In einer Zeit, in der Kinder als schlimme „Klimasünder“ gelten, haben es Mutter- und Vatertag nicht einfach. Zunehmend geraten die einstigen Ehrentage der Eltern unter Beschuss. Durchaus nicht nur seitens säkularer Kreise, die Familie und Nachwuchs per se kritisch gegenüberstehen. Etwa Klimaschutz-Aktivisten der „Letzten Generation“, die sich sterilisieren lassen, weil sie keine Kinder bekommen möchten. Kinder, lassen sich die Aktivisten in einer umstrittenen Studie vorrechnen, seien schließlich eine schwere Hypothek auf die Zukunft. In ihrem Leben, heißt es, werden sie und ihre eigenen Kinder für den Ausstoß von durchschnittlich fast 60 Tonnen Kohlendioxid-Äquivalent verantwortlich sein. Pro Jahr. Also besser kein Nachwuchs – so die fragwürdige Logik der selbsternannten Weltretter.
Neuerdings steht der Muttertag auch aus Kreisen der Gesellschaft heraus unter Beschuss, in deren Welt- und Familienbild Kinder bislang eine zentrale Rolle gespielt haben. Aus der Kirche. „Seid fruchtbar und mehret euch“, liest man bereits im Buch Genesis, dem ersten Buch des biblischen Alten Testaments. Über die Jahrtausende hinweg war dieser Bibelvers Juden wie Christen gleichermaßen Auftrag und Anliegen. Das ist offenbar für immer mehr Theologen und Mitarbeiter des organisierten Protestantismus und Katholizismus in Deutschland nicht mehr der Fall.
Geschlechterübergreifender „Elterntag“
Maren Bienert etwa, Professorin für evangelische Theologie in Hildesheim, möchte den Muttertag am liebsten durch einen geschlechterübergreifenden „Elterntag“ ersetzen. Dieser solle Männer, Frauen, „queere“ und „nonbinäre“ Menschen, die familiäre Verantwortung übernehmen, gleichermaßen würdigen. „Damit würden gleich mehrere Familienkonstellationen aufgewertet und Menschen sichtbar gemacht, die für Kinder Eltern sind und familiale Verantwortung übernehmen“, sagt die evangelische Theologin, die ein fächerübergreifendes Forschungsprojekt zu Sexual- und familienethischen Fragen plant.
In Hessen ist derweil eine katholische Kindertagesstätte in die Schlagzeilen geraten. Ein Schreiben teilt den Eltern der Kita-Kinder mit, dass man in einer „gemeinsamen Teamsitzung“ beschlossen habe, ab diesem Jahr zum Vater- und zum Muttertag keine Geschenke mehr mit den Kindern gestalten werde. „In der heutigen Zeit“, heißt es zur Begründung, „in der die Diversität einen immer höheren Stellenwert erhält, möchten wir diese vorleben und keinen Menschen ausschließen.“ Auch würden zum Mutter- und Vatertag „stereotypische Geschenke angefertigt, wie z. B. Blumen für die Mutter oder Werkzeug für den Vater“.
Dies sei vielleicht eine tolle Geste, schließe aber „einen Teil der Gesellschaft aus und ist nicht individuell für alle Menschen“. Die ideologische Krönung des Schreibens liest sich so: „Außerdem ist die Konstellation Mutter Vater Kind/er nicht mehr die Norm in heutigen Familien.“ Ein Vatertags-Geschenk „ohne Vater in der Familie“ sei „nicht nur ohne Wert, sondern kann die Identität eines Kindes in Frage stellen. Um allen Menschen gerecht zu werden, müssten wir mit jedem einzelnen Kind ein individuelles Geschenk anfertigen.“
„Danke für ihren Megaeinsatz“
Im Internet löste der Brief massive Proteste aus. Der CDU-Bundestagsabgeordnete und frühere Bundesvorsitzender der Jungen Union, Tilman Kuban, twitterte: „Dem Wahnsinn sind keine Grenzen mehr gesetzt… Irgendwie find ich es ziemlich cool, wenn man Kindern beibringt seiner Mutter einfach mal Danke zu sagen für ihren Megaeinsatz Tag für Tag!“ Weil er das Schreiben der Kita zunächst veröffentlicht hatte, ohne die Adresse zu schwärzen, warf die hessische SPD ihm vor, die Kita „an den Pranger gestellt“ und „zum Shitstorm-Ziel“ gemacht zu haben. Auch Ruprecht Polenz, ehemals Generalsekretär der CDU, kritisierte Kuban und sprach von „kulturkämpferischem Eifer“.
Ob eine Vandalismus-Tat im Zusammenhang mit dem Brief steht, ist unklar. In einer Gartenhütte auf dem Kita-Gelände wurde jedenfalls nach Angaben der Polizei eine Scheibe eingeschlagen. In einer zweiten Hütte wurde die Tür aufgebrochen. Es entstand ein Sachschaden von geschätzt rund 800 Euro. Das katholische Bistum Fulda, in dessen Zuständigkeit die Kita fällt, sprach von „Irritationen und Missverständnissen“, die durch das Schreiben entstanden seien. Die Kita habe weiterhin ein katholisches Profil und werde sich für das christliche Familienbild einsetzen. Andere Lebensmodelle würden jedoch nicht ausgeschlossen.
„Schule queer denken“
Zwar nicht am Muttertag, aber immerhin nur zwei Tage danach (und zwei Tage vor dem Vatertag) veranstaltet Baden-Württemberg einen „LSBTTIQ+-Aktionstag“ in allen Schulen des Landes. Anlass ist der „Internationale Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie“. Für die Aktion werden den Schulen nach Informationen des Bündnisses „Demo für alle“ Materialien und Projektideen zur Verfügung gestellt. Hintergrund sei die „Daueraufgabe“ des grün geführten Kultusministeriums, „Schule queer denken“ zu wollen. „Die Schule wird inzwischen schamlos als Ideologen-Schmiede und zur Sexualisierung der zur Anwesenheit verpflichteten Schüler missbraucht“, kommentiert Bündnis-Sprecherin Hedwig vom Beverfoerde. „Mit aller Macht will man offensichtlich Kindern ihr natürliches Verständnis für die Familie austreiben.“
Erfunden hat den Muttertag die US-Amerikanerin Anna Marie Jarvis (1864-1948). Sie wollte damit ihrer eigenen Mutter und ihrem sozialen Engagement ein Denkmal setzen. Am zweiten Mai-Sonntag 1908 ehrte die methodistische Kirche sie erstmals mit einem Gottesdienst. Seit 1914 ist der Muttertag in den USA nationaler Feiertag. In Deutschland wird er seit 100 Jahren begangen. Der zunehmenden Kommerzialisierung des Muttertags durch den Handel stand Jarvis kritisch gegenüber. Kurz vor ihrem Tod 1948 erzählte sie einem Journalisten, sie bedauere, den Tag ins Leben gerufen zu haben.
In der DDR beging man statt des Muttertags den Internationalen Frauentag am 8. März. Ähnlich wie in anderen damals sozialistischen Staaten. Bis heute hat der Tag in Russland einen hohen Stellenwert. Der Muttertag ist in dem Land hingegen erst seit 1998 von Bedeutung, erklärt Nina Popova, die von der südrussischen Region Krasnodar aus die Telegram-Kanäle „Politik für Blondinen“ und „DRN Deutsch-Russische Nachrichten“ betreibt. Anders als in Deutschland oder den USA findet er jedoch am letzten Sonntag im November statt. Ebenfalls anders: Zum Muttertag gratuliere man den Müttern meist nur. „Geschenke“, erläutert Popova, „gibt es eher am 8. März.“ Für alle Frauen. „Am 8. März braucht man nur weiblich zu sein“, sagt die 40-Jährige und schmunzelt. Für Vertreter der politischen Korrektheit im Westen klingt das fast schon reaktionär.
Thomas Wolf