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Im Blickpunkt

„Gibt kaum jemanden, der objektiver sein könnte“

Alina Lipp im Interview: Die junge Deutsche berichtet aus dem umkämpften Donbass – Ihre Beiträge stellen das westliche Narrativ vom russischen Aggressor in Frage

Im Internet berichten Sie von der Krim und aus dem Donbass. Westliche Medien nahmen Ihre Arbeit zunächst nicht wahr. Mittlerweile nennt man Sie „Putins Infokriegerin“. Wer ist Alina Lipp wirklich?

Westliche Medien haben meine Arbeit in den letzten Jahren komplett ignoriert. Der erste Artikel über mich erschien bei T­Online, in dem man mich „Putins Infokriegerin“ nannte. Der Verfasser wollte mir nicht zusichern, meine Aussagen unverändert zu veröffentlichen, daher habe ich die Beantwortung seiner Fragen abgelehnt. Er hat sich daraufhin sehr viel zusammengereimt und mich als jemanden dargestellt, der einen geheimen russischen Auftrag hätte. Das ist nicht der Fall.

Deutsche Mutter, russischer Vater

Ich bin mit einer deutschen Mut­ter und einem russischen Vater im Raum Hamburg ohne die russische Sprache aufgewachsen und habe nach dem Abitur angefangen, das Land meines Vaters zu erkunden und die Sprache zu lernen. Ich habe einen Masterabschluss in Nachhal­tigkeitswissenschaften und war einige Jahre bei den Grünen aktiv.

In der Ukrainekrise 2014 habe ich dadurch, dass ich russische und deutsche Medien verstehen kann und Verwandte auf der Krim besitze, gemerkt, dass in der deutschen Presse nicht immer korrekt berichtet wird. Ab 2016 war ich regelmäßig selbst auf der Krim, um mir ein eigenes Bild zu machen, habe einen Youtube-Kanal eröffnet und einfach auf Deutsch berichtet, was ich gesehen habe. Das gleiche mache ich nun mit dem Donbass: Ich filme, was ich sehe und übersetze das, was mir die Menschen vor Ort erzählen.

Mit Schutzhelm berichtet Alina Lipp aus einem zerstörten Gebäude. (Foto: Lipp)

Ihr Vater ist Russe, Sie waren Gast im russischen Fernsehen und haben auch schon Beiträge für kreml-nahe russische Medien geliefert. Besteht da nicht die Gefahr, für russische Propaganda eingespannt zu werden? Wie gelingt es Ihnen, objektiv zu bleiben?

Ich arbeite nicht für russische Medien – das ist ein von T-Online gestreutes Gerücht. Deutschland ist meine Heimat und ich wünsche ihr nur das Beste. Aber auch Russland und die russische Bevölkerung sind mir in den letzten Jahren sehr ans Herz gewachsen. Ich verstehe die Mentalität, die Sorgen und Missverständnisse auf beiden Seiten. Aus diesem Grund habe ich ein paar Mal an russischen Talk-Shows teil­genommen, bei denen Deutschland als Thema behandelt wurde.

Direkter Dialog viel zu selten

So ein direkter, offener Dialog findet auf beiden Seiten viel zu selten statt. Man redet übereinander statt miteinander, wodurch sich Meinungen über die andere Sei­te festigen, die nicht zutreffen. Ich spreche beide Sprachen, höre mir die Meinung beider Länder an, vermittle zwischen ihnen. Ich bin Deutsche und Russin – ich glaube, es gibt kaum jemanden, der objekti­ver sein könnte.

Wie können Sie im aktuellen Konflikt zwischen Propaganda und Wahrheit unterscheiden?

Dass die Ukraine acht Jahre lang das eigene Volk im Donbass umgebracht hat, ist unwiderlegbarer Fakt. Ich selbst habe fünf Monate unter täglichem ukrainischem Beschuss in Donezk gelebt. Ich bin auch oft mit Donezker oder russischen Soldaten an die Front gefahren und weiß, wie sie arbeiten. Sie haben den strengen Befehl, keine Zivilisten leiden zu lassen und ihnen zu helfen.

Die ukrainische Seite weiß das: Es ist vielfach belegt, dass sich ukrainische Soldaten in Wohnhäusern oder Schulen einnisten und von dort aus schießen – weil sie wissen, dass die Russen nicht zurückschießen, solange Zivilisten im Haus sind. Deshalb kommt Russland mit seiner Operation nur langsam voran. Sind alle Zivilisten fort und Russland verübt einen Schlag auf eine dieser Basen, wird in den Medien gesagt, Russland würde eine Schule ausbomben.

Bilder wie dieses gingen aus dem zerstörten Mariupol um die Welt. (Foto: Lipp)

Bombardiert und umgebracht

Wenn Sie die Menschen im Donbass betrachten, die sie kennengelernt haben: Glauben Sie, dass diese nach acht Jahren des Bürgerkriegs noch eine Zukunft ihrer Region in der Ukraine sehen?

Nicht unter der aktuellen Regierung. Würden Sie ihre Zukunft in einem Land sehen, das Sie acht Jahre lang bombardiert und Ihre Familie, Bekannten und Freunde umgebracht hat? Die Donbass-Bevölkerung wurde von ukrainischer Seite mehrfach als Vieh bezeichnet. Die Menschen haben deshalb nur noch Verachtung für die Ukraine übrig. Ich kann natürlich nicht sagen, was wäre, wenn eine neue Regierung vollstes Verständnis für sie zeigen und auf sie zugehen würde. Aber ich fürchte, die Verachtung sitzt bereits zu tief und man hat sich an die eigenen Republiken gewöhnt.

Wie könnte Ihrer Ansicht nach eine Lösung des Konflikts aussehen, die sowohl der ukrainischen als auch der russischen Seite und den Menschen im Donbass gerecht wird?

Als allererstes sollten Sicherheitsgarantien vereinbart werden, damit sich beide Seiten zukünftig nicht mehr bedroht fühlen müssen. Was den Donbass betrifft, ist wahrscheinlich die konfliktärmste Variante, dass die Volksrepubliken einen international anerkannten, souveränen Status erhalten.

Alina Lipp am Mahnmal für die Donezker Kinder, die durch ukrainischen Beschuss ums Leben kamen. (Foto: privat)

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