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Im Blickpunkt

Tödliche Kollision überm Bodensee

Am 1. Juli 2002 starben bei der Flugzeugkatastrophe von Überlingen 71 Menschen, darunter 49 Kinder aus der russischen Teilrepublik Baschkortostan – Auch in diesem Jahr steht das Gedenken im Schatten des Ukraine-Kriegs

Die Gedenktafel für die Toten des Flugzeugunglücks von Überlingen. Das jüngste Opfer war vier Jahre alt. (Foto: privat)

Die dreiteilige Gedenktafel ist auf Deutsch und Russisch beschriftet. Wer den Ort abseits des Gedenkens besucht, findet Grablichter, verwelkte Blumen und Abfall. Der Anblick erlaubt eine Ahnung von Vergänglichkeit. Die Namen und Geburtsdaten der Opfer zeigen: Ganze Familien wurden durch das Unglück brutal auseinandergerissen. Welch ein Kontrast zu der beinahe idyllischen Szenerie der Gedenkstätte. Dreht man sich von ihr weg, schweift der Blick über Felder, Wiesen und Wälder und entfernte Hausdächer zum Bodensee. Dessen Wasser liegen ganz friedlich da. Als hätte sich hier nicht eine der schlimmsten Tragödien der deutschen Luftfahrtgeschichte ereignet.

Irritierend wie das Unglück

Rund acht Kilometer weiter, zwischen den Owinger Ortsteilen Happenmühle und Taisersdorf, liegt eine weitere Edelstahlperle. Hier starben die Piloten der DHL-Maschine, als ihr Cockpit auf der Erde aufschlug. Fotos zeigen die beiden Männer, den Briten Paul Phillips und den Kanadier Brent Campioni. Angehörige haben Steine auf das Denkmal gelegt. Ein kleines steinernes Herz verkündet: „Ihr fehlt uns.“ Kein Parkplatz fordert hier zum Verweilen auf. Nur ein leicht zu übersehender Wegweiser zeigt den Weg. Die Gedenkstätte taucht einfach nach einer Kurve am Rand der Kreisstraße auf. Ein paar Meter neben der Fahrbahn steht man neben der Perle, die hier im Wald wie ein irritierender Fremdkörper wirkt. Irritierend wie das Unglück selbst.

Angehörige, Freunde oder vielleicht auch Passanten haben Steine auf den Gedenkstein gelegt, der an die beiden Piloten der DHL-Maschine erinnert. (Foto: privat)

Jeweils am Jahrestag der Katastrophe gedenkt der Freundeskreis „Brücke nach Ufa“ an der Absturzstelle Brachenreute der Opfer. Den Kontakt nach Russland möchte er allen Widrigkeiten zum Trotz aufrecht erhalten. Seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine ist das nicht einfach. Seither steht der Jahrestag der Flugzeugkatastrophe nämlich im Zeichen der Zerwürfnisse zwischen Ost und West. Das Gedenken ist politisiert. Wegen der westlichen Sanktionen gegen Russland und der daher ausbleibenden offiziellen Einladung deutscher Behörden war bereits im vergangenen Jahr zum 20. Jahrestag der Katastrophe lange unklar, ob Angehörige der russischen Opfer überhaupt an den Veranstaltungen teilnehmen können.

„Die Hinterbliebenen würden gerne kommen“, hieß es damals vom Vorstand der „Brücke nach Ufa“. „Leider spielt bei den Vorbereitungen die politische Einstellung eine wesentliche Rolle.“ Erst ganz kurzfristig teilte das deutsche Generalkonsulat in Jekaterinburg mit, dass Visa für die Angehörigen ausgestellt werden können. Erst dann konnten sich die Menschen um Flugtickets kümmern. Womöglich deswegen nahmen nur drei Angehörige aus Ufa an den Gedenk-Veranstaltungen teil. Dies waren „wesentlich weniger, als wir gewünscht und erwartet hatten“, hieß es vom Freundeskreis. „Aber dennoch ist es schön und ein Erfolg des Vereins, dass überhaupt jemand aus Ufa da war.“

„Ein Land mit Zukunft“

Der politischen Lage zum Trotz hofft man bei der „Brücke nach Ufa“ auch in diesem Jahr auf ein würdiges Gedenken. „Keiner von uns will Krieg. Das ist kein Mittel, um Konflikte und Probleme zu lösen“, betont der Freundeskreis. Mit Russland will man trotz des neuen Ost-West-Konflikts in Verbindung bleiben. Und die Beziehung im Zeichen von Frieden und Völkerverständigung weiterentwickeln. „Für uns“, heißt es in einer Erklärung des Vorstands, „ist Russland ein großes Land mit Zukunft und Werten und einer großartigen Kultur.“

Frank Brettemer

Irgendwie verloren wirkt die einsame Perle an der Absturzstelle der DHL-Maschine bei Taisersdorf. (Foto: privat)

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