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Unabhängige Journalistin oder Kreml-Troll?

Alina Lipp ist umstritten. Ihren Kanal „Neues aus Russland“ verfolgen auf der Nachrichtenplattform Telegram mehr als 180.000 Menschen. Damit hat Lipp eine Reichweite, die über der manch einer Tageszeitung liegt. Alina Lipp versteht sich selbst als Journalistin. Deutschen Leitmedien gilt sie dagegen als „Putins Infokriegerin“, „Russland-Troll“ oder „Propagandistin des Kreml“. Weil sie aus Russland und dem umkämpften Donbass berichtet und ihren Telegram-Abonnenten dabei die russische Perspektive auf den Konflikt schildert, ja sich durchaus auch mit ihr gemein macht, zweifeln deutsche Medien an ihrer Unabhängigkeit.

Alina Lipp mit Helm: kein Beleg für ihre Nähe zu den russischen Streitkräften, sondern nur eine Sicherheitsvorkehrung. (Foto: Lipp)

Seit Beginn der russischen Invasion hat sich die heute 29-Jährige zu einem der bekanntesten Gesichter der „prorussischen“ Berichterstattung entwickelt. Die russische Perspektive liegt Alina Lipp sozusagen in den Genen. 1993 wurde sie in Hamburg als Tochter eines Russen und einer Deutschen geboren. 2018 wanderte Vater Wladimir auf die russisch gewordene Halbinsel Krim aus. In ihrem Kanal verlinkt Alina immer wieder Videos, in denen er vom ländlichen Leben auf der Halbinsel berichtet. Lipp studierte Umweltsicherung und Nachhaltigkeitswissenschaften und war eine Zeitlang bei den Grünen politisch aktiv.

Heute sieht sie ihre einstige Partei äußerst kritisch: „Die Grünen haben sich leider zum Negativen verändert. Sie zeigen momentan, dass sie eine Partei sind, die ausschließlich die Interessen der USA umsetzt und nicht jene der deutschen Bevölkerung.“ Die ablehnende Haltung der Partei hinsichtlich der mittlerweile gesprengten Erdgas-Leitung „Nord Stream 2“ zeuge von der „fachlichen Inkompetenz der Parteivorsitzenden“, meint Alina Lipp. Statt auf günstiges Erdgas aus Russland müsse Deutschland nun auf teures und umweltschädliches Frackinggas aus den USA zurückgreifen. „Die deutsche Wirtschaft und die Bevölkerung sollen leiden, damit es Putin weh tut.“

„Die Wahrheit vermitteln“

Als 2014 die Proteste gegen den ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowytsch eskalierten und in der Folge im Donbass ein Bürgerkrieg ausbrach, begann Lipp, das westliche Narrativ zusehends zu hinterfragen. Sie befasste sich mit Heimat, Sprache und Kultur ihres Vaters und bereiste Russland. Im August 2021 kam sie zum ersten Mal ins umkämpfte Donezk. Zusammen mit einem Bekannten, der ursprünglich aus der Stadt stammt. „Ich war ziemlich geschockt über das, was ich da gesehen habe. Dass da Zivilisten umgebracht werden und in Deutschland nicht darüber berichtet wird“, sagt Lipp. Im Oktober fuhr sie wieder nach Donezk. Diesmal, um zu bleiben. Der Wunsch, „die Wahrheit nach Deutschland zu vermitteln“, war stärker als die Angst, in einem Kriegsgebiet zu leben, das regelmäßig von ukrainischen Truppen beschossen wird. 

Durch Beschuss im Bürgerkrieg wurde das Haus dieser Menschen im Donbass zerstört. (Foto: Lipp)

„Ich hatte zwei Monate überlegt, weil ich genau wusste: Das könnte Konsequenzen für mein Leben haben.“ Sie sollte Recht behalten. Ob sie jemals in die Bundesrepublik zurückkehren kann, ist fraglich. Für ihre Berichterstattung droht ihr hierzulande eine Freiheitsstrafe. Bis zu drei Jahre Haft. Denn nach Paragraf 140 des deutschen Strafgesetzbuchs ist es verboten, bestimmte Straftaten „in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts“ zu billigen. Zu jenen Straftaten gehören Kriegsverbrechen und völkerrechtswidrige Angriffskriege. Nach westlicher Sichtweise liegt beides im Fall der russischen Invasion in der Ukraine vor.

„Jemand, der filmt, was er sieht“

Just wenige Monate vor dem Beginn von Russlands „spezieller Militäroperation“ in der Ukraine zog Lipp nach Donezk. Dass sie sich dort zum Kreml-Troll entwickelte, steht für viele deutsche Medien außer Frage. Sie selbst weist das entschieden zurück: „Ich finde das eine Frechheit, mich als Putin-Troll oder Infokrieger zu bezeichnen. Ich bin einfach jemand, der vor Ort ist, filmt, was er dort sieht, und Gespräche vor Ort ins Deutsche übersetzt. Ohne irgendwelche Aufträge zu haben.“ Nie, betont Lipp, habe sie sich als Propagandistin präsentiert. Nie habe sie sich vor die Kamera gestellt und gesagt, sie unterstütze die Spezialoperation. „Wenn man mein Material anguckt, sieht man, dass ich meistens einfach die Kamera rumschwenke und die Leute reden lasse.“ 

Die „Volksrepublik Donezk“, aus der Lipp seit Herbst 2021 berichtet, spaltete sich 2014 nach einem international kritisierten Referendum von der Ukraine ab. Seit einem nicht minder umstrittenen erneuten Volksentscheid im vergangenen Jahr gehört Donezk zur Russischen Föderation. Zumindest nach russischer Lesart. Für den Westen bildet die „Volksrepublik“ nach wie vor einen Oblast (Bezirk) der Ukraine. Meist teilt Alina Lipp in ihrem Kanal Meldungen anderer – und verbreitet so auch Inhalte, die sich dann als „Fake News“ erweisen. Das macht sie angreifbar für ihre Kritiker im Westen, die in der Deutsch-Russin nur ein junges, attraktives Gesicht der Kreml-Propaganda sehen. Sie selbst betont: „Ich habe noch nie absichtlich Fakes verbreitet. Wenn ich auf einen Fake reingefallen bin, stelle ich das immer richtig.“

Wiederaufbau geht voran

Ihre Videos, die sie selbst bei Fahrten in die Nähe der Front, ins russisch besetzte Mariupol oder in andere „befreite“ Orte der „Volksrepublik Donezk“ aufnimmt, sind wichtige Primärquellen. Das, was die Menschen ihr – so wirkt es – bereitwillig in die Kamera erzählen, weicht teils beträchtlich von dem ab, was westliche Medien und Politiker spätestens seit dem 24. Februar 2022 verbreiten. Dass für den Donbass der Krieg bereits 2014 begann. Dass das ukrainische Militär Zivilisten beschießt und als menschliche Schutzschilde missbraucht. Auch wenn der Wahrheitsgehalt der Aussagen von Deutschland aus oft nicht überprüft werden kann, so bleibt doch der Eindruck, dass die Menschen im Donbass den russischen Einmarsch großteils begrüßen. Auch der Wiederaufbau der zerstörten Orte geht zügig voran. Lipps Botschaft stimmt häufig mit dem überein, was andere westliche Journalisten aus dem Donbass berichten.

Bereits im September 2021, also Monate vor der Invasion, als Lipp noch primär von der Krim schrieb, traf die junge Deutsche in Moskau Maria Sacharowa, die Sprecherin des russischen Außenministeriums. Westlichen Medien ist das ein weiteres Mosaiksteinchen in der Argumentation, Alina Lipp sei nichts weiter als eine Marionette des Kremls. Dagegen betont die 29-Jährige, Sacharowa habe lediglich „das Buch eines norwegischen Kollegen der Krim-Freunde signiert, bei denen ich Mitglied bin. Er hatte mich dazu mitgenommen.“ Bei einer Konferenz jener Krim-Freunde im März 2022 sah Lipp Sacharowa dann noch einmal. „Maria Sacharowa ist mit einer kleinen Rede aufgetreten und dann abgehauen.“

Teil eines Medienkriegs

Finanzieren lässt sich Alina Lipp von privaten Unterstützern, sagt sie. Das ist nicht ganz unproblematisch. Der Bezahldienstleister Paypal kündigte ihr das Konto. Ebenso ihre Direktbank. Lipp sieht die Kündigung als Teil eines Medienkriegs gegen sie. Wie viel Spenden sie erhält, behält die 29-Jährige für sich. „Aussagen über das Geld, das ich bekomme, mache ich nicht.“ Deutlich wird sie allerdings auf die Frage, ob sie jemals Geld von russischen Staatsmedien oder gar vom Kreml angenommen habe.

Mit Helm und Seit’ an Seit’ mit Wladimir Putin: So zeigte das Nachrichtenportal T-Online Alina Lipp. (Foto: Screenshot T-Online.de)

„Das war dieser blöde Artikel von T-Online, der das Gerücht gestreut hat, ich würde für Staatsmedien arbeiten. Das stimmt überhaupt nicht. Als unabhängiger Journalist verkauft man sein Material. Man bekommt keine Aufträge. Wenn jemandem etwas gefällt, kauft er das. Das ist völlig normale Praxis für freie Journalisten.“ Ein einziges Mal habe sie Sputnik Deutschland beliefert. „Das war vor der Spezialoperation. Da habe ich Sputnik drei kurze Videos geschickt, die alle nur etwa eine Minute oder so dauerten. Erst nach Monaten bekam ich dafür einen Mini-Betrag.“ Absehen davon habe sie nie Geld von russischen Medien erhalten.

Wer also ist Alina Lipp? Verbreitet sie für den Kreml russische Propaganda? Ist sie die „Friedensjournalistin“, als die sie sich selbst sieht? Oder liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen? „Ich bin einfach eine Journalistin, die Ungerechtigkeit gesehen hat und versucht, diese Ungerechtigkeit bekannt zu machen und aufzudecken“, sagt Lipp. Ihre Gegner an der medialen Front wird sie damit nicht überzeugen. Alle anderen vielleicht schon.

Thomas Wolf

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Im Blickpunkt

„Gibt kaum jemanden, der objektiver sein könnte“

Vor genau einem Jahr marschierten die russischen Streitkräfte in der Ukraine ein. Dem zu diesem Zeitpunkt seit acht Jahren andauernden Bürgerkrieg im Donbass brachte dies eine neue Eskalation. Die junge Deutsche Alina Lipp erlebte den Beginn der Invasion vor Ort mit. Sie war im Herbst 2021 nach Donezk in der gleichnamigen separatistischen „Volksrepublik“ gezogen, um von dort zu berichten. Ihre Videos und Nachrichten, die sie großteils über Telegram verbreitet, widersprechen spätestens seit Beginn der „speziellen Militäroperation“ dem gängigen westlichen Narrativ.

Das folgende Interview gab Alina Lipp kurz nach Kriegsbeginn. Es sollte in einer überregionalen deutschen Wochenzeitung erscheinen. Da der Chefredakteur den Vorwurf vermeintlicher „Russlandnähe“ fürchtete, flog der Beitrag kurzfristig aus dem Blatt. Erstmals veröffentlicht wurde er erst in der Januar-Ausgabe des monatlich erscheinenden Stichpunkt-Magazins.

Alina Lipp bereist den Donbass und dokumentiert Zerstörungen. (Foto: Lipp)

Frau Lipp, die deutsche Öffentlichkeit nimmt den russischen Einmarsch in der Ukraine als verbrecherischen Angriffskrieg wahr. Sie betonen dagegen, man dürfe die Vorgeschichte der Invasion nicht außer Acht lassen. Wie stellt sich diese für Sie dar?

2014 fand in Kiew ein Umsturz statt, infolgedessen eine neue west­orientierte Regierung an die Macht kam – gestützt von ultranationalisti­schen, anti­russischen Kräften. Der russischsprachige Osten des Landes, der Donbass, und die Krim-Bevölkerung haben diesen Putsch nicht unterstützt und sich von der Uk­raine losgesagt. Daraufhin schickte die illegal an die Macht gekomme­ne Regierung Armee, Polizei sowie Geheimdienste, um die abtrünnigen Gebiete mit Gewalt zurückzuholen.

Die Armee wollte nicht so rich­tig gegen ihr eigenes Volk kämpfen. Deshalb mobilisierten die Putschis­ten Rechtsradikale, bewaffnete diese und schickten sie in die abtrünnigen Republiken. Später haben Vertreter dieser paramilitärischen Einheiten wie „Asow“, „Donbass“, „Ajdar“ in der Armee, in den Geheimdiensten und in der Polizei Schlüsselpositionen übernommen.

Viele Verbrechen wurden gefilmt

Der Terror im Osten begann. Menschen verschwanden, wurden gefoltert und ermordet. Viele Ver­brechen wurden gefilmt. Ich habe selber einige grauenhafte Szenen ge­sehen. Die Menschen im Osten wurden pauschal zu Terroristen erklärt. Die Regierung startete eine „antiterroristische Operation“, die schnell in einen echten Krieg ausartete. Seit 2014 sind nach UN-Angaben rund 14.000 Menschen ums Leben gekommen. Laut OSZE gingen 75 Prozent davon auf das Konto der Ukraine.

Veteranen des umstrittenen Asow-Regiments marschieren 2019 durch Kiew. Ihr Erkennungszeichen, von dem sich die Einheit mittlerweile offiziell distanziert, ist eine Wolfsangel, die auch von NS-Verbänden genutzt wurde. (Foto: Goo3/CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

Das Minsker Abkommen brachte die Hoffnung, dass durch gegenseitige Zugeständnisse Frieden einkehrt. Doch die Ukraine hat es in acht Jahren nicht geschafft, die Schlüsselpunkte des Abkommens umzusetzen. Die Rechtsradikalen haben immer wieder gedroht, die Regierung in Kiew zu stürzen, wenn diese irgendwelche Zugeständnisse machen würde. Sie forderten die gewaltsame Lösung des Konflikts.

Russland will die Ukraine „entnazifizieren“. Im Westen heißt es dagegen, die Ultranationalisten spielten in Parlament und Regierung keine Rolle. Und ist es nicht absurd, wenn ausgerechnet der jüdische Präsident Wolodymyr Selenskyi in die Nähe der Nazis gerückt wird?

Das finde ich nicht absurd. Ein „Nazi“ ist nicht automatisch ein Antisemit, sondern jemand, der ra­dikale Ansichten über andere Men­ schengruppen oder Ethnien vertritt. In der Ukraine wurden Gesetze verabschiedet, die den russischsprachigen Teil der Bevölkerung zu Bürgern zweiter Klasse machen: Behörden und Dienstleister dürfen Russisch als Sprache im Wesentlichen nicht mehr verwenden. Russischsprachige Schulen wurden geschlossen.

Durch das „Gesetz über die ein­ heimischen Völker“ werden die Bürger der Ukraine nach völkischen Kriterien in drei Kategorien eingeteilt, die unterschiedliche Rechte haben. Russen gehören zur dritten Kategorie und haben damit weniger Rechte und Ansprüche auf finanzielle Unterstützung als Ukrainer. Stellen Sie sich vor, ein europäisches Land würde solche Gesetze verabschieden – das wäre ein Skandal!

„Russische Untermenschen“

Möglich ist eine solche Gesetz­ gebung in der Ukraine, weil Ultranationalisten eben doch eine Rolle in Parlament und Regierung spielen. Es gibt staatlich subventionierte Ferienlager, in denen Kinder lernen, man müsse „russische Untermenschen“ erschießen. Das Asow-Regiment untersteht dem Verteidigungsministerium. Die Verwendung von Nazi-Symbolik ist gut belegt. Auch das ZDF hat darüber berichtet.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyi mit Ursula von der Leyen, Präsidentin der EU-Kommission. (Foto: European Commission/Dati Bendo via Wikimedia Commons)

Selenskyi trat sein Amt als Präsident 2019 mit dem Versprechen an, den Konflikt im Donbass zu beenden. Warum ist er gescheitert?

Ich kann mir durchaus vorstellen, dass Selenskyi mit guten und ehrlichen Absichten antrat, den Frie­den wiederherzustellen. Gescheitert scheint er am Widerstand der nationalistischen Kräfte zu sein. Sobald er auch nur andeutete, Zugeständnisse gegenüber der abgespaltenen Republiken in Erwägung zu ziehen, versammelten sich radikale Nationalisten mit Molotow-Cocktails vor dem Regierungsgebäude.

Wenn es Russland um die „Befreiung“ des Donbass geht – warum marschiert es dann auf breiter Front ein und greift auch Kiew, Lemberg oder Charkiw an, die hunderte Kilometer von Donezk und Lugansk entfernt liegen?

Einfach nur die Donbass-Republiken mit Soldaten zu unterstützen hätte nichts gebracht, da die ukrainische Armee mit Raketen auf die Republiken schießt. Deshalb muss Russland die ukrainischen Einheiten so weit wie möglich zurückdrängen – und sicherstellen, dass danach nicht wieder vorgerückt wird.

Russland hat sich die Demilitari­sierung und „Entnazifizierung“ der Ukraine als Ziel gesetzt, da die nationalistischen Kräfte ansonsten im­mer wieder versuchen würden, den Donbass anzugreifen. Russland zerstört daher militärstrategische Ziele überall im Land, um die ukrainische Armee zu schwächen: Waffen­ und Öllager, Übungsplätze, militärische Flughäfen.

Warum hat Russland jetzt angegriffen – und nicht bereits 2014?

Wenn Wladimir Putin der blutrünstige Aggressor wäre, als der er in westlichen Medien meist dargestellt wird, hätte er wohl 2014 angegriffen. Das tat er aber nicht. Russland hat sich aus dem Konflikt weitgehend herausgehalten. Die im Donbass abgehaltenen Referenden, nach denen sich Donezk und Lugansk zu „Volksrepubliken“ erklärten, wurden durch Russland acht Jahre lang nicht anerkannt. Putin legte den Republiken sogar nahe, dass er ihren Antrag auf Aufnahme in die Russische Föderation nicht annehmen würde, sollten sie einen solchen stellen. Viele Menschen im Donbass haben gefragt, warum Russland ihnen nicht helfe. Einige waren sogar richtig sauer.

Die heftigen Kampfhandlungen in Mariupol ließen auch zahlreiche Wohngebiete zerstört und verwüstet zurück. (Foto: Lipp)

Ukraine in die NATO

Aktuell wurde Russland durch mehrere Umstände gezwungen, militärisch gegen die Ukraine vorzugehen. Erstens nahm der Beschuss der Donbass-Bevölkerung, von der ein Großteil die russische Staatsbürgerschaft besitzt, extrem zu. Zweitens lehnten NATO und USA Russlands Vorschläge für gegenseitige Sicherheitsgarantien ab. Damit signalisierten sie, die Ukraine in die NATO aufnehmen zu wollen, womit die Errichtung von NATO-Stützpunkten unmittelbar an der russischen Grenze ermöglicht würde. Putin hat immer wieder da­ vor gewarnt, dass dies eine rote Linie überschreiten und Konsequenzen nach sich ziehen würde.

Und drittens verkündete Selenskyi auf der Münchner Sicherheitskonferenz, dass er in Erwägung zieht, den im Budapester Abkommen geregelten Verzicht der Ukrai­ne auf den Besitz von Atomwaffen zurückzunehmen.

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Kommentar

Die „Terroristen“, die keine sein dürfen

„Klimaterroristen“ lautet das Unwort des Jahres 2022. Der Begriff sei im öffentlichen Diskurs benutzt worden, um Aktivisten und deren Proteste für mehr Klimaschutz zu diskreditieren, heißt es in der Begründung der Jury. Aktivisten seien mit Terroristen „gleichgesetzt und dadurch kriminalisiert und diffamiert werden“. Gewaltloser Protest, ziviler Ungehorsam und demokratischer Widerstand würden so in den Kontext von Gewalt und Staatsfeindlichkeit gestellt, rügte die Jury um die Marburger Germanistin Constanze Spieß.

Womöglich zum Tod geführt

Wer die Proteste verfolgt hat, wird sich die Augen reiben und fragen, wie man nur darauf kommen kann, dass die sogenannten Aktivisten „gewaltlos“ handeln. Da werden Gemälde mit Lebensmitteln, Farbe oder Öl beworfen und damit beschädigt, wenn nicht gar zerstört. Im Straßenverkehr blockiert man Rettungswege, sodass Unbeteiligte auf Hilfe warten müssen. Das kann lebensgefährliche Folgen haben und führte in mindestens einem Fall womöglich sogar zum Tod eines Unfallopfers. Dass durch das Festkleben der „Klimaschützer“ der Asphalt unnötig beschädigt wird, mag eine Lappalie sein. Mit dem Entfernen von Straßenschildern aber greifen die Aktivisten auf gefährliche Weise in den Straßenverkehr ein. Dennoch soll man die Verantwortlichen nicht als „Klimaterroristen“ bezeichnen.

Der Weiler Lützerath vor Beginn des Abrisses. (Foto: Arne Müseler/garzweiler.com/CC BY-SA 3.0 DE via Wikimedia Commons)

Wie sieht es aber aus, wenn „Klimaschützer“ mit Steinen oder Molotow-Cocktails auf Polizisten werfen, um den Weiler Lützerath vor dem Abriss zu bewahren? Und das, obwohl die Bewohner längst fortgezogen sind. Ihnen helfen die Aktivisten mit der klassischen Ausstattung von Linksextremen nicht. Was ist es anderes als Terrorismus, wenn in Kommunikationskanälen der Lützerath-Fans Appelle wie „Burn cops, not coal“ kursieren? Und wie sieht wohl erst nicht-friedlicher Protest aus, wenn solche Aktionen den Preisrichter des „Unworts des Jahres“ noch als friedlich gelten? Wohlgemerkt: Von den Gewaltaufrufen gegen Polizeibeamte distanziert haben sich weder die Bewegung als solche noch einzelne Exponenten wie Luisa Neubauer oder Greta Thunberg.

Brutalität der Einsatzkräfte

Man denke nur kurz an die Corona-Proteste der vergangenen drei Jahre. Man denke an die Menschen, die verhalten rufend und Transparente tragend durch die Städte ziehen. Ihre einzigen „Straftaten“ bestanden darin, im Freien keinen Mund-Nasen-Schutz zu tragen und sich des Versammlungsverbots zu widersetzen. Deutschlandweit riefen Medien nach verschärftem Polizeieinsatz und Strafen für diese „Lebensgefährder“, deren Bewegung zudem von „Rechtsextremen“ unterwandert sei. Die Brutalität, die die Einsatzkräfte vor allem in Berlin gegen die Menschen an den Tag legten, der Einsatz von Wasserwerfern und die Prügelattacken wurden in der Berichterstattung meist unterschlagen. Das Vorgehen der Polizei rief sogar den UN-Sonderberichterstatter über Folter, Nils Melzer, auf den Plan. Statt einer objektiven Berichterstattung sah sich Melzer einer Diffamierung durch Leitmedien wie die Süddeutsche Zeitung ausgesetzt.

Polizeibeamte bei der Räumung von Lützerath. (Foto: Lützi Lebt/CC BY-SA 2.0 via Wikimedia Commons)

Heute beklagen nun tatsächlich Klimaschützer die angebliche „Polizeigewalt“ gegen Protestierende in Lützerath. Die grüne Bundestagsabgeordnete Emilia Fester, die durch Tanzvideos und skurrile Ideen von sich reden machte, ließ sich mit dem Polizei-Shuttle als – ganz im Sinne der Gendersprache so bezeichnete – „parlamentarische Beobachter*in“ ins Demonstrationsgebiet fahren. Um dann dort die Räumungsmethoden der Ordnungshüter verächtlich zu machen. Für kritische Menschen stellen sich hier viele Fragen. Dass es sich beim Beurteilen und dem Vorgehen um Doppelmoral handelt, liegt mittlerweile für den, der es sehen will, klar auf der Hand. Dass der Journalismus der öffentlich-rechtlichen Medien in keiner Weise mehr unabhängig und objektiv berichtet, ebenfalls.

Es fehlt an Verstand

Zuletzt bleibt nur: Klimaterroristen und unterstützende Grüne bekämpften in Lützerath medienwirksam die Konsequenzen ihrer eigenen Entscheidung in Bezug auf den Atomausstieg. Schon 2012 war ersichtlich, dass der Atomausstieg den Ausbau von Kohlekraftwerken zur Folge haben würde. Anders wäre der deutsche Energiebedarf nicht zu sichern. Regenerative Energien wie jene aus Sonne und Wind reichen dafür nicht aus. Für derart logische Zusammenhänge, scheint es, fehlt es den Aktivisten an Verstand. Und ebenso den Grünen-Funktionären, die ihr Tun unterstützen.

In früheren Zeiten setzten Menschen, denen an Fortschritt und Veränderung gelegen war, auf Ausbildung, Forschung, Pioniergeist und Durchhaltevermögen. Heute kleben sie passiv und stumpfsinnig wartend auf der Straße, bestreiken freitags die Schule und strengen sich angesichts der vermeintlich drohenden Klima-Apokalypse auch fürs Abitur nicht mehr an. Und lassen derweil andere machen, über die sie sich hinterher beschweren.

Felicitas Nowak

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Im Blickpunkt

General: Noch nie solche Gleichschaltung erlebt

Polen will deutsche Leopard-2-Panzer an die Ukraine liefern und bringt die Bundesrepublik damit in Zugzwang. Denn Berlin müsste die Ausfuhr genehmigen. Bislang lehnt die Bundesregierung dies ab. Allerdings wurden zuletzt auch hierzulande die Forderungen lauter. FDP-Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann rief Kanzler Olaf Scholz auf, die Exportgenehmigung zu erteilen. „Der Kanzler sollte angesichts des Dramas in der Ukraine über seinen Schatten springen“, meint die FDP-Politikerin, die seit Monaten schwere Waffen für die Ukraine fordert. Auch die Lieferung von 40 Marder-Schützenpanzern deutet an, dass die Bundesregierung von ihrem Nein abrückt. Scharfe Kritik an derlei Waffenlieferungen kommt nun erneut von Ex-Brigadegeneral Erich Vad.

Prominenter Kritiker

„Das ist eine militärische Eskalation, auch in der Wahrnehmung der Russen“, sagt Vad in einem gestern veröffentlichten Interview mit der Zeitschrift Emma. Der Marder sei zwar keine Wunderwaffe. Mit der kürzlich genehmigten Lieferung der mehr als 40 Jahre alten Schützenpanzer begebe sich Deutschland aber auf eine Rutschbahn. „Das könnte eine Eigendynamik entwickeln, die wir nicht mehr steuern können.“ Vad war bis 2013 militärpolitischer Berater von Angela Merkel. Seit Monaten gehört er zu den prominentesten Kritikern der Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine. Auch den Offenen Brief, den eine Reihe von Prominenten um die Emma-Herausgeberin Alice Schwarzer im April an Bundeskanzler Scholz geschrieben hat, hat Vad unterzeichnet. Mittlerweile unterstützen den Brief fast 500.000 Menschen. Für seine Haltung sieht sich der Ex-Militär teils heftiger Angriffe ausgesetzt.

Die deutschen Schützenpanzer vom Typ Marder sind mehr als vier Jahrzehnte alt. 40 von ihnen sollen an die Ukraine geliefert werden. (Foto: Sonaz/CC BY-SA 2.0 DE via Wikimedia Commons)

Vad sieht die Solidarität mit der Ukraine grundsätzlich als richtig an. „Natürlich ist Putins Überfall nicht völkerrechtskonform“, meint er. Es fehle der westlichen Politik aber eine klare Strategie. Was wollen NATO, USA, EU und Bundesrepublik also in der Ukraine erreichen? Lange hieß es insbesondere in Deutschland: Die Ukraine darf nicht verlieren. Immer häufiger hört man nun von Regierungsvertretern: Russland muss besiegt werden. „Wir haben eine militärisch operative Patt-Situation, die wir aber militärisch nicht lösen können“, sagt dazu der Ex-General. Das sei auch die Meinung des amerikanischen Generalstabschefs Mark Milley. „Er hat gesagt, dass ein militärischer Sieg der Ukraine nicht zu erwarten sei und dass Verhandlungen der einzig mögliche Weg seien. Alles andere bedeutet den sinnlosen Verschleiß von Menschenleben.“

Eine unbequeme Wahrheit

Mit ihrer Ablehnung der bedingungslosen Unterstützung der Ukraine kommen Vad und andere Kritiker in den großen deutschen Medien nahezu nicht vor. Auch die Äußerungen von US-Stabschef Milley fanden nicht statt, hat Vad festgestellt. „Das Interview mit Milley von CNN tauchte nirgendwo größer auf, dabei ist er der Generalstabschef unserer westlichen Führungsmacht.“ Die unbequeme Wahrheit, die Milley ausgesprochen habe, passe nicht zur medialen Meinungsbildung. „Wir erleben weitgehend eine Gleichschaltung der Medien, wie ich sie so in der Bundesrepublik noch nie erlebt habe“, kritisiert Vad. „Das ist pure Meinungsmache. Und zwar nicht im staatlichen Auftrag, wie es aus totalitären Regimen bekannt ist, sondern aus reiner Selbstermächtigung.“

Anton Hofreiter ist einer der grünen Wortführer, wenn es um die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine geht. (Foto: Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen/CC BY 2.0 via Wikimedia Commons)

In der Bevölkerung habe die Lieferung schwerer Waffen längst keine Mehrheit mehr, sagt Vad. „Das alles wird jedoch nicht berichtet. Es gibt weitestgehend keinen fairen offenen Diskurs mehr zum Ukraine-Krieg, und das finde ich sehr verstörend.“ Vor allem die Grünen kritisiert Vad scharf. „Die Mutation der Grünen von einer pazifistischen zu einer Kriegspartei verstehe ich nicht. Ich selbst kenne keinen Grünen, der überhaupt auch nur den Militärdienst geleistet hätte. Anton Hofreiter ist für mich das beste Beispiel dieser Doppelmoral.“ Dass Deutschland mit Annalena Baerbock „endlich mal eine Außenministerin“ hat, freue ihn. „Aber es reicht nicht, nur Kriegsrhetorik zu betreiben und mit Helm und Splitterschutzweste in Kiew oder im Donbass herumzulaufen. Das ist zu wenig.“

Eine Strategie, die nicht funktioniert

In der Ukraine werde ein Abnutzungskrieg geführt, analysiert Vad. „Und zwar einer mit mittlerweile annähernd 200.000 gefallenen und verwundeten Soldaten auf beiden Seiten, mit 50.000 Ziviltoten und mit Millionen von Flüchtlingen.“ Dem US-Stabschef drängte sich da der Vergleich zum Ersten Weltkrieg auf. Allein die „Blutmühle von Verdun“ habe „zum Tod von fast einer Million junger Franzosen und Deutscher geführt“, erinnert Vad. „Sie sind damals für nichts gefallen. Das Verweigern der Kriegsparteien von Verhandlungen hat also zu Millionen zusätzlicher Toter geführt. Diese Strategie hat damals militärisch nicht funktioniert – und wird das auch heute nicht tun.“

Um zu einer Lösung der Krise zu kommen, meint Vad, sollte man die Menschen in der Region, also im Donbass und auf der Krim, einfach fragen, zu wem sie gehören wollen. „Man müsste die territoriale Integrität der Ukraine wiederherstellen, mit bestimmten westlichen Garantien. Und die Russen brauchen so eine Sicherheitsgarantie eben auch. Also keine Nato-Mitgliedschaft für die Ukraine. Seit dem Gipfel von Bukarest von 2008 ist klar, dass das die rote Linie der Russen ist.“

Thomas Wolf

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Der Staatsstreich, der keiner ist

Der vermeintliche rechte Umsturz-Versuch ist die Meldung des Tages bei fast allen großen Medien. „Reichsbürger planten Staatsstreich“, titelt tagesschau.de. „Sie wollten sich bewaffnen und den Bundestag stürmen, planten einen Staatsstreich“, heißt es beim ZDF. Bei der Süddeutschen Zeitung liest man von „52 Männern und Frauen, die einen Staatsstreich geplant haben sollen“. Auch die renommierte Frankfurter Allgemeine schreibt vom „Staatsstreich“. In Internetdiskussionen und Telegram-Kanälen sieht man diese Meldungen kritisch. Man glaubt an eine Inszenierung, nicht an einen drohenden Umsturz.

Mehr als Sandkasten-Spiele?

Was die Gruppe von ehemaligen Soldaten der Bundeswehr und der Nationalen Volksarmee der DDR, von Ärzten, Unternehmern und Politikern rund um den Frankfurter Adligen Heinrich Reuß tatsächlich geplant hat, lässt sich im Moment nicht beantworten. Waren die sinistren Pläne mehr als Sandkasten-Spiele und aus dem Ruder gelaufene Polit-Diskussionen bei Telegram? Drohte der verfassungsmäßigen Staatsordnung der Bundesrepublik von jenen „Reichsbürgern“ wirklich eine Gefahr? Sollte der Bundestag tatsächlich gestürmt und Reuß zum Regenten eines erneuerten Deutschen Reichs erhoben werden?

Die deutsche Flagge auf dem Kopf. So soll sie in Reichsbürger-Kreisen Verwendung finden. Andere benutzen Schwarz-Weiß-Rot, die alten Farben des Kaiserreichs.

Eines ist bei aller Ungewissheit klar: Ein Staatsstreich war der vermeintliche Umsturz-Versuch nicht. Das ist keine strafrechtliche Frage, sondern eine der Begrifflichkeiten. Traditionell unterscheidet die deutsche Sprache den Staatsstreich vom Putsch. Während letzterer von nachrangigen Aufrührern (etwa Offizieren der Armee) durchgeführt wird, geht der Staatsstreich von den Herrschenden aus. Das muss nicht notwendigerweise das Staatsoberhaupt sein. Denkbar wäre auch die federführende Beteiligung etwa eines Ministers. Kommt der Umsturz als Teil einer Massenbewegung aus dem Volk, spricht man von Revolution.

Gegenteil eines Staatsstreichs

Der Duden gibt in seiner Online-Ausgabe als Bedeutung von Putsch an: „von einer kleineren Gruppe (von Militärs) durchgeführter Umsturz(versuch) zur Übernahme der Staatsgewalt“. Ein Staatsstreich dagegen ist demnach ein „gewaltsamer Umsturz durch etablierte Träger hoher staatlicher Funktionen“. Dem „Politiklexikon“ von Klaus Schubert und Martina Klein gilt der Putsch sogar regelrecht als Gegenteil eines Staatsstreichs. Diese klare begriffliche Trennung verschwimmt jedoch zusehends. Gerade Journalisten der großen Medienhäuser nutzen beide Ausdrücke mittlerweile offenbar synonym.

Das mag mit daran liegen, dass sich der Putsch nicht immer klar vom Staatsstreich trennen lässt. So könnte die gemeinhin als Putsch bezeichnete Umsturz in Chile am 11. September 1973 auch ein Staatsstreich gewesen sein. Putschisten-Chef Augusto Pinochet war schließlich kurz zuvor zum Oberbefehlshaber des Heeres ernannt worden. Er hatte also ein hohes Amt in der Regierung. Eindeutig ein Putsch war dagegen der gescheiterte Umsturzversuch der noch jungen Nazi-Bewegung 1923 in München, der Hitlerputsch.

Chiles Putschisten-Führer Augusto Pinochet (mit Schärpe). Zum Zeitpunkt seines Putschs 1973 war er Oberbefehlshaber des Heeres. (Foto: Biblioteca del Congreso Nacional de Chile/CC BY-SA 3.0 CL via Wikimedia Commons)

Möglicherweise liegt dem zunehmenden Gebrauch des Begriffs Staatsstreich für Putsch auch ein verdeckter Anglizismus zugrunde. Im Englischen kann das aus dem Französischen stammende „Coup d’état“ nämlich sowohl für den Putsch (von unten) als auch den Staatsstreich (von oben) stehen. Die aktuelle Reichsbürger-Revolte aber ist weit entfernt von einem Staatsstreich. Es sei denn, sie hätte hochrangige Regierungsvertreter in ihren Unterstützer-Reihen. Das aber wollen Tagesschau, Süddeutsche und Co. durch den Begriff Staatsstreich sicherlich nicht andeuten.

Das Reich ist nicht untergegangen

Die sogenannten Reichsbürger sind eine heterogene Gruppe von nur teilweise rechtsgerichteten Menschen. Der Mehrheit von ihnen gemein dürfte sein, dass sie in der Bundesrepublik kein souveränes Land sehen und von der fortdauernden Existenz des Deutschen Reichs ausgehen. Manche Reichsbürger-Gruppierungen geben eigene (Pseudo-)Pässe heraus. Immerhin in einem Punkt liegen sie nicht falsch: Das Deutsche Reich ist nicht untergegangen. Nach herrschender Lehre ist es nämlich mit der Bundesrepublik identisch.

Thomas Wolf

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Warum „Regime von Kiew“?

Immer wieder spricht Wladimir Putin, sprechen die russischen Behörden vom „Kiewer Regime“ oder „Regime von Kiew“. So auch jüngst wieder, als Putin nach dem Sprengstoffanschlag auf die Krim-Brücke über die Straße von Kertsch eine härtere Gangart gegenüber der Ukraine ankündigte. „Regime“: Das klingt herabwürdigend – und soll wohl auch so klingen. In Kiew sitzt demnach eine Regierung mit fragwürdiger Legitimation. Zumindest für Russland. Verbirgt sich dahinter mehr als die propagandistische Rhetorik eines verfeindeten Landes?

Die Brücke über die Straße von Kertsch hat strategische Bedeutung für die Versorgung der Krim-Halbinsel. Ein Anschlag, der mutmaßlich vom ukrainischen Geheimdienst verübt wurde, beschädigte das Bauwerk vor einigen Tagen. (Foto: Rosavtodor.ru/CC BY 4.0 via Wikimedia Commons)

Zunächst eine Begriffsbestimmung: Regime kommt aus dem Französischen und bedeutet schlicht so viel wie „Regierungsform“. Das Wort ist in seinem Ursprung also nicht negativ konnotiert. In diesem Sinne gebraucht bis heute auch die Politikwissenschaft den Begriff. Wer dagegen landläufig von einem Regime spricht, meint damit in aller Regel eine irreguläre Herrschaft. So auch Putin. Für ihn sitzt in Kiew eine illegitime Regierung – eben ein „Regime“. Wie für die USA einst im Irak das „Saddam-Regime“ oder für die NATO-Staaten das „Milošević-Regime“ in Jugoslawien.

Für den Westen dagegen ist Wolodymyr Selenskyj der legitime, demokratisch gewählte Präsident der Ukraine. Was also veranlasst Wladimir Putin, Selenskyj die Legitimität abzusprechen? Will er seinen Kriegsgegner einfach nur diskreditieren? Ihn verbal auf eine Ebene mit dem früheren irakischen Diktator Saddam Hussein stellen? Oder ist das russische Gerede vom „Kiewer Regime“ die Fortsetzung des vom Kreml ausgegebenen Ziels der „Entnazifizierung“ der Ukraine mit anderen Mitteln?

Keine reine Propaganda

Bei genauerer Betrachtung ist das „Regime von Kiew“ keine reine Kreml-Propaganda. Oder anders gesagt: Der propagandistische Gebrauch des Ausdrucks „Regime“ für die ukrainische Regierung durch Moskau bedeutet nicht, dass derlei Titulatur jegliche Berechtigung fehlen würde. Die Spurensuche führt fast ein Jahrzehnt zurück: in die Jahre 2013 und 2014. Präsident der Ukraine war damals Wiktor Janukowytsch, der westlichen Medien als prorussisch galt, in mehrerlei Hinsicht aber für einen Ausgleich zwischen Ost und West stand.

Bei der Wahl des Staatsoberhaupts 2010 hatte sich Janukowytsch, der aus dem großteils russischsprachigen Osten der Ukraine stammt, gegen die vom Westen unterstützte Julija Tymoschenko durchgesetzt. Anders als unter seinem russlandkritischen Amtsvorgänger Wiktor Juschtschenko näherte sich die Ukraine unter Janukowytschs Ägide wieder dem Kreml an. Freilich ohne die guten Kontakte zum Westen aufzugeben. Die Ukraine, betonte Janukowytsch, wolle eine „Brücke zwischen Russland und der EU“ sein.

Unterzeichnung ausgesetzt

Im November 2013 setzte die ukrainische Regierung die Unterzeichnung eines geplanten Assoziierungsabkommens mit der Europäischen Union aus, das Janukowytsch stets unterstützt hatte. Die Verhandlungsführung der EU hatte den Ukrainern offenbar Grund zu der Annahme geliefert, sie müssten sich zwischen den beiden Wirtschaftspartnern EU und Russland entscheiden. Das aber wollte Janukowytsch nicht. Ihm schwebte eine neutrale Ukraine auf halbem Weg zwischen Brüssel und Moskau vor.

Die Proteste auf dem Maidan zogen Zigtausende an. Ziel war der Sturz der Regierung Janukowytsch. (Foto: Nessa Gnatoush/CC BY 2.0 via Wikimedia Commons)

Die prowestliche Opposition wiederum wertete die vorläufige Absage an das Assoziierungsabkommen als Absage an Europa und Rückkehr in die Arme des Kreml. In kurzer Zeit organisierten Tymoschenkos „Allukrainische Vereinigung Vaterland“, die Ukrainische demokratische Allianz für Reformen (UDAR) des Ex-Profiboxers Vitali Klitschko und die weit rechts stehende nationalistische Swoboda Massendemonstrationen auf dem zentralen Kiewer Maidan-Platz. Auch der Rechte Sektor, eine militante rechtsextreme Schlägertruppe, war prominent an den Protesten beteiligt.

Dollars für die Revolution

Zum zweiten Mal innerhalb von zehn Jahren richteten sich Massendemonstrationen gegen die gewählte Regierung der Ukraine. Bereits 2004 war der Maidan Schauplatz gewaltiger Proteste. Janukowytsch, bis dato Ministerpräsident der Ukraine, war offiziellen Angaben zufolge zum Präsidenten gewählt. Sein unterlegener Kontrahent Wiktor Juschtschenko akzeptierte seine Niederlage nicht und sprach von Wahlbetrug. Nach wochenlangen Protesten erklärte das Oberste Gericht die Wahl für ungültig und ordnete ihre Wiederholung an. Dabei erhielt Juschtschenko die meisten Stimmen. Aus den USA sollen mehr als 60 Millionen Dollar zur Unterstützung jener „Orangenen Revolution“ geflossen sein.

2004, bei der „Orangenen Revolution“, blieben die Proteste gegen die gewählte Regierung friedlich. Zehn Jahre eskalierte die Gewalt. (Foto: jf1234/CC BY-SA 2.0 via Wikimedia Commons)

Anders als zehn Jahre zuvor eskalierten die Proteste 2014. Gewalt durch Sicherheitskräfte und Demonstranten wechselte sich ab. Während etwa die Bundesregierung nach Einschätzung des Münchner Politologen Günther Auth anfangs noch um eine Vermittlung zwischen Janukowytsch und der Opposition bemüht war, ergriffen andere westliche Staaten klar Partei. „Neokonservative Regierungsnetzwerke der USA hatten im Verbund mit den Spitzen der NATO und den Regierungen Polens und Litauens schon lange vor Beginn der Proteste ukrainische Nationalisten zu einer militanten Opposition gegen die prorussische Regierung Janukowytsch aufgebaut“, ist Auth überzeugt.

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Im Blickpunkt

„Ich habe es satt, belogen zu werden“

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland hat ein Problem. Nicht erst seit dem Skandal um die zunächst nur zurückgetretene und dann fristlos entlassene Intendantin des Rundfunks Berlin-Brandenburg, Patricia Schlesinger, und den Vorwürfen gegen den Norddeutschen Rundfunk stehen die die Medienhäuser massiv in der Kritik. Bereits zuvor war die politische Neutralität in Frage gestellt, zu der der öffentlich-rechtliche Rundfunk eigentlich verpflichtet ist. Immer mehr Bundesbürger weigern sich, den Rundfunkbeitrag in Höhe von derzeit 18,36 Euro monatlich zu zahlen.

Patricia Schlesinger, Intendantin des RBB, trat zurück, nachdem Vorwürfe öffentlich wurden, sie habe Spesen zu Unrecht abgerechnet und Vergünstigungen angenommen. (Foto: Gregor Fischer/re:publica/CC BY-SA 2.0 via Wikimedia Commons)

Vor zwei Jahren ergab eine Umfrage unter Volontären der ARD, dass eine große Mehrheit von über 90 Prozent der Nachwuchs-Redakteure der Sendergemeinschaft Grüne, SPD oder Linkspartei wählen würde. Den Grünen stehen demnach allein schon sechs von zehn Volontären von WDR, SWR und Co. nahe. Über die festangestellten Redakteure sagt das zwar noch nichts aus – aber an einer ausgewogenen Berichterstattung lassen die Zahlen doch manchen zweifeln. Erst recht stellen ARD und ZDF nach Ansicht der Kritiker ihre Unabhängigkeit und die stets betonte „Staatsferne“ durch ihre inhaltliche Ausrichtung der vergangenen Jahre selbst immer wieder in Frage.

Konflikte blieben nahezu unerwähnt

Bereits im Rahmen der „Flüchtlingskrise“ ab Sommer 2015 fielen die öffentlich-rechtlichen Medien durch Beiträge auf, in denen meist die Not der Flüchtlinge und die Aufnahmebereitschaft der Deutschen betont wurden. Angela Merkels „Wir schaffen das“ fand nach Ansicht der Kritiker seine Fortsetzung in Tagesschau, Tagesthemen und Heute-Nachrichten. Die Probleme und Konflikte, die die Zuwanderung von mehr als einer Million Menschen aus einem fremden Kulturraum – die Mehrheit davon junge Männer – mit sich bringt, blieben nahezu unerwähnt.

Durch die Berichterstattung in der Corona-Krise sehen die Kritiker sich vollends bestätigt. In ihren Augen wandelte sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk während der Pandemie endgültig zum reinen Verlautbarungsorgan der Regierung. Kritik an den teils harschen Schutzmaßnahmen fand kaum statt. Obwohl mittlerweile immer mehr wissenschaftliche Studien den Nutzen von Maskenpflicht und Lockdowns in Frage stellen, die Zweifel an den neuartigen, zuvor noch nie am Menschen erprobten mRNA-Impfstoffen zunehmen und die Zahl der potenziellen schweren Impfschäden steigt, spielen die öffentlich-rechtlichen Medien dies noch immer herunter.

Während in anderen europäischen Ländern die Maskenpflicht längst Geschichte ist, muss in Deutschland etwa in Bus und Bahn weiter ein medizinischer Mund-Nasen-Schutz getragen werden. Zum 1. Oktober wird die Maskenpflicht sogar wieder verschärft. (Foto: Pixabay)

Ernst Hundsdorfer reicht es nun endgültig. Der Zahnarzt aus Mainburg in Niederbayern will seinen monatlichen Rundfunkbeitrag nicht länger bezahlen und begründet dies in einem Schreiben an den ARD ZDF Deutschlandradio Beitragsservice, das unserer Redaktion vorliegt. „Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat den sogenannten öffentlich-rechtlichen Programmauftrag zu erfüllen, der in den entsprechenden gesetzlichen Grundlagen verankert ist“, schreibt Hundsdorfer. „Danach müssen die Programme den Zuschauern und Zuhörern umfassend und ausgewogen Information, Bildung, Kultur und Unterhaltung anbieten. Dies ist nicht mehr der Fall.“

Hundsdorfer beklagt, er sei wegen seiner Ablehnung der Corona-Impfung diffamiert, beleidigt und ausgegrenzt worden. Die Medien hätten daran einen wesentlichen Anteil gehabt: Man habe die Öffentlichkeit in der Corona-Krise von Anfang an falsch informiert und belogen. Wissenschaftliche Forschungsarbeiten seien den Menschen vorenthalten worden. Einen Grund dafür vermutet Hundsdorfer in den staatlichen Corona-Hilfen für Zeitungsverlage und der Erhöhung des Rundfunkbeitrags. „Auf Grund dieser hohen finanziellen Zuwendungen an die Medien erscheinen mir die Berichterstattungen nicht mehr ausgewogen, sondern völlig einseitig.“

„Über 20 Menschen nach der Impfung verstorben“

„Es kränkt, als asozial dargestellt zu werden, wenn man diese Impfung gegen Corona ablehnt“, führt Hundsdorfer aus. „In unserem erweiterten Bekanntenkreis sind über 20 Menschen nach der Impfung verstorben, mittlerweile habe ich aufgehört zu zählen.“ Patienten, die er als Zahnarzt betreut, berichteten ihm von unerwarteten Todesfällen. „Genau wie diese Patienten glaube ich nicht an Zufälle. Zwei Altenpflegerinnen erzählten mir, dass auf ihrer Station neun von 35 pflegebedürftigen Personen wenige Tage nach der Impfung verstorben sind. Ähnliches berichtete eine Altenpflegerin von einem anderen Heim. Wen wundert es also, das sich in Pflegeheimen das Personal nicht impfen lassen will?“

Bekannte berichteten Ernst Hundsdorfer von einer Häufung von Klinikpatienten mit Schlaganfällen und Herzinfarkten. (Foto: Pxhere)

Eine Nachbarin seiner Schwester, die als Krankenschwester in einer Rehaklinik arbeitet, habe ihm erzählt, dass auf ihrer Station auf dem Höhepunkt der Impfkampagne „viel mehr Patienten als früher mit Schlaganfällen und Herzinfarkten“ lagen, berichtet Hundsdorfer. Ähnliches habe er von Mitarbeitern der Universitätsklinik Regensburg gehört. „In meiner Heimatstadt Mainburg starben 2021 elf Prozent mehr Menschen als 2020. Ab 2021 stand die Impfung zur Verfügung, man möchte doch meinen, dass mit Beginn der Impfung dadurch weniger Menschen sterben würden.“ Daten des Statistischen Bundesamtes legen für den Zahnmediziner nahe, dass seit Beginn der großflächigen Impfkampagne in Deutschland „auffällig viele Menschen mittleren Lebensalters gestorben sind“.

„Natürlich wird es Spätfolgen geben“

„Professor Robert Malone, Co-Autor bei den Pionierarbeiten der derzeitigen Impfstoffen, der diese Impfstoffe entscheidend mitentwickelt hat und der als Nobelpreiskandidat gehandelt wurde, warnt wiederholt eindringlich davor, diese Impfstoffe Menschen zu verabreichen. Er selbst würde keinesfalls seine Kinder und Enkelkinder damit impfen lassen. So wie dieser herausragende Wissenschaftler werden nun viele andere renommierte Wissenschaftler in den Medien diffamiert und ignoriert“, schreibt Hundsdorfer. Während Politiker und Gesundheitsexperten der Regierung Spätfolgen der mRNA-Impfung lange Zeit ausschlossen, war Hundsdorfer sich sicher: „Natürlich wird es Spätfolgen geben.“

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PR-Gag oder Demokratie? – Telegram lässt abstimmen

Telegram galt lange als so etwas wie das „Enfant terrible“ der Sozialen Medien im Internet: Während Facebook oder Twitter frühzeitig dazu übergingen, tatsächliche oder vermeintliche „Fake News“ zu Themen wie Corona, der Impfkampagne oder der Flüchtlingspolitik mit Warnhinweisen zu versehen, zu zensieren oder ihre Urheber zu sperren, wollte die von dem Russen Pawel Durin gegründete Plattform nicht zum Zensurstift greifen. Das ist Vergangenheit. Längst zensiert auch Telegram auf Druck der Behörden ganze Kanäle, insbesondere, wenn es sich dabei um staatsnahe russische Medien handelt.

Nun lässt Telegram in Deutschland seine Nutzer abstimmen. „Wir, das Telegram Team, bitten dich uns deine Meinung mitzuteilen, wie die Daten der deutschen Telegram-Nutzer mit den deutschen Behörden, einschließlich der deutschen Polizei (BKA), geteilt werden können (oder nicht)“, heißt es in einer Nachricht, die alle Telegram-Nutzer erhalten haben, die bei dem Messenger-Dienst mit deutscher Telefonnummer registriert sind.

Missbrauch der Plattform

Um den Missbrauch der Plattform „durch terroristische Gruppen zu verhindern, erlaubt uns unsere aktuelle Datenschutzerklärung seit 2018, IP-Adressen und Telefonnummern von Terrorverdächtigen auf Anfrage der Regierung, die durch einen Gerichtsbeschluss gestützt wird, offenzulegen. Wir führen diese Abstimmung durch, um herauszufinden, ob unsere deutschen Nutzer unsere aktuelle Datenschutzerklärung unterstützen oder ob sie die Zahl der Fälle, in denen Telegram potenziell Daten an Behörden weitergeben kann, verringern oder erhöhen möchten.“

Zur Auswahl stehen drei Optionen. Möglichkeit Nr. 1 entspricht der aktuellen Regelung: Datenweitergabe nur auf Grundlage einer Gerichtsentscheidung. Möglichkeit Nr. 2 würde die Weitergabe auch ohne Gerichtsentscheidung erlauben – rein auf Anforderung der Behörden. „Diese Option wäre, sofern sie Zustimmung findet, komplett neu für Telegram und erfordert deswegen eine Änderung unserer Datenschutzerklärung für Nutzer aus Deutschland“, erläutert der Dienst. Möglichkeit Nr. 3 würde jegliche Datenweitergabe ausschließen.

Widerspruch zum Fernmeldegeheimnis

Nur Option 1 ist nach Ansicht des Stuttgarter Medienrechtlers Tobias Keber mit der gegenwärtigen Rechtslage vereinbar. Eine Ausweitung der Zugriffsmöglichkeiten für Sicherheitsbehörden würde dem Datenschutzrecht und dem Schutz des Fernmeldegeheimnisses widersprechen, sagte Keber der Nachrichtenagentur KNA. In der Abstimmung vermutet er einen bloßen „PR-Gag“, wodurch Telegram sich einen basisdemokratischen Anstrich geben wolle.

Aktuell liegt Option 1 knapp vorn. 39 Prozent der Teilnehmer sprechen sich für eine Beibehaltung der aktuellen Datenschutz-Regeln aus. Für ein völliges Ende der Kooperation mit den deutschen Behörden stimmen 37 Prozent. Nur 20 Prozent unterstützen eine Datenweitergabe ohne Gerichtsbeschluss. Noch bis Montag um 12 Uhr haben die Nutzer die Möglichkeit, sich an der Abstimmung zu beteiligen. Mehr als zwei Millionen haben dies bereits getan. Weltweit hat Telegram rund 700 Millionen aktive Nutzer.

Thomas Wolf

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Die tägliche Dosis Propaganda

Dass der Ukraine-Krieg ein beispielloser Propagandakrieg werden würde – das zeichnete sich bereits am 24. Februar ab, als die russische Armee in das Nachbarland einmarschierte, das durch acht Jahre Bürgerkrieg und eine politische Zerrissenheit sondergleichen geschwächt war. Der Kreml begründete die Invasion mit einer kurz zuvor vereinbarten Beistandsverpflichtung für die beiden separatistischen Donbass-Republiken Donezk und Lugansk – und mit einer vermeintlichen Notwendigkeit, die Ukraine müsse „entnazifiziert“ und „entmilitarisiert“ werden.

Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (2.v.r.) mit ihren Amtskollegen aus den USA, Frankreich und Großbritannien. Die SPD-Politikerin sieht wenig Spielraum für die Lieferung weiterer Bundeswehr-Waffen an die Ukraine. (Foto: U.S. Secretary of Defense/Chad J. McNeeley/CC BY 2.0 via Wikimedia Commons)

Für die Ukraine und den Westen ist der russische Einmarsch dagegen ein durch nichts provozierter „völkerrechtswidriger Angriffskrieg“. Erst kürzlich wieder, zum ukrainischen Unabhängigkeitstag, bekräftigten westliche Politiker wie Bundeskanzler Olaf Scholz und Großbritanniens scheidender Premierminister Boris Johnson ihre Solidarität mit Kiew. Scholz stellte weitere deutsche Waffenlieferungen in Aussicht – allerdings machte mittlerweile Verteidigungsministerin Christine Lambrecht deutlich, sie sehe kaum noch Möglichkeiten, Waffen aus Beständen der Bundeswehr in die Ukraine zu schicken.

Ultranationalistische Freiwilligenverbände

Dass die ukrainische Antiterror-Operation, die sich nach der Abspaltung der beiden „Volksrepubliken“ im Donbass gegen die Separatisten richtete, nicht nur durch die ukrainische Armee ausgeführt wurde, sondern auch durch ultranationalistische Freiwilligenverbände wie das Asow-Regiment, ist im Westen kein Geheimnis. Jene Privatarmeen, die 2015 formell in die ukrainische Nationalgarde eingegliedert wurden, sind es, deren politische Vorgeschichte und Ausrichtung aus russischer Sicht eine „Entnazifizierung“ nötig macht.

Kämpfer und gepanzerte Fahrzeuge des Asow-Regiments in Mariupol 2016. Ihre Flaggen zeigen die Wolfsangel, die Kritikern als NS-Symbol gilt. Mittlerweile soll das Regiment, das aus einem Freiwilligen-Bataillon hervorgegangen ist, sein umstrittenes Zeichen abgelegt haben. (Foto: Wanderer777/CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

Die Nazi-Vorwürfe des Kreml mögen als Teil des großen Propagandakriegs übertrieben sein. Sie mögen aus westlicher Sicht politisch nicht opportun sein. Tatsache ist aber: In den Wochen und Monaten nach der erfolgreichen prowestlichen Maidan-Revolution berichteten öffentlich-rechtliche Medien in Deutschland noch ohne Scheu von den organisierten Rechtsextremisten in der Ukraine, die selbst Minderjährige in Ferienlagern an der Waffe ausbildeten und gegen ihre russischsprachigen Landsleute hetzten, die sie offenbar als Menschen zweiter Klasse betrachteten.

Scharf kritisierte WDR-Journalist Georg Restle 2014 die ukrainischen Truppen und ihren Einsatz im Donbass. „Auch das ukrainische Militär terrorisiert die Zivilbevölkerung“, kommentierte er. „Es trägt den Krieg mit Artilleriefeuer in Wohn- und Schlafzimmer. Es nimmt kaum Rücksicht auf die Not der Menschen und auf deren Leben offenbar noch weniger.“ Heute gelten derlei Vorwürfe im Westen schnell als Kreml-Propaganda, deren Verbreitung eingedämmt werden müsse. Asow und Co., hört man, seien heute deutlich gemäßigter als 2014.

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Ruhm, Ehre oder Heil? – Ein umstrittener Gruß

„Slawa Ukraini!“ – mit diesem mittlerweile weltbekannten ukrainischen Schlachtruf beendete Bundeskanzler Olaf Scholz seine Videobotschaft, mit der er dem osteuropäischen Land gestern auf seinem Twitter-Auftritt zum Unabhängigkeitstag gratulierte und zugleich weitere deutsche Waffenlieferungen versprach. „Slawa Ukraini!“ – seit dem Beginn der russischen Invasion ist die pathetische Grußformel in aller Munde. Zumindest im Mund derer, die das angegriffene Land bedingungslos unterstützen und dabei womöglich die Vorgeschichte der Eskalation außer Acht lassen.

In die Nähe eines faschistischen Regimes gerückt

Was aber bedeutet „Slawa Ukraini“? Im Internet kursieren dazu verschiedene Übersetzungen, die unterschiedlicher kaum sein könnten und sich oberflächlich betrachtet ausschließen. In pro-russischen Kreisen übersetzt man die Grußformel, die in der Ukraine gemeinhin mit „Herojam Slawa“ erwidert wird, mit „Heil der Ukraine“. „Herojam Slawa“ steht demnach für „Heil den Helden“. Die Übersetzung soll an die Worte erinnern, die in Nazi-Deutschland beim Hitlergruß gesprochen wurden. Die Ukraine wird damit in die Nähe eines faschistischen Regimes gerückt.

Bundeskanzler Olaf Scholz gratulierte der Ukraine per Videobotschaft zu ihrem Unabhängigkeitstag und schloss mit der pathetischen Grußformel „Slawa Ukraini“. Deren Übersetzung ist strittig. (Foto: Kremlin.ru/CC BY 4.0 via Wikimedia Commons)

Westliche Medien übersetzen den Schlachtruf dagegen meist unverdächtig mit „Ruhm der Ukraine – Ruhm den Helden“. Dem Internetlexikon Wikipedia zufolge sind auch „Ehre der Ukraine“ oder „Hoch lebe die Ukraine“ geläufige Übertragungen. Tatsächlich dürfte die Übersetzung „Ruhm“ der ukrainischen Bedeutung am nächsten kommen. Abgesehen davon, dass bevorzugt ukrainische Nationalisten mit „Slawa Ukraini“ grüßen, bleibt also bei der gängigen westlichen Deutung kaum etwas übrig, was an das „Sieg Heil“ der deutschen Nationalsozialisten erinnert.

Kampf gegen das bolschewistische Russland

Bei genauerer Betrachtung zeigt sich allerdings: So einfach ist die Sache nicht. „Slawa Ukraini“ hat seinen Ursprung in der noch jungen ukrainischen Nationalbewegung. Taras Schewtschenko (1814-1861), der als ukrainischer Nationaldichter gilt und mit seinen Werken zur Herausbildung eines nationalen ukrainischen Bewusstseins beitrug, soll den Ruf als einer der Ersten in einem Gedicht benutzt haben. Im Kampf der Ukraine gegen das bolschewistisch gewordene Russland ab 1917 nutzten Partisanen die Phrase als Gruß.

Bereits damals hatte „Slawa Ukraini“ einen stark antirussischen Beiklang. Zum deutschen Nationalsozialismus aber, der zu diesem Zeitpunkt nicht mal in den Kinderschuhen steckte, bestand keine Verbindung. Dies sollte sich spätestens Anfang der 1940er Jahre ändern. Damals nahm die Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) „Slawa Ukraini“ als ihren offiziellen Gruß an. Die OUN war eine nationalistische Untergrundbewegung, deren Mitglieder bis in die 1950er Jahre Widerstand gegen die sowjetische Herrschaft über die Ukraine leisteten. Kritikern gilt sie als faschistisch.

Zeitweise Kollaboration mit Nazi-Deutschland

Als am 22. Juni 1941 die deutsche Wehrmacht in der Sowjetunion einmarschierte, begrüßten viele Ukrainer die Invasion, weil sie sich dadurch die Befreiung vom Bolschewismus und Unterstützung auf dem Weg zu einem eigenständigen ukrainischen Staat versprachen. Die OUN kollaborierte eine Zeitlang mit den Deutschen, wandte sich aber von ihnen ab, als sich abzeichnete, dass die Wünsche nach Unabhängigkeit bei den Nazis auf taube Ohren stießen. Ab 1942 bekämpften die ukrainischen Nationalisten sowohl die deutsche Besatzungsmacht als auch die Sowjetunion.

Betrachtet man die Zeit genauer, als OUN und NS-Deutschland vorübergehend Seite an Seite standen, muss man zu dem Schluss kommen, dass die Übersetzung „Heil der Ukraine“ für „Slawa Ukraini“ eben doch nicht so abwegig ist, wie westliche Medien und Politiker dies gern hätten. Ein Foto, das – wohl im Sommer 1941 – im westukrainischen Schowkwa bei Lemberg (Lwiw) aufgenommen wurde, zeigt einen Torbogen des örtlichen Schlosses, der mit mehreren Spruchbändern behängt ist.

Der Nazi-Gruß „Heil Hitler“ und seine ukrainische Entsprechung auf einem Spruchband an einem Torbogen des Schlosses Schowkwa im Westen der Ukraine. Weiter liest man: „Lang lebe der Ukrainische Unabhängige Staat!“ (Foto: gemeinfrei)

„Heil Hitler!“, liest man da – und darunter das, was offensichtlich eine ukrainische Version des Nazi-Grußes sein soll: „Slawa Gitlerowi!“. Daneben, ebenfalls in zweiter Reihe, aber fast so groß wie die Anrufung des braunen „Führers“, prangt „Slawa Banderi!“ – eine Ehrbezeugung, die Stepan Bandera (1909-1959) gilt. Der aus Galizien stammende Führer des militärischen Flügels der OUN, der Ukrainischen Aufständischen Armee (UPA), gilt vielen seiner Landsleute bis heute als Held des Widerstands gegen Bolschewismus und russische Vorherrschaft.

Judenfeindliche Ausschreitungen und Massaker

Historiker verweisen dagegen auf judenfeindliche Ausschreitungen, an denen seine UPA beteiligt gewesen sei, und werfen ihr Massaker an der polnischen Volksgruppe im Westen der Ukraine vor. Bereits im Juli 1941 war Bandera von den Deutschen verhaftet und im Konzentrationslager Sachsenhausen interniert worden, wo er ähnlich wie der ehemalige österreichische Bundeskanzler Kurt Schuschnigg den Sonderstatus eines Ehrenhäftlings genoss. Nach Kriegsende tauchte Bandera im Westen unter. 1959 tötete ihn ein KGB-Agent in München, wo er unter falschem Namen lebte.

Natürlich muss, wer die Aufnahme aus Schowkwa betrachtet, dies mit der nötigen Rücksichtnahme auf die Umstände der Zeit tun. Zumindest damals, im Sommer 1941, – das belegt das Foto klar und deutlich – sah man offensichtlich überhaupt kein Problem darin, das ukrainische „Slawa“ mit „Heil“ zu übersetzen. „Slawa Ukraini“ – also doch „Heil der Ukraine“?

Thomas Wolf