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Kommentar

Wer Terror sät, wird Tod ernten

Es ist ein über die Jahre bekanntes Vorgehen. Um sich gegen die israelische Besatzung zu wehren, greifen die Palästinenser zu selbstgebastelten Bomben, attackieren Grenzposten oder sprengen sich in israelischen Bussen in die Luft. So war das vor zehn, vor 20 Jahren. Terrorismus ist der Krieg der Armen, sagte der deutsch-britische Schauspieler Sir Peter Ustinov (1921-2004) zu derlei Attacken, für die der Nahe Osten berüchtigt war. Doch das war einmal – und es war grauenvoll genug.

Beispielloser Mord

Was jetzt aber am Wochenende in Israel geschah, ist beispiellos in der Geschichte des palästinensischen Terrors. Der Großangriff von Hamas und „Islamischem Dschihad“ stellt alles in den Schatten. Binnen weniger Stunden ermordeten die Terroristen mehr als 900 Israelis. Die ganz große Mehrheit Zivilisten: Frauen, Männer und Kinder. Sie mussten wohl aus einem einzigen Grund sterben: weil sie Israelis waren, Juden. Zum Vergleich: Während der Al-Aqsa-Intifada von 2000 bis 2005, dem letzten großen Palästinenser-Aufstand, waren es nur wenige israelische Opfer mehr. Allerdings in fast fünf Jahren.

Der weltweite Schock über die Terror-Attacken auf wehrlose israelische Zivilisten ist groß. In Berlin versammelten sich zahlreiche Menschen vor dem Brandenburger Tor, um ihre Solidarität mit Israel auszudrücken. (Foto: Leonhard Lenz/CC0 via Wikimedia Commons)

„Seit dem Holocaust haben wir nicht mehr erlebt, wie jüdische Frauen und Kinder, Großeltern – sogar Holocaust-Überlebende – in Lastwagen gepfercht und in die Gefangenschaft gebracht wurden. Wir werden mit voller Kraft und unerschütterlichem Engagement handeln, um diese Bedrohung für unser Volk zu beseitigen“, sagte Israels Staatspräsident Herzog nach dem Terror-Angriff. Und der umstrittene Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sagt: „Wir sind im Krieg. Und wir werden gewinnen. Unser Feind wird einen Preis bezahlen, wie er ihn noch niemals kennengelernt hat.“

Israels Politik kritisch sehen

Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas erklärte, sein Volk habe das Recht, sich gegen den „Terror der Siedler und Besatzungstruppen“ zu wehren. Das ist richtig. Man kann auch als Deutscher die Politik Israels gegenüber den Palästinensern kritisch sehen. Und ebenso die Regierung Netanjahu oder die radikalen jüdischen Siedler, die erst jüngst wieder mit Provokationen und Übergriffen gegen Christen, Palästinenser und Andersdenkende von sich reden machten. Man kann auch Israels anhaltende Besatzung des Westjordanlands als völkerrechtswidrig ansehen. Und man kann fordern, dass das palästinensische Volk einen eigenen Staat erhält. Man sollte sogar.

Israels Besatzungspolitik im palästinensischen Westjordanland ist umstritten. (Foto: Israel Police/CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)

Nichts davon aber rechtfertigt den rassistischen Blutrausch der Hamas! Selbst wenn man den israelischen Behörden vorwerfen kann, potenzielle Warnungen in den Wind geschlagen zu haben: Das macht nichts besser. Der Angriff ist und bleibt unerträglich. Was am Morgen des 7. Oktober begann, ist ein akribisch geplantes und eiskalt umgesetztes Abschlachten, das an die Untaten des „Islamischen Staats“ in Syrien und im Irak gemahnt. Allein auf dem Musikfestival „Supernova Sukkot Gathering“ beim Kibbuz Re’im, wo junge Israelis einfach nur friedlich feiern wollten, massakrierten die Islamisten mindestens 260 Menschen. Zahlreiche weitere vergewaltigten oder verschleppten sie.

Die Terror-Banden ausrotten

Den Preis für den Terror zahlen nun die Bewohner von Gaza. Israel hat faktisch angekündigt, die Hamas und andere Terror-Banden dort auszurotten. 300.000 Reservisten wurden einberufen. Die Armee steht wohl unmittelbar davor, in den Gazastreifen einzumarschieren. Die mächtigste Militärmacht des Nahen Ostens steht bereit, das Terrornest dem Erdboden gleichzumachen. Das ist durchaus wörtlich zu nehmen. Was der Westen russischen Truppen in der Ukraine vorwirft, dürfte in Gaza Realität werden. Erste Videos von Luftschlägen zeigen bereits, dass Israel wenig Rücksicht auf die Zivilbevölkerung nehmen wird. Die Saat des Terrors der Hamas: Sie ist der Tod von Gaza.

Israelische Kinder fliehen vor einem Raketenangriff aus dem Gazastreifen. Das Bild wurde 2012 aufgenommen. Allerdings dürfte sich das Motiv nur unwesentlich von aktuellen Ereignissen während des Hamas-Überfalls unterscheiden. (Foto: Israel Defense Forces/CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)

Erschaudern lassen einen die anderen Videos. Jene nämlich, die aus Israel um die Welt gingen und die die Blutspur der islamischen Killer zeigen. Ebenso fassungslos machen die Bilder aus Orten wie Berlin. Im Problembezirk Neukölln begrüßten Migranten „Allahu akbar“ gröhlend das Wüten der Hamas-Mörder. In Hamburg kam es am Rande einer Solidaritäts-Kundgebung für Israel zu Übergriffen. Es ist schwer, dafür angemessene Worte zu finden. Wer dermaßen von Hass zerfressen ist, der beweist, dass er nicht zu Deutschland gehört. Und dass er auch nicht zu Deutschland gehören will.

Integration gescheitert

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier will solche Feiern „nicht dulden“. Und Bundesjustizminister Marco Buschmann schreibt bei X (früher: Twitter): „Wer den Hamas-Terror feiert, gehört nicht zu uns.“ Deutschland und Israel seien fest miteinander verbunden. „Die Existenz und die Sicherheit Israels sind deutsche Staatsräson.“ Auch ohne das politische Gerede von der Staatsräson muss klar sein: Die Integration dieser Menschen ist auf ganzer Linie gescheitert. Nun ist es an der Politik, die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. Ob sie es tatsächlich tun wird? Das ist allerdings mehr als fraglich.

Frank Brettemer

Wie hier im Iran kam es auch in Berlin-Neukölln zu Kundgebungen, auf denen der Hamas-Terror gerechtfertigt oder gar begrüßt wurde. (Foto: ناصر جعفری/CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)
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Im Blickpunkt

Stichwahl und Zweifel am Urnengang

Die Türken machen es spannend. Bei der gestrigen Präsidentenwahl erreichte Amtsinhaber Recep Tayyip Erdoğan nach Angaben der nationalen Wahlbehörde 49,51 Prozent der Stimmen. Seinen Herausforderer Kemal Kılıçdaroğlu von der sozialdemokratisch-kemalistischen CHP wählten demnach 44,88 Prozent. Erdoğan verpasste damit seine Wiederwahl knapp und muss sich am 28. Mai einer Stichwahl stellen. In Umfragen vor dem Urnengang war bisweilen sogar Kılıçdaroğlu vorne gelegen. In Deutschland fiel die Zustimmung für den islamisch-konservativen Präsidenten erwartungsgemäß deutlicher aus. Annähernd zwei Drittel der türkischen Wähler hierzulande stimmten für Erdoğan. Lediglich unter den Türken in Berlin lagen der Amtsinhaber und praktisch Kılıçdaroğlu gleichauf.

Absolute Mehrheit verteidigt

Bei der zeitgleichen Parlamentswahl konnte Erdoğans Partei AKP ihre Führung verteidigen. Sie verlor zwar deutlich an Stimmen und landet bei nur noch rund 35 Prozent. Gemeinsam mit ihrem Koalitionspartner, der ultrarechten „Partei der Nationalistischen Bewegung“ (MHP), kommt die AKP aber auf die absolute Mehrheit der Stimmen in der Großen Nationalversammlung. Kılıçdaroğlus CHP erreichte rund 25 Prozent. Der Bundestagsabgeordnete Frank Schwabe (SPD), der die Wahlbeobachter-Mission des Europarats leitet, berichtet von Behinderungen bei der Abstimmung. Sie fallen aber offenbar nicht sehr ins Gewicht. Die Wahl bewege sich „im Rahmen des Rechts“. Das Ergebnis gebe wider, wie die Menschen abgestimmt haben, sagte Schwabe.

Ein Blick in den Plenarsaal der Großen Nationalversammlung der Türkei. (Foto: Yıldız Yazıcıoğlu/gemeinfrei)

Deutliche Kritik äußert dagegen die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) in Göttingen. Die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen „waren vor allem in den kurdischen Gebieten der Türkei weder fair noch demokratisch“, heißt es in einer Mitteilung. In der kurdisch geprägten Provinz Siirt seien etwa am Tag des Urnengangs zwei spanische Wahlbeobachter festgenommen worden. „In der kurdischen Provinz Sirnak sollen türkische Sicherheitskräfte aus gepanzerten Fahrzeugen wahllos Tränengasgranaten in Straßen und Wohnviertel geschossen haben. Auch bewaffnete Anhänger Erdoğans hätten wahllos das Feuer eröffnet“, berichtet GfbV-Nahostreferent Kamal Sido.

Die Menschen einschüchtern

Nach Ansicht Sidos versuchten „das Militär und die bewaffneten Anhänger Erdoğans“, die Menschen so einzuschüchtern, dass sie nicht wählen gehen. „Denn die Kurden unterstützen mehrheitlich das kleinere Übel: den Oppositionskandidaten Kılıçdaroğlu.“ Auch von ihm und seinem oppositionellen „Bündnis der Nation“, dem türkisch-nationalistische und islamistische Kräfte angehören, halten die Kurden zwar nicht viel. Sie unterstützen Sido zufolge aber den politischen Wandel in der Türkei. Kılıçdaroğlu, der der muslimischen Gemeinschaft der Aleviten angehört, beruft sich auf den säkularen und türkisch-nationalistischen Kurs von Staatsgründer Kemal Atatürk. Erdoğan dagegen stehe sowohl für aggressiven Nationalismus als auch für sunnitischen Islamismus, sagt Sido.

Recep Tayyip Erdoğan mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Die Türkei hat im Ukraine-Konflikt unter Erdoğan eine neutrale Haltung eingenommen. (Foto: President.gov.ua/CC BY 4.0 via Wikimedia Commons)

In den Kurden-Gebieten der Türkei herrschen nach Angaben der Gesellschaft für bedrohte Völker seit jeher das türkische Militär und die Polizei mit harter Hand. Nach dem Putschversuch gegen Erdoğan 2016 seien die wenigen kurdischen Medien verboten und tausende Medienschaffende, gewählte Bürgermeister und andere Volksvertreter unter Terrorismusverdacht inhaftiert worden. Wegen eines drohenden Parteiverbots habe sich die pro-kurdische HDP gezwungen gesehen, auf Listen einer anderen Partei, der links-grünen „Yeşil Sol Parti“, an den Wahlen teilnehmen. Immer wieder kam es demnach im Vorfeld des Urnengangs zu Razzien türkischer Sicherheitskräfte gegen kurdische Wahlkämpfer. Viele seien verhaftet worden.

Übergriffe von Erdoğan-Gegnern?

Auf der anderen Seite werfen Beobachter auch Erdoğan-Gegnern Übergriffe und Gewaltanwendung vor. So griffen Anfang des Monats in Mersin Bewaffnete eine Gruppe junger Wahlkämpfer der kurdischen Hür Dava Partisi an. Jene „Partei der Freien Sache“ gilt als islamisch-nationalistisch und pro-kurdisch – gehört aber Erdoğans Wahlbündnis „Volksallianz“ an. Die linksgerichtete HDP stritt jegliche Verbindung mit der Attacke ab.

Thomas Wolf

Türkische Soldaten bei einer Übung. Nach Ansicht der Gesellschaft für bedrohte Völker ergreift das Militär in den Kurden-Gebieten zugunsten Erdoğans Partei. (Foto: MoserB/gemeinfrei)
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Im Blickpunkt

Das Ende des „Diktators“ Erdoğan?

Mehr als 60 Millionen türkische Wähler sind heute aufgerufen, ihren Präsidenten zu bestimmen. Erstmals seit Jahren prognostizieren Umfragen ein enges Rennen zwischen Amtsinhaber Recep Tayyip Erdoğan und seinem sozialdemokratischen Herausforderer Kemal Kılıçdaroğlu vom oppositionellen „Bündnis der Nation“. Teils liegt Kılıçdaroğlu sogar deutlich vorn. Türken in Deutschland dagegen dürften mit großer Mehrheit für den amtierenden Präsidenten stimmen. Erdoğan steht seit 20 Jahren in wechselnden Ämtern in Regierungsverantwortung. Zunächst war er Ministerpräsident, dann Staatsoberhaupt. Seit der Verfassungsänderung von 2018 ist er als Präsident auch wieder Regierungschef.

Im Schatten des Erdbebens

Zugleich mit dem Staatsoberhaupt wählen die Türken auch ein neues Parlament. Auch hier dürfte es für Erdoğans islamisch-konservative AKP eng werden. Umfragen sehen die AKP zwar weiterhin als stärkste Kraft. Die bisherige Koalition mit der nationalistischen MHP aber könnte scheitern. Der Urnengang steht im Schatten des verheerenden Erdbebens vom Februar. Ihm fielen im Grenzgebiet zwischen der Türkei und dem Bürgerkriegsland Syrien rund 60.000 Menschen zum Opfer. Die Regierung Erdoğan steht wegen ihrer Katastrophen-Hilfe seither massiv in der Kritik. Ironischerweise würde eine Wahl-Niederlage das im Westen verbreitete Narrativ vom Diktator Erdoğan wohl nahezu unhaltbar machen.

Kemal Kılıçdaroğlu (Zweiter von links) hat gute Chancen, Recep Tayyip Erdoğan als Präsident der Türkei abzulösen. (Foto: CHP – Cumhuriyet Halk Partisi/CC BY 3.0 via Wikimedia Commons)

Ethnische und religiöse Minderheiten in den Nachbarländern der Türkei jedenfalls hoffen auf einen Regierungswechsel, sagt Kamal Sido, Nahost-Experte der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) in Göttingen. Für die kurdischen Gebiete in Syrien und im Irak könne ein Machtwechsel das Ende der täglichen Angriffe bedeuten, betonte Sido nach einer Reise in die Region. „Die Menschen leiden dort sehr unter der Gewalt, die von der Türkei ausgeht. Während ich in der Nähe von Amuda in Nordsyrien war, wurde ein kurdischer Bauer auf seinem Feld von türkischen Grenzposten angeschossen – völlig grundlos. Er überlebte nur knapp“, berichtet Sido.

Angriffe auf die Zivilbevölkerung

Weiter südlich, bei Tal Hamis, sei ein Fahrzeug von einer türkischen Drohne angegriffen worden. „Eine junge Kurdin, die bei der autonomen Selbstverwaltung angestellt ist, berichtete, dass ihre beiden kleinen Kinder jedes Mal weinen, wenn sie etwas am Himmel hören. Sie schreien: Mama, Mama, Drohnen am Himmel!“. Viele Menschen in der Region hegten die Hoffnung, dass eine neue türkische Regierung die ständigen Angriffe auf die Zivilbevölkerung einstellt. „Vor allem dort, wo das Erdbeben Anfang Februar alles zerstört hat, sind die Menschen verzweifelt“, sagt Sido. „Denn die Türkei lässt weiterhin kaum humanitäre Hilfe zu. Nur Waffen für islamistische Milizen kommen ungehindert ins Land.“

Zugleich warnt die Gesellschaft für bedrohte Völker aber auch vor dem säkularen Oppositionskandidaten Kılıçdaroğlu. Der Vorsitzende der kemalistischen Republikanischen Volkspartei CHP kündigte an, nach einem Wahlsieg in direkte Verhandlungen mit der „legitimen Regierung Syriens“ eintreten zu wollen. Also mit Baschar al-Assad. Der gilt westlichen Politikern und Medien seit Beginn des Bürgerkriegs in seinem Land nicht mehr als Präsident, sondern bestenfalls als „Machthaber“. Die GfbV nennt ihn sogar „Diktator und Massenmörder“.

Necmettin Erbakan gilt als Ziehvater von Präsident Erdoğan. Die von ihm gegründete Partei der Glückseligkeit gehört dagegen dem oppositionellen „Bündnis der Nation“ an. (Foto: Zest at the Turkish language Wikipedia/CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)

Zu Kılıçdaroğlus Wahlbündnis gehören neben der sozialdemokratischen CHP die nationalistische İyi Parti von Meral Akşener, die liberal-konservative Demokratische Partei und die islamistische Partei der Glückseligkeit. Sie steht der radikalen Bewegung Millî Görüş (Nationale Sicht) nahe, die in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Ihr Mitbegründer Necmettin Erbakan, der in den 1990er Jahren kurzzeitig türkischer Ministerpräsident war, gilt wiederum als politischer Ziehvater von Recep Tayyip Erdoğan.

Erst einmal gewinnen

Nach Ansicht der GfbV ist Kılıçdaroğlu „in ein System eingebunden, das alles Kurdische ablehnt“ und steht für einen türkisch-nationalistischen Kurs. „Viel wird davon abhängen, welche Politik eine neue Regierung gegenüber der kurdischen und anderen Minderheiten innerhalb und außerhalb der Türkei anstrebt“, gibt Kamal Sido zu bedenken. „Und davon, ob Kılıçdaroğlu den Mut hat, ehrlich über eine friedliche Lösung der Kurdenfrage zu verhandeln.“ Doch dafür müsse die Opposition die Wahlen erst einmal gewinnen.

Thomas Wolf

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Zwangskonversion in Erdoğans Auftrag?

Islamistische Milizen, die im Auftrag der Türkei die kurdische Region Afrin im Norden Syriens kontrollieren, zwingen Angehörige religiöser Minderheiten zum Übertritt zum Islam. Das meldet die Göttinger Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV). Die Zwangsislamisierung unter anderem der jesidischen Minderheit sei seit der völkerrechtswidrigen Besetzung der Region vor fünf Jahren Gang und Gäbe. Ein neuerlicher großflächiger Einmarsch türkischer Truppen schien zuletzt immer wieder möglich.

„Nur noch sunnitische Muslime“

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan wolle, „dass im syrischen Grenzgebiet zur Türkei nur noch sunnitische Muslime leben dürfen. Gläubige anderer Religionen und Angehörige der kurdischen Minderheit hat er weitgehend vertreiben lassen“,sagt Kamal Sido, Nahostexperte der GfbV. „Wer nicht fliehen wollte, ist seitdem einer gewaltsamen Islamisierungskampagne ausgesetzt. Nicht-Muslime werden mit dem Tod bedroht, wenn sie nicht konvertieren wollen.“

Jesidische Männer mit traditionellem Schnurrbart. Die Existenz der Minderheit im Norden Syriens ist bedroht. (Foto: Bestoun94/CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)

In einem Video, dessen Echtheit die GfbV verifiziert hat, ist ein syrischer Geistlicher zu sehen, der zwei Männer auffordert, einzeln das islamische Glaubensbekenntnis zu nachzusprechen. Der Geistliche ist Mitglied einer jener protürkischen Gruppen, die Afrin im Auftrag der Türkei kontrollieren. Die beiden Opfer sind nach Angaben der GfbV Jesiden aus dem Dorf Qibar, fünf Kilometer nordöstlich der Stadt Afrin.

Islam oder Tod

„Nach unseren Informationen wurden die beiden Jesiden in den vergangenen Jahren immer wieder erpresst und mit dem Tod bedroht. Nun wurden sie vor die Wahl gestellt: Islam oder Tod“, berichtet Sido. „Für die Islamisten ist das Jesidentum keine ‚Buchreligion‘. Nach einer radikalen Auslegung des Korans bleib ihnen daher nur die Wahl zwischen Konversion oder Tod.“ Nur Juden und Christen akzeptieren die Islamisten als „Buchreligionen“. Sie dürfen ihren Glauben unauffällig leben, müssen aber Schutzgelder zahlen. Jesiden hingegen genießt keinerlei Schutz.

Das Auswärtige Amt in Berlin unterstützt die „Nationale Koalition der syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte“. Deren Milizen sind an Zwangskonversionen zum Islam beteiligt, kritisiert die Gesellschaft für bedrohte Völker. (Foto: Manfred Brückels/CC BY-SA 2.0 DE via Wikimedia Commons)

In diesem Zusammenhang wiederholt die Gesellschaft für bedrohte Völker ihre Forderung an die Bundesregierung, die politische, diplomatische und vor allem finanzielle Unterstützung der Islamisten in Afrin und ganz Syrien einzustellen. Die Milizen sind nach Angaben der GfbV der bewaffnete Arm der protürkischen syrischen Oppositionsgruppe „Nationale Koalition der syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte“. Diese Gruppe wird vom Auswärtigen Amt unterstützt

Mörderischer Feldzug

„Spätestens seit der Anerkennung des Völkermords an den Jesiden durch den Deutschen Bundestag hätte das Auswärtige Amt in Berlin seine Unterstützung für die Islamisten einstellen müssen. Denn der von Erdoğan angestachelte mörderische Feldzug des sogenannten ‚Islamischen Staates‘ begann 2013 in Afrin, wo islamistische Milizen die ersten jesidischen Dörfer angriffen“, erinnert Sido.

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Türkei diskriminiert bei Erdbeben-Hilfe

Alevitische Gemeinden in Pazarcik und Elbistan im Süden der Türkei beklagen systematische Diskriminierung bei Hilfsgütern, Nothilfen und der Bergung von Erdbebenopfern. Das berichtet die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) in Göttingen unter Berufung auf alevitisch-kurdische Quellen und Ali Toprak, den Bundesvorsitzenden der Kurdischen Gemeinde in Deutschland.

Ein zerstörtes Haus in der türkischen Stadt Hatay. (Foto: Hilmi Hacaloğlu/gemeinfrei via Wikimedia Commons)

„Augenzeugen berichten uns, dass der staatliche Katastrophenschutz insbesondere die alevitischen Dörfer um Pazarcik erst Tage nach dem Erbeben aufgesucht hat“, erklärt Tabea Giesecke, GfbV-Referentin für ethnische, religiöse und sprachliche Minderheiten und Nationalitäten. Die Behörden hätten zivile Hilfen behindert, die Hilfskräfte Dörfer, in denen Menschen noch in den Trümmern lagen. „Das zeigt beispielhaft, wie die türkische Regierung die Katastrophe nutzt, um Minderheiten im Land auszulöschen.“

Erschüttertes Vertrauen

Seit dem Erdbeben gibt es immer mehr alevitisch-kurdische Initiativen, die Hilfsgüter und Nothilfen leisten und auch aus dem Ausland Spenden in betroffene Gebiete bringen. „Das Vertrauen der Menschen in die türkische Regierung und den Katastrophenschutz ist zutiefst erschüttert. Die Zivilbevölkerung leistet jetzt die Hilfe, die der Staat systematisch zurückhält. Und selbst das ist diesem Staat ein Dorn im Auge“, meint Giesecke.

In der alevitischen Gemeinde in Pazarcik hat der Gouverneur von Maraş (Kahramanmaraş) zivile Helfer dazu aufgefordert, ihre Arbeit zu beenden und Hilfsgüter beschlagnahmt. Ein staatlicher Verwalter soll nun die Verteilung organisieren. „Das ist ein Schlag ins Gesicht für die alevitische Gemeinde. Betroffene werden dadurch von für sie gedachten Hilfen abgeschnitten. Es zeigt, wie tief die Diskriminierung sitzt“, kritisiert Giesecke.

Kurden-Gebiet bombardiert

Bereits zuvor hat die GfbV darauf hingewiesen, dass die türkischen Streitkräfte trotz des Erdbebens kurdische Siedlungsgebiete im Norden Syriens attackieren. „Es ist skandalös, dass ein NATO-Staat eine humanitäre Katastrophe mutwillig verschlimmert“, kritisiert Kamal Sido, Nahost-Referent der GfbV. Auch Hilfslieferungen nach Syrien habe die Türkei blockiert. Nicht nur Syriens umstrittener Präsident Assad verhindere die Versorgung der kurdischen Gebiete.

Dem historischen Beben fielen mindestens 42.000 Menschen zum Opfer. Davon allein 36.000 in der Türkei. Zehntausende könnten noch unter den zerstörten Gebäuden verschüttet sein. In manchen Gebieten verschoben die Erdstöße das Land um mehrere Meter. Das Beben erreichte eine Magnitude von etwa 7,8 und übertraf damit die Katastrophe von Gölcük und Izmit 1999. Damals starben 18.000 Menschen.

Helfer im Nordwesten Syriens bergen einen Verschütteten. (Foto: Foreign, Commonwealth & Development Office/CC BY 2.0 via Wikimedia Commons)
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Bomben gegen Erdbeben-Opfer

Ein verheerendes Erdbeben hat gestern Teile Syriens und der Türkei verwüstet. In beiden Ländern zählen die Behörden bereits mehr als 5000 Todesopfer. Viele Menschen werden noch vermisst. Die Stärke des Bebens übertrifft mit einer Magnitude von etwa 7,8 sogar die Katastrophe von 1999. Damals starben im Umkreis der türkischen Millionen-Metropole Istanbul mehr als 18 000 Menschen. Das neuerliche schwere Erdbeben hält die Türkei offenbar nicht davon ab, kurdisch kontrollierte Gebiete in Nordsyrien zu bombardieren. Das meldet aktuell die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) in Göttingen.

Während die internationale Hilfe für die Erdbebengebiete anläuft, bombardiert die Türkei den Norden Syriens. (Foto: Voice of America/gemeinfrei)

„Gegen Mitternacht griff die Türkei das vom Beben betroffene Umland von Tal Rifaat an. In der Gegend nördlich von Aleppo haben kurdische Vertriebene aus der Region Afrin Zuflucht gefunden“, berichtet Kamal Sido, Nahost-Experte der GfbV. Und kritisiert: „Es ist skandalös, dass ein NATO-Staat eine humanitäre Katastrophe mutwillig verschlimmert. Von anderen NATO-Ländern kommt dazu kein Wort der Kritik.“ Immer wieder attackiert die Türkei den Norden des Nachbarlands. Die seit Jahren andauernde Blockade der kurdisch kontrollierten Gebiete Syriens durch die Türkei und ihre westlichen Partner verschlimmert nach Ansicht der GfbV nun die Lage in den Erdbeben-Gebieten zusätzlich.

Jahrelange Blockade

„Das gesamte medizinische Versorgungssystem lag wegen des andauernden Bürgerkriegs sowie syrischer und russischer Angriffe bereits in Trümmern. Jetzt können viele Verletzte nicht versorgt werden“, sagt Sido. „Die Versorgung der kurdischen Gebiete wurde und wird nicht nur von Assad verhindert. Besonders die Türkei hat die Grenzübergänge in die kurdischen Gebiete Nordsyriens für humanitäre Lieferungen geschlossen gehalten. Die Konsequenzen dieser jahrelangen Blockade tragen nun die traumatisierten, frierenden Menschen vor Ort.“

Aus Rücksicht auf den NATO-Partner Türkei habe die deutsche Bundesregierung keine humanitäre Hilfe an die von Kurden besiedelten Gebiete zugelassen. „In ihren Verlautbarungen zum Erdbeben verschweigen die Vertreter der deutschen Bundesregierung diese Tatsache. Nahezu alle Grenzübergänge in Nordsyrien sind unter der Kontrolle der Türkei. Sie bräuchte keinen Beschluss des UN-Sicherheitsrats, um sie zu öffnen“, erklärt Sido. „Für islamistische Kämpfer und moderne Waffen“ sei die Grenze dagegen stets geöffnet gewesen. „Jetzt müssen endlich auch humanitäre Lieferungen für Nordsyrien und für ganz Syrien durchgelassen werden.“

Bergungsarbeiten nach dem Beben in Diyarbakir im Südosten der Türkei. (Foto: Voice of America/gemeinfrei)
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Terror gegen Jesiden ist jetzt Völkermord

Kürzlich hat der Bundestag den Holodomor, den Hungertod von Millionen Menschen in der Ukraine in den frühen 1930er Jahren, als Völkermord anerkannt. Sowjet-Führer Josef Stalin habe demnach eine in großen Teilen der Sowjetunion grassierende Hungersnot gezielt gegen die Menschen in der Ukraine gerichtet. Kritiker sehen in der Resolution eine rein politische Entscheidung, von der westlichen Solidarität für die angegriffene Ukraine diktiert. Auf viel Zustimmung stößt dagegen der heutige Bundestagsbeschluss, der nun auch die Morde, Massaker und Gräueltaten an Angehörigen der Glaubensgemeinschaft der Jesiden im Nahen Osten als Genozid anerkennt.

Irakische Jesiden in traditionellen Gewändern. (Foto: Hamdi Hamad/CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

„Die Anerkennung des Völkermordes durch den Bundestag ist ein wichtiger Schritt in der Aufarbeitung der Gräueltaten“, erklärt Tabea Giesecke, Referentin für ethnische, religiöse und sprachliche Minderheiten und Nationalitäten bei der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV). „Die jesidische Community hat diesen Schritt durch ihre unermüdliche Arbeit ermöglicht. Ihren Kampf um Gerechtigkeit werden wir weiterhin unterstützen.“

Verantwortliche zur Rechenschaft ziehen

Nun sei es wichtig, auf die Details des Beschlusses zu schauen: „Mit der Anerkennung des Genozids ist die Arbeit nicht getan. Jetzt müssen konkrete Maßnahmen folgen, die die Überlebenden unterstützen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen“, fordert Giesecke. „Die jesidische Gemeinschaft muss unmittelbar an allen Entscheidungen über ihre Zukunft und die ihrer Heimatregion Sindschar beteiligt werden. Nur dann wird sich die Lage der Überlebenden wirklich verbessern.“

Jesidische Flüchtlinge in einem Lager im Nordosten Syriens 2014. Der Vormarsch der Terrormiliz „Islamischer Staat“ im Irak hatte sie zuvor zur Flucht gezwungen. (Foto: DFID – UK Department for International Development/Rachel Unkovic/International Rescue Committee/CC BY 2.0 via Wikimedia Commons)

Verantwortlich für den Genozid an der jesidischen Bevölkerung des Irak 2014 ist die dschihadistische Terrormiliz „Islamischer Staat“. Sie gilt im Nahen Osten seit einer Reihe von Gegenoffensiven im Irak und in Syrien zwar als weitgehend besiegt, macht aber dennoch immer wieder von sich reden. Nach Angaben der GfbV dauert der Genozid bis heute an. Viele jesidische Frauen seien immer noch verschwunden oder in Gefangenschaft. Zahlreiche Vertriebene sitzen demnach ohne Perspektive in Flüchtlingslagern fest, weil ihre Wohnhäuser zerstört wurden und die irakische Region Sindschar weiterhin unsicher ist. Kollektive und individuelle Traumata seien kaum aufgearbeitet worden.

Parteiübergreifende Zustimmung

Den Antrag, mit dem der Bundestag den Genozid anerkennt, haben SPD, Grüne, FDP und CDU/CSU gemeinsam eingereicht. Zugestimmt haben ihm alle Fraktionen. Der Antrag geht auf eine Petition aus der jesidischen Diasporagemeinschaft zurück. Im Februar vergangenen Jahres wurde er laut GfbV vor dem Petitionsausschuss des Bundestags und im Juni 2022 im Menschenrechtsausschuss diskutiert. Die 50.000 Unterschriften für die Petition sammelten demnach Ehrenamtliche, darunter viele jesidische Jugendliche. Der Menschenrechtsausschuss hatte dem Parlament die Anerkennung als Genozid empfohlen.

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Christen in Nahost: Durch Islamisten unterdrückt

Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) hat an das Schicksal christlicher Konvertiten in islamisch geprägten Ländern erinnert. „Das Emirat Katar, Gastgeber der Fußball-WM in der Adventszeit, finanziert und unterstützt radikal-islamistische, sunnitischen Gruppen. Diese unterdrücken, vertreiben oder ermorden überall im Nahen Osten christliche Gläubige und Angehörige anderer religiöser Minderheiten“, erklärt Kamal Sido. Er ist Nahostexperte der GfbV. „Während des Kalten Kriegs war Saudi-Arabien der wichtigste Geldgeber bewaffneter islamistischer Gruppen, Organisationen und Parteien. Diese Rolle hat nun Katar übernommen.“ Das kleine Emirat sorge für das Geld. Der türkische Staat unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan übernehme die Organisation und logistische Unterstützung der sunnitischen Islamisten weltweit.

Menschenrechte auf der Strecke

Die Erfahrungen in Afghanistan haben nach Sidos Ansicht gezeigt, wie verfehlt die Unterstützung radikaler Islamisten durch westliche Regierungen war. „Opfer dieser verantwortungslosen Politik waren vor allem christliche und andere religiöse Minderheiten, sowie unter der Mehrheitsgesellschaft insbesondere Frauen“, erinnert Sido. „Durch die aktuellen geopolitischen Konflikte mit Russland und China erfahren islamistische Staaten wie die Türkei und Katar eine Aufwertung. Westliche Regierungen sind offenbar bereit, die Unterstützung der Taliban in Afghanistan oder der Muslimbrüder in Syrien zu akzeptieren.“ Demokratie, Menschen- und Minderheitenrechte blieben dabei auf der Strecke. Ebenso die Glaubensfreiheit und das Recht der Muslime, ihren Glauben zu wechseln.

Im vorigen Jahr fiel die afghanische Hauptstadt Kabul wieder an die radikalislamischen Taliban. Kamal Sido von der Gesellschaft für bedrohte Völker meint: „Westliche Regierungen sind offenbar bereit, die Unterstützung der Taliban in Afghanistan zu akzeptieren.“(Foto: Voice of America News/gemeinfrei)

Der Iran verfolge Konvertierte massiv, kritisiert die GfbV. Viele junge Menschen suchen auch wegen der Politik des Mullah-Regimes eine religiöse Heimat im Christentum oder im altiranischen Zoroastrismus. „Während das Regime den Zoroastrismus duldet, werden konvertierte Christen brutal verfolgt“, berichtet Sido. „Ihre Gottesdienste, die meist in Privaträumen stattfinden, werden gestürmt und die Teilnehmer verhaftet.“ Im Iran gibt es viele sogenannte Hauskirchen, die nicht selten von Frauen geleitet werden. Die genaue Zahl der Hauskirchen ist unbekannt. Schätzungen zufolge gibt es mindestens 700.000 konvertierte Christen im Iran, die ihren Glauben meist im Untergrund praktizieren.

Pastoren ausgewiesen

In der Türkei wurden seit 2018 insgesamt rund 200 ausländische protestantische Pastoren und deren Familien ausgewiesen, besonders amerikanische Geistliche. Damit will die türkische Regierung nach Darstellung der GfbV die Entstehung regulärer Kirchen verhindern. Die türkischen Behörden sehen in jedem Konvertierten einen Agenten des Westens, heißt es bei der Organisation. Dies sei eine absurde Einstellung. Die Türkei gehört als NATO-Mitglied schließlich selbst zum Westen. Auch in Katar sind christliche Konvertierte besonders gefährdet. Die Behörden erkennen ihren Glaubenswechsel nicht an. Und auch die Familien setzen sie unter großen Druck, zum Islam zurückzukehren.

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Ermöglichen Katars Milliarden die Invasion?

Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) befürchtet eine erneute großangelegte Invasion der Türkei im Norden Syriens. Eine Milliarden-Zahlung aus dem sunnitisch-wahhabitischen Golf-Emirat Katar mache dieses Szenario wahrscheinlicher, meint Kamal Sido, Nahostexperte der GfbV. Zuletzt habe der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan erklärt, was er von einer solchen Invasion erwartet. „Er will Millionen von Menschen vertreiben und Nordsyrien kurdenfrei machen“, sagt Sido. „Nun soll Katar mindestens 10 Milliarden US-Dollar für die Türkei bereitgestellt haben. Davon kann man viele islamistische Söldner in den Krieg schicken. Sie sind bereits jetzt zahlreich in der Region präsent und terrorisieren die Menschen dort im Auftrag des NATO-Staates Türkei.“

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Die Gesellschaft für bedrohte Völker befürchtet, dass er seine Truppen in naher Zukunft in Syrien einmarschieren lässt. (Foto: Gobierno de Guatemala/PDM-owner via Wikimedia Commons)

Die Türkei greift den Norden Syriens bereits seit Wochen immer wieder mit Artillerie und aus der Luft an. In einem Fernsehinterview verkündete der türkische Präsident, Nordostsyrien sei „für den Lebensstil der Kurden nicht geeignet, weil es Wüste ist“. „Der türkische Machthaber scheint zu bestimmen, welche Volksgruppe wo leben darf oder auch nicht. Und natürlich verschweigt er dabei, dass die Region seit Jahrhunderten kurdisch besiedelt ist“, erklärt Sido. „Jetzt mobilisiert Erdoğan Unterstützung, wo er sie bekommen kann. Katar hat er offenbar für seine islamistischen Großmacht-Ambitionen gewinnen können.“

Nordsyrien ethnisch säubern

Das kleine Katar, dass gerade einen Gas-Liefervertrag mit der Bundesrepublik abgeschlossen hat, könne sich die Unterstützung offensichtlich leisten. „Das WM-Gastgeberland unterstützt überall im Nahen Osten sunnitische Islamisten. Zum sunnitischen Islamisten Erdoğan gibt es schon lange gute Beziehungen. Nun ist er innenpolitisch angeschlagen. Er hat Angst, die Wahlen im nächsten Jahr zu verlieren. Die Invasion ist für ihn auch ein Mittel im Wahlkampf. Dazu kann er Nordsyrien ethnisch und religiös säubern und eine neue Fluchtwelle auslösen, mit der er Europa erpressen kann.“

Türkische Soldaten der KFOR-Mission im Kosovo. Mittlerweile liegt das Augenmerk der Streitkräfte auf Syrien. (Foto: Sgt. 1st Class Michael Hagburg/116th Public Affairs Detachment/gemeinfrei via Wikimedia Commons)

Erdoğan gilt der Gesellschaft für bedrohte Völker als politischer Kopf des radikalen sunnitischen Islam. Ähnlich wie die iranischen Mullahs, die schiitischen Gruppen anführen. „Das sunnitische Lager von Katar und der Türkei hat durch die NATO-Anbindung allerdings eine bessere Ausgangsposition. Ohne Duldung durch die NATO, Russland oder den Iran wird Erdoğan niemals eine neue Invasion wagen“, meint Sido. „Da aber selbst die deutsche Bundesregierung ‚Verständnis für die Sicherheitsinteressen der Türkei‘ äußert, dürfte er bald genügend Unterstützung gesammelt haben. Sobald das der Fall ist, wird die Invasion beginnen.“

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„False Flag“ in Istanbuls Innenstadt?

Eine Kämpferin der kurdischen Arbeiterpartei PKK soll in einer belebten Einkaufsstraße in Istanbul eine Bombe platziert haben. Das jedenfalls behauptet die islamisch-konservative Regierung in Ankara. Und beschießt seither die Kurdengebiete an der syrisch-türkischen Grenze. Mehr als 30 Menschen kamen dabei bislang ums Leben. Und das könnte erst der Anfang sein: Die Regierung droht nämlich mit einer großangelegten Bodenoffensive gegen die Kurden. Bei dem Anschlag in Istanbul waren sechs Menschen getötet worden. Mehr als eine Woche nach der Bluttat mehren sich nun die Zweifel an der offiziellen Version.

Von der PKK ausgebildet?

Als Täterin präsentierten die türkischen Behörden eine Frau namens Ahlam Albashir. Sie sei von der PKK oder vielmehr ihrem syrischen Ableger YPG ausgebildet und angestachelt worden, in der Istanbuler Innenstadt eine Tasche abzulegen, die den Sprengsatz enthielt. Albashir soll nach Angaben der Ermittler vor rund vier Monaten über die türkisch kontrollierte Region Afrin im Nordwesten Syriens in die Türkei eingereist sein. Ein mutmaßlicher Mittäter namens Ammar Jarkas, den die türkischen Behörden als Kopf hinter der Tat ausgemacht haben wollen, soll seit einem Jahr in der Türkei leben. Eingereist sei er über das kurdisch beherrschte Grenzgebiet rund um die Stadt Kobane in Syrien.

Menschen gedenken in der Istanbuler Unabhängigkeitsstraße der Toten des Anschlags vom 13. November. Die türkische Regierung vermutet kurdische Terroristen hinter dem Attentat. (Foto: Kurmanbek/CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

Die PKK weist die Vorwürfe entschieden zurück. Die Mehrheit der türkischen Medien dagegen stellt die offizielle Version von Vorgeschichte und Tathergang nicht in Frage. Bei näherer Betrachtung ergeben sich jedoch zahlreiche Fragezeichen. Darauf weist ein aktueller Beitrag des Portals tagesschau.de hin. Demnach haben türkische Journalisten erfahren, dass Albashir als auch Jarkas bereits deutlich länger in der Türkei leben. Auch ihre Namen wecken Zweifel. Es sind nämlich keine kurdischen. Jarkas ist selbst nach Angaben der Ermittler arabischer Syrer. Albashir könnte nach Medienberichten aus Somalia oder dem Sudan stammen.

Kämpfer der „Freien Syrischen Armee“

Im Verhör sagte Albashir aus, ihr Bruder sei Kämpfer der „Freien Syrischen Armee“ (FSA). Jene Miliz war am Beginn des Bürgerkriegs in Syrien die treibende Kraft des Aufstands gegen Präsident Baschar al-Assad. Westliche Staaten unterstützten sie finanziell und durch Ausbildung. Doch im Laufe des Bürgerkriegs geriet die FSA immer mehr ins Hintertreffen. Zuletzt war sie unter dem Namen „Syrische Nationale Armee“ kaum mehr als der verlängerte Waffenarm der Türkei in Syrien. Auch Jarkas und ein weiterer arabischer Syrer, bei dem Albashir in Istanbul gewohnt haben soll, standen offenbar in Verbindung zur „Freien Syrischen Armee“.

Kämpfer der „Freien Syrischen Armee“ (FSA) in einem türkischen Bus. Die von der Türkei gestützten Überreste der FSA treten mittlerweile als „Syrische Nationale Armee“ auf. (Foto: Voice of America/gemeinfrei)

Doch damit nicht genug der Merkwürdigkeiten. Albashir soll in ihrem Handy nämlich eine ganz besondere Sim-Karte genutzt haben. Zugelassen ist sie auf einen Ortsvorsitzenden der Partei MHP im mehrheitlich kurdisch besiedelten Südosten der Türkei. Die MHP ist Teil von Recep Tayyip Erdoğans Regierungskoalition. Vielen Beobachtern gilt sie als rechtsextrem. Der Ortsvorsitzende sieht sich dem Tagesschau-Beitrag zufolge als unschuldiges Opfer. Sein Ausweis sei kopiert worden. So habe man sich die auf seinen Namen ausgestellte Sim-Karte erschlichen. Wie kurdische Kämpfer an seinen Ausweis kommen konnten, erklärt er nicht.

Kurden in die Schuhe geschoben?

War der Anschlag in der Unabhängigkeitsstraße also eine „False Flag“, eine Operation unter falscher Flagge? Eine Bluttat türkischer Offizieller oder ihrer Unterstützer, die den Kurden in die Schuhe geschoben wird? In jedem Fall kommt der Anschlag wie gerufen für Präsident Erdoğan. Im kommenden Jahr wird in der Türkei ein neues Parlament gewählt. Erdoğans Koalition droht Umfragen zufolge ein herber Stimmenverlust. Durch die Angriffe auf das kurdische Siedlungsgebiet und eine mögliche Bodenoffensive kann sich der Präsident als starker Mann präsentieren. Und damit womöglich bei den Wählern punkten. Die PKK dagegen hätte durch den Anschlag überhaupt nichts gewonnen. Wenn sie ihn denn verübt hat.

Thomas Wolf