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Der Aufstand des „heiligen Deutschland“

Sein Widerstand war vergebens. Claus Schenk Graf von Stauffenberg wollte Adolf Hitler töten – und scheiterte. Sein Aufstand gegen die nationalsozialistische Herrschaft, die millionenfachen Tod über Europa gebracht und sich der kollektiven Freiheitsberaubung des deutschen Volkes schuldig gemacht hatte, schlug fehl. Nach wenigen Stunden waren die Männer und Frauen, die das Regime stürzen wollten, entwaffnet. Verhaftet. Oder tot. Mindestens 110 Menschen bezahlten ihren Versuch, die NS-Gräuel zu beenden und ein neues, besseres Deutschland zu schaffen, mit dem Leben.

„Hier starben für Deutschland“: Im Berliner Bendlerblock, heute Dienstsitz des Bundesministeriums der Verteidigung, damals Sitz des Befehlshaber des Ersatzheeres, erinnert eine Gedenktafel an Stauffenberg und vier weitere getötete Nazi-Gegner aus der Verschwörergruppe des 20. Juli. (Foto: Michael Klemm / CC BY-SA 3.0)

Wer waren die Helden des 20. Juli 1944? Meist wird der Widerstand um Stauffenberg auf seinen militärischen Kern reduziert. Tatsächlich wurde die Verschwörung vom 20. Juli insbesondere von konservativ denkenden Offizieren der Wehrmacht getragen. Der Kreis ihrer Unterstützer aber ging weit über die führend beteiligten Militärs hinaus. Der Potsdamer Historiker Kurt Finker sprach von den Widerstandskämpfern gegen die Nazis als den „wahren, den besseren Deutschen“. Was waren seine Wurzeln? Was waren die Quellen, die sein revolutionäres Tun speisten?

Wie ein Vermächtnis schleuderte der gescheiterte Hitler-Attentäter in der Nacht auf den 21. Juli 1944 dem Exekutionskommando seine ganze Überzeugung entgegen. „Es lebe das heilige Deutschland“, rief der 36-jährige Oberst Stauffenberg, bevor die Kugeln ihn und drei weitere Verschwörer gegen das NS-Regime auf dem Hof des Berliner Bendlerblocks aus dem Leben rissen. Stauffenberg, Spross eines alten schwäbischen Adelsgeschlechts, war zeitlebens Patriot – und überzeugter Christ.

Braune Terror-Herrschaft

Anfangs hatte Stauffenberg die Machtergreifung Adolf Hitlers noch begrüßt. Doch erkannte er nach Beginn des Zweiten Weltkriegs immer deutlicher den verbrecherischen Charakter der Nazi-Diktatur. Das „heilige Deutschland“, das der Adelige nach dem Sturz Hitlers aufbauen wollte, sollte sich vollkommen von der braunen Terror-Herrschaft unterscheiden. Die Werte des Christentums sollten es maßgeblich prägen. Stauffenberg und seine engsten Mitstreiter waren der Überzeugung, dass „menschliche Existenz auch im Staat ohne Bindung an Göttliches nicht gedeihen“ könne.

Was Stauffenberg vorschwebte, war allerdings kein naives amtskirchliches Idyll mit sonntäglichem Gottesdienst und massivem Priester-Einfluss. „Wir sind nicht das, was man im eigentlichen Sinne Katholiken nennt“, sagte Stauffenbergs Bruder Berthold nach dem Attentat im Verhör der NS-Geheimpolizei Gestapo. „Wir gingen nur selten zur Kirche und nicht zur Beichte. Mein Bruder und ich sind der Meinung, dass aus dem Christentum heraus kaum noch etwas Schöpferisches kommen kann.“ Gemeint war offenbar das amtliche Christentum: die Kirche.

Claus Schenk Graf von Stauffenberg war 36 Jahre alt, als er Hitlers Leben mit einer Bombe im Führerhauptquartier ein Ende setzen wollte. (Foto: Gedenkstätte Deutscher Widerstand)

Stauffenbergs religiöse Versatzstücke hatten eine andere Quelle: den christlich-mystizistischen Dichter Stefan George. Mit ihm waren Claus und seine Brüder Berthold und Alexander bereits in jungen Jahren in Kontakt gekommen. George, dem eine hierarchische Gesellschaft mit einer geistig-seelischen Aristokratie vorschwebte, sammelte nach Ende des Ersten Weltkriegs einen Kreis von „Jüngern“ um sich, um mit ihnen die Grundlagen eines neuen deutschen Staatswesen zu schaffen. Stauffenbergs letzte Worte gehen nach Ansicht vieler Historiker auf Georges Vision eines „heiligen und geistigen Deutschlands“ zurück. Georges Gedicht „Der Widerchrist“ mit seiner eindringlichen Warnung vor dem „Fürst des Geziefers“ bestärkte Stauffenberg im Widerstand.

Attentat abgeblasen

Stauffenberg national-religiöse Prägung war in Widerstandskreisen keine Ausnahme. „Christ sein spielte bei unserem Widerstand eine entscheidende Rolle“, sagte später auch Philipp Freiherr von Boeselager. Er war 1942 zum Widerstand gestoßen, nachdem er von der Ermordung von Juden und Zigeunern erfahren hatte. Im März 1943 stand er selbst dicht davor, Hitler zu töten. Mit entsicherter Pistole saß er dem Diktator gegenüber und wartete auf das verabredete Signal, Hitler und Reichsführer-SS Heinrich Himmler zu erschießen. Doch Himmler erschien nicht und das Attentat wurde abgeblasen.

Boeselager, der erst 2008 starb, erinnerte sich an lebhafte Diskussionen, ob die Ermordung Hitlers mit christlichen Grundsätzen in Einklang zu bringen sei. Henning von Tresckow etwa, einer der führenden Köpfe der geplanten Erhebung, hatte große Bedenken, „einen neuen Staat mit dem Unrecht eines Mordes zu beginnen“. Jeder hatte die Tat mit seinem eigenen Gewissen zu vereinbaren. Boeselager wusste um die Verbrechen des Regimes und verweigerte sich dem gewaltsamen Umsturz nicht. Er besorgte den Sprengstoff, den Stauffenberg am 20. Juli 1944 um 12.42 Uhr in Hitlers Hauptquartier Wolfsschanze in Ostpreußen zur Explosion brachte.

Das vermutlich letzte Bild, das Stauffenberg (ganz links im Profil) lebend zeigt: Der spätere Attentäter am 15. Juli 1944 bei Adolf Hitler in der Wolfsschanze.
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Worum es beim Ukraine-Krieg wirklich geht

Glaubt man dem politischen und medialen Mainstream, so hat im Februar 2022 ein aggressiv-nationalistisches Regime in Gestalt der Russischen Föderation die friedliebende, demokratische Ukraine überfallen und mit einem Vernichtungskrieg überzogen. Unprovoziert und aus rein imperialistischen Beweggründen. Aber ist das wirklich so?

Buchautor Thomas Mayer stellt das gängige westliche Narrativ in Frage. Mit „Wahrheitssuche im Ukraine-Krieg – Um was es wirklich geht“ hat der gebürtige Allgäuer, der 1988 Mitbegründer von Mehr Demokratie war, für die Einführung von Regionalgeld wirkte und mehrere Volksbegehren begleitete, ein Buch vorgelegt, das hinter die Kulissen der Vorgeschichte des Ukraine-Kriegs blicken will.

Ein zerstörter russischer Panzer aus den ersten Tagen nach Beginn des Krieges. (Foto: Mvs.gov.ua / CC BY 4.0)

„Mich persönlich hat im Februar 2022 die Kriegsbeteiligung Deutschlands im Kern getroffen. Ich bin in dem Selbstverständnis aufgewachsen, von Deutschland darf nie wieder ein Krieg ausgehen. In der Ukraine sterben nun durch die vielen Milliarden Euro, die Waffenlieferungen und die militärische Unterstützung der NATO-Staaten hunderttausende Menschen. Das ist schwer auszuhalten“, beschreibt Mayer seine Beweggründe für das Buch.

Wie ist der Konflikt entstanden?

Er fragte sich: „Wie ist der Konflikt historisch entstanden? Mit welchen Weichenstellungen wurde auf den Krieg hingesteuert? Wie haben die Ukraine, die USA, die NATO und Russland die Eskalations-Spirale angetrieben?“ Im Interview spricht Mayer über seine Erkenntnisse und Einschätzungen.

Herr Mayer, für Ihr Buch haben Sie umfassend zur Vorgeschichte des russischen Einmarschs in der Ukraine geforscht. Was glauben Sie: Worum geht es wirklich in diesem Krieg, der schon über zwei Jahre dauert?

Ich sehe in der Überschau drei Hauptthemen: Erstens geht es darum, die Weltbevölkerung in einem psychologischen Kriegszustand und in Angst zu halten. So sind Menschen lenkbar. Es fällt zum Beispiel auf: Als der Krieg gegen das Corona-Virus an Kraft verlor, begann der Ukraine-Krieg.

USA seit 100 Jahren gegen Russland

Zweitens geht es um die Weltherrschaft der USA. Das geopolitische Interesse der USA ist es seit 100 Jahren zu verhindern, dass Russland sich mit Europa verbindet, damit kein gleichwertiger geopolitischer Konkurrent entsteht. Ich lege in meinem Buch gründlich die Tatsache dar, dass im Ukraine-Krieg nicht Russland der Angreifer war. Stattdessen hat der US-geführte Westen die Ukraine für einen lange vorbereiteten Stellvertreterkrieg gegen Russland missbraucht.

Drittens geht es in der Ukraine den dort regierenden Nationalisten darum, eine ethnisch reine Ukraine zu schaffen auf Kosten der 30 Prozent russisch-verbundener Bevölkerung.

Buchautor Thomas Mayer hinterfragt Russlands Kriegsschuld. (Foto: privat)

Welche Belege haben Sie gefunden, dass der Westen die Ukraine in einen Stellvertreterkrieg getrieben hat, um Russland zu schwächen?

Ich fand sehr viele Belege dafür. Das ist auch ein Grund, warum mein Buch so umfangreich wurde. Historisch betrachtet ist es eine übliche außenpolitische Strategie der USA, regionale Konflikte zu schüren und Stellvertreterkriege anzuzetteln. Die „Rand Corporation“, eine Denkfabrik des Pentagon und des CIA, beschrieb 2019 auf etwa 300 Seiten, was die USA tun sollte, um Russland zu schwächen und zu destabilisieren. Ein Vorschlag war, die
Waffenlieferungen und Militärhilfe für die Ukraine zu verstärken. Der seit 2014 laufende Krieg im Donbass sollte eskalieren, um Russland zu einem kostenreichen Engagement zu zwingen. Dieser Bürgerkrieg begann aufgrund des von den USA unterstützen verfassungswidrigen Maidan-Putsches.

„Es ging nie um die Ukraine“

Wie oft haben wir in den letzten Jahren von NATO-Politikern gehört, dass Russland nicht gewinnen dürfe. Es ging nie um Frieden oder die Ukraine. Unverblümt sprechen US-Militärs, wie zum Beispiel der einflussreiche General Jack Kean, der in einem Interview bei Fox News betonte: „Die Investition der Vereinigten Staaten in die Ukraine ist es wert. Die 66 Milliarden US-Dollar in 2022 sind nur 1,1 Prozent unseres Staatshaushaltes.“ Für 66 Milliarden Dollar erhalte man eine Ukraine, die die „russische Armee auf dem Schlachtfeld buchstäblich vernichtet“. Es ist also für die USA ein preiswerter Krieg. Dass dabei auch hunderttausende Soldaten sterben, spielt keine Rolle.

John M. „Jack“ Keane – hier eine Aufnahme von 1999 – ist ein ehemaliger General der US-Armee, der mittlerweile als TV-Kommentator tätig ist. (Foto: U.S. Army/gemeinfrei)

Sie sprechen ferner von einem psychologischen Kriegszustand, in welchem die Menschen gehalten werden. Was meinen Sie: Von wem – und wieso?

Das ist eine große Frage. Krieg beginnt immer mit Feindbild-Aufbau, Angst-Erzeugung und Massen-Hypnose. Das war auch für diesen nicht erklärten Krieg notwendig, den heute die NATO mit Russland führt. Es gibt verschiedene Akteure und Interessen: die Geopolitik der Weltmacht USA, die Finanzinteressen der Rüstungsindustrie, das Profilierungsinteresse von Politikern und übergreifend im Hintergrund der materialistische Transhumanismus, der Seele und Geist des Menschen leugnet und den Menschen als Maschine sieht, der moralisch von außen gesteuert werden kann.

Lügen und Unwahrheiten

Ein vielzitiertes Sprichwort lautet: „Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit.“ Soll heißen: Propaganda-Lügen bestimmen jeden Krieg. Welche wesentlichen Lügen und Unwahrheiten prägen den Ukraine-Krieg? 

Die wichtigste Unwahrheit ist, dass es ein unmotivierter Angriffskrieg Russlands war. Mit dieser Propagandalüge wurden die immensen Geld- und Waffenlieferungen und der Wirtschaftskrieg und die Sanktionen der Bevölkerung verkauft. Es war aber kein unmotivierter Angriffskrieg Russlands. Ich habe auf 600 Seiten beschrieben, wie Russland vom Westen zum Kriegseintritt gedrängt wurde. Wenn man die Vorgänge genau ansieht, zeigt sich, dass die Ukraine 2014 einen Angriffskrieg gegen die beiden Donbass-Republiken begann. Dem ging der verfassungswidrige Maidan-Putsch voraus, der von NATO-Staaten unterstützt wurde und mit dem Nationalisten in Kiew an die Macht kamen.

Die Proteste des „Euromaidan“ führten zum Sturz der Regierung des ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowytsch. Thomas Mayer spricht von einem Putsch. (Foto: spoilt.exile from Kiev/Ukraine / CC BY-SA 2.0)
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Wie der Westen die Sowjetunion niederrang

Im Internet macht dieser Tage ein martialisches Zitat die Runde. Es stammt vom ehemaligen Vizekanzler Sigmar Gabriel. „Ich glaube, dass der Konflikt viel größer ist als nur in der Ukraine“, warnte der frühere SPD-Vorsitzende in der ZDF-Talkshow von Maybrit Illner. „Wir sehen, dass Russland schon heute in vielen anderen Regionen der Welt versucht, gegen den Westen anzutreten.“ Deswegen werde man ganz anders als bisher antworten müssen, nicht nur militärisch. „Im Grunde müssen wir die Russen so niederkämpfen, wie das mal mit der Sowjetunion gelungen ist!“

Sigmar Gabriel (vorne, Zweiter von links) im Gespräch mit Russlands Präsident Wladimir Putin. Dieses Bild entstand 2015. Heute fordert Gabriel, die Russen niederzukämpfen wie einst die Sowjetunion. (Foto: Kremlin.ru / CC BY 4.0)

Manch ein Beobachter mag im ersten Moment gemeint haben, Gabriel spiele auf das „Unternehmen Barbarossa“ an. Also auf die Invasion der deutschen Wehrmacht in der Sowjetunion im Sommer 1941, als deutsche Panzer gen Osten rollten. Dieser Angriff aber ging bekanntermaßen gewaltig schief. Und endete letztlich mit dem Untergang des Nazi-Regimes und der Spaltung Deutschlands. Das kann Gabriel unmöglich gemeint haben. Hat er auch nicht. Nein, Gabriel sprach vom Untergang der Sowjetunion Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre.

Aber welche Rolle spielte der Westen dabei? War wirklich er es, der das rote Riesenreich „niederkämpfte“? In der gängigen Vorstellung kollabierte der Ostblock aufgrund der Unzulänglichkeiten seines sozialistischen Wirtschaftssystems. Und nicht zuletzt aufgrund der herrschenden Unfreiheit, die immer mehr Menschen dazu bewegte, sich gegen das starre politische System aufzulehnen. Mancher schreibt sogar dem polnischen Papst Johannes Paul II. eine gewisse Rolle zu. Weil der sich auf die Seite der antikommunistischen polnischen Gewerkschaft Solidarność gestellt habe.

Niedergang des Sowjet-Imperiums

Ein Blick in die Details der Geschichte verrät: Der US-geführte Westen hatte trotz aller Entspannungspolitik tatsächlich einen gar nicht geringen Anteil am Niedergang des sowjetischen Imperiums. Er stellte sich ihm vor allem politisch entgegen, aber in nicht zu unterschätzendem Ausmaß auch wirtschaftlich. Der Westen trieb zwar Handel mit den Ostblock-Staaten, erhielt etwa russisches Erdgas geliefert. Zugleich sorgten aber westlicher Boykott und Embargos dafür, dass die Möglichkeiten der sozialistischen Staaten auf dem Weltmarkt deutlich eingeschränkt waren.

Beispiel: Mikroelektronik. Allen voran die DDR erkannte früh das Potenzial der Computer-Technik. Im sozialistischen Teil Deutschlands stellten mehrere volkseigene Betriebe nahezu alles im eigenen Land her, was für eine moderne Büro-Ausstattung und für die Automatisierung der Wirtschaft nötig war. Bis hin zum Industrie-Roboter „Made in GDR“. Da auf Mikroelektronik ein westliches Embargo herrschte, konnte der Arbeiter- und Bauern-Staat aber nicht einfach westliche Technik verbauen. Er musste auch die Komponenten selbst herstellen.

Der in Dresden entwickelte 1-Megabit-Speicherchip U 61000 war ein Meilenstein für die Computer-Technik der sozialistischen Staaten. Der Westen war ihm allerdings rund vier Jahre voraus. (Foto: Bundesarchiv / Bild 183-1989-0313-123 / CC-BY-SA 3.0 DE)

So entstand in der DDR eine für Ostblock-Verhältnisse äußerst fortschrittliche IT-Produktion. Während sich die sowjetischen Genossen ihre Chips meist illegal aus dem Westen besorgten und dann nachbauten, hatten die Techniker im VEB Forschungszentrum Mikroelektronik Dresden (ZMD) dies nicht mehr nötig. Trotzdem herrschte in der DDR verglichen mit dem Westen ein technologischer Rückstand von mehreren Jahren. Als das ZMD 1988 den 1-Megabit-Chip U61000 vorstellte, feierte die DDR dies als großen Wurf. In den USA dagegen war jener Stand der Technik schon 1984 erreicht.

Militärisch gegen die Sowjetunion

Damit nicht genug. Auch militärisch ging der Westen gegen die Sowjetunion vor. Wenn auch nur indirekt. 1979 marschierten sowjetische Truppen in Afghanistan ein. Dort hatten sich im Vorjahr „nationaldemokratische“ Kräfte an die Macht geputscht. Unter Nur Muhammad Taraki, dem Vorsitzenden des Revolutionsrates, näherte sich das Land der Sowjetunion an. Gewaltakte gegen die alte Oberschicht und vor allem die strenge Säkularisierung, die die neuen Machthaber durchzusetzen versuchten, trafen auf wachsenden Widerstand seitens traditionalistisch-konservativer Strukturen in der Bevölkerung.

Taraki bat die Sowjetunion um Militärhilfe. Der Kreml lehnte zunächst ab. 1979 verschärften sich die Spannungen auch innerhalb der neuen Führungsriege des nun Demokratische Republik Afghanistan genannten Staates. Hafizullah Amin, seit März 1979 Ministerpräsident und als Chef der Geheimpolizei Haupt-Verantwortlicher des Terrors, zwang Taraki zum Rücktritt und ließ ihn ermorden. Im Kreml befürchtete man, Amin könnte NATO-Truppen ins Land holen. Also beschloss Moskau einzugreifen. Bei der Erstürmung des Tajbeg-Palasts südlich von Kabul durch sowjetische Spezialkräfte fand Amin den Tod.

Der Tajbeg-Palast südlich von Kabul. Hier töteten sowjetische Spezialkräfte den afghanischen Machthaber Hafizullah Amin. (Foto: Tracy Hunter from Kabul / CC BY 2.0)
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Die Deutschen flüchten vor der Realität

Die Deutschen ziehen sich angesichts der zahlreichen Krisen der Gegenwart ins Private zurück. Das ist das Ergebnis einer tiefenpsychologischen Studie und einer repräsentativen Umfrage des Kölner Rheingold-Instituts im Auftrag der Düsseldorfer Identity Foundation, einer gemeinnützigen Stiftung für Philosophie. Die Erkenntnisse der Studie könne man als dramatisch bezeichnen, sagt Paul J. Kohtes, Gründer und Vorsitzender der Identity Foundation. Eine tiefe Resignation bedrohe unser nationales Zusammenleben. „Wir sehen zu, wie ein ganzes Land vor der Wirklichkeit in Deckung geht, während sich die Verantwortlichen in der Berliner Politik in klein-klein verheddern.“

Zwischen Klimawandel und Krieg

„Festgefahren zwischen Klimawandel und Krieg ist ein Großteil der Bevölkerung mit Blick auf Politik und Gesellschaft desillusioniert und reagiert auf die gespürte Aussichtslosigkeit mit einer Flucht ins private Glück“, heißt es von der Stiftung. Die große Mehrheit der Menschen in Deutschland, ergab die Befragung von 1000 repräsentativ ausgewählten Teilnehmern im Juni, hat kein Interesse mehr an Nachrichten und kein Vertrauen in die Politik. Um die allgegenwärtigen Krisen zu verdrängen, ziehen sich die Deutschen demnach in ein „wehrhaftes Schneckenhaus“ zurück. Zuversicht finden die Menschen im privaten Umfeld. Mit Blick auf Politik und Weltgeschehen herrsche dagegen eine „diffuse Endzeit- und Einbruchsstimmung“.

Die eigenen vier Wände werden für Millionen Deutsche zunehmend zum wichtigsten Bezugspunkt. Mit Politik und Weltgeschehen möchten viele nichts mehr zu tun haben. (Foto: Pixabay)

„Die Wucht der Krisen ist für die Menschen schwer auszuhalten“, liest man in den Ergebnissen der Studie, die mit „Deutschland auf der Flucht vor der Wirklichkeit“ überschrieben ist. „Durch die starke Verdrängung werden sich die Themen nicht konsequent vor Augen geführt und verlieren ihre Wucht.“ Ob vermeintlich drohende Klima-Katastrophe, der anhaltende Krieg in der Ukraine, die daraus resultierende Energie-Krise, die Talfahrt der deutschen Wirtschaft oder politische Radikalisierung – viele Deutsche erleben die Situation um sich herum als angespannt und feindselig. „Für viele wird mehr Aggressivität im Miteinander spürbar.“ Von dem Gefühl von Gemeinschaft und gegenseitiger Unterstützung „wie in den Anfängen der Corona-Zeit“ sei kaum etwas geblieben.

Gefahr für die Demokratie

Vielen der Befragten drängen sich Ohnmachtsgefühle auf. Darunter leidet auch das Vertrauen in die Demokratie. „Die aktuellen Herausforderungen werden als so groß und schwierig empfunden, dass in Frage gestellt wird, ob unsere Demokratie diesen standhalten kann“, fassen die Macher der Studie zusammen. Es bestehe die Angst, dass diktatorische Strukturen sich etablieren und das demokratische Wertesystem verloren geht. „Politische Radikalisierungen von rechts und links werden mit Sorge beobachtet. Der Wille zu Kompromissen fehlt, wodurch das Gefühl der Spaltung weiter wächst.“

Um ihr Heim in eine Wohlfühloase zu verwandeln, in der man Ruhe vor politischen Nachrichten hat, packen die Deutschen tatkräftig an. Mehr als 90 Prozent denken ans Renovieren oder zumindest ans Aufräumen. (Foto: Pixabay)

Der Rückzug ins Private geht den Erkenntnissen des Forscher-Teams um Anna Brand mit der Schaffung von Wohlfühloasen einher. 93 Prozent der Menschen verschönern demnach das eigene Zuhause, räumen auf, dekorieren, renovieren. 76 Prozent gehen auf Reisen, um so gewissermaßen dem tristen Alltag entfliehen zu können. Immerhin noch 56 Prozent der Befragten denken darüber nach, Deutschland zu verlassen und sich in einem anderen Land anzusiedeln. „Auch die Natur dient als Rückzugsort, in der Ruhe und Trost vom Alltag erfahren wird.“

Freunde geben Zuversicht

Gleichzeitig finden die Deutschen in „engen sozialen Kreise aus Gleichgesinnten“ Halt. „Meine Freunde geben mir viel Zuversicht. Wenn wir uns am Wochenende treffen und etwas trinken gehen, dann haben wir einfach nur Spaß. Da gibt es dann keine schlechten Nachrichten und man denkt, irgendwie wird das schon alles werden“, zitiert die Studie den 29-jährigen Thomas. Der 49-jährigen Anja bietet die Familie Stabilität in herausfordernden Zeiten. „In meiner kleinen Familie tanke ich auf. Da habe ich Gefühle von Rückhalt und Verlässlichkeit. Es ist ein schönes Gefühl, zusammen Dinge durchzustehen, auch wenn die Zeiten schwieriger sind.“

1848 wurde der Drang zur Freiheit für die Deutschen unerträglich. Sie wehrten sich gewaltsam gegen die Willkür der Fürsten. (Foto: gemeinfrei)

Dass die Deutschen sich ins Private zurückziehen, ist keine neue Entwicklung. In Krisenzeiten war dies immer wieder der Fall. Klassisches Beispiel ist die Epoche des Biedermeier. Der Begriff bezeichnet die Zeit nach dem Ende des Wiener Kongresses 1815, der Europa nach dem Sieg über Napoleon neu ordnete. Der nationale Befreiungskampf des deutschen Volkes gegen die französische Fremdherrschaft war von Erfolg gekrönt. Viele erhofften sich nun einen politischen Neuanfang in einem freien und geeinten Deutschland. Ihre Hoffnung wurde enttäuscht. Auf dem Kongress setzte sich die konservative Reaktion der Fürsten durch.

Rigides Polizei-System

Statt Einheit, Freiheit und Demokratie bekam das Land den Deutschen Bund als lockere Vereinigung der Fürstentümer und freien Städte. Und statt Meinungs- und Pressefreiheit etablierte die Obrigkeit ein rigides Spitzel- und Polizei-System. Wer sich gegen die Herrschaft der Fürsten auflehnte, wer Grundrechte und nationale Einheit forderte, dem drohten lange Haftstrafen. Statt sich dieser Gefahr auszusetzen, zogen sich die meisten Deutschen in den Schutz ihres Häuschens oder der Natur zurück. Erst 1848 erhoben sich die nach Freiheit verlangenden Massen unter den deutschen Farben Schwarz-Rot-Gold und erkämpften die erste gesamtdeutsche demokratische Verfassung.

Nicht nur die Biedermeier-Epoche, den sogenannten Vormärz, zeichnet ein Rückzug ins Private aus. Auch in der DDR waren Repression und SED-Parteilinie besser zu ertragen, wenn man sich nicht politisch äußerte. In besonderem Maße gilt das für die zwölf Jahre der nationalsozialistischen Diktatur. Der Rückzug ins Private, in die eigenen vier Wände, in die Familie, war die einzige Möglichkeit des Widerstands gegen die zunehmend radikale Ideologie und brutale Gewaltherrschaft. Sich der verordneten „Volksgemeinschaft“ verweigern, ohne offen dagegen zu sein. Mehr Widerspruch gegen die braunen Herren wäre ohne Lebensgefahr kaum möglich gewesen.

Der Münchner Bürgerbräukeller am Tag nach dem Anschlag vom 8. November 1939. Weil Adolf Hitler die Veranstaltung früher als geplant verließ, entging der NS-„Führer“ dem Attentat. (Foto: Bundesarchiv / Bild 183-E12329 / Wagner / CC BY-SA 3.0 DE via Wikimedia Commons)

Den Weg in den aktiven gewaltsamen Widerstand gingen nur wenige. Ein Georg Elser zum Beispiel. Der linksgerichtete Württemberger verübte am 8. November 1939 im Münchner Bürgerbräukeller ein Sprengstoff-Attentat auf Adolf Hitler. Es scheiterte knapp, da der „Führer“ den Ort bereits vor der Explosion verlassen hatte. Oder ein patriotischer Offizier wie Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Sein Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 brachte nationalgesinnte Konservative, Liberale und linke Nazi-Gegner zusammen. Sie einte die patriotische Sorge um Deutschland, das sie von einem verbrecherischen Regime befreien wollten, dessen Politik geradewegs in den Untergang führte.

Mit dem Leben bezahlt

Stauffenberg und zahlreiche seiner Mitverschwörer hatten die NS-Herrschaft zunächst noch begrüßt, sich aber von der immer offener zutage tretenden Politik gegen den Frieden und die Interessen des deutschen Volkes abgewandt. Stauffenbergs Sprengstoff-Attentat auf Hitler scheiterte wie jener Georg Elsers. Und wie jener bezahlte der schwäbische Offizier die Tat mit dem Leben. Der Umsturz-Plan „Unternehmen Walküre“ lief zwar trotz des erfolglosen Anschlags an, blieb aber in den Anfängen stecken. Noch in der Nacht nach dem Attentat in Hitlers Hauptquartier „Wolfsschanze“ in Ostpreußen wurden die Haupt-Verschwörer um Stauffenberg und Generaloberst Ludwig Beck in Berlin hingerichtet.

Claus Schenk Graf von Stauffenberg (ganz links) am 15. Juli 1944 in Adolf Hitlers Hauptquartier Wolfsschanze, wenige Tage vor dem Attentat auf den „Führer“. (Foto: Bundesarchiv / Bild 146-1984-079-02 / CC BY-SA 3.0 DE via Wikimedia Commons)

Elser oder Stauffenberg genügte der stille Widerspruch nicht. Es reichte ihnen nicht, einfach bloß nicht mitzumachen. Sich zurückzuhalten. Oder ihr privates Glück zu suchen, während rings um sie herum alles in Scherben fällt. Die übergroße Mehrheit der Deutschen hatte diesen Mut eines Elser oder eines Stauffenberg nicht. Zumindest nicht in der Nazi-Zeit. Dafür rund 100 Jahre früher, als sich die Deutschen in ihrer Revolution gegen Fürsten-Tyrannei und Unterdrückung auflehnten. Und 1989, als Millionen Ost- und Mitteldeutsche die Krise ihres Landes, die Lügen der Medien und die Herrschaft ihrer Polit-Kaste satt hatten. Und ihr System der Einheits-Meinung und der Gängelung hinwegfegten.

Thomas Wolf

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Das ungesühnte Massaker von Sivas

Am 2. Juli 1993, vor genau 30 Jahren, starben bei einem mutmaßlich islamistisch motivierten Brandanschlag im türkischen Sivas 37 Menschen. Die weitaus meisten Opfer waren Aleviten. In der Türkei gehören dieser muslimischen Glaubensgemeinschaft Schätzungen zufolge gut 15 Prozent der Bevölkerung an. Bis heute ist das Verbrechen in der zentralanatolischen Stadt ungesühnt. Weder juristisch noch politisch wurde es jemals aufgearbeitet. Das kritisiert die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) in Göttingen scharf. Und mahnt zugleich ein Ende der Unterdrückung der alevitischen Gemeinschaft an. Auch im jüngsten Wahlkampf habe es wieder massive Hetze gegen Aleviten gegeben. 

Täter auf freiem Fuß

Der Brandanschlag von 1993 traf das Hotel Madımak. 35 der Opfer waren nach Angaben der GfbV alevitischer Herkunft, bei zwei weiteren handelte es sich um Angestellte des Hotels. „Viele der Täter sind bis heute auf freiem Fuß“, kritisieren die Göttinger Menschenrechtler. „Neun von ihnen sollen inzwischen in Deutschland leben, einige die deutsche Staatsbürgerschaft haben.“ In der Bundesrepublik leben den Angaben zufolge etwa eine Million Aleviten. In der Türkei seien sie seit Jahrzehnten Verfolgung und Diskriminierung ausgesetzt. „Es gab immer wieder Pogrome“, heißt es von der GfbV. Allein in der Region Dersim starben 1938 etwa 70.000 Aleviten bei Übergriffen. Die Göttinger Gesellschaft rückt diese Taten in die Nähe eines Genozids. Der Grund für den Hass? Viele sunnitische Muslime betrachten ihre alevitischen Glaubensgeschwister als Häretiker.

Bei einer Demonstration in Hannover zeigen Aleviten ein Plakat mit den Porträts von 33 Künstlern, die 1993 bei dem Brandanschlag in Sivas starben. (Foto: Bernd Schwabe in Hannover/CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)

Dem Anschlag war ein alevitisches Kulturfestival zu Ehren des alevitischen Dichters Pir Sultan Abdal vorausgegangen, der im Jahr 1550 gestorben sein soll. Zuverlässige historische Überlieferungen zu seinem Leben existieren allerdings nicht. Bei dem Festival erklärte dem Internet-Lexikon Wikipedia zufolge der Schriftsteller Aziz Nesin, er halte einen Teil der türkischen Bevölkerung für „feige und dumm“, da sie nicht den Mut hätten, für die Demokratie einzutreten. Dies soll konservative Sunniten derart provoziert haben, dass sich am 2. Juli eine aufgewühlte Menschenmenge vor jenem Hotel Madımak versammelte. Dort wohnten Aziz Nesin und andere Teilnehmer des Festivals. Die nach Schätzungen bis zu 20.000 Sunniten kamen teils direkt von ihrem Freitagsgebet.

Kein Hotel mehr

Aus der Masse der wütend protestierenden Menschen flogen Brandsätze gegen das Hotel. Das Gebäude soll im Wesentlichen aus Holz gebaut gewesen sein. So breitete sich das Feuer rasend schnell aus. Weil die wütende Menschenmenge vor dem Hotel die Fluchtwege blockierte, gelangten die Eingeschlossenen nicht ins Freie. Und verbrannten. Aziz Nesin, dem der Anschlag womöglich in erster Linie galt, überlebte mit nur leichten Verletzungen. Der Tatort ist heute kein Hotel mehr. Das Gebäude wird als Kulturzentrum genutzt. Auch eine Gedenkstätte für die Opfer des Anschlags befindet sich dort. Aleviten fordern immer wieder, aus dem Kulturzentrum ein „Friedens-Museum“ zu machen. Bislang vergebens.

Das wiederhergerichtete Hotel Madımak in Sivas. (Foto: gemeinfrei)

Ebenfalls nicht erfolgreich sind alevitische Verbände mit ihrer Forderung nach einer unabhängigen Aufklärung des Anschlags. „Abgesehen von Schauprozessen gegen Einzelne ist nichts passiert“, sagt GfbV-Nahostexperte Kamal Sido. Die meisten Täter seien auf freiem Fuß. Zu den Hintermänner, „auf deren Hetze die Verbrechen zurückgehen“, zählt Sido auch den heutigen türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Sie hätten sich weder entschuldigt noch daraus gelernt. „Im Gegenteil: Während des letzten Wahlkampfs haben Erdoğan und seine Anhänger in vielfältiger Form massiv gegen die alevitische Minderheit gehetzt.“ Wirklich überraschend ist das nicht: Erdoğans Herausforderer Kemal Kılıçdaroğlu ist selbst Alevit. 

Nicht aufgearbeitet

Wäre das Verbrechen von Sivas politisch aufgearbeitet worden, meint Kamal Sido, hätte es im Wahlkampf weniger Hetze gegen Aleviten gegeben. „Es ist unerträglich, dass Menschen in der Türkei immer noch Angst haben, sich zu ihrer ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit zu bekennen und offen darüber zu sprechen“, kritisiet Sido. „Eine alevitische, kurdische, armenische, jesidische, christliche oder jüdische Herkunft ist kein Verbrechen. Ein Verbrechen ist es, jemanden wegen seiner Abstammung, seiner Sprache, seines Glaubens oder seiner politischen Überzeugung zu benachteiligen oder zu verfolgen.“ Diesen Grundsatz müsse auch die Türkei respektieren.

Thomas Wolf

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Tödliche Kollision überm Bodensee

Mehr als 70 Tote, auseinandergerissene Familien, eine Ferienregion in Schockstarre und ein Schrecken, der mit der Katastrophe nicht endete. Am 1. Juli 2002 kollidierten über dem Bodensee zwei Flugzeuge. Niemand an Bord überlebte. Nahe der badischen Stadt Überlingen, wo die Trümmer der zerstörten Maschinen auf die Erde fielen, erinnern zwei Gedenkstätten an die Opfer der Tragödie. Es war das schlimmste Unglück in der bundesdeutschen Luftfahrt-Geschichte. Lediglich der Absturz einer Aeroflot-Maschine 1986 in Ost-Berlin und die Flugzeug-Katastrophe von Königs Wusterhausen 1972 in der damaligen DDR forderten mehr Todesopfer.

Nacht zum 2. Juli 2002

Wie schon im vergangenen Jahr, so steht das Gedenken auch 21 Jahre nach dem Unglück im Schatten des Kriegs in der Ukraine. Ein Unglück, das in der Nacht auf den 2. Juli 2002 seinen Lauf nahm. Für Fluglotse Peter Nielsen, Flugverkehrsleiter bei der Schweizer Flugsicherungsgesellschaft Skyguide in Zürich, war es zunächst ein Abend wie unzählige zuvor. Gegen 23.20 Uhr meldet sich DHL-Flug 611 aus Bergamo bei Skyguide an. Als Bezirkskontrollstelle ist das Schweizer Unternehmen mit der Flugsicherung im äußersten Süden Baden-Württembergs betraut. Später sollte das Landgericht Konstanz dies als rechtswidrig verurteilen.

DHL-Flug 611 aus Bergamo steuert direkt auf die Tupolew der Bashkirian Airlines zu. (Foto: Anynobody/CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

Auf Anfrage von DHL-Kapitän Paul Phillips gestattet Nielsen der Frachtmaschine einen Anstieg auf rund elf Kilometer. Dass sich auf derselben Höhe ein anderes Flugzeug nähert, bemerkt er nicht. Es ist eine Tupolew der russischen Gesellschaft Bashkirian Airlines. An Bord von Flug 2937 befinden sich 69 Menschen. Die meisten von ihnen sind Schulkinder aus der russischen Republik Baschkortostan rund um Ufa. Weil der zweite Fluglotse Pause hat, muss Nielsen zwei Radarschirme beaufsichtigen. Und ist einen Moment abgelenkt. Als er die gefährlichen Flugbewegungen erkennt, befiehlt er der Tupolew sofort, in den Sinkflug zu gehen. Nahezu zeitgleich ordnet an Bord das Kollisionswarnsystem den Steigflug an.

Bashkirian-Pilot Alexander Gross und seine Cockpit-Crew sind irritiert und diskutieren die Anweisung. Schließlich gehorchen sie dem Fluglotsen. DHL-Kapitän Phillips folgt derweil der Anweisung seines Bord-Warnsystems und geht mit der Boeing ebenfalls in den Sinkflug. Beide Maschinen befinden sich nun erst recht auf Kollisionskurs! Als Gross ein Ausweichmanöver beginnt, ist es zu spät. Um 23.35 Uhr zertrümmert die DHL-Maschine den Rumpf der Tupolew und lässt sie nördlich von Überlingen abstürzen. Die Boeing trudelt noch ein paar Kilometer durch die Luft und kracht bei Taisersdorf in einen Wald.

Kinder aus Russland

Alle 71 Menschen an Bord sterben. Auch die 49 Kinder aus Baschkortostan. Die Schüler, die bei dem Unglück zu Tode kommen, waren auf dem Weg nach Barcelona zu einer Ferienfreizeit. Daran hätten sie als Belohnung für herausragende schulische Leistungen teilnehmen dürfen. Weil ihr Bus den Moskauer Flughafen zu spät erreichte, waren sie gezwungen, auf die Unglücksmaschine umzubuchen. Ihre Familien sollten die Kinder nie mehr wiedersehen. Manche der Angehörigen zerbrachen an der Schreckensnachricht aus Deutschland. So wie Witali Kalojew, der bei Überlingen seine Frau und zwei Kinder verlor. Für ihn ist Fluglotse Peter Nielsen ein Mörder.

Ein Fluglotse der Schweizer Flugsicherung Skyguide im Kontrollturm des Flughafens Zürich. (Foto: Petar Marjanovic/CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)

Und so endet das Sterben nicht in jener Nacht zum 2. Juli 2002. Nielsen sollte zum 72. Opfer der Tragödie werden. Knapp zwei Jahre nach dem Unglück. Obwohl technische Probleme zu der Kollision beitrugen, gibt Witali Kalojew dem diensthabenden Fluglotsen die Schuld. Gerade einmal vier Jahre alt war Kalojews Tochter Diana, als sie bei Überlingen aus dem Leben gerissen wurde – das jüngste Opfer des Unglücks. Noch während die Staatsanwaltschaft in der Schweiz wegen fahrlässiger Tötung gegen Nielsen ermittelt, lauert Kalojew dem 36-Jährigen im Februar 2004 auf und ersticht ihn.

Technische Probleme

Zwar trägt Nielsen eine Mitverantwortung für die Kollision. Doch versagt hat auch die Technik. Bei Skyguide funktionierten an jenem Abend die Telefone nicht. Und auch das bodengestützte Warnsystem, das die Gefahr von Kollisionen in der Luft anzeigen sollte, war außer Betrieb. Massive technische Probleme gab es auch im vergangenen Jahr wieder bei Skyguide. Mehrere Stunden lang waren im Juni 2022 in der gesamten Schweiz weder Flugzeugstarts noch Landungen oder Überflüge möglich. Der gesamte Luftraum war gesperrt. Offenbar hatte es Schwierigkeiten mit der Computertechnik gegeben. Menschliche Eingriffe, etwa einen Hackerangriff, schloss Skyguide aus.

Am Ort des Absturzes der Tupolew-Maschine erinnert das Mahnmal „Die zerrissene Perlenkette“ an die Flugzeugkatastrophe vom 1. Juli 2002 und an die Opfer, darunter 49 russische Schulkinder. (Foto: privat)

Bis heute ist das Unglück über dem Bodensee in der Ferienregion nicht vergessen. Viele Menschen in Überlingen und Umgebung erinnern sich an jene Nacht, als plötzlich Explosionsgeräusche die nächtliche Stille zerrissen. Zwei Gedenkstätten halten die Erinnerung an die Katastrophe und die 71 Opfer des 1. Juli 2002 wach. Wo der Rumpf der Tupolew aufschlug und die meisten Todesopfer geborgen wurden, beim Überlinger Ortsteil Brachenreute, ziehen mächtige Edelstahlkugeln die Blicke auf sich. Wie silberne Glieder einer zerrissenen Perlenkette liegen sie am Rand eines Wäldchens, das mit Birken, Eschen und Sibirischen Zirbelkiefern bepflanzt ist.

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Im Blickpunkt

„Ich weigere mich, Angst zu haben“

Gut 15 Monate nach dem Einmarsch in der Ukraine hat der Krieg längst Russland selbst erreicht. Nahezu täglich steht das Land mittlerweile unter Beschuss. Vor allem der russische Grenzbezirk Belgorod nordwestlich der umkämpften Donbass-Regionen Lugansk und Donezk ist betroffen. Hier gelang kürzlich Kämpfern zweier pro-ukrainischer Milizen ein medialer Coup. Die „Legion Freiheit für Russland“ und das „Russische Freiwilligenkorps“ drangen auf russisches Territorium vor und leisteten den Sicherheitskräften mehr als 24 Stunden erbittert Widerstand. Sogar nach Einschätzung westlicher Medien stehen die beiden Milizen, die vorgeben, Russland befreien zu wollen, unter der Kontrolle von militanten Rechtsextremisten.

Kämpfer des „Russischen Freiwilligenkorps“ bei einer Pressekonferenz mit westlichen Journalisten. Führer der pro-ukrainischen Miliz ist der russische Rechtsextremist Denis Kapustin (im Bild), der eine Zeitlang in Köln lebte. Dem Innenminister von Nordrhein-Westfalen, Herbert Reul (CDU), galt er einst als einer der einflussreichsten Neonazis in Deutschland. (Foto: Oksana Ivanecz/CC BY 4.0 via Wikimedia Commons)

Selbst das mehr als 600 Kilometer von Belgorod entfernte Moskau ist nicht mehr sicher. Bereits Anfang Mai schoss die russische Luftabwehr eine Drohne über dem Kreml ab. Der schlagzeilen-trächtigen Attacke folgte am Dienstag ein massiver Angriff, an dem russischen Angaben zufolge rund 25 ferngesteuerte Kleinst-Flugzeuge beteiligt waren. Anfangs hörte man im Westen Stimmen, die mutmaßten, solch frontferne Angriffe seien inszeniert. Doch was hätte der Kreml davon? Offenbar verfolgen die Angreifer mit den Drohnen-Attacken den Zweck, in der russischen Hauptstadt für Angst und Schrecken zu sorgen. Und das Vertrauen der Moskauer und der Russen insgesamt in das eigene Militär und die Regierung zu schwächen.

„Seit etwa einem Monat“

Zunehmend gerät neben Belgorod und Moskau auch eine dritte Gegend ins Visier der Angreifer. „Es passiert seit etwa einem Monat immer wieder etwas in meiner Region“, erzählt Nina Popova, die die Telegram-Kanäle „DRN Deutsch-Russische Nachrichten“ und „Politik für Blondinen“ betreibt. Ihre Region – das ist der Krasnodarskij Kraj am Schwarzen und am Asowschen Meer, der Bezirk um die südrussische Millionen-Stadt Krasnodar. „Als die Taman vor ein paar Wochen gebrannt hat, konnte ich es von meinem Fenster aus sehen“, sagt Popova. Der Drohnen-Angriff auf ein Öllager schaffte es auch in die Tagesschau. Taman ist etwa 20 Kilometer von Ninas Wohnort entfernt.

Nina Popova lebt im südrussischen Krasnodarskij Kraj. Die Flammen, die aus dem attackierten Öllager von Taman aufloderten, sah sie am Horizont. (Foto: privat)

Nur wenige Kilometer weiter liegt die Brücke, die über die Straße von Kertsch auf die Halbinsel Krim führt. Die Brücke wurde im vergangenen Herbst bei einem heftigen Anschlag stark beschädigt, kann mittlerweile aber wieder befahren werden. Die russischen Behörden machten die Ukraine für die Attacke mit einem Sprengstoff-Lkw verantwortlich. Amtlich zugegeben, dass es wirklich so war, hat Kiew allerdings erst vor wenigen Tagen. „Ich wohne nah an der Brücke“, sagt Nina Popova. Und fügt hinzu: „Wäre doch eine Ironie: Deutsche Raketen treffen eine deutsche Staatsbürgerin.“ Dann entschuldigt sie sich im Gespräch für ihren „schwarzen Humor“.

Extra auf die Kinder gewartet?

Popova ist 40 Jahre alt, lebte rund drei Jahrzehnte in der Bundesrepublik und hat einen deutschen Pass. Einst machte sie Wahlkampf für die CDU. Sie liebt Deutschland und setzt sich über ihre beiden Telegram-Kanäle auch für die deutsch-russische Versöhnung ein. Seit 2019 ist Nina zurück in Russland, wo sie mit ihrem russischen Mann und einer Tochter lebt. Dass die Angriffe gerade jetzt zunehmen, kann sie nicht verstehen. „Das Schreckliche ist, dass jetzt hier Ferien sind und die Menschen ihre Kinder hierher bringen. Sie haben extra gewartet, dass hier viele Kinder sind. Ich empfehle mittlerweile jedem, dieses Jahr nicht mehr hierhin zu kommen.“

Die Region Krasnodar am Schwarzen Meer ist ein Touristen-Magnet, besonders im Sommer. Ausgerechnet jetzt, am Beginn der warmen Jahreszeit, intensiviert die Ukraine ihre Angriffe. (Foto: SpartanDav/CC BY 4.0 via Wikimedia Commons)

Dann wendet sich Nina Popova an Bundeskanzler Olaf Scholz und Außenministerin Annalena Baerbock. „Ich hoffe, ihr schlaft gut und euch raubt der Gedanke nicht den Schlaf, dass die Ukrainer bis zum Sommer gewartet haben.“ Scholz und Baerbock tragen die politische Hauptverantwortung für die deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine. Zunächst hatte die Ampel-Koalition nur Schutzhelme und Verbandsmaterial liefern wollen. Mittlerweile rollen wieder schwere deutsche Panzer gegen Russland. Dagegen findet die Lieferung von Kampfflugzeugen bislang keine Mehrheit in der deutschen Politik. Wirklich ausgeschlossen hat die Regierung sie allerdings nicht. „Deutschland hat Terroristen ausgestattet“, ist Nina angesichts der Angriffe in Russland überzeugt.

„Die Kuban war nie ukrainisch“

Warum ist gerade die Kuban-Region um Krasnodar zu einem der Zentren ukrainischer Angriffe geworden? „Das Problem ist, dass hier unkontrolliert Ukrainer als Flüchtlinge reingekommen sind“, erzählt Popova. Sie könnten strategische Positionen an feindliche Kämpfer verraten, mutmaßt sie. „Nun soll jeder einzelne besser überprüft werden. Etwa 1,5 Millionen sind bereits russische Staatsbürger. Die anderen bekommen ab jetzt keine Auszahlungen mehr. Bisher haben die überall Gelder bekommen – ungeachtet der Staatsangehörigkeit.“ Ukrainische Nationalisten, erklärt Nina, betrachten das Gebiet um Krasnodar als Teil der Ukraine. „Sie haben schon vor 2014 davon geträumt, es Russland wegzunehmen. Doch die Kuban war noch nie ukrainisch.“

Die Grenzziehung der Groß-Ukraine, wie sie die ukrainische Delegation auf der Pariser Friedenskonferenz 1919 vorschlug. Die Region um Krasnodar ist auf der französischen Karte als „Kouban“ eingetragen. (Foto: gemeinfrei)

Die Begehrlichkeiten dürften Gründe haben, die weit in die Vergangenheit zurückreichen. Gut 100 Jahre nämlich. Bis in die Zeit der Ukrainischen Volksrepublik, die als erster ukrainischer Nationalstaat gilt. Das Staatswesen, das sich im Januar 1918 für unabhängig erklärte, beanspruchte Gebiete, die weit über die heutige Ukraine hinausgehen. Bei den Friedensverhandlungen nach dem Ersten Weltkrieg in Paris präsentierte eine ukrainische Delegation ihre Forderungen. Rostow am Don wäre demnach ebenso ukrainisch geworden wie die Krim-Halbinsel und die Region Kuban bis zur georgischen Grenze. Im Westen hätten sich Ausläufer dieser Groß-Ukraine fast bis vor die Tore Krakaus ausgedehnt. Im Süden wären Transnistrien und Teile Moldawiens an Kiew gefallen.

„So viele töten wie möglich“

Die einheimischen Medien, erzählt Popova, berichten wenig von den Angriffen in Russland. „Das ist ja das Problem. Die Medien versuchen, die Leute nicht in Panik zu versetzen, und bewirken das Gegenteil.“ Dabei sei Panik genau das, was die Angreifer auslösen wollten, meint Nina. „Sie sagen ja offen, was sie wollen: so viele töten wie möglich.“ Der Westen wolle das aber nicht hören. Ganz im Gegenteil: „Sie bekennen sich immer zuerst, freuen sich, bis man sie vom Westen her zwingt zu widerrufen. Es läuft immer nach dem gleichen Muster.“

Angst habe sie trotz der zunehmenden Angriffe in Russland und auf ihre Heimat keine, bekräftigt Nina auf Nachfrage. „Ich weigere mich, Angst zu haben.“ Das hat auch mit ihrem christlichen Glauben zu tun. „Ich vertraue auf Gott“, sagt die 40-Jährige. „Er hat mich hierher geführt. Er hat mich mein Leben lang beschützt. Ich soll wohl jetzt hier sein und alles selbst sehen.“

Thomas Wolf

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Im Blickpunkt

Ehrentage der Eltern unter Beschuss

In einer Zeit, in der Kinder als schlimme „Klimasünder“ gelten, haben es Mutter- und Vatertag nicht einfach. Zunehmend geraten die einstigen Ehrentage der Eltern unter Beschuss. Durchaus nicht nur seitens säkularer Kreise, die Familie und Nachwuchs per se kritisch gegenüberstehen. Etwa Klimaschutz-Aktivisten der „Letzten Generation“, die sich sterilisieren lassen, weil sie keine Kinder bekommen möchten. Kinder, lassen sich die Aktivisten in einer umstrittenen Studie vorrechnen, seien schließlich eine schwere Hypothek auf die Zukunft. In ihrem Leben, heißt es, werden sie und ihre eigenen Kinder für den Ausstoß von durchschnittlich fast 60 Tonnen Kohlendioxid-Äquivalent verantwortlich sein. Pro Jahr. Also besser kein Nachwuchs – so die fragwürdige Logik der selbsternannten Weltretter.

Deko mit Blümchen und Herzen ist zum Muttertag recht beliebt. Mit selbstgebastelten Geschenken machen Kinder ihren Mamas eine Freude. (Foto: Pixabay)

Neuerdings steht der Muttertag auch aus Kreisen der Gesellschaft heraus unter Beschuss, in deren Welt- und Familienbild Kinder bislang eine zentrale Rolle gespielt haben. Aus der Kirche. „Seid fruchtbar und mehret euch“, liest man bereits im Buch Genesis, dem ersten Buch des biblischen Alten Testaments. Über die Jahrtausende hinweg war dieser Bibelvers Juden wie Christen gleichermaßen Auftrag und Anliegen. Das ist offenbar für immer mehr Theologen und Mitarbeiter des organisierten Protestantismus und Katholizismus in Deutschland nicht mehr der Fall.

Geschlechterübergreifender „Elterntag“

Maren Bienert etwa, Professorin für evangelische Theologie in Hildesheim, möchte den Muttertag am liebsten durch einen geschlechterübergreifenden „Elterntag“ ersetzen. Dieser solle Männer, Frauen, „queere“ und „nonbinäre“ Menschen, die familiäre Verantwortung übernehmen, gleichermaßen würdigen. „Damit würden gleich mehrere Familienkonstellationen aufgewertet und Menschen sichtbar gemacht, die für Kinder Eltern sind und familiale Verantwortung übernehmen“, sagt die evangelische Theologin, die ein fächerübergreifendes Forschungsprojekt zu Sexual- und familienethischen Fragen plant.

Eine katholische Kita in Hessen will keine Mutter- und Vatertags-Geschenke mehr gemeinsam mit den Kindern basteln. Begründung: Die „Konstellation Mutter Vater Kind/er“ sei nicht mehr die Norm. Es gebe auch Familien ohne Vater. (Foto: Pixabay)

In Hessen ist derweil eine katholische Kindertagesstätte in die Schlagzeilen geraten. Ein Schreiben teilt den Eltern der Kita-Kinder mit, dass man in einer „gemeinsamen Teamsitzung“ beschlossen habe, ab diesem Jahr zum Vater- und zum Muttertag keine Geschenke mehr mit den Kindern gestalten werde. „In der heutigen Zeit“, heißt es zur Begründung, „in der die Diversität einen immer höheren Stellenwert erhält, möchten wir diese vorleben und keinen Menschen ausschließen.“ Auch würden zum Mutter- und Vatertag „stereotypische Geschenke angefertigt, wie z. B. Blumen für die Mutter oder Werkzeug für den Vater“.

Dies sei vielleicht eine tolle Geste, schließe aber „einen Teil der Gesellschaft aus und ist nicht individuell für alle Menschen“. Die ideologische Krönung des Schreibens liest sich so: „Außerdem ist die Konstellation Mutter Vater Kind/er nicht mehr die Norm in heutigen Familien.“ Ein Vatertags-Geschenk „ohne Vater in der Familie“ sei „nicht nur ohne Wert, sondern kann die Identität eines Kindes in Frage stellen. Um allen Menschen gerecht zu werden, müssten wir mit jedem einzelnen Kind ein individuelles Geschenk anfertigen.“

„Danke für ihren Megaeinsatz“

Im Internet löste der Brief massive Proteste aus. Der CDU-Bundestagsabgeordnete und frühere Bundesvorsitzender der Jungen Union, Tilman Kuban, twitterte: „Dem Wahnsinn sind keine Grenzen mehr gesetzt… Irgendwie find ich es ziemlich cool, wenn man Kindern beibringt seiner Mutter einfach mal Danke zu sagen für ihren Megaeinsatz Tag für Tag!“ Weil er das Schreiben der Kita zunächst veröffentlicht hatte, ohne die Adresse zu schwärzen, warf die hessische SPD ihm vor, die Kita „an den Pranger gestellt“ und „zum Shitstorm-Ziel“ gemacht zu haben. Auch Ruprecht Polenz, ehemals Generalsekretär der CDU, kritisierte Kuban und sprach von „kulturkämpferischem Eifer“.

Ein Tweet des CDU-Abgeordneten Tilman Kuban machte das Schreiben der hessischen Kita bekannt. (Foto: Olaf Kosinsky/CC BY-SA 3.0 DE via Wikimedia Commons)

Ob eine Vandalismus-Tat im Zusammenhang mit dem Brief steht, ist unklar. In einer Gartenhütte auf dem Kita-Gelände wurde jedenfalls nach Angaben der Polizei eine Scheibe eingeschlagen. In einer zweiten Hütte wurde die Tür aufgebrochen. Es entstand ein Sachschaden von geschätzt rund 800 Euro. Das katholische Bistum Fulda, in dessen Zuständigkeit die Kita fällt, sprach von „Irritationen und Missverständnissen“, die durch das Schreiben entstanden seien. Die Kita habe weiterhin ein katholisches Profil und werde sich für das christliche Familienbild einsetzen. Andere Lebensmodelle würden jedoch nicht ausgeschlossen.

„Schule queer denken“

Zwar nicht am Muttertag, aber immerhin nur zwei Tage danach (und zwei Tage vor dem Vatertag) veranstaltet Baden-Württemberg einen „LSBTTIQ+-Aktionstag“ in allen Schulen des Landes. Anlass ist der „Internationale Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie“. Für die Aktion werden den Schulen nach Informationen des Bündnisses „Demo für alle“ Materialien und Projektideen zur Verfügung gestellt. Hintergrund sei die „Daueraufgabe“ des grün geführten Kultusministeriums, „Schule queer denken“ zu wollen. „Die Schule wird inzwischen schamlos als Ideologen-Schmiede und zur Sexualisierung der zur Anwesenheit verpflichteten Schüler missbraucht“, kommentiert Bündnis-Sprecherin Hedwig vom Beverfoerde. „Mit aller Macht will man offensichtlich Kindern ihr natürliches Verständnis für die Familie austreiben.“

Erfunden hat den Muttertag die US-Amerikanerin Anna Marie Jarvis (1864-1948). Sie wollte damit ihrer eigenen Mutter und ihrem sozialen Engagement ein Denkmal setzen. Am zweiten Mai-Sonntag 1908 ehrte die methodistische Kirche sie erstmals mit einem Gottesdienst. Seit 1914 ist der Muttertag in den USA nationaler Feiertag. In Deutschland wird er seit 100 Jahren begangen. Der zunehmenden Kommerzialisierung des Muttertags durch den Handel stand Jarvis kritisch gegenüber. Kurz vor ihrem Tod 1948 erzählte sie einem Journalisten, sie bedauere, den Tag ins Leben gerufen zu haben.

Kinder in Wladiwostok basteln Dekoration für den Internationalen Frauentag am 8. März. In Russland der er bis heute einen großen Stellenwert. (Foto: RIA Novosti archive/image #591523/Vitaliy Ankov/CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)

In der DDR beging man statt des Muttertags den Internationalen Frauentag am 8. März. Ähnlich wie in anderen damals sozialistischen Staaten. Bis heute hat der Tag in Russland einen hohen Stellenwert. Der Muttertag ist in dem Land hingegen erst seit 1998 von Bedeutung, erklärt Nina Popova, die von der südrussischen Region Krasnodar aus die Telegram-Kanäle „Politik für Blondinen“ und „DRN Deutsch-Russische Nachrichten“ betreibt. Anders als in Deutschland oder den USA findet er jedoch am letzten Sonntag im November statt. Ebenfalls anders: Zum Muttertag gratuliere man den Müttern meist nur. „Geschenke“, erläutert Popova, „gibt es eher am 8. März.“ Für alle Frauen. „Am 8. März braucht man nur weiblich zu sein“, sagt die 40-Jährige und schmunzelt. Für Vertreter der politischen Korrektheit im Westen klingt das fast schon reaktionär.

Thomas Wolf

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Kommentar

Ein Tag der Befreiung – aber nicht für alle

Der 8. Mai steht wie kaum ein anderer Tag für das Ende und zugleich für einen Neuanfang. Dem Endes des Zweiten Weltkriegs, dem Sieg der Alliierten über das nationalsozialistische „Dritte Reich“, folgte eine neue Ära im besiegten Deutschland. Ein Neuanfang in Trümmern und Hoffnung. Heute zeigen sich auch deutsche Spitzenpolitiker dankbar für die Niederlage. Der 8. Mai – er ist ein Tag der Befreiung auch für Deutschland. Ein mörderisches Regime war besiegt, unzählige Nazi-Opfer konnten aufatmen, ihre Fesseln abstreifen. Für sie war der 8. Mai ein Tag der Freiheit. Ebenso für Millionen Deutsche, die nicht nur das Ende des Krieges herbeigesehnt hatten, sondern auch das der braunen Tyrannei. Des Rassenwahns. Der ständigen Angst davor, wegen eines „falschen“ Gedankens im Lager zu landen.

Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel, Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, unterzeichnet die bedingungslose Kapitulation der deutschen Streitkräfte im Hauptquartier der Roten Armee in Berlin-Karlshorst. (Foto: gemeinfrei)

Das ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Zumindest für eine Hälfte des damaligen Reichsgebiets steht der 8. Mai nicht für Freiheit. In der sowjetischen Besatzungszone, der späteren DDR, wurde lediglich die braune Diktatur durch eine neue Herrschaft der Unfreiheit ersetzt. In Speziallagern – nicht selten KZs der Nazis unter neuem Namen – starben Tausende. Hunderttausende, wenn nicht Millionen Frauen wurden Opfer von Übergriffen und Vergewaltigungen. Von rund 100.000 deutschen Soldaten, die nach der Niederlage von Stalingrad in sowjetische Hände fielen, sahen nur rund 6000 die Heimat wieder. Und aus den sogenannten Ostgebieten mussten Millionen fliehen, wurden deportiert oder in Todesmärschen verjagt. Bis zu zwei Millionen starben.

Der Böse ist immer der Russe?

Der Böse ist immer der Russe. So jedenfalls könnte man die westliche Sicht auf das Kriegsende und die Nachkriegszeit zusammenfassen. Exzesse von Soldaten der Roten Armee, Übergriffe auf Zivilisten und Gewalt gegen Frauen waren tatsächlich keine Seltenheit. „Wenn du nicht pro Tag wenigstens einen Deutschen getötet hast, war es ein verlorener Tag“, heißt es 1942 in dem Aufruf „Töte!“ des sowjetischen Journalisten Ilja Ehrenburg. Zur Wahrheit gehört aber auch: Ehrenburg stand damit weitgehend allein. Nicht selten wird er auch propagandistisch fehlinterpretiert. Und: Vor allem nach der Kapitulation der Wehrmacht, als das Kriegs(un)recht vom Besatzungsrecht ersetzt wurde, gingen sowjetische Offiziere meist rigoros gegen ihre Soldaten vor, wenn diesen ein Fehlverhalten vorzuwerfen war.

Ein US-amerikanischer GI und ein sowjetischer Soldat liegen sich im April 1945 nahe Torgau an der Elbe in den Armen. Die Besatzungspolitik von West-Alliierten und Sowjets unterschied sich mitunter kaum. (Foto: Cassowary Colorizations/CC BY 2.0 via Wikimedia Commons)

Was gerade in der alten Bundesrepublik gerne vergessen wird: Auch im Westen stand das Jahr 1945 zunächst nicht unbedingt für Befreiung. „Deutschland wird nicht besetzt zum Zwecke seiner Befreiung, sondern als ein besiegter Feindstaat.“ – So legte es die US-Direktive JCS 1067 im April 1945 fest. Demgemäß verhielten sich die US-amerikanischen GIs. Auch sie, sagen Historiker, nahmen sich „deutsche Frolleins“ und vergewaltigten sie. Deutsche Soldaten wurden oft wahllos erschossen. Gerade Männer, denen man vorwarf, der Waffen-SS anzugehören, hatten kaum Gnade zu erwarten. Unabhängig davon, ob sie sich eines Verbrechens schuldig gemacht hatten. Von den anglo-amerikanischen Bombenangriffen mit Hunderttausenden zivilen Toten, die sich bis in die letzten Kriegsmonate hinzogen, ganz zu schweigen.

Auf offener Straße erschossen

Während die Zahl der Vergewaltigungs-Opfer im sowjetischen Machtbereich offenbar propagandistisch überhöht wurde, wird die im Westen bis heute meist weit unterschätzt. Die Konstanzer Historikerin Miriam Gebhardt sagt: „Was mir selbst auch unbekannt gewesen war, waren die Vergewaltigungen der GIs, die eigentlich nach dem gleichen Schema auch abgelaufen sind; also die meistens Hausdurchsuchungen gestartet haben, dann haben sie geplündert, Essensvorräte mitgenommen, Wertsachen, Souvenirs und dann eben sehr häufig auch gemeinschaftlich sich über die Frauen hergemacht. Und das konnte dann auch alle Frauen treffen.“

Marokkanische und dunkelhäutige Soldaten der französischen Armee im Elsass im Februar 1945. (Foto: National Archives at College Park/gemeinfrei via Wikimedia Commons)

Insbesondere marokkanische Soldaten, die mit der französischen Armee den deutschen Südwesten besetzten, müssen furchtbar in den Dörfern gehaust haben. Zeitzeugen erzählen von Fäkalien in Wohnungen, von mutwilliger Zerstörung, Gewalt und Unrecht. Auf offener Straße seien Menschen erschossen worden. Die Leichen blieben liegen. Franzosen und Marokkaner missbrauchten laut dem US-Historiker Norman M. Naimark proportional gesehen so oft wie sowjetische Soldaten. Zur Verantwortung gezogen wurden sie wie auch andere Angehörige westlicher Streitkräfte nur selten. Anders als offenbar in der Roten Armee, wo für Vergewaltigung mitunter sogar die Todesstrafe drohte.

Gräueltaten an Deutschen

Vor Jahren las ich in den Lebenserinnerungen eines deutschen Soldaten, der am Kriegsende in polnische Gefangenschaft geriet. Er überlebte einen Todesmarsch – anders als viele seiner Kameraden, die die Bewacher am Wegesrand einfach erschossen. In seinen Erinnerungen beklagt er, die Presse hierzulande berichte stets nur über deutsche Verbrechen. Gräueltaten an wehrlosen Deutschen dagegen blieben meist unerwähnt. Ich finde: Der 8. Mai ist der passende Tag, um auch an diese Verbrechen zu erinnern. Die Dankbarkeit angesichts der Befreiung vom Nazi-Joch schmälert das nicht.

Frank Brettemer

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Im Blickpunkt

Nur Putin-Freunde wollen Frieden

Ostern ist nicht nur das christliche Fest der Auferstehung Jesu Christi. Die Ostertage sind in Deutschland auch traditionell die Zeit der Ostermärsche. In vielen Städten prägen die Kundgebungen für den Frieden das verlängerte Osterwochenende. Auch in diesem Jahr. Eine „unterm Strich positive Bilanz“ ziehen die Organisatoren. Mehr als 120 Demonstrationen brachten Zehntausende Menschen auf die Straße. Kern des Anliegens wie schon im vergangenen Jahr: Frieden in der Ukraine. Damit machen sich die Ostermarschierer angreifbar. Denn Frieden wollen nur Putin-Freunde. So jedenfalls scheint es, wenn man Äußerungen deutscher Politiker und Medien zugrunde legt.

Die Ostermärsche standen in diesem Jahr ganz im Zeichen des Ukraine-Kriegs. Im bayerischen Hof trugen Teilnehmer ein Plakat mit der Aufschrift „Für Frieden und Abrüstung“. (Foto: PantheraLeo1359531/CC BY 4.0 via Wikimedia Commons)

„Wer über die Köpfe der Ukrainerinnen und Ukrainer hinweg einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen mit Putin verlangt, der steht auf der falschen Seite der Geschichte.“ So sieht es Stephan Thomae, der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion im Bundestag. Eine Waffenruhe würde „dem russischen Aggressor diejenigen Gebiete ausliefern, die dieser durch Bruch des Völkerrechts und mit unerträglicher Brutalität erobert hat“. Und weiter: „Wir müssen alles tun, um die Ukraine in diesem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg zu unterstützen.“

Freiheit statt Frieden

Auch der frühere Bundesminister Thomas de Maizière (CDU) lehnt die Forderungen der Ostermarschierer ab. Ihren Pazifismus bezeichnet er im Interview mit dem Evangelischen Pressedienst als naiv. „Aber er ist zugleich nötig als kritischer Maßstab. Es gibt bei diesen schwierigen Abwägungen keine widerspruchsfreien Lösungen. Natürlich verlängert eine Waffenlieferung das Töten und Sterben. Wenn man das ablehnt, muss man sich aber im Klaren sein, dass der Preis dafür wahrscheinlich Unfreiheit ist. Letztlich geht es also um die Frage: Ist Frieden oder Freiheit wichtiger? Für mich ist Freiheit wichtiger als Frieden. Das ist mein Vorwurf an den Pazifismus.“

Bereits im vergangenen Jahr hatte der FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff die Teilnehmer der Ostermärsche als „fünfte Kolonne“ Putins bezeichnet. Kommentatoren sprachen angesichts dessen von „verrückten Zeiten“. In der Tat steht die Welt Kopf seit Beginn der russischen Invasion am 24. Februar 2022. Wer seine Stimme für Frieden und Verhandlungen erhebt, muss sich als Unterstützer eines „völkerrechtswidrigen Angriffskriegs“ beschimpfen lassen. Wer die Lieferung schwerer Waffen in das Kriegsgebiet kritisiert, fällt demnach der Ukraine in den Rücken. Und wer die Gesprächskanäle zu Russland nicht abreißen lassen möchte oder sich gar der Ablehnung alles Russischen entgegenstellt, ist bestenfalls „Putin-Versteher“.

FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff (links) sieht in den Teilnehmern der Ostermärsche die „fünfte Kolonne“ Wladimir Putins. (Foto: Kuhlmann/MSC/CC BY 3.0 DE via Wikimedia Commons)

Eine jener angeblichen „Putin-Versteherinnen“ ist Margot Käßmann. Die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland bekräftigte kurz vor Ostern ihre ablehnende Haltung zu Waffenlieferungen an die Ukraine. „Anfangs hieß es, wir würden reine Verteidigungswaffen liefern, jetzt sind daraus ganz klar Angriffswaffen geworden“, sagte sie im Gespräch mit der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung. Mit den gelieferten deutschen Panzern werde auf russische Soldaten geschossen. „Das kann doch auch keine Lösung sein“, sagte Käßmann.

Verhandlung, nicht Kapitulation

Dabei machte die einstige Landesbischöfin von Hannover auch deutlich, dass sie durchaus keine „Putin-Freundin“ ist. Den russischen Einmarsch sieht sie als Angriffskrieg eines Diktators auf ein freies Land. Dennoch müsse es durch Friedensverhandlungen schnellstmöglich zu einem Ende des Tötens kommen. „Verhandlung heißt nicht Kapitulation“, betonte Käßmann. Der Ukraine spricht sie nicht das Recht ab, sich zu verteidigen. Aber sie fürchte, sagt sie, dass Deutschland durch Waffenlieferungen nach und nach selbst zur Kriegspartei werde. Über allem steht für die Theologin die Vision einer „Welt ohne Waffen“. Sie wolle sie nicht aufgeben.

Kaum jemand vertritt die Forderungen nach schweren westlichen Waffen für die Ukraine seit der russischen Invasion so vehement wie mancher Grünen-Politiker. Als Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) offenbar noch hoffte, mit Helmen und Munition sei es getan, forderte Anton Hofreiter bereits deutsche Panzer für die Front im Donbass. Statt eines schnellen Friedens für die Ukraine stand bald ein Sieg über Russland auf der politischen und militärischen Agenda. „Wie irre ist die ehemalige Friedenspartei geworden?“, fragte Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht bereits vor einem Jahr.

Deutsche Kampfpanzer des Typs Leopard 2 A5 bei einer Lehr- und Gefechtsvorführung. (Foto: © Bundeswehr/Modes/CC BY 2.0 via Wikimedia Commons)

Mittlerweile sind deutsche Panzer in der Ukraine längst Realität. Selbst „Leopard 2“, deren Lieferung Kanzler Scholz lange abgelehnt hatte, sind im Einsatz gegen Russland. Kiew hätte nun gern moderne westliche Kampfflugzeuge. MiG-29 aus Polen und der Slowakei befinden sich bereits im Land. Noch zögert die Bundesregierung, lehnt die Lieferung eigener Jets ab. Doch wirklich ausgeschlossen hat dies niemand. Erst recht nicht für alle Zukunft. Er halte es nicht für richtig, „jetzt darüber zu reden“, sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vor gut zwei Monaten. „Wir tun nur Dinge, die uns nicht zur Kriegspartei werden lassen. Wobei nicht ganz klar ist, wo diese Linie verläuft.“

Westen ist „Konfliktpartei“

Genau das ist das Problem. Während der Westen betont, die Lieferung von Kampfpanzern und selbst Flugzeugen sei keine Kriegsbeteiligung, sieht Russland das naturgemäß anders. Im Kreml betonte man bereits vor Monaten, man betrachte den Westen als „Konfliktpartei“. Was immer das konkret bedeutet. Die Gefahr einer weiteren Eskalation jedenfalls ist groß. Und dürfte sich mit jeder weiteren Waffenlieferung noch vergrößern. Im schlimmsten Fall droht die äußerste Eskalation: der Atomkrieg zwischen Ost und West. Davor warnte auch Kanzler Scholz.

Vor einem handverlesenen Publikum fragte NS-Propagandaminister Joseph Goebbels am 18. Februar 1943: „Wollt ihr den totalen Krieg?“ (Foto: Bundesarchiv/Bild 183-J05235/Schwahn/CC-BY-SA 3.0 DE via Wikimedia Commons)

„Wollt ihr den totalen Krieg?“, schleuderte Joseph Goebbels, der Propagandaminister der Nazis, im Februar 1943 bei seiner Rede im Berliner Sportpalast dem ausgewählten Publikum verbal entgegen. „Totaler Krieg – kürzester Krieg“ besagte ein Transparent über der Bühne, auf der Goebbels sprach. Heute wäre der kürzeste totale Krieg ein nuklearer. Er würde aller Wahrscheinlichkeit nach zur weitgehenden Vernichtung der menschlichen Zivilisation führen. Das wissen die Russen. Und das wissen die Amerikaner. Aber wissen es auch diejenigen, die nach immer mehr schweren Waffen rufen?

Frank Brettemer