Auf den ersten Blick sieht man den Deutschen ihre revolutionäre Ader nicht an. Wer an historische Umwälzungen denkt, denkt weit eher an Frankreich oder Amerika. An den französischen Sturm auf die Bastille und den Sturz des Königs 1789 und den Krieg der Amerikaner gegen die britische Kolonialmacht 1776. Aber die Deutschen? Sie entpuppten sich nicht zuletzt während der Corona-Pandemie mehrheitlich als brave Untertanen, die Politik und Medienberichte nicht in Frage stellten. Jede Einschränkung ihrer Freiheit, jede Ausgrenzung nahmen sie hin. Die Kritik an Impf-Kampagne und drohender Impfpflicht blieb verhalten.
Nur kurzzeitig erfolgreich
Doch dieser erste Eindruck täuscht. Wer genauer hinsieht, erkennt auch in der deutschen Geschichte eine unübersehbare revolutionäre Tendenz. War nicht die Friedliche Revolution der Ostdeutschen gegen die SED-Herrschaft 1989 auch eine Revolution? Ganz zu schweigen von der demokratischen Volkserhebung der Deutschen 1848, die – wenn auch nur kurzzeitig erfolgreich – zum ersten deutschen Nationalstaat und zur ersten deutschlandweiten demokratischen Wahl führte.

Just damals, vor dem noch frischen Eindruck der Revolution von 1848, schrieb der kommunistische Vordenker Friedrich Engels: „Auch das deutsche Volk hat seine revolutionäre Tradition. Es gab eine Zeit, wo Deutschland Charaktere hervorbrachte, die sich den besten Leuten der Revolutionen anderer Länder an die Seite stellen können.“ Gemeint ist der Deutsche Bauernkrieg, der 1524 begann und dessen Nachwehen bis 1526 dauerten. Engels nannte die Erhebung vor 500 Jahren den „großartigsten Revolutionsversuch des deutschen Volkes“.
Der Journalist Christian Pantle spricht vom „größten Volksaufstand, den Europa bis zur Französischen Revolution 1789 erlebt“ habe. Historiker schätzen, dass sich damals 200.000 Menschen gegen Willkür, Ungerechtigkeit und drückende Adelsherrschaft erhoben. Klingt nicht übertrieben viel. Aber: Im deutschen Südwesten, dort, wo der Aufstand seinen Anfang nahm, soll die Mehrheit der waffenfähigen Männer beteiligt gewesen sein. Über Wochen herrschte in den Dörfern und Städten, die der „gemeine Mann“ kontrollierte, das Volk.
Auf dem Weg zur Demokratie
In Memmingen im Allgäu trafen sich im März 1525 Vertreter verschiedener Bauern-Haufen und verabschiedeten die „Zwölf Artikel“ – eine der ältesten Menschenrechts-Erklärungen der Welt. Rund zwei Monate später, am 12. Mai, trat in Heilbronn eine weitere Versammlung revolutionärer Bauern zusammen. Unter Leitung von „Bauernkanzler“ Wendel Hipler sollten die Binnenzölle im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation abgeschafft sowie Münzen, Maße und Gewichte vereinheitlicht werden. Sogar eine neue Verfassungs-Ordnung war im Gespräch. Deutschland schien auf dem Weg zur Demokratie – bis die Revolution von den Heeren des Adels blutig zerschmettert wurde.

Einer, der wie kaum ein Zweiter für den revolutionären Charakter des Bauernkriegs steht, ist der radikale Theologe Thomas Müntzer. Geboren um 1489 in Stolberg im Harz, war er zunächst Mitstreiter Martin Luthers. Doch bald entzweiten sich die beiden Reformatoren. Luther setzte auf die Hilfe des Adels, um seine Ideen eines reformierten Christentums an den Gläubigen zu bringen. Müntzer dagegen setzte ganz auf das Volk. In der DDR wurde er dafür als Nationalheld und Vorläufer des Sozialismus verehrt. Ohnehin traf der Bauernkrieg im Osten Deutschlands, wo man sich gern auf progressive Aspekte der deutschen Geschichte bezog, auf deutlich mehr Interesse als im Westen.
Kriegserklärung an die Fürsten
Seine Kritik an der Obrigkeit brachte Müntzer schnell in Konflikt mit den Mächtigen. In seiner „Fürstenpredigt“, die er am 13. Juli 1524 auf Schloss Allstedt im Süden des heutigen Sachsen-Anhalt hielt, forderte er, die Fürsten müssten das Schwert ergreifen, um die „Gottlosen zu vertilgen“. Stellten sie sich nicht an die Spitze der revolutionären Erhebung, werde ihnen das Schwert genommen. „Die Gewalt soll dem Volk gegeben werden, wenn die Fürsten nicht nach dem Willen Gottes handeln“, kündigte Müntzer an. Sein Landesherr, der sächsische Herzog Johann, musste das als Kriegserklärung verstehen.
Der Prediger floh in die Reichsstadt Mühlhausen in Thüringen und gründete dort den militanten „Ewigen Bund Gottes“. Im Winter 1524 reiste er in den deutschen Südwesten und erlebte dort die Erhebung der Bauern. Zurück in Mühlhausen setzten er und seine Anhänger die reichsstädtische Obrigkeit ab und einen gewählten „Ewigen Rat“ ein, der die Regierungsgeschäfte in der Stadt übernahm. Ähnlich wie die kurzzeitige Herrschaft der Bauern in Süddeutschland hielt auch Müntzers Regiment in Thüringen dem Ansturm des Feindes nicht lange stand.

Schon am 15. Mai 1525, nur drei Tage nach dem Untergang der schwäbischen Bauern in der Schlacht bei Böblingen, unterlagen die Thüringer Bauern, die unter einem weißen Banner mit dem Regenbogen fochten, bei Bad Frankenhausen der Übermacht eines Heeres aus Hessen, Sachsen und Braunschweig. Ironie der Geschichte: Während sich Katholiken und Protestanten in jenen Tagen der Reformation spinnefeind waren, vereinten sich hier die Fürsten verschiedener Konfession, um die Rebellion gemeinsam niederzuschlagen. Der Ort des Gemetzels, dem rund 6000 Bauern zum Opfer fielen, heißt noch heute Schlachtberg.
Müntzer-Ehrung der DDR
Müntzer entkam zunächst, wurde aber schnell gefangen genommen und in Heldrungen auf Befehl des Grafen Ernst von Mansfeld gefoltert. Am 27. Mai 1525 wurde er mit 53 weiteren Revolutionären vor den Toren von Mühlhausen enthauptet, sein Körper zur Abschreckung zur Schau gestellt. 1989, zum vermuteten 500. Ge- burtstag, erinnerte die DDR mit der „Thomas-Müntzer-Ehrung“ an den revolutionären Reformator. Briefmarken wurden gedruckt, Medaillen und Münzen geprägt. Das DDR-Fernsehen strahlte den Film „Ich, Thomas Müntzer, Sichel Gottes“ aus.
Auf dem Schlachtberg entstand im Vorfeld des Müntzer-Jubiläums das Panorama-Museum mit einem monumentalen Rundgemälde in historisierendem Stil. Werner Tübkes „Frühbürgerliche Revolution in Deutschland“ ist 123 Meter breit und 14 Meter hoch. Mehr als 3000 Figuren hat der 2004 verstorbene Künstler der Leipziger Schule dargestellt. Von Bauern und Landsknechten über Engel und Dämonen bis hin zu den Großen der frühen Neuzeit. Den Ehrentitel „Sixtina des Nordens“ brachte das dem Rundbau ein.
Frank Brettemer
