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Im Blickpunkt

Habecks Traum von verlorener Souveränität

Nicht nur grüne Spitzenpolitiker wünschen sich, dass Deutschland in den „Vereinigten Staaten von Europa“ aufgeht – Die Ampelregierung fordert im Koalitionsvertrag ausdrücklich einen europäischen Bundesstaat und greift damit eine Idee auf, die im Kern auf Pläne der Westalliierten zurückgeht

Im Internet macht ein Video die Runde und sorgt für einigen Wirbel. Es zeigt einen Ausschnitt aus einem in englischer Sprache gehaltenen Redebeitrag des grünen Wirtschaftsministers Robert Habeck beim Weltwirtschaftsforum in Davos. Habeck äußert sich darin zu seinen Vorstellung einer Europäischen Union der Zukunft. Er wünsche sich, sagt der grüne Spitzenpolitiker, eine „federal European republic“. Also eine „europäische Bundesrepublik“, einen europäischen Superstaat anstelle der aktuellen EU, die nach deutschem Rechtsverständnis als bloßer „Staatenverbund“ gilt.

Noch mehr Macht für Brüssel

In den sozialen Medien stößt Habecks Äußerung auf viel Kritik. Schließlich ginge eine Bundesrepublik EU mit einem deutlichen Souveränitätsverlust für ihre Gliedstaaten einher. Soll heißen: noch mehr Macht für Brüssel. Statt für Berlin, Paris oder Rom. Wirklich neu ist das nicht. Seit Jahren fordern gerade deutsche Politiker die immer weitergehende Vertiefung der europäischen Integration. Dies würde notwendigerweise dazu führen, dass Deutschland und die europäischen Nationalstaaten in einem Superstaat unter Brüsseler Führung aufgehen würden. Von Charles de Gaulles Vision eines „Europas der Vaterländer“ hat sich die Bundesrepublik lange schon verabschiedet.

Neu sind Habecks Überlegungen nicht. Schon im Januar 2020 sagte er in einem Vortrag an der Georgetown-Universität in Washington, er sehe die Zukunft Deutschlands in einer weitergehenden europäischen Einigung. „Dazu gehören die Übertragung weiterer Hoheitsrechte, die Steuerhoheit, eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und letztlich die Entstehung einer europäischen Bundesrepublik.“ Zugleich dankte Habeck den USA für den Sieg über den „deutschen Faschismus“. Dies habe den Deutschen die Chance gegeben, sich „in Europa als friedliche Mitbürger zu beweisen“. Indem sie ihre Souveränität aufgeben?

Einheitliches europäisches Wahlrecht

Auch die rot-grün-gelbe Ampelkoalition spricht sich in ihrem Koalitionsvertrag für die Weiterentwicklung der EU „zu einem föderalen europäischen Bundesstaat“ aus. Dieser solle dezentral „nach den Grundsätzen der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit organisiert“ sein. „Wir werden der Gemeinschaftsmethode wieder Vorrang geben, aber wo nötig mit einzelnen Mitgliedstaaten vorangehen. Wir unterstützen ein einheitliches europäisches Wahlrecht mit teils transnationalen Listen und einem verbindlichen Spitzenkandidatensystem.“

Die Ampel-Politiker Volker Wissing (FDP), Michael Kellner (Grüne) und Lars Klingbeil (SPD) präsentieren den unterzeichneten Koalitionsvertrag. (Foto: Sandro Halank/CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

Der Koalitionsvertrag der Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD hatte 2018 noch deutlich zurückhaltendere Formulierungen gebraucht. „Wir wollen den Zusammenhalt Europas auf Basis seiner demokratischen und rechtsstaatlichen Werte auf allen Ebenen vertiefen und das Prinzip der wechselseitigen Solidarität stärken“, hieß es darin etwa. Und: „Wir wollen ein Europa der Demokratie mit einem gestärkten Europäischen Parlament und einem lebendigen Parlamentarismus auf nationaler, regionaler und kommunaler Ebene.“ Die EU solle „in ihrer Handlungsfähigkeit“ gestärkt werden, insbesondere finanziell.

Europäische Staatlichkeit

Traditionell firmieren die Forderungen nach einer europäischen Staatlichkeit unter dem Schlagwort der „Vereinigten Staaten von Europa“. Der Begriff selbst tauchte erstmals 1776 in einem Brief des späteren ersten US-Präsidenten George Washington auf. „Eines Tages werden, nach dem Muster der Vereinigten Staaten, die Vereinigten Staaten von Europa gegründet werden. Sie werden Gesetzgeber aller Nationalitäten sein“, schrieb der US-Revolutionär. Sein Landsmann, der Publizist und Naturwissenschaftler Benjamin Franklin, plädierte zwei Jahre später mit Blick auf Europa für die „Schaffung eines Bundesstaates und einer großen Republik aus all den verschiedenen Staaten und Königreichen“.

Benjamin Franklin skizzierte bereits 1778 die Grundzüge eines europäischen Bundesstaats. (Foto: gemeinfrei)

In den 1920er Jahren griff die SPD die „Bildung der Vereinigten Staaten von Europa“ als politische Vision auf. Einen europäischer Superstaat wie in Habecks Träumen schwebte den Sozialdemokraten aber offenbar nicht vor. Stattdessen war im Heidelberger Programm von 1925 die Rede von einer „europäischen Wirtschaftseinheit“, die „aus wirtschaftlichen Ursachen zwingend“ geworden sei und der „Interessensolidarität der Völker aller Kontinente“ dienen solle. Das Paneuropa-Konzept des österreichisch-japanischen Autors und Politikers Richard Coudenhove-Kalergi sah dagegen eine auch politische Union vor.

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