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Wie Journalisten manipulieren

Ein Tagesschau-Interview mit der US-Historikerin Anne Applebaum gibt sich objektiv, ist es aber nicht

Auf Tagesschau.de ist dieser Tage ein Interview mit der US-amerikanischen Historikerin und Journalistin Anne Elizabeth Applebaum zu lesen. Thema: das vermeintlich faschistische Russland unter Wladimir Putin. Das Interview, das die RBB-Mitarbeiter Daniel Donath und Silvio Duwe für das Politikmagazin „Kontraste“ führten, zeigt beispielhaft, wie Journalismus manipulieren kann, auch wenn er scheinbar neutral und objektiv arbeitet.

Z – das neue Hakenkreuz?

Vordergründig machen Donath und Duwe nur ihre Arbeit als Journalisten: Sie führen ein Interview mit einer Person, bei der sie eine Expertise zu einem bestimmten Themenbereich (hier: Russland) vermuten und machen sich die Haltung der Interviewpartnerin aus den USA nicht zu eigen. Ihren Aussagen, Russland unter Präsident Putin sei ein faschistisches System, das Z-Symbol für die “Spezialoperation“ in der Ukraine entspreche dem Hakenkreuz in Nazi-Deutschland, das russische Vorgehen im Nachbarland sei “genozidal“ geprägt und Friedensverhandlungen seien erst nach einer Kriegsniederlage möglich, muss man als Interviewer nicht zustimmen – auch wenn man sie als Deutscher mit dem Wissen um die deutsche Geschichte vielleicht besser mit einem großen Fragezeichen versehen sollte.

Das Z-Symbol, das in Russland seit Kriegsbeginn weite Verbreitung findet, sieht US-Journalistin Anne Applebaum als eine Art neues Hakenkreuz – eine Ansicht, die auch die Ukraine vertritt. (Foto: Alexander Davronov/CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

Im Großen und Ganzen bewegt sich das Interview von Donath und Duwe im Bereich dessen, was journalistischer Alltag ist – die teils kruden Behauptungen der Interviewten inklusive. Problematisch wird es, wenn Tagesschau.de den Lesern verschweigt, wer Anne Applebaum ist. „Sie lehrte an Hochschulen in den USA und Europa und schreibt Kolumnen für Publikationen vor allem in den USA und Großbritannien“, stellt Tagesschau.de die 58-Jährige vor. Als Historikerin hat sie demnach den stalinistischen Terror und das sowjetische Gulag-Lagersystem erforscht. „Das 2017 publizierte Buch ’Roter Hunger‘ mit der These eines geplanten Genozids an den Ukrainern zu Sowjetzeiten führte zu einer Kontroverse auch unter Wissenschaftlern.“

Engagement für transatlantische Denkfabriken

Das ist bestenfalls die halbe Wahrheit: Applebaum war nämlich mehrere Jahre Abteilungsleiterin beim Legatum Institute, einer konservativen britischen Denkfabrik mit Verbindungen zu einer milliardenschweren Investmentgesellschaft. Sie sitzt im Vorstand des “National Endowment for Democracy“ und ist Mitglied im „Council on Foreign Relations“ – beides Denkfabriken, die für ihre transatlantische Agenda bekannt sind. Das „Center for European Policy Analysis“, in dessen Beirat Applebaum sitzt, ist finanziell eng verbandelt mit der US-Politik, mit amerikanischen Rüstungskonzernen und dem Pentagon. Bereits in der Vergangenheit ist Applebaum durch russlandkritische Aussagen aufgefallen.

Natürlich ist ihr Engagement für NED und CFR, die zu einer Reihe von US-Denkfabriken mit klar antirussischer Ausrichtung gehören, nicht per se verwerflich. Dass Tagesschau.de dies verschweigt und Applebaum als objektive Osteuropa-Expertin verkauft, macht das Interview aber eben doch zu einer manipulativen Propagandawaffe im Konflikt mit Russland. Journalistisch neutral ist es jedenfalls nicht.

Thomas Wolf

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