der Dinge aus. Sie stehen im Widerspruch zum gängigen westlichen Narrativ vom unschuldigen Opfer Ukraine, dem der Westen Militärhilfe zu Unterstützung schicken müsse.

Herr Staudt, wie ist Ihre Beziehung zur Ukraine? 

Dieter Staudt lebte bis 2022 in der Ukraine. (Foto: privat)

Ich habe ab Juni 2011 in der Ukraine gelebt, zuerst bis Herbst 2013 zeitweise, danach bis Mitte August 2022 dauerhaft. Ich bin mit einer Ukrainerin verheiratet und baute in der Region Sumy im Nordosten der Ukraine eine Gartenbau-Landwirtschaft auf. Wir hatten bis zu sechs Mitarbeiter. Ich spreche Russisch, so dass ich gut in Kontakt mit der ukrainischen Bevölkerung kam.

Armee schoss auf Ukrainer

Ich habe die gesamte Entwicklung mitbekommen, die zum ukrainischen Bürgerkrieg im Donbass ab 2014 und zum Krieg mit Russland ab 2022 geführt hat. Ende April 2014, unter dem Übergangspräsidenten Oleksandr Turtschinow, den ich persönlich kenne, begann der ukrainische Bürgerkrieg im Donbass. Die ukrainische Armee schoss auf Ukrainer russischer Ethnie, auf Bewohner der autonomen ukrainischen Gebiete Luhansk und Donezk. Diese beiden autonomen Republiken sind am 11. Mai 2014 durch Volksabstimmungen souverän und von der Ukraine unabhängig geworden.

Proteste auf dem Kiewer Maidan im Dezember 2023. (Foto: Sasha Maksymenko / CC BY 2.0 via Wikimedia Commons)

Was haben Sie in Sumy von diesem Bürgerkrieg im angrenzenden Donbass mitbekommen?

Ich habe den Bürgerkrieg erfahren durch eine Art Mobilmachung. Es gab Panzersperren auf der Straße nach Romny im Westen des Sumy Gebietes, wenn ich nach Kiew oder auch weiter Richtung Westeuropa alleine oder in Begleitung meiner Ehefrau fuhr. Einmal, von Deutschland kommend, wurde ich von einem ukrainischen Panzer und seiner Besatzung gestoppt und nach Geld gefragt, um den Panzer betanken zu können. Da die Soldaten nach meiner Einschätzung betrunken waren, ging es ihnen wohl eher um den „menschlichen Sprit“. Ich hatte zwar keine Furcht, verließ aber schnell die Örtlichkeit, um eine Distanz zu den Militärs herzustellen.

Bei regelmäßigen Telefonaten mit Freunden in den Gebieten Luhansk und Donezk wurden wir über die Schwere der Bombardements informiert. Durch freundschaftliche Kontakte zu ukrainischen Bewohnern der Krim weiß ich, dass diese Leute es begrüßen, zur Russischen Föderation zu gehören!

Russische Sprache verbieten

Nach dem Maidan-Putsch plante Kiew, die russische Sprache zu verbieten, das war ein Affront gegen die russisch sprechenden Ukrainer. Nachdem sich die Krim am 14. März 2014 durch einen Volksentscheid von der Ukraine abgespalten hatte, wollte die ukrainische Regierung eine ähnliche Entwicklung im Donbass verhindern. Mitte April 2014 schickte der ukrainische Interimspräsident Oleksandr Turtschinow Militär in den Donbass, in der Absicht, seinem an die sogenannten Separatisten gestellten Ultimatum Nachdruck zu verschaffen. Ende April 2014 schoss die ukrainische Armee auf ukrainische Bürger russischer Ethnie und begann den Bürgerkrieg. Zur Abspaltung der Donbass-Republiken kam es trotzdem.

Mir sind die Gründe, die zu dieser Auseinandersetzung geführt haben, bekannt. Einer davon waren die in der Ostukraine liegenden Bodenschätze im Wert von 12 Billionen Dollar, nach denen die USA, Großbritannien und die EU Begehrlichkeiten entwickelten. Das ist einer der Gründe, warum die Ukraine im Bürgerkrieg gegen die Donbass-Republiken ab 2014 vom Westen unterstützt wurde. Von den Bodenschätzen in der Südostukraine habe ich 2013 erstmals gehört.

Der Bürgerkrieg im Donbass richtete schwere Zerstörungen an. (Foto: UNICEF Ukraine / CC BY 2.0 via Wikimedia Commons)

Um was für Bodenschätze handelt es sich? Wo kommt die Zahl 12 Billionen her?

Es handelt sich um seltene Erden wie Lithium, Öl, Gas, Ölschiefer und Schiefergas, dessen Abbau in der Ukraine staatlich erlaubt ist. Die Zahl erscheint an vielen Stellen im Internet, dazu gibt es Berichte über Fracking-Pläne der britisch-niederländischen Shell sowie Probebohrungen auf den Jusovsk-Gasfeldern im Osten des Landes, in Charkow, Lugansk, Donezk, bis ins Asowsche Meer. Die Vertragsteilnehmer waren die Kiewer Regierung, die US-Firmen ExxonMobil und Chevron sowie der britisch-niederländische Shell-Konzern und das ukrainische Unternehmen Nadra Jusovsk. Anwesend war auch der damalige Präsident Viktor Janukowitsch, Abschlussort war Davos in der Schweiz, die Größe des Abbau-Gebiets bestand aus 7.886 Quadratkilometern, die Gewinn-Marge für Shell war mit 50 Prozent geplant. 

Wie haben Sie den Kriegseintritt von Russland im Februar 2022 erlebt?

Ich hatte ab Spätsommer 2021 Kontakte zu ukrainischen Militärangehörigen, die im Donbass stationiert waren oder deren Stationierung kurz bevorstand. Über diese habe ich erfahren, dass der ukrainische Staat die russischen Bewohner des Donbass vertreiben oder auch eliminieren wollte. Die Kontakte kamen zustande, weil ich im Sommer 2021 die Verzollung meines Autos plante, um es verkaufen zu können. Durch eine Änderung der ukrainischen Zoll-Gesetzgebung war ich im Herbst 2021 genötigt, Kontakte zu ukrainischen Soldaten mit Dienst im Donbass aufzunehmen. 

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Früherer DDR-Bürger: „Es war nicht alles gut“

Alexander Schlesinger ist Enkel eines Mannes, der im Widerstand gegen das Nazi-Regime stand und in der DDR eine Karriere als Politiker der Liberal-Demokratischen Partei machte. In dem sozialistischen deutschen Staat hatte die Familie deshalb einen guten Stand. Bis heute sieht Schlesinger die DDR weitgehend positiv. Im Interview aus Anlass des 35. Jahrestags des Mauerfalls blickt er nicht nur auf sein Leben im Arbeiter-und-Bauern-Staat zurück. Er zeigt auch auf, welche Gründe für den Mauerbau sprachen und wo er die DDR der heutigen Bundesrepublik überlegen sieht. Ein kritisches Gespräch mit einem kritischen Zeitgenossen.

Der Trabi, der die Mauer durchbricht: Ein bekanntes Symbol für den Mauerfall 1989. Unser Interviewpartner sieht den 9. November 1989 nicht nur positiv. (Foto: Pixabay / gemeinfrei)

Herr Schlesinger, Sie sind Cousin der früheren RBB-Intendantin und ARD-Vorsitzenden Patricia Schlesinger und haben als solcher die aktuellen Leitmedien quasi in der Familie. Sie sprechen von „Lügenmedien der BRD“. Wie kommen Sie zu dieser Bewertung und wo sehen Sie Unterschiede zu den Medien in der damaligen DDR?

Medien sind niemals frei, da die Menschen, die da tätig sind, Klasseninteressen dienen, sei es bewusst oder unbewusst. Das war zu jeder Zeit so. Und es gibt Medien, die sich gegen ein herrschendes System positionieren. Lügenmedien der BRD sind all jene, die unkritisch oder nur im engen Rahmen kritisch das BRD-Regime stützen und die beherrschte Klasse dumm halten. In der DDR war, trotz aller gegenteiliger Behauptungen, die Arbeiterklasse die herrschende Klasse, und die Medien haben dieser gedient. In der BRD ist es eben das Kapital, welches herrscht und dem sich die Medien unterordnen bzw. dessen Interessen sie vertreten.

Die Medien der DDR waren stets bemüht, dem Staatsziel, nämlich dem Aufbau des Sozialismus, mit aller Kraft zur Seite zu stehen. Ich denke, das ist nicht verwerflich, da in der DDR laut Eigendefinition eine „Diktatur des Proletariats“ – ergo: die Herrschaft einer Mehrheit über eine Minderheit – die Staatsform war. Dass die Werktätigen der DDR das nötige Klassenbewusstsein, auch und wegen der Wühlarbeit des westlichen Kapitals, niemals entwickeln konnten, ist eine Tatsache, der sich die SED auch durch ihren Rückzug aus der Regierungsverantwortung Ende 1989 gestellt hat.

Kapital manipuliert Mehrheit

Die Medien der BRD dienen einzig dem Ziel, den Weg zu bereiten, dass das Kapital bessere Verwertungsbedingungen zum Zwecke der Profitmaximierung vorfindet. Es manipuliert die Mehrheit dahingehend, jubelnd und unkritisch den Interessen der herrschenden Minderheit zu folgen und dadurch ihre ureigensten Interessen aus dem Blick zu verlieren oder gar zu leugnen. Über die Verlogenheit der BRD-Medien ein kleines Beispiel: die wahren Gründe für den Mauerbau. Es war nicht die SED, die die Gründe geschaffen hat. Sie war letztendlich als staatstragende Partei damit beauftragt, diesen Wall zu errichten.

Ein Volkspolizist und ein Angehöriger der Kampfgruppen der Arbeiterklasse sichern im August 1961 den Bau der Berliner Mauer. (Foto: Bundesarchiv / Bild 183-85701-0006 / Stöhr / CC-BY-SA 3.0 DE via Wikimedia Commons)

Ich zitiere den Historiker Professor Siegfried Prokop: „Es gab damals das Vorhaben, einen Friedensvertrag mit der DDR abzuschließen, wenn möglich durch alle vier Alliierten. Dafür hatte die Sowjetunion 1958 eine Note überreicht. Sie war auch bereit, einseitig mit der DDR einen Friedensvertrag abzuschließen. Das wäre denkbar gewesen, weil ja Japan und die westlichen Alliierten auch einen separaten Friedensvertrag abgeschlossen hatten, unter Ausklammerung der Sowjetunion.

Das hätte bedeutet, dass die DDR die volle Lufthoheit über ihr Territorium bekommen hätte. Das heißt, alle Flugzeuge, die nach West-Berlin fliegen wollten, hätten die Genehmigung der DDR gebraucht bzw. hätten auf dem Flugplatz der DDR in Berlin-Schönefeld landen müssen und wären der Kontrolle der DDR-Behörden unterworfen worden, so wie das allgemein üblich ist. Das war die Politik, die zwischen Walter Ulbricht und Nikita Chruschtschow abgesprochen war. Das galt von Juni 1961 bis Ende Juli 1961.

Geheim-Ultimatum der USA

Dann gab es da eine einseitige Veränderung. Das ist heute nicht alles vollends schlüssig vom Historiker nachzuvollziehen, weil einige dieser Akten im NATO-Bereich noch immer gesperrt sind. Es gibt genügend belegbare Hinweise, dass John McCloy als Sonderbotschafter von US-Präsident John F. Kennedy Ende Juli 1961 Nikita Chruschtschow im Urlaub am Schwarzen Meer besucht hat und dass dort Entscheidungen in eine andere Richtung fielen. Diese andere Richtung ergab sich daraus, dass offenbar ein Geheim-Ultimatum übermittelt worden ist. Über das berichtet Franz Josef Strauß in seinen Memoiren.

US-Präsident John F. Kennedy (rechts) und der sowjetische Staats- und Parteichef Nikita Chruschtschow treffen sich im Juni 1961 in Wien. Gut zwei Monate später begann der Bau der Mauer. (Foto: U. S. Department of State / John F. Kennedy Presidential Library and Museum Boston / gemeinfrei via Wikimedia Commons)

Danach sollte im Fall eines separaten Friedensvertrages und der Übertragung der Lufthoheit an die DDR eine US-amerikanische Atombombe auf ein sowjetisches Objekt in der DDR abgeworfen werden. Da hat dann Nikita Chruschtschow gesagt, das wäre zu gefährlich, es gebe jetzt nur noch die Land-Lösung. Das hieß zunächst einmal, dass in kürzester Zeit eine Abtrennung von West-Berlin vorbereitet werden musste und mit Stacheldrahtzaun erfolgte. Diese ganze Geschichte wurde Ulbricht bei der Konferenz der kommunistischen und Arbeiterparteien der sozialistischen Länder in Moskau vom 3. bis 5. August 1961 übermittelt.

Die BRD kannte die Wahrheit

Darüber gibt es einen ganz klaren Bericht des Nachrichten-Magazins ‚Der Spiegel‘ vom 29. November 1961. Das kann jeder nachlesen, obwohl es jetzt vom Westen ständig verleugnet wird. Da hat es einen Zusammenstoß zwischen Walter Ulbricht und Nikita Chruschtschow gegeben. Ulbricht war gegen eine solche Land-Lösung.“ Den BRD-Medien war die Wahrheit also von Anbeginn bekannt oder zumindest zugänglich. Trotzdem wird bis heute gejammert, und die böse SED war natürlich an allem schuld, weshalb der Sozialismus ja auch so verabscheuungswürdig ist.

Welche Rolle spielten in Ihrer Familie die Verbindung zum Widerstand gegen die Nazis einerseits und die Tatsache, dass Teile Ihrer Familie im Westen lebten, andererseits?

Mein Großvater war aufgrund seiner Aktivitäten im Widerstand gegen die politische Ordnung des „Dritten Reiches“ in der sowjetischen Besatzungszone und später in der DDR frühzeitig in verantwortungsvolle Positionen gekommen. Dadurch hatte er sicher ein überdurchschnittliches Einkommen und ich als Enkel eine wunderschöne Kindheit, die ich auch heute noch ausschließlich mit der DDR, meinen Eltern und Großeltern in Verbindung bringe. Besser wäre nicht gegangen! Auf jeden Fall waren die Großeltern und vielleicht auch indirekt meine Eltern durchaus als privilegiert anzusehen.

Alexander Schlesinger als kleiner Junge. Mit im Bild: sein Großvater Artur, NS-Gegner und DDR-Politiker, und Cousine Patricia Schlesinger, die 2022 geschasste RBB-Intendantin. (Foto: Wotan1965 / CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)

Interessanterweise hat die Mitwirkung im antifaschistischen Widerstand nie eine große Rolle in unserer Familie gespielt. Weder meine Eltern noch die ,,Westverwandtschaft“ haben sich jemals dazu geäußert. Auch für die Großeltern waren Erzählungen aus dieser Zeit tabu. Für mich persönlich haben sich aus diesen Dingen keinerlei Vorteile ergeben. Trotz sicher vorhandener Probleme, die sich aus der Ausreise meines Onkels in die BRD ergeben haben mögen, haben die Großeltern dessen Entscheidung mitgetragen. Gegenseitige Besuche waren jederzeit möglich.

Den Wohlstand vorführen

Die Westverwandtschaft war während der seltenen Treffen eher darauf bedacht, uns „kleinen“ DDR-Bürgern ihren Wohlstand vorzuführen und uns als etwas dümmlich und minderwertig zu behandeln. Das hat sich auch nach der Annexion der DDR nicht geändert. Diese Tatsache hängt mir doch etwas an. Wir hätten uns gegenseitig so viel erzählen können, aber der Wunsch war von der „BRD-Seite“ nicht vorhanden. Das ist im Kleinen wie im Großen so. Wer meint, „gewonnen“ zu haben, blickt auf den Gegenüber herab.

Die Vergangenheit der Großeltern war für die Westverwandtschaft ganz offensichtlich nur von Interesse, als dass man damit Geld verdienen konnte. So hat der Ehemann von Patricia, Herr Gerhard Spörl, ein durchaus lesenswertes Buch über die Großeltern geschrieben, wobei er es fertiggebracht hat, die „Ostverwandtschaft“ nicht einmal zu erwähnen. Das hat mich wirklich sehr getroffen, denn auch und gerade wir, die wir immer dichter dran waren, hätten so einige gute Gedanken einfließen lassen können. Ich bin mal so vermessen zu behaupten, hätte sich Patricia aus erster Hand über die Befindlichkeiten der ,,Ossis“ erzählen lassen, wäre sie vielleicht noch heute Vorsitzende der ARD.

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Der Aufstand des „heiligen Deutschland“

Sein Widerstand war vergebens. Claus Schenk Graf von Stauffenberg wollte Adolf Hitler töten – und scheiterte. Sein Aufstand gegen die nationalsozialistische Herrschaft, die millionenfachen Tod über Europa gebracht und sich der kollektiven Freiheitsberaubung des deutschen Volkes schuldig gemacht hatte, schlug fehl. Nach wenigen Stunden waren die Männer und Frauen, die das Regime stürzen wollten, entwaffnet. Verhaftet. Oder tot. Mindestens 110 Menschen bezahlten ihren Versuch, die NS-Gräuel zu beenden und ein neues, besseres Deutschland zu schaffen, mit dem Leben.

„Hier starben für Deutschland“: Im Berliner Bendlerblock, heute Dienstsitz des Bundesministeriums der Verteidigung, damals Sitz des Befehlshaber des Ersatzheeres, erinnert eine Gedenktafel an Stauffenberg und vier weitere getötete Nazi-Gegner aus der Verschwörergruppe des 20. Juli. (Foto: Michael Klemm / CC BY-SA 3.0)

Wer waren die Helden des 20. Juli 1944? Meist wird der Widerstand um Stauffenberg auf seinen militärischen Kern reduziert. Tatsächlich wurde die Verschwörung vom 20. Juli insbesondere von konservativ denkenden Offizieren der Wehrmacht getragen. Der Kreis ihrer Unterstützer aber ging weit über die führend beteiligten Militärs hinaus. Der Potsdamer Historiker Kurt Finker sprach von den Widerstandskämpfern gegen die Nazis als den „wahren, den besseren Deutschen“. Was waren seine Wurzeln? Was waren die Quellen, die sein revolutionäres Tun speisten?

Wie ein Vermächtnis schleuderte der gescheiterte Hitler-Attentäter in der Nacht auf den 21. Juli 1944 dem Exekutionskommando seine ganze Überzeugung entgegen. „Es lebe das heilige Deutschland“, rief der 36-jährige Oberst Stauffenberg, bevor die Kugeln ihn und drei weitere Verschwörer gegen das NS-Regime auf dem Hof des Berliner Bendlerblocks aus dem Leben rissen. Stauffenberg, Spross eines alten schwäbischen Adelsgeschlechts, war zeitlebens Patriot – und überzeugter Christ.

Braune Terror-Herrschaft

Anfangs hatte Stauffenberg die Machtergreifung Adolf Hitlers noch begrüßt. Doch erkannte er nach Beginn des Zweiten Weltkriegs immer deutlicher den verbrecherischen Charakter der Nazi-Diktatur. Das „heilige Deutschland“, das der Adelige nach dem Sturz Hitlers aufbauen wollte, sollte sich vollkommen von der braunen Terror-Herrschaft unterscheiden. Die Werte des Christentums sollten es maßgeblich prägen. Stauffenberg und seine engsten Mitstreiter waren der Überzeugung, dass „menschliche Existenz auch im Staat ohne Bindung an Göttliches nicht gedeihen“ könne.

Was Stauffenberg vorschwebte, war allerdings kein naives amtskirchliches Idyll mit sonntäglichem Gottesdienst und massivem Priester-Einfluss. „Wir sind nicht das, was man im eigentlichen Sinne Katholiken nennt“, sagte Stauffenbergs Bruder Berthold nach dem Attentat im Verhör der NS-Geheimpolizei Gestapo. „Wir gingen nur selten zur Kirche und nicht zur Beichte. Mein Bruder und ich sind der Meinung, dass aus dem Christentum heraus kaum noch etwas Schöpferisches kommen kann.“ Gemeint war offenbar das amtliche Christentum: die Kirche.

Claus Schenk Graf von Stauffenberg war 36 Jahre alt, als er Hitlers Leben mit einer Bombe im Führerhauptquartier ein Ende setzen wollte. (Foto: Gedenkstätte Deutscher Widerstand)

Stauffenbergs religiöse Versatzstücke hatten eine andere Quelle: den christlich-mystizistischen Dichter Stefan George. Mit ihm waren Claus und seine Brüder Berthold und Alexander bereits in jungen Jahren in Kontakt gekommen. George, dem eine hierarchische Gesellschaft mit einer geistig-seelischen Aristokratie vorschwebte, sammelte nach Ende des Ersten Weltkriegs einen Kreis von „Jüngern“ um sich, um mit ihnen die Grundlagen eines neuen deutschen Staatswesen zu schaffen. Stauffenbergs letzte Worte gehen nach Ansicht vieler Historiker auf Georges Vision eines „heiligen und geistigen Deutschlands“ zurück. Georges Gedicht „Der Widerchrist“ mit seiner eindringlichen Warnung vor dem „Fürst des Geziefers“ bestärkte Stauffenberg im Widerstand.

Attentat abgeblasen

Stauffenberg national-religiöse Prägung war in Widerstandskreisen keine Ausnahme. „Christ sein spielte bei unserem Widerstand eine entscheidende Rolle“, sagte später auch Philipp Freiherr von Boeselager. Er war 1942 zum Widerstand gestoßen, nachdem er von der Ermordung von Juden und Zigeunern erfahren hatte. Im März 1943 stand er selbst dicht davor, Hitler zu töten. Mit entsicherter Pistole saß er dem Diktator gegenüber und wartete auf das verabredete Signal, Hitler und Reichsführer-SS Heinrich Himmler zu erschießen. Doch Himmler erschien nicht und das Attentat wurde abgeblasen.

Boeselager, der erst 2008 starb, erinnerte sich an lebhafte Diskussionen, ob die Ermordung Hitlers mit christlichen Grundsätzen in Einklang zu bringen sei. Henning von Tresckow etwa, einer der führenden Köpfe der geplanten Erhebung, hatte große Bedenken, „einen neuen Staat mit dem Unrecht eines Mordes zu beginnen“. Jeder hatte die Tat mit seinem eigenen Gewissen zu vereinbaren. Boeselager wusste um die Verbrechen des Regimes und verweigerte sich dem gewaltsamen Umsturz nicht. Er besorgte den Sprengstoff, den Stauffenberg am 20. Juli 1944 um 12.42 Uhr in Hitlers Hauptquartier Wolfsschanze in Ostpreußen zur Explosion brachte.

Das vermutlich letzte Bild, das Stauffenberg (ganz links im Profil) lebend zeigt: Der spätere Attentäter am 15. Juli 1944 bei Adolf Hitler in der Wolfsschanze.
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Im Blickpunkt

Worum es beim Ukraine-Krieg wirklich geht

Glaubt man dem politischen und medialen Mainstream, so hat im Februar 2022 ein aggressiv-nationalistisches Regime in Gestalt der Russischen Föderation die friedliebende, demokratische Ukraine überfallen und mit einem Vernichtungskrieg überzogen. Unprovoziert und aus rein imperialistischen Beweggründen. Aber ist das wirklich so?

Buchautor Thomas Mayer stellt das gängige westliche Narrativ in Frage. Mit „Wahrheitssuche im Ukraine-Krieg – Um was es wirklich geht“ hat der gebürtige Allgäuer, der 1988 Mitbegründer von Mehr Demokratie war, für die Einführung von Regionalgeld wirkte und mehrere Volksbegehren begleitete, ein Buch vorgelegt, das hinter die Kulissen der Vorgeschichte des Ukraine-Kriegs blicken will.

Ein zerstörter russischer Panzer aus den ersten Tagen nach Beginn des Krieges. (Foto: Mvs.gov.ua / CC BY 4.0)

„Mich persönlich hat im Februar 2022 die Kriegsbeteiligung Deutschlands im Kern getroffen. Ich bin in dem Selbstverständnis aufgewachsen, von Deutschland darf nie wieder ein Krieg ausgehen. In der Ukraine sterben nun durch die vielen Milliarden Euro, die Waffenlieferungen und die militärische Unterstützung der NATO-Staaten hunderttausende Menschen. Das ist schwer auszuhalten“, beschreibt Mayer seine Beweggründe für das Buch.

Wie ist der Konflikt entstanden?

Er fragte sich: „Wie ist der Konflikt historisch entstanden? Mit welchen Weichenstellungen wurde auf den Krieg hingesteuert? Wie haben die Ukraine, die USA, die NATO und Russland die Eskalations-Spirale angetrieben?“ Im Interview spricht Mayer über seine Erkenntnisse und Einschätzungen.

Herr Mayer, für Ihr Buch haben Sie umfassend zur Vorgeschichte des russischen Einmarschs in der Ukraine geforscht. Was glauben Sie: Worum geht es wirklich in diesem Krieg, der schon über zwei Jahre dauert?

Ich sehe in der Überschau drei Hauptthemen: Erstens geht es darum, die Weltbevölkerung in einem psychologischen Kriegszustand und in Angst zu halten. So sind Menschen lenkbar. Es fällt zum Beispiel auf: Als der Krieg gegen das Corona-Virus an Kraft verlor, begann der Ukraine-Krieg.

USA seit 100 Jahren gegen Russland

Zweitens geht es um die Weltherrschaft der USA. Das geopolitische Interesse der USA ist es seit 100 Jahren zu verhindern, dass Russland sich mit Europa verbindet, damit kein gleichwertiger geopolitischer Konkurrent entsteht. Ich lege in meinem Buch gründlich die Tatsache dar, dass im Ukraine-Krieg nicht Russland der Angreifer war. Stattdessen hat der US-geführte Westen die Ukraine für einen lange vorbereiteten Stellvertreterkrieg gegen Russland missbraucht.

Drittens geht es in der Ukraine den dort regierenden Nationalisten darum, eine ethnisch reine Ukraine zu schaffen auf Kosten der 30 Prozent russisch-verbundener Bevölkerung.

Buchautor Thomas Mayer hinterfragt Russlands Kriegsschuld. (Foto: privat)

Welche Belege haben Sie gefunden, dass der Westen die Ukraine in einen Stellvertreterkrieg getrieben hat, um Russland zu schwächen?

Ich fand sehr viele Belege dafür. Das ist auch ein Grund, warum mein Buch so umfangreich wurde. Historisch betrachtet ist es eine übliche außenpolitische Strategie der USA, regionale Konflikte zu schüren und Stellvertreterkriege anzuzetteln. Die „Rand Corporation“, eine Denkfabrik des Pentagon und des CIA, beschrieb 2019 auf etwa 300 Seiten, was die USA tun sollte, um Russland zu schwächen und zu destabilisieren. Ein Vorschlag war, die
Waffenlieferungen und Militärhilfe für die Ukraine zu verstärken. Der seit 2014 laufende Krieg im Donbass sollte eskalieren, um Russland zu einem kostenreichen Engagement zu zwingen. Dieser Bürgerkrieg begann aufgrund des von den USA unterstützen verfassungswidrigen Maidan-Putsches.

„Es ging nie um die Ukraine“

Wie oft haben wir in den letzten Jahren von NATO-Politikern gehört, dass Russland nicht gewinnen dürfe. Es ging nie um Frieden oder die Ukraine. Unverblümt sprechen US-Militärs, wie zum Beispiel der einflussreiche General Jack Kean, der in einem Interview bei Fox News betonte: „Die Investition der Vereinigten Staaten in die Ukraine ist es wert. Die 66 Milliarden US-Dollar in 2022 sind nur 1,1 Prozent unseres Staatshaushaltes.“ Für 66 Milliarden Dollar erhalte man eine Ukraine, die die „russische Armee auf dem Schlachtfeld buchstäblich vernichtet“. Es ist also für die USA ein preiswerter Krieg. Dass dabei auch hunderttausende Soldaten sterben, spielt keine Rolle.

John M. „Jack“ Keane – hier eine Aufnahme von 1999 – ist ein ehemaliger General der US-Armee, der mittlerweile als TV-Kommentator tätig ist. (Foto: U.S. Army/gemeinfrei)

Sie sprechen ferner von einem psychologischen Kriegszustand, in welchem die Menschen gehalten werden. Was meinen Sie: Von wem – und wieso?

Das ist eine große Frage. Krieg beginnt immer mit Feindbild-Aufbau, Angst-Erzeugung und Massen-Hypnose. Das war auch für diesen nicht erklärten Krieg notwendig, den heute die NATO mit Russland führt. Es gibt verschiedene Akteure und Interessen: die Geopolitik der Weltmacht USA, die Finanzinteressen der Rüstungsindustrie, das Profilierungsinteresse von Politikern und übergreifend im Hintergrund der materialistische Transhumanismus, der Seele und Geist des Menschen leugnet und den Menschen als Maschine sieht, der moralisch von außen gesteuert werden kann.

Lügen und Unwahrheiten

Ein vielzitiertes Sprichwort lautet: „Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit.“ Soll heißen: Propaganda-Lügen bestimmen jeden Krieg. Welche wesentlichen Lügen und Unwahrheiten prägen den Ukraine-Krieg? 

Die wichtigste Unwahrheit ist, dass es ein unmotivierter Angriffskrieg Russlands war. Mit dieser Propagandalüge wurden die immensen Geld- und Waffenlieferungen und der Wirtschaftskrieg und die Sanktionen der Bevölkerung verkauft. Es war aber kein unmotivierter Angriffskrieg Russlands. Ich habe auf 600 Seiten beschrieben, wie Russland vom Westen zum Kriegseintritt gedrängt wurde. Wenn man die Vorgänge genau ansieht, zeigt sich, dass die Ukraine 2014 einen Angriffskrieg gegen die beiden Donbass-Republiken begann. Dem ging der verfassungswidrige Maidan-Putsch voraus, der von NATO-Staaten unterstützt wurde und mit dem Nationalisten in Kiew an die Macht kamen.

Die Proteste des „Euromaidan“ führten zum Sturz der Regierung des ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowytsch. Thomas Mayer spricht von einem Putsch. (Foto: spoilt.exile from Kiev/Ukraine / CC BY-SA 2.0)
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Kommentar

Identitätskrise statt Sommermärchen

Heute beginnt die Fußball-Europameisterschaft in Deutschland. Am Abend trifft die Auswahl des Deutschen Fußball-Bunds beim Eröffnungsspiel in München auf das Team aus Schottland. Auf dem Papier ist die Partie eine klare Sache. Etwas anderes als ein Sieg der deutschen Fußball-Nationalmannschaft wäre schon nahe an einer Blamage. Andererseits: Hat sich die DFB-Truppe in jüngerer Vergangenheit nicht immer wieder blamiert? Zuletzt sogar unter dem neuen Bundestrainer Julian Nagelsmann.

Seit 2023 trainiert Julian Nagelsmann die deutsche Fußball-Nationalmannschaft. Der 36-Jährige trat in die Fußstapfen des glücklosen Hansi Flick. (Foto: Steffen Prößdorf / CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

Ein torloses Unentschieden gegen die Ukraine und ein mühevoller Sieg gegen den krassen Außenseiter Griechenland lassen für das Turnier im eigenen Land nicht unbedingt allzu viel erwarten. Das ist umso bedenklicher, als gerade das zarte Pflänzchen der Hoffnung zu keimen begann, dass diese Fußball-Meisterschaft nicht wieder zu politisch korrekten Botschaften und Regenbogen-Bekundungen missbraucht werden würde. Schließlich hat Nagelsmann betont, man wolle die Politik diesmal nicht mit auf den Platz nehmen.

Blamables Aus in Gruppenphase

Unter dem neuen Trainer schien es, als besinne sich die Nationalelf auf ihre Kern-Tugenden. Und damit auf den Sport, auf die Leistungen auf dem Rasen. Die „Polit-Offiziere“ unter den Spielern, die dem Team 2022 bei der WM im Wüstenstaat Katar zuerst die „One Love“-Armbinde und schließlich das blamable Aus in der Gruppenphase bescherten, schienen entmachtet. Leon Goretzka: aussortiert. Kapitän Manuel Neuer: verletzt. Ein Neustart ohne Politik und Regenbogen-Fantasien schien möglich. Doch zu früh gefreut! Der von SPD-Mann Bernd Neuendorf geführte DFB grätschte dazwischen.

Momentan ausverkauft: Das umstrittene knallpink-violette Auswärtstrikot des DFB-Teams soll ein Kassenschlager sein. (Foto: Screenshot dfb-fanshop.de)

Das Auswärtstrikot, das man für die Heim-EM entwerfen ließ, erinnert in Knallpink und Lila mehr an ein Werbe-Shirt der Telekom als an ein Dress der deutschen Nationalmannschaft. „Klassisch mal anders“ – so beschreibt der DFB das Adidas-Trikot. Es werde zu 100 Prozent aus recycelten Materialien hergestellt. Dies helfe dabei, „Müll zu reduzieren, unsere Abhängigkeit von nicht erneuerbaren Ressourcen einzuschränken und den CO2-Fußabdruck unserer Produkte zu verringern“. Trotzdem wird das Trikot in Vietnam gefertigt und muss erst um den halben Erdball geschifft werden, bevor es bei den Fans ankommt.

Politisch korrekte Fußball-EM

Hinzu kommt: Keine Europameisterschaft der Vergangenheit war je so politisch wie die in Deutschland. Und damit auch: so politisch korrekt. Dass sie nachhaltig sein soll, ist schon selbstverständlich. Ebenso, dass Russland ausgeschlossen wurde. Bei der EM gehe es aber auch um „Vertretung von Minderheiten, Förderung der Geschlechtergleichstellung und Vorbeugung von Diskriminierung und Rassismus“, stellte voriges Jahr ein Strategie-Papier fest. Auch Unisex-Toiletten und ein veganes Speise-Angebot sah es vor. Kooperieren, hieß es darin, wolle man etwa mit Amnesty International, Migranten-Organisationen, dem Lesben- und Schwulenverband LSVD und den „Queer Football Fans“.

Mittlerweile steht sogar Manuel Neuner wieder im deutschen Tor. Auch wenn er die Spielführer-Binde an Ilkay Gündogan abgeben musste, der ungleich weniger politisch korrekt denkt. Dafür hat Antonio Rüdiger einen Islamismus-Skandal an der Backe. Echte EM-Begeisterung will nicht so recht aufkommen. Ist da ein neues Sommermärchen überhaupt möglich? Ein schwarz-rot-goldenes Fußball-Fest wie bei der Heim-WM 2006? Damals waren die deutschen Farben überall präsent. Die Deutschen konnten unverkrampft ihren Fußball-Patriotismus zeigen. 18 Jahre später gilt schnell als „Rassist“ oder „Nazi“, wer die Farben der deutschen Demokratie zeigt. Völlig widersinnig!

Die radikal-muslimische Gruppe „Generation Islam“ nutzt die umstrittene Geste von DFB-Abwehrspieler Antonio Rüdiger für ihre Zwecke. Der erhobene rechte Zeigefinger soll den Ein-Gott-Glauben der Muslime symbolisieren. Auch militante Islamisten nutzen das Zeichen. (Foto: Screenshot X / @genislam1)

Auch Philosoph Peter Sloterdijk ist in Sachen Sommermärchen pessimistisch: „Märchen dieser Art kann man nicht à la carte bestellen“, sagte er kürzlich. So weit wie 2006, als die deutschen Nationalkicker WM-Dritter wurden und sich von den Fans zum „Weltmeister der Herzen“ küren ließen, werde die Euphorie diesmal nicht gehen. Die identitätsstiftende Wirkung der DFB-Elf von damals gebe es in dieser Form inzwischen nicht mehr, betont Sloterdijk. „Obgleich der Bundestrainer sich außerprotokollarisch auf einer Stufe mit dem Bundespräsidenten befindet“, ergänzt der Philosoph augenzwinkernd.

Gegen deutsche Flaggen

Ja, Deutschland hat ein Identitätsproblem. Ein gewaltiges. Das ist nicht nur ein Gefühl, das lässt sich auch nachweisen. Einer Umfrage zufolge nämlich will ein Viertel der Bevölkerung keine deutschen Flaggen im Stadtbild sehen. Unter den 18- bis 24-Jährigen ist es sogar mehr als die Hälfte. Es ist diese Denke, die deutsche Fußball-Nationalspieler dazu bringt, lieber mit den Farben des Regenbogens aufzulaufen als mit Schwarz-Rot-Gold. Wer sagt, er sei stolz auf sein Land oder seine deutsche Nationalität, schießt sich ins politisch korrekte Abseits.

Bei früheren Turnieren – im Bild bei der WM 2018 in Russland – war der deutsche Fanblock ein schwarz-rot-goldenes Fahnenmeer. Mittlerweile gelten die Farben der deutschen Freiheit und Demokratie politisch korrekten Kreisen fast schon als ungehörig. (Foto: Дмитрий Садовников / CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)

Stattdessen propagieren Politik und Medien permanent ihr Ideal einer möglichst großen Diversität. Eine gemeinsame – und damit: einende! – Identität stört da nur. Es braucht ganz sicher mehr als ein paar Wochen Fußball-EM, um sie wiederzufinden. Aber vielleicht kann das Turnier im eigenen Land zumindest ein wenig von der Magie des Sommermärchens von 2006 zurückbringen. Gemeinsam feiern, einfach mal stolz auf die – hoffentlich guten – Leistungen „unserer“ Mannschaft und Deutschlands Rolle als Gastgeber eines Welt-Ereignisses sein: Das kann nicht verkehrt sein!

Anna Steinkamp

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Wie der Westen die Sowjetunion niederrang

Im Internet macht dieser Tage ein martialisches Zitat die Runde. Es stammt vom ehemaligen Vizekanzler Sigmar Gabriel. „Ich glaube, dass der Konflikt viel größer ist als nur in der Ukraine“, warnte der frühere SPD-Vorsitzende in der ZDF-Talkshow von Maybrit Illner. „Wir sehen, dass Russland schon heute in vielen anderen Regionen der Welt versucht, gegen den Westen anzutreten.“ Deswegen werde man ganz anders als bisher antworten müssen, nicht nur militärisch. „Im Grunde müssen wir die Russen so niederkämpfen, wie das mal mit der Sowjetunion gelungen ist!“

Sigmar Gabriel (vorne, Zweiter von links) im Gespräch mit Russlands Präsident Wladimir Putin. Dieses Bild entstand 2015. Heute fordert Gabriel, die Russen niederzukämpfen wie einst die Sowjetunion. (Foto: Kremlin.ru / CC BY 4.0)

Manch ein Beobachter mag im ersten Moment gemeint haben, Gabriel spiele auf das „Unternehmen Barbarossa“ an. Also auf die Invasion der deutschen Wehrmacht in der Sowjetunion im Sommer 1941, als deutsche Panzer gen Osten rollten. Dieser Angriff aber ging bekanntermaßen gewaltig schief. Und endete letztlich mit dem Untergang des Nazi-Regimes und der Spaltung Deutschlands. Das kann Gabriel unmöglich gemeint haben. Hat er auch nicht. Nein, Gabriel sprach vom Untergang der Sowjetunion Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre.

Aber welche Rolle spielte der Westen dabei? War wirklich er es, der das rote Riesenreich „niederkämpfte“? In der gängigen Vorstellung kollabierte der Ostblock aufgrund der Unzulänglichkeiten seines sozialistischen Wirtschaftssystems. Und nicht zuletzt aufgrund der herrschenden Unfreiheit, die immer mehr Menschen dazu bewegte, sich gegen das starre politische System aufzulehnen. Mancher schreibt sogar dem polnischen Papst Johannes Paul II. eine gewisse Rolle zu. Weil der sich auf die Seite der antikommunistischen polnischen Gewerkschaft Solidarność gestellt habe.

Niedergang des Sowjet-Imperiums

Ein Blick in die Details der Geschichte verrät: Der US-geführte Westen hatte trotz aller Entspannungspolitik tatsächlich einen gar nicht geringen Anteil am Niedergang des sowjetischen Imperiums. Er stellte sich ihm vor allem politisch entgegen, aber in nicht zu unterschätzendem Ausmaß auch wirtschaftlich. Der Westen trieb zwar Handel mit den Ostblock-Staaten, erhielt etwa russisches Erdgas geliefert. Zugleich sorgten aber westlicher Boykott und Embargos dafür, dass die Möglichkeiten der sozialistischen Staaten auf dem Weltmarkt deutlich eingeschränkt waren.

Beispiel: Mikroelektronik. Allen voran die DDR erkannte früh das Potenzial der Computer-Technik. Im sozialistischen Teil Deutschlands stellten mehrere volkseigene Betriebe nahezu alles im eigenen Land her, was für eine moderne Büro-Ausstattung und für die Automatisierung der Wirtschaft nötig war. Bis hin zum Industrie-Roboter „Made in GDR“. Da auf Mikroelektronik ein westliches Embargo herrschte, konnte der Arbeiter- und Bauern-Staat aber nicht einfach westliche Technik verbauen. Er musste auch die Komponenten selbst herstellen.

Der in Dresden entwickelte 1-Megabit-Speicherchip U 61000 war ein Meilenstein für die Computer-Technik der sozialistischen Staaten. Der Westen war ihm allerdings rund vier Jahre voraus. (Foto: Bundesarchiv / Bild 183-1989-0313-123 / CC-BY-SA 3.0 DE)

So entstand in der DDR eine für Ostblock-Verhältnisse äußerst fortschrittliche IT-Produktion. Während sich die sowjetischen Genossen ihre Chips meist illegal aus dem Westen besorgten und dann nachbauten, hatten die Techniker im VEB Forschungszentrum Mikroelektronik Dresden (ZMD) dies nicht mehr nötig. Trotzdem herrschte in der DDR verglichen mit dem Westen ein technologischer Rückstand von mehreren Jahren. Als das ZMD 1988 den 1-Megabit-Chip U61000 vorstellte, feierte die DDR dies als großen Wurf. In den USA dagegen war jener Stand der Technik schon 1984 erreicht.

Militärisch gegen die Sowjetunion

Damit nicht genug. Auch militärisch ging der Westen gegen die Sowjetunion vor. Wenn auch nur indirekt. 1979 marschierten sowjetische Truppen in Afghanistan ein. Dort hatten sich im Vorjahr „nationaldemokratische“ Kräfte an die Macht geputscht. Unter Nur Muhammad Taraki, dem Vorsitzenden des Revolutionsrates, näherte sich das Land der Sowjetunion an. Gewaltakte gegen die alte Oberschicht und vor allem die strenge Säkularisierung, die die neuen Machthaber durchzusetzen versuchten, trafen auf wachsenden Widerstand seitens traditionalistisch-konservativer Strukturen in der Bevölkerung.

Taraki bat die Sowjetunion um Militärhilfe. Der Kreml lehnte zunächst ab. 1979 verschärften sich die Spannungen auch innerhalb der neuen Führungsriege des nun Demokratische Republik Afghanistan genannten Staates. Hafizullah Amin, seit März 1979 Ministerpräsident und als Chef der Geheimpolizei Haupt-Verantwortlicher des Terrors, zwang Taraki zum Rücktritt und ließ ihn ermorden. Im Kreml befürchtete man, Amin könnte NATO-Truppen ins Land holen. Also beschloss Moskau einzugreifen. Bei der Erstürmung des Tajbeg-Palasts südlich von Kabul durch sowjetische Spezialkräfte fand Amin den Tod.

Der Tajbeg-Palast südlich von Kabul. Hier töteten sowjetische Spezialkräfte den afghanischen Machthaber Hafizullah Amin. (Foto: Tracy Hunter from Kabul / CC BY 2.0)
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Klima-Geschichte(n) und ein vergessener Vulkan

„So heiß wie seit mindestens 125.000 Jahren nicht“, titelt die Tagesschau. Gemeint ist damit eine Schätzung (!) des europäischen Klimawandeldiensts „Copernicus Climate Change Service“, wonach der vergangene Oktober weltweit im Schnitt 1,7 Grad wärmer war als vor Beginn der Industrialisierung. „Der Rekord wurde um 0,4 Grad Celsius gebrochen, was eine enorme Marge ist“, sagt Samantha Burgess, die stellvertretende Copernicus-Direktorin. An der Meeresoberfläche seien so hohe Temperaturen gemessen worden wie noch nie in einem Oktober.

Die Erde brennt: So in etwa stellen sich manche Menschen die „Klimahölle“ vor, in die sich der Planet nach Ansicht mancher Panikmacher durch die globale Erwärmung verwandelt. (Foto: Pixabay)

Schon im Juni hat die Erde erstmals im Sommer die Schwelle eines 1,5-Grad-Temperaturanstiegs gegenüber dem 19. Jahrhundert überschritten. Diese Schwelle, erläuterte damals der „Focus“, „ist deshalb bedeutsam, weil sich die Weltgemeinschaft bei der Pariser Klimakonferenz im Jahr 2015 darauf geeinigt habe, die Erderwärmung bis zum Jahr 2100 auf maximal 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen“.

Umstrittene Interpretation

Bei Copernicus geht man noch weit über solche Aussagen hinaus. Und das, obwohl der EU-Einrichtung lediglich Wetterdaten seit den 1940er Jahren vorliegen. „Wenn wir unsere Daten mit denen des IPCC kombinieren, können wir sagen, dass dies das wärmste Jahr der vergangenen 125.000 Jahre ist“, meint Vize-Direktorin Burgess. Der sogenannte „Weltklimarat“ IPCC greift laut der Erläuterung im Tagesschau-Beitrag auf Messwerte zurück, die auf der Auswertung von Eisbohrkernen, Baumringen und Korallen-Ablagerungen basieren. Genau deren Interpretation ist aber umstritten.

Seit Beginn der Industrialisierung steigen die globalen Temperaturen. Dem gängigen politisch-medialen Narrativ zufolge ist dies im Wesentlichen menschengemacht und liegt am steigenden Anteil des Kohlendioxids in der Atmosphäre. (Foto: gemeinfrei)

Andere Forscher gehen davon aus, dass der Nullpunkt der Klima-Diskussion, also der Beginn der Industrialisierung, der kälteste Zeitpunkt der zurückliegenden 10.000 Jahre ist. Seit Ende der letzten großen Eiszeit. Soweit muss man freilich nicht gehen. In jedem Fall aber liegt jener Bezugspunkt am Ende der sogenannten „Kleinen Eiszeit“. Sie dauerte mit wechselnder Intensität vom ausgehenden Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert hinein an. Die Temperaturen lagen damals merklich unter denen des 20. Jahrhunderts, aber auch unter denen früherer Epochen wie Hochmittelalter oder klassische Antike.

Der Mensch ist schuld

Schuld an den vermeintlichen oder tatsächlichen Temperatur-Rekorden des Jahres 2023 sind laut dem Tagesschau-Beitrag – wie könnte es anders sein – die Kohlendioxid-Emissionen des Menschen. Dazu passend liefert ein zweiter Beitrag sogleich eine weitere Anklage an die Adresse der Befürworter fossiler Brennstoffe. Das Ziel der Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad sei „mit den geplanten Fördermengen an Kohle, Öl und Gas kaum zu erreichen“, heißt es mit Verweis auf einen Bericht des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP). Die globale Öl- und Gasförderung verschärfe die Klimakrise.

Bilder des Wettersatelliten GOES-17 zeigen den Ausbruch des Hunga Tonga am Abend des 15. Januar 2022. Die Einzelbilder wurden in einem Abstand von rund 30 Sekunden aufgenommen. (Foto: U.S. National Oceanic and Atmospheric Administration)

Kein Wort liest man dagegen vom untermeerischen Vulkan Hunga Tonga-Hunga Ha’apai im Pazifik. Dessen Mega-Eruption im Januar 2022 löste nicht nur einen Tsunami aus, verwüstete den Insel-Staat Tonga und störte die Satelliten-Kommunikation. Sie schleuderte auch enorme Mengen an Wasserdampf in die Atmosphäre. Der Ausbruch war nach Analysen von Vulkanologen eine der stärksten jemals gemessenen Eruptionen. Die Explosionsstärke war weit stärker als alle jemals durchgeführten Kernwaffentests und in etwa vergleichbar mit dem Ausbruch des Krakatau 1883. Jene Groß-Eruption führte auf der Nordhalbkugel zu einer um etwa 0,5 bis 0,8 Grad kühleren Temperatur.

Untypisch für einen Vulkan

Anders der Hunga Tonga. Experten zufolge erhöht die enorme Menge des in die Atmosphäre geschleuderten Wasserdampfs die globalen Temperaturen auf Jahre hinaus. Zwei Wochen nach der Eruption überwog der das Klima erwärmende Effekt der mehr als 100 Megatonnen Wasserdampf in der Stratosphäre den kühlenden Effekt der Schwefelaerosole. Eine Studie kam 2023 zu dem Schluss, dass der Wasserdampf „vermutlich und für einen großen Vulkanausbruch untypisch“ zu einem vorübergehenden globalen Temperaturanstieg führen werde. Auf mehr als 1,5 Grad gegenüber dem Beginn der Industrialisierung. 

Die Aschewolke vom Ausbruch des Hunga Tonga verdunkelt am 16. Januar 2022 Teile der Erdatmosphäre. Ausgenommen wurde das Bild von der Raumstation ISS. (Foto: NASA/Kayla Barron)

Andere Wissenschaftler meinen zwar, das der abkühlende Effekt der Aerosole überwogen und im Sommer 2022 sogar eine leichte Abkühlung verursacht habe. Die Gesamtmenge an Schwefeldioxid aber, die durch die Eruption in die Atmosphäre gelangte, wird auf nur 0,4 Megatonnen geschätzt. Ein fühlbarer Einfluss auf das Klima wäre laut Atmosphären-Forschern aber erst ab fünf Megatonnen zu erwarten. „Was die wahrscheinlichen Auswirkungen auf das Klima betrifft“, sei der Ausbruch des Hunga Tonga „einem Dutzend anderer Eruptionen in den letzten 20 Jahren nicht unähnlich“, erklärt Brian Toon von der University of Colorado.

Mehr Extrem-Wetter?

Davon liest man bei der Tagesschau nichts. Stattdessen dies: „Der Klimawandel führt zu Extremereignissen.“ Dazu gehörten laut dem Flaggschiff der öffentlich-rechtlichen Nachrichten-Vermittlung in diesem Jahr Überschwemmungen in Libyen, die Tausende Menschen töteten, heftige Hitzewellen in Südamerika und die schlimmste Waldbrandsaison, die Kanada je erlebt hat. Die tödlichen Fluten wurden indes nicht durch den Klimawandel oder steigende Temperaturen ausgelöst. Sondern durch den Bruch zweier veralteter Staudämme, deren mangelnde Widerstandskraft gegen Hochwasser Experten bekannt war und die zudem nur unzureichend gewartet wurden.

Die Fluten in Libyen hinterließen zahlreiche zerstörte Gebäude. (Foto: Mchs.gov.ru / CC BY 4.0 via Wikimedia Commons)

Auch verursacht eine mögliche Erderwärmung keine Waldbrände. Auch wenn dies gut ins medial transportierte Bild von der Klima-Hölle passen würde. Bestenfalls können Dürre und Trockenheit dazu beitragen, dass ein entstandener Brand mehr Nahrung erhält. Grund für die teils verheerenden Feuer aber ist nicht das steigende Thermometer. Sondern meist Brandstiftung oder Fahrlässigkeit. Belege dafür gibt es zuhauf. Insbesondere aus den europäischen Waldbrand-Gebieten. Das aber erfährt der durchschnittliche Tagesschau-Leser bestenfalls im Kleingedruckten.

Thomas Wolf

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Brandmauer gegen Rechts ist gescheitert

Die Alternative für Deutschland ist kein ostdeutsches Phänomen mehr. Die Partei, der Kritiker „Rechtspopulismus“ bis hin zu „Rechtsextremismus“ vorwerfen, hat bei den jüngsten Wahlen in Hessen und Bayern bewiesen: Mit ihr ist auch im Westen zu rechnen. 14,6 Prozent erreichte die AfD am Sonntag bei der Landtagswahl im Freistaat. In Hessen sind es sogar 18,4 Prozent. Und damit merklich mehr als die 15 oder 16 Prozent, bei denen die Partei laut Umfragen kurz vor dem Urnengang lag.

Im Osten stärkste Kraft

Natürlich ist das noch weit entfernt von den Umfragewerten in den ost- und mitteldeutschen Ländern. Dort liegt die AfD teils bei weit über 30 Prozent. In Thüringen und Sachsen ist die Alternative mit Abstand stärkste Kraft in den Umfragen. Bayern und Hessen deuten nun an, dass das Potenzial der AfD auch im Westen längst nicht ausgeschöpft ist. Wenn die politische und die wirtschaftliche Krise, in der die Bundesrepublik steckt, anhält oder sich sogar noch verschärft, könnten immer mehr Menschen ihr Kreuz bei den „Rechtspopulisten“ um Alice Weidel und Tino Chrupalla machen.

Alice Weidel steht gemeinsam mit Tino Chrupalla an der Spitze der Alternative für Deutschland. (Foto: AfD)

Das macht die Partei für die etablierte Politik zu einer gefährlichen Konkurrenz. Zum ersten Mal seit ihrer Gründung vor gut zehn Jahren stellt die einstige „Professoren-Partei“ für viele Bürger eine echte Alternative zu CDU, SPD, Grünen und Co. dar. Wie geht die etablierte Politik mit diesem Erfolg um? Die Ausgrenzung der AfD und ihrer Wähler hat offensichtlich keinen Erfolg mehr. Die Alternative für Deutschland wird mittlerweile selbst von Menschen gewählt, die die Partei für rechtsextrem halten. Zugespitzt gesagt also: Die „Brandmauer“ gegen Rechts ist gescheitert.

Trotzdem fällt der etablierten Politik offenbar nichts wirklich Neues ein. Kanzler Olaf Scholz, dessen SPD in Hessen und Bayern historisch schlechte Ergebnisse eingefahren hat, ruft nach dem Erfolg der AfD dazu auf, die Demokratie zu verteidigen. „Die Stimmen, die auf eine rechtspopulistische Partei in Deutschland entfallen sind, müssen uns besorgen“, sagte Scholz zum Abschluss der deutsch-französischen Kabinettsklausur in Hamburg. Auch die Grünen in Bayern, mit 14,4 Prozent hinter der AfD und damit nur auf dem vierten Platz gelandet, fordern einen „Notfallplan für die Demokratie“.

Erinnerung an die DDR

Die AfD-nahe Desiderius-Erasmus-Stiftung soll keine öffentlichen Gelder mehr bekommen, hört man. Und Alt-Bundespräsident Joachim Gauck plädiert für ein breites Bündnis gegen die AfD, das Kritiker an die einstige Nationale Front der DDR erinnert. Man müsse der Alternative für Deutschland das klare Signal aussenden, dass sie niemals an die Macht kommen werde, sagte Gauck dem „Stern“. Sollte die AfD nach den Landtagswahlen im kommenden Jahr im Osten Deutschlands vorne liegen, müssten sich „alle demokratischen Parteien“ zusammentun: „von der CDU bis zur Linken“.

Ex-Bundespräsident Joachim Gauck. Er fordert ein breites Bündnis gegen die AfD: von der CDU bis zur Linkspartei. (Foto: © Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

Auch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidenten Hendrik Wüst (CDU) hat offensichtlich nichts gelernt. Er nennt die AfD eine „Nazipartei“. Er könne jeden Wähler, der mit der Politik der Ampel-Koalition oder der CDU unzufrieden ist, „nur warnen, diese Menschen zu wählen, diese Partei zu wählen“, sagte Wüst gestern. Björn Höcke, die der als Merkel-nah geltende CDU-Politiker als prägende Figur der Partei begreift, dürfe als „Faschist“ und als „Nazi“ bezeichnet werden. „Wenn die prägende Figur einer Partei ein Nazi ist, ist es eine Nazipartei“, sagte Wüst. „Mit denen geht gar nichts.“

AfD verächtlich machen

In einem Offenen Brief zum Ausgang der Wahlen in Bayern und Hessen, den Karin Zimmermann an die „Damen und Herren Politiker*innen“ der „Altparteien“ geschrieben hat, liest man: Die Wahlergebnisse „und die anschließend durch Ihre Honoratioren erfolgten Äußerungen“ zeigten, „dass Sie noch immer nicht verstanden haben, dass die von Ihnen seit zehn Jahren von Merkel begonnene Politik der Ausgrenzung, Verächtlichmachung, Kriminalisierung der AfD nicht zu dem beabsichtigten Ziel führt, sondern das Gegenteil bewirkt.“ Jenes Ziel sieht die Autorin in der möglichst vollständigen Eliminierung der unliebsamen Partei.

„Nehmen Sie zur Kenntnis, dass es im politischen Spektrum nicht nur linke und mittlere, sondern auch rechtsorientierte Auffassungen geben muss und geben wird“, schreibt Zimmermann. Und weist auf den elementaren Unterschied zwischen rechtsradikal und rechtsextrem hin, der im politisch-medialen Diskurs meist unbeachtet bleibt. „Über den Begriff des Extremismus besteht oft Unklarheit. Zu Unrecht wird er häufig mit Radikalismus gleichgesetzt“, heißt es vom Bundesamt für Verfassungsschutz.

Ein Aufmarsch von Rechtsextremisten in München. Der Unterschied zu Rechten oder Rechtsradikalen ist elementar. (Foto: Rufus46/CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)

„Rechtsextremisten lehnen die freiheitliche demokratische Grundordnung ab und wollen – auch unter Anwendung von Gewalt – ein autoritäres oder gar totalitäres staatliches System errichten“, definiert die Bundeszentrale für politische Bildung. Dagegen haben radikale politische Auffassungen „in unserer pluralistischen Gesellschaftsordnung ihren legitimen Platz“. Wer radikale Vorstellungen umsetzen will, „muss nicht befürchten, dass er vom Verfassungsschutz beobachtet wird; jedenfalls nicht, solange er die Grundprinzipien unserer Verfassungsordnung anerkennt“.

Fairness für die AfD

Der Bürger, meint Zimmermann, beginne zu merken, dass Äußerungen gegen die AfD reines Politiker-Geschwätz ohne Inhalt sind. Eine inhaltliche Auseinandersetzung finde nicht statt. Statt immer nur laut dazwischen zu schreien, wenn ein AfD-Vertreter im Bundestag spricht, sollte der politische Gegner besser einmal das Grundsatzprogramm der AfD lesen, fordert Zimmermann. „Jede Wette: Die meisten von Ihnen haben das bisher nicht getan.“ Weiter fordert sie: „Begegnen Sie der AfD mit Fairness. Die AfD ist eine von vielen Bürgern demokratisch gewählte Partei.“ Wahlergebnisse als freie Willensbekundungen des Souveräns, heißt es in dem Offenen Brief weiter, müssten respektiert werden.

„Wenn Sie nicht bemerken, dass ihre bisherige Politik gegenüber der AfD falsch ist und nachhaltig geändert werden muss, wird sich die jetzt sichtbare Entwicklung fortsetzen“, vermutet die Autorin. Dies dauere so lange an, bis die Politiker der etablierten Parteien verstanden haben, dass sie es sind, die sich ändern müssen, „um nicht im Abseits zu landen“.

Thomas Wolf