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Die Grünen und die Demokratie

„Egal, was meine deutschen Wähler denken“ – mit diesen Worten bekannte sich Bundesaußenministerin Annalena Baerbock Anfang September zur unverbrüchlichen Solidarität der rot-grün-gelben Bundesregierung mit der angegriffenen Ukraine. Nach Ansicht ihrer Kritiker würdigte sie damit das Volk als demokratischen Souverän herab. Und das ausgerechnet als Vertreterin einer Partei, die sich viele Jahre als Speersitze des demokratischen Fortschritts sah. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich: Von den Grundsätzen ihrer Anfangsjahre haben sich die Grünen längst verabschiedet.

Linke und Konservative

Als sie sich 1980 gründeten, waren die Grünen das, was man heute wohl eine Graswurzel-Bewegung nennen würde. Aus verschiedenen Milieus kommend, schlossen sich Menschen zusammen, die zuvor wenig mit Parteipolitik am Hut hatten. Man war auf Konsens ausgerichtet, sah sich als „basisdemokratisch“ und wollte das Land von unten verändern. Die Partei, der schnell der Einzug in den Bundestag gelang, vereinte linke Straßenkämpfer, konservative Umweltschützer, Friedensaktivisten, Kernkraftgegner und radikale Gesellschaftsveränderer.

Ricarda Lang spricht auf einer Demonstration der „Fridays for Future“. Ihre Grünen sind eng mit der Klimaschutzbewegung vernetzt. (Foto: Stefan Müller (climate stuff) from Germany/CC BY 2.0 via Wikimedia Commons)

Politische Macht sollte nach Ansicht der frühen Grünen begrenzt und kontrolliert werden. Dies galt auch innerhalb der Partei. Die Doppelspitze – derzeit Ricarda Lang und Omid Nouripour – zeugt noch heute davon. Die einst typisch grüne Trennung von Amt und Mandat ist dagegen seit Jahren deutlich aufgeweicht. Bereits seit 2003 dürfen Teile des Bundesvorstands zugleich Abgeordnete sein. Und ein Beschluss von 2018, der auf Robert Habeck zurückgeht, erlaubt die gleichzeitige Besetzung von Amt und Mandat sogar generell für acht Monate.

Nach der Gründung abserviert

Von der bunten Truppe der grünen Gründungsphase war noch schneller kaum etwas übrig. Die Konservativen in der Partei wurden abserviert, kaum war die Gründung richtig abgeschlossen. Beispiel: Herbert Gruhl. Der Sachbuchautor gehörte mehrere Jahrzehnte der CDU an. 1979 kandidierte er bei der ersten direkten Europawahl als Spitzenkandidat für die „Sonstige Politische Vereinigung Die Grünen“. Als sich im Jahr darauf die grüne Partei bildete, unterlag Gruhl bei der Wahl zum Bundesvorsitz. Er selbst meinte, der linke Flügel habe seine Wahl bewusst zu unterdrücken versucht.

1983 zogen die Grünen um Otto Schily und Petra Kelly erstmals in den Bundestag ein. Ein Großteil der Konservativen hatte die Partei zu diesem Zeitpunkt bereits verlassen. (Foto: Bundesarchiv/B 145 Bild-F065187-0022/Engelbert Reineke/CC BY-SA 3.0 DE via Wikimedia Commons)

Schon 1981 verließ Gruhl die Partei und gründete im Jahr darauf die Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP). Sie sollte dem konservativen Flügel der Grünen einen neue Heimat bieten. Mit Gruhl traten etwa ein Drittel der Grünen-Mitglieder aus. Auch August Haußleiter und Baldur Springmann wurden in der neuen Partei, die sie mitbegründet hatten, nicht glücklich. Springmann beteiligte sich an der ÖDP-Gründung und hatte später Kontakt zu rechten Gruppen. Der als national geltende Haußleiter saß noch bis 1987 für die Grünen im bayrischen Landtag. Dann legte er sein Mandat aus gesundheitlichen Gründen nieder. Mit Wilhelm Knabe war bereits 1984 der letzte Konservative aus dem Kreis der grünen Bundessprecher ausgeschieden.

Grüne nicht mehr für Volksentscheide

Bundesweite Volksentscheide gehörten über viele Jahre zu den zentralen Forderungen der Grünen. Allerdings scheiterte die Umsetzung vor allem an der Blockade der Unionsparteien. Zuletzt wurde der Widerstand allerdings spürbar weniger, vor allem bei der CSU in Bayern. Bevor nun aber womöglich ein neuer Anlauf unternommen werden konnte: die Kehrtwende. Die Grünen wollen nicht mehr! In ihrem Programm zur Bundestagswahl 2021 war die Forderung nach bundesweiten Volksentscheiden nicht mehr enthalten. Auch die Ampelkoalition sieht keine Notwendigkeit, die direkte Demokratie auszubauen. Von allen Bundestagsparteien steht damit nur noch die AfD vorbehaltlos zur Mitbestimmung des Souveräns.

Woran das liegen könnte? Woher der Wind wehen dürfte, zeigt ein Schreiben des Vereins „Mehr Demokratie“, den Mitglieder und Unterstützer vor wenigen Tagen erhalten haben. Der Brief, der von Bundesvorstandssprecherin Claudine Nierth und Vorstandsmitglied Karl-Martin Hentschel unterzeichnet ist, warnt vor einem „Deichbruch im Norden“. Gemeint ist die Bürgerbeteiligung in Schleswig-Holstein. Der im Juni vereinbarte Koalitionsvertrag von CDU und Grünen sieht nämlich vor, die direkte Demokratie im hohen Norden einzuschränken. „Mit einer Generalklausel soll die Landesregierung unliebsame Bürgerbegehren in den Kommunen einfach unterbinden können“, beklagt der Verein.

Windkraftanlagen im Abendrot. Bürgerbegehren gegen ihren Bau könnten schon bald in Schleswig-Holstein unmöglich werden. (Foto: Pixabay)

Die laut Seite 83 des Koalitionsvertrags vorgesehene Generalklausel lautet so: „Ein Bürgerbegehren findet nicht statt über Entscheidungen in Selbstverwaltungsaufgaben, die nach Feststellung der Landesregierung unverzichtbare Voraussetzung für Infrastruktur- oder Investitionsvorhaben von landes- oder bundesweiter Bedeutung für die Versorgung der Bevölkerung mit wichtigen Gütern oder Dienstleistungen sind oder Projekte, die der Erreichung der Klimaziele der Landesregierung dienen. Die Feststellung der Landesregierung kann auf Antrag einer obersten Landesbehörde für eine einzelne Gemeinde oder mehrere Gemeinden getroffen werden.“

Demokratie abbauen?

Damit wäre ein Einspruch der Bürger gegen Photovoltaik-Anlagen oder Groß-Windräder künftig nicht mehr möglich. Oder zumindest nur noch dann, wenn es der Landesregierung passt. „Mehr Demokratie“ vermutet die CDU hinter den Plänen. Aber ist das realistisch? Natürlich können die Christdemokraten mit der Generalklausel Infrastruktur-Vorhaben besser durchdrücken. Das Verbot des Widerspruchs gegen die Klimapolitik aber trägt die Handschrift der Grünen. Haben nicht auch Greta Thunberg und ihre grüne deutsche Mitstreiterin Luisa Neubauer gefordert, demokratische Prinzipien zugunsten des Klimaschutzes abzubauen?

„Wir müssen versuchen, diesen Deichbruch zu verhindern“, fordert „Mehr Demokratie“ mit Blick auf Schleswig-Holstein. Man befürchtet, dass dem Vorbild aus dem Norden bald weitere Länder folgen werden. „Schon springt Baden-Württemberg auf“, liest man in dem Brief. „Dort hat der Präsident des Gemeindetages bereits ein ähnliches Gesetz gefordert.“ Wie in Schleswig-Holstein stellen auch in Baden-Württemberg Grüne und CDU die Landesregierung. Wenn auch unter grüner Führung.

Grüne Wahlgewinner

Geschadet hat den Grünen ihre zunehmende Distanz zum Souverän bislang nicht. Auch Baerbocks Äußerung, bei der Unterstützung der Ukraine nehme sie keine Rücksicht auf ihre Wähler, hat sie offenbar keine Sympathien gekostet. Ganz im Gegenteil: Bei der Landtagswahl in Niedersachsen am Sonntag legten die Grünen um fast sechs Prozentpunkte zu. Sie sind damit größter Wahlgewinner neben der AfD.

Thomas Wolf

Annalena Baerbock beim Besuch in Kiew. Ihre Unterstützung für die Ukraine ist ihr wichtiger als das, was ihre Wähler in Deutschland empfinden. (Foto: Kmu.gov.ua/CC BY 4.0 via Wikimedia Commons)
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Wird der Iran zum nächsten Syrien?

Die Situation im schiitisch geprägten Iran eskaliert immer weiter. Nachdem eine junge Kurdin nach ihrer Festnahme unter ungeklärten Umständen gestorben war, gingen in der Hauptstadt Teheran und in den kurdischen Landesteilen Zigtausende Menschen auf die Straße. Die 22-jährige Mahsa Amini soll gegen die islamischen Kleidervorschriften verstoßen haben. Die Behörden machen für ihren plötzlichen Tod eine Vorerkrankung am Herzen verantwortlich. Ihre Familie und Oppositionelle vermuten dagegen, sie sei im Gewahrsam der Sittenpolizei durch Schläge gegen den Kopf getötet worden.

Aufstand gegen die Mullahs

Die anfänglichen Proteste gegen Polizeigewalt und für Frauenrechte nehmen immer mehr die Züge eines Aufstands gegen das klerikale Mullah-Regime an. In der Hauptstadt warfen Demonstranten Molotow-Cocktails. Die Polizei setzt Tränengas und scharfe Munition ein. Mehr als 80 Menschen sollen bei den Unruhen nach Informationen von Amnesty International bereits ums Leben gekommen sein. Darunter sind auch Sicherheitskräfte. Teheran spricht von Krawallmachern und Terroristen, gegen die es vorgehen müsse. Iranische Truppen griffen sogar kurdische Stellungen im benachbarten Irak an.

Iranische Polizisten während einer Demonstration. (Foto: Fars Media Corporation/CC BY 4.0 via Wikimedia Commons)

Beobachter erinnern die Auseinandersetzungen im Iran an den Beginn des Bürgerkriegs in Syrien 2011. Aus einzelnen Protestaktionen gegen die autoritäre Politik von Präsident Baschar al-Assad entwickelte sich binnen weniger Monate ein rücksichtslos geführter Krieg verschiedener militanter Gruppen gegen die Regierung in Damaskus. Damals wie heute stellte sich der Westen schnell an die Seite der vorgeblich demokratischen Proteste gegen das autoritäre Regime. Tatsächlich war von der demokratischen Gesinnung der syrischen Opposition bald nichts mehr zu spüren.

Sunnitischer Terror

Stattdessen setzten sich radikale Islamisten und militante Extremisten unter den Aufständischen durch. Die sunnitische Terrorgruppe Al-Qaida und die aus ihrer irakischen Sektion hervorgegangene Terrormiliz „Islamische Staat“ (IS) griffen in den Bürgerkrieg ein. Zeitweise standen weite Teile Syriens und des nördlichen Iraks unter IS-Kontrolle. Kurdische Kämpfer und dem Iran nahestehende Schiiten-Milizen drängten die sunnitischen Dschihadisten zurück. Heute gilt der IS zwar als weitgehend besiegt. Aus dem Untergrund heraus allerdings wird er immer wieder aktiv.

Die islamisch-konservativ geführte Türkei stand zeitweilig im Verdacht, im Kampf gegen das ihr verhasste, weil säkulare Assad-Regime mit den Dschihadisten gemeinsame Sache zu machen. Belegt ist immerhin, dass die Türkei eigene Islamisten-Verbände ausgerüstet und in Syrien eingesetzt hat. Rund 4000 von ihnen wurden später als Söldner angeworben, um in der umstrittenen Kaukasus-Region Bergkarabach gegen christliche Armenier zu kämpfen. Dabei soll sogar von einem „heiligen Krieg gegen die Christen“ in Bergkarabach die Rede gewesen sein.

Syriens Präsident Baschar al-Assad (links) besucht mit Wladimir Putin eine orthodoxe Kirche. Rechts: Patriarch Johannes X. von Antiochien. (Foto: Kremlin.ru/CC BY 4.0 via Wikimedia Commons)

Auch seitens der westlichen Politik war es mit der Demokratie offenbar nicht allzu weit her. Der Nahost-Experte und ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Jürgen Todenhöfer warf den Regierungen Europas und der USA schon 2012 vor, an einer echten Demokratie in Syrien nicht interessiert zu sein. „Der größte Widerstand gegen demokratische Reformen geht derzeit von der westlichen Politik aus“, sagte Todenhöfer damals. Assad, den er persönlich kennt, bescheinigte der Ex-Abgeordnete einen ernsthaften Reformwillen. „Ich habe den Eindruck, dass Assad Syrien in der Tat in Richtung Demokratie umgestalten will.“

Verbündeter Irans

Todenhöfer hat den syrischen Präsidenten als ruhigen Mann erlebt, der rational argumentierte. Er sei „nicht der typische Macho-Diktator, als der er im Westen dargestellt wird“. Für Todenhöfer stellte sich der Westen aus einem ganz bestimmten Grund auf die Seite der syrischen Opposition: Er hoffte, mit Assad einen wichtigen Bündnispartner des Iran zu beseitigen. „Assad könnte morgen die perfekte Demokratie in Syrien einführen – solange er Verbündeter Irans ist, würden die USA immer einen Grund finden, ihn zu bekämpfen“, zeigte Todenhöfer sich überzeugt.

Hier nun schließt sich der Kreis zu den eskalierenden Protesten im Iran. Werden sie in Kürze ebenfalls in einen Bürgerkrieg münden? Exiliraner hoffen bereits auf eine Revolution, die das strenge schiitische Herrschaftssystem hinwegfegen könnte. Womöglich stacheln westliche Geheimdienste die Proteste sogar ganz bewusst an. Gerade die USA dürften ein großes Interesse daran haben, dass das Mullah-Regime fällt. Nicht nur wegen des seit Jahren schwelenden Atomstreits. Auch im Ukraine-Krieg hat das Land sich für den westlichen Geschmack etwas zu pro-russisch positioniert.

Thomas Wolf

Irans Revolutionsführer Ali Chamenei. Die Massenproteste richten sich zunehmend gegen sein schiitisch-konservatives Mullah-System. (Foto: Khamenei.ir/CC BY 4.0 via Wikimedia Commons)
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Die DDR – eine patriotische Alternative?

An diesem Freitag würde die DDR ihren 73. Geburtstag feiern. Wenn sie nicht 1990 kurz vor ihrem wichtigsten Feiertag, dem Tag der Republik, in der Bundesrepublik aufgegangen wäre. In diesen Tagen der Energie- und Wirtschaftskrise, da die Bundesbürger die Deutsche Einheit als Misserfolg ansehen, erscheint die DDR zunehmend als passable Alternative zur kriselnden BRD. Geordnete Verhältnisse und eine vergleichsweise ausgeprägte soziale Sicherheit können punkten, wenn um einen herum alles in Scherben fällt. Ja, der zweite deutsche Staat gilt zunehmend als Alternative zur BRD. Durchaus auch für Patrioten, denen die Bundesrepublik mitunter als antideutsch gilt. Aber ist die DDR wirklich als Alternative geeignet?

Zum letzten Mal Geburtstag feierte die DDR am 7. Oktober 1989. Eine Ehrenparade der Nationalen Volksarmee leitete die Feierlichkeiten ein. Auf der Ehrentribüne: SED-Chef Erich Honecker und Sowjet-Reformer Michail Gorbatschow. Nicht einmal ein Jahr später war der sozialistische deutsche Staat Geschichte. (Foto: Bundesarchiv/Bild 183-1989-1007-402/Klaus Franke/CC BY-SA 3.0 DE via Wikimedia Commons)

Tatsächlich kennzeichnete die DDR ein ausgeprägter Patriotismus, den man als „Wessi“ gemeinhin überhaupt nicht mit dem herrschenden linken System verbindet. In der DDR aber bedeutete links nicht antideutsch, nicht unpatriotisch. Mit Vaterlandsliebe konnte man hier sehr wohl etwas anfangen – anders als ein aus dem Westen stammender grüner Bundesminister der Gegenwart. Bis zuletzt stieß man in dem „sozialistischen Staat deutscher Nation“ aufs Vaterland an. So nannte die DDR sich in ihrer Verfassung von 1968. Und auch die bewaffneten Organe wurden bis zur Wende ganz selbstverständlich aufs Vaterland vereidigt. All dies geschah zu einer Zeit, als im Westen viele schon längst nichts mehr von Patriotismus und Nationalgefühl wissen wollten.

Distanzierung von der Bundesrepublik

Wilhelm Pieck, der erste und einzige Präsident der DDR, sagte bei seinem Amtsantritt am 10. Oktober 1949, er werde sich „stets als Sachverwalter der Interessen des ganzen deutschen Volkes betrachten“. Damals verstand sich die neugegründete Republik als politisches System für ganz Deutschland. „Wir haben bewusst darauf verzichtet, für das Linsengericht knechtender Dollarkredite die nationale Zukunft Deutschlands und die Freiheit des deutschen Volkes zu verkaufen“, distanzierte sich Pieck von der Bundesrepublik, die in jenen Jahren am Tropf der USA hing.

„Unsere Brüder und Schwestern leben dort unter dem entwürdigenden Druck eines der deutschen Bevölkerung von den westlichen Besatzungsmächten aufgezwungenen Besatzungsstatus. Deutschland wurde gespalten und die wertvollsten Industriegebiete einem Sonderregime der Ausbeutung und Ausplünderung unterworfen.“ Mit Hilfe des Besatzungsstatus solle die Besetzung Westdeutschlands verewigt werden. Dies würdige einen „Teil unseres Vaterlandes zu einer Kolonie des amerikanischen Imperialismus“ herab.

DDR will die Wiedervereinigung

Ziel der DDR war damals die Wiedervereinigung. „Niemals wird die Spaltung Deutschlands, die Verewigung der militärischen Besetzung Westdeutschlands durch das Besatzungsstatut, die Losreißung des Ruhrgebietes aus dem deutschen Wirtschaftskörper von der Deutschen Demokratischen Republik anerkannt werden“, betonte Pieck. „Und nicht eher werden wir ruhen, bis die widerrechtlich von Deutschland losgerissenen und dem Besatzungsstatut unterworfenen Teile Deutschlands mit dem deutschen Kerngebiet, mit der Deutschen Demokratischen Republik in einem einheitlichen demokratischen Deutschland vereinigt sind.“

Die Gründungsfeier der DDR am 7. Oktober 1949. Wenige Tage später wählten die Abgeordneten Wilhelm Pieck, den Vorsitzenden der SED, zum ersten Präsidenten der Republik. (Foto: Bundesarchiv/Bild 183-W1126-312/Kolbe/CC BY-SA 3.0 DE via Wikimedia Commons)

Auch BRD-Oppositionsführer Kurt Schumacher (SPD), selbst glühender Antikommunist, sah im ersten Bundeskanzler Konrad Adenauer einen „Kanzler der Alliierten“. Später stellten auch die Sozialdemokraten die Westbindung der Bundesrepublik nicht mehr in Frage. So konnten sich US-amerikanische Musik, Kultur und Lebensart ungehindert ausbreiten. Anders in der DDR: Der britische Buchautor Gideon Defoe definiert den zweiten deutschen Staat geradezu über seine deutschsprachige Musik. „Der Osten, das war: (…) die gesetzliche Verpflichtung, Popsongs auf Deutsch zu singen“, schreibt er in seinem „Atlas der ausgestorbenen Länder“.

Rock und Pop auf Deutsch

Inhaltlich ist das zwar nicht ganz zutreffend, denn gesungen wurde teils durchaus auf Englisch oder Französisch. Richtig ist aber, dass die weitaus meisten Stücke im Bereich Rock und Pop in deutscher Sprache erklangen. Das hat ganz offensichtlich den unschätzbaren Vorteil, dass die Zuhörer die Botschaft der Musiker gleich verstehen. Im Westen dagegen blieb deutschsprachige Popmusik bis ins 21. Jahrhundert hinein meist eine Randerscheinung. Zumindest, wenn man von einzelnen erfolgreichen Musikern oder der Neuen Deutschen Welle der 1980er Jahre absieht.

Frank Schöbel zählte zu den erfolgreichsten Musikern der DDR. Das Bild zeigt ihn bei einer Autogrammstunde mit Kindern 1980 in Berlin. (Foto: Bundesarchiv/Bild 183-W0115-047/Hartmut Reiche/CC BY-SA 3.0 DE via Wikimedia Commons)
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Elon Musk und der Frieden in der Ukraine

Eine skurrile Auseinandersetzung auf Twitter sorgt dieser Tage für Gesprächsstoff. Der südafrikanische Multimilliardär Elon Musk, Gründer des Elektroautoherstellers Tesla und mittlerweile wieder an einem Kauf des Kurznachrichtendienstes interessiert, präsentiert einen Friedensplan für die Ukraine. Und wird dafür angefeindet. Sogar der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj greift in den Streit ein. Bevor er nun offenbar in Ungnade fiel, galt Musk als Unterstützer der Ukraine. Sein Satelliten-Internet-System Starlink half den Kiewer Truppen, die digitale Infrastruktur des Landes nach dem russischen Einmarsch aufrecht zu erhalten.

Elon Musk zofft sich wegen seines Friedensplans auf Twitter mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyi. Eigentlich unterstützt Musk die Ukraine. (Foto: Ministério das Comunicações/CC BY 2.0 via Wikimedia Commons)

Nun hat Musk es sich ganz offensichtlich mit Kiew verscherzt. Hintergrund ist eine Twitter-Nachricht von gestern. Der reichste Mann der Welt schlug darin vor, die jüngsten Volksabstimmungen im Donbass und in den russisch besetzten Gebieten Saporischschja und Cherson unter Aufsicht der Vereinten Nationen zu wiederholen. Wenn dies der Wille der Menschen vor Ort ist, solle Russland seine Truppen abziehen. Die Krim solle dagegen als Teil Russlands anerkannt und ihre Wasserversorgung sichergestellt werden. Die Ukraine erhalte einen dauerhaft neutralen Status.

Krim „seit 1783“ Teil Russlands

Die Krim-Halbinsel, schrieb Musk, sei „seit 1783“ Teil Russlands gewesen. Erst „Chruschtschows Fehler“ habe sie der Ukraine überantwortet. Gemeint ist damit ein umstrittener Rechtsakt von 1954. Damals übertrug Sowjetführer Nikita Chruschtschow die Oberhoheit über die Halbinsel, die zuvor Teil Russlands gewesen war, der Ukraine. In einer Wodka-Laune, mutmaßen manche. Andere vermuten, Chruschtschow wollte sich durch eine Art Morgengabe der Solidarität der Ukrainer sichern. Fest steht nur eines: Chruschtschow hatte selbst engste persönliche und politische Verbindungen zur Ukraine. Und er schenkte seiner langjährigen Heimat eine Halbinsel von strategischer Bedeutung.

Sowjetführer Nikita Chruschtschow war bekannt für seine emotionalen Ausbrüche. Womöglich hat er die Krim 1954 in einer Wodka-Laune der Ukraine geschenkt. (Foto: Anefo/CC0 via Wikimedia Commons)

Dass die Menschen damit nicht unbedingt einverstanden waren, zeigte sich am 20. Januar 1991. An jenem Tag stimmte in einem Referendum eine überwältigende Mehrheit der Krim-Bewohner für die Unabhängigkeit ihrer Halbinsel innerhalb einer erneuerten Sowjetunion. Die Ukraine erkannte die Abstimmung nicht an. So blieb die Krim weiterhin Kiew unterstellt – wenn auch mit gewissen Autonomierechten. Auch ein Beschluss der Volksvertretung der Autonomen Republik Krim vom 5. Mai 1992 änderte daran nichts. Statt der erhofften Unabhängigkeit erreichte man lediglich einen etwas höheren Grad an Selbstständigkeit innerhalb der Ukraine. Erst die Abstimmung von 2014 löste die Krim effektiv von Kiew und machte sie zum Gliedstaat der Russischen Föderation.

Ungünstiger Zeitpunkt

Vielen Menschen, selbst in der Ukraine, dürfte Elon Musks Vorstoß vernünftig erscheinen. Schließlich könnte er womöglich helfen, den Krieg, der mittlerweile mehr als sieben Monate dauert und dessen Vorgeschichte ganze acht Jahre zurückreicht, zu beenden. Für Kiew und seine Unterstützer im Westen kommt der Musk-Tweet dagegen zum ungünstigsten Zeitpunkt. Und das hat seinen Grund: Die ukrainischen Truppen stoßen offenbar immer weiter Richtung Osten vor. Aus dem Oblast Charkiw mussten sich die russischen Streitkräfte bereits weitestgehend zurückziehen. Im Bereich Cherson, heißt es, seien ihre Verteidigungslinien sogar förmlich zusammengebrochen.

Ukrainische Soldaten auf ihrem Vormarsch. Das aktuelle Kriegsglück der Ukraine macht Friedensverhandlungen unwahrscheinlich. (Foto: Mil.gov.ua/CC BY 4.0 via Wikimedia Commons

Nein, Friedensverhandlungen sind für die ukrainische Regierung dieser Tage so wenig opportun wie wohl noch nie. Der Sieg auf dem Schlachtfeld, den der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell bereits vor Monaten beschwor – für die Ukraine scheint er aktuell zum Greifen nah. Entsprechend heftig fiel die Reaktion auf Musks Twitter-Beitrag aus. Selenskyi startete eine Umfrage, welchen Elon Musk die Nutzer eher mögen: denjenigen, der die Ukraine unterstützt. Oder denjenigen, der Russland unterstützt. Erwartungsgemäß liegt der pro-ukrainische Musk meilenweit vorn.

Ukraine-Sieg unwahrscheinlich

„Russland hat dreimal so viele Einwohner wie die Ukraine“ und ein Sieg der Ukraine sei entsprechend unwahrscheinlich, reagierte Musk auf den Shitstorm, der auf ihn einprasselte. Wem die Menschen in der Ukraine am Herzen liegen, der müsse sich für Frieden einsetzen, forderte der Tesla-Mogul. Selenskyi-Berater Mychajlo Podljak meint dagegen: „Es gibt einen besseren Vorschlag.“ Die Ukraine werde ihr Territorium zurückerobern – einschließlich der „annektierten Krim“. Russland werde demilitarisiert, müsse seine Atomwaffen abgeben und „kann niemandem mehr drohen“. Und Andrij Melnyk, Noch-Botschafter der Ukraine in Berlin, kommentierte: „Fuck off.“

Thomas Wolf

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Als die Wehrmacht ins Weltall vorstieß

Der 3. Oktober ist nicht nur der Tag der Deutschen Einheit, sondern auch der Tag, der am Beginn des Raumfahrt-Zeitalters steht. Am 3. Oktober 1942 erhob sich von der Heeresversuchsanstalt Peenemünde auf Usedom ein Aggregat 4 in den Himmel. Fast 90 Kilometer stieg die Rakete auf, die später als „Vergeltungswaffe“ V2 unrühmliche Geschichte schreiben sollte. Sie erreichte damit eine Höhe, die nach US-Definition zum Weltraum gehört. Der Wehrmacht gelang der erste Weltraumflug!

Ein Aggregat 4 beim Start. Die erste Großrakete der Welt war zugleich das erste Objekt, das Menschen in den Weltraum brachten. Später wurde sie als „Vergeltungswaffe“ V2 bekannt. (Foto: Bundesarchiv/Bild 146-1978-Anh.026-01/CC-BY-SA 3.0 DE via Wikimedia Commons)

Mehrere Tausend „Vergeltungswaffen“ feuerten die deutschen Truppen in der letzten Phase des Zweiten Weltkriegs auf die Alliierten ab. Die meisten davon trafen Großbritannien und die Front im Westen. Tausende Menschen kamen bei den Angriffen ums Leben. Unzählige KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter fielen den teils katastrophalen Bedingungen bei der Produktion der ersten Großraketen der Welt zum Opfer.

Erster erfolgreicher Start

Nicht alle Starts eines Aggregat 4 dienten jedoch militärischen Zielen. Über Jahre hoben vom Gelände der Heeresversuchsanstalt Peenemünde im Nordwesten der Ostsee-Insel Usedom immer wieder Raketen zu Testzwecken ab. Darunter war jenes A4 vom 3. Oktober 1942. Es war der vierte Startversuch überhaupt – und der erste, der erfolgreich war.

Walter Dornberger, der militärische Leiter der Versuchsanstalt, erinnerte sich später, dass er Tränen in den Augen hatte. „Aus dem Wald fuhr der helleuchtende Körper der Rakete senkrecht in die Höhe. Unvergesslich und unvergleichlich ist das Bild, das sich mir bot. Der von der Sonne grell angestrahlte Raketenkörper stieg höher und höher“, schrieb er in seinem Buch „V2 – Der Schuß ins Weltall“.

Ein neues Zeitalter

„Wir haben bewiesen, dass der Raketenantrieb für die Raumfahrt brauchbar ist“, machte Dornberger am Abend nach dem Start gegenüber seinen Mitarbeitern deutlich. „Neben Erde, Wasser und Luft wird nunmehr auch der unendlich leere Raum Schauplatz kommenden, Kontinente verbindenden Verkehrs werden und als solcher politische Bedeutung erlangen können. Dieser 3. Oktober 1942 ist der erste Tag eines Zeitalters neuer Verkehrstechnik, dem der Raumschifffahrt.“

In Peenemünde erinnert heute das Historisch-Technische Museum an die Pioniertaten deutscher Raketenwissenschaftler. (Foto: HTM Archiv/CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

Später erst wurde die sogenannte Kármán-Linie als Grenze zum Weltraum international festgelegt. Sie verläuft in Höhe von 100 Kilometern über der Erdoberfläche. Demnach hätte der erste erfolgreiche A4-Start am 3. Oktober 1942 nur die oberen Randbereiche der Atmosphäre erreicht. Das erste Objekt, das Menschen in den Weltraum brachten, wäre dann eine A4-Rakete gewesen, die den Namen MW 18012 trug.

Epochales Ereignis

Am 18. Juni 1944 stieg das Geschoss – ebenfalls ein Aggregat 4 – von der Greifswalder Oie in den Himmel auf. Nach dem Start erreichte die Rakete eine Höhe von 127 Kilometern in den Himmel – deutlich über der Kármán-Linie. Zwei Tage später erreichte MW 18014 sogar 175 Kilometer. Ungeachtet der Höhe begriffen Dornberger und seine Kollegen aber den Erststart des A4 als epochaleres Ereignis. Auch das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt sieht im 3. Oktober 1942 den Beginn des Raumfahrtzeitalters.

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Wo der Osten schon weiter ist

Vor 32 Jahren endete die Teilung Deutschlands. Um Mitternacht am 3. Oktober 1990 trat jener Vertrag in Kraft, der beide deutschen Staaten nach mehr als 40 Jahren zusammenführte. Oder anders ausgedrückt: der die DDR der Bundesrepublik eingliederte. Denn eine echte Vereinigung, eine Fusion auf Augenhöhe, war die Deutsche Einheit vom 3. Oktober 1990 nicht. Auch die in Artikel 146 des Grundgesetzes vorgesehene Volksabstimmung über eine neue Verfassung fand nicht statt.

„Danke, Gorbi“ haben glückliche Deutsche 1990 auf die Reste der Berliner Mauer geschrieben. Die Wiedervereinigung wäre ohne die Hilfe aus Russland kaum möglich gewesen. (Foto: RIA Novosti archive/image #428452/Boris Babanov/CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)

Seither ist viel geschehen. Die von Bundeskanzler Helmut Kohl versprochenen „blühenden Landschaften“ sind in einigen Regionen Wirklichkeit geworden, in anderen aber nicht. Bei der Bildung läuft Sachsen den West-Schwergewichten Bayern und Baden-Württemberg zunehmend den Rang ab. Auch wirtschaftlich ist der Freistaat gut aufgestellt. Beispielhaft steht dafür die Marke „Silicon Saxony“. Sie zeichnet Sachsen als Zentrum der Hochtechnologie aus, deren Wurzeln teils in DDR-Zeiten zurückreichen.

Die berüchtigte „Mauer in den Köpfen“ ist merklich kleiner geworden. Das sieht man daran, dass die jüngere Generation meist kein Ost und West mehr kennt. Die deutsche Teilung hat sie nicht erlebt. Oder zumindest nicht wahrgenommen. Es spielt für sie keine Rolle, ob jemand aus Hamburg, Köln oder München stammt – oder aus Rostock, Halle oder Dresden. Ob er Schwabe ist, Rheinländer oder Thüringer. Für die jüngere Generation ist die Einheit zumindest mental vollendet. Das ist gut so.

Von oben herab

Gerade unter „Wessis“, die sich noch aktiv an die Teilung erinnern, ist die „Mauer in den Köpfen“ aber durchaus noch vorhanden. Noch immer ist da die Rede von „drüben“. Von der „Ehemaligen“ oder gar von „Dunkeldeutschland“. Man kennt niemanden aus den „neuen Bundesländern“ und will vielleicht auch niemanden kennen. Man versteht die Mentalität der Menschen nicht und will sie auch nicht verstehen. Daraus resultiert ein Blick von oben herab, der sich einfach nicht gehört. Manch einer war selbst nach über 30 Jahren nicht einmal in einer der Urlaubsregionen in Mittel- und Nordostdeutschland. Ganz zu schweigen davon, dass die Gehälter im Osten noch immer niedriger ausfallen als in den alten Bundesländern. Es ist also noch einiges zu tun.

Ein arbeitsfreier Herbsttag – mehr als das ist der 3. Oktober für die meisten Deutschen nicht. Denn als Nationalfeiertag hat er keine größere Bedeutung. (Foto: Pixabay)

Heute nun begehen Politik und Medien den Tag der Deutschen Einheit. Für die meisten Bundesbürger hat der Nationalfeiertag keine größere Bedeutung. Ein arbeitsfreier Montag, der ihnen in diesem Jahr ein verlängertes Herbst-Wochenende ermöglicht. Mehr nicht. Nach 32 Jahren ist die Freude über die Einheit abgeebbt. Die Sorgen des Alltags lasten schwer auf den Schultern der Menschen. Die steigenden Energie- und Lebenshaltungskosten, Kriegsangst und eine angesichts der Krise überforderte Regierung lassen keine Feierstimmung aufkommen.

Friedliche Revolution

Ohnehin ist der Tag der Deutschen Einheit weniger emotional aufgeladen als die Nationalfeiertage anderer Völker. Frankreichs 14. Juli etwa erinnert an den Sturm auf die Bastille. Und in den USA hat der Unabhängigkeitstag am 4. Juli eine viel festlichere Bedeutung. In Deutschland dagegen hängen die Emotionen eher am 9. November, dem Tag des Mauerfalls. Nicht wenige denken dieser Tage an jene Krönung der Friedlichen Revolution von 1989.

Bei den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen gingen im Osten mehr Menschen auf die Straße als im Westen. Dies ist auch bei den aktuellen Kundgebungen der Fall. Im Bild: eine Querdenken-Demo in Leipzig 2020 (Foto: Roy Zuo/CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

Heute gehen wieder Zigtausende auf die Straßen. Vor allem im Osten. Weil der von der hausgemachten Krise besonders betroffen ist. Hier ist man mehr als anderswo von russischer Energie abhängig. Allem Gerede vom Missbrauch der Krise durch die politische Rechte zum Trotz – friedlicher Protest gehört zu den höchsten Gütern einer Demokratie. Vor allem in einer Situation wie dieser, da eine kopflose Politik das Land gegen alle Vernunft weiter in die Rezession treibt. Die Menschen im Osten haben das begriffen. Und auch, dass man durch Protest etwas bewirken kann. Damit sind sie weiter als die meisten ihrer Landsleute im Westen.

Frank Brettemer

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Europa vor dem Rechtsruck?

In Italien ist es mit den jüngsten Wahlen zu einer sichtlichen Machtverschiebung hin zum rechten Lager gekommen. Es sieht ganz danach aus, dass es zu einer Koalition zwischen den Fratelli d’Italia, der Lega sowie der Forza Italia kommt. Die 45-jährige Giorgia Meloni dürfte neue Ministerpräsidentin werden. Steht Europa nun vor einem gewaltigen Rechtsruck?

Rückkehr des Faschismus?

Der politisch-mediale Wirbel ist nun groß – erst recht, weil bei der Reichstagswahl in Schweden, einem traditionell sozialdemokratisch geprägten Land, ebenfalls das konservative Lager punkten konnte. Etablierte Medien malen bereits düstere Zeiten für Europa an die Wand. Schon vor der Wahl wurde eine mögliche Koalition unter Führung der Fratelli d’Italia als die rechteste Regierung seit dem „Duce“ Benito Mussolini bezeichnet. Nach der Wahl wird nun gar gemutmaßt, mit Meloni kehre der Faschismus zurück.

Giorgia Meloni dürfte neue Ministerpräsidentin Italiens werden. Ihr Bündnis errang bei den Wahlen die absolute Mehrheit im Parlament. (Foto: Vox España/CC0)

Das sind jedoch sehr populistische Vergleiche. Der Wahlsieg in Italien hat seinen Ursprung darin, dass viele Italiener mit der Entwicklung der Europäischen Union in den vergangenen Jahren unzufrieden sind. Vor allem die anhaltende massive Einwanderung aus Afrika und dem Nahen Osten empfinden viele Italiener als Bedrohung für ihre Lebensart. Gab es doch auch in Italien Fälle aggressiver Migranten wie etwa kürzlich den Vorfall am Gardasee, wo ein größerer Mob junger Afrikaner auftrat und den Ort als ihr Territorium deklarierte.

Ein linker Kampfbegriff

Grundsätzlich sollte man vorsichtig sein, von „Faschismus“ zu sprechen. Der Begriff ist zu einem linken Kampfbegriff verkommen, den man gerne einsetzt, obwohl die damit bezeichneten Personen und Gruppen selten zentrale Merkmale eben dessen erfüllen. So steht im Faschismus grundsätzlich der Staat über allem und Gewalt wird als legitimes politisches Mittel betrachtet. Man denke an all die paramilitärischen Organisationen, die in den 1920er Jahren aufkamen: die Schwarzhemden in Italien, die Sturmabteilung in Deutschland oder die Legion Erzengel Michael in Rumänien. Von solchen Zuständen ist Italien weit entfernt!

Heutigen Parteien, die mehr nationale Selbstbestimmung fordern und der derzeitigen Migrationspolitik einen Riegel vorschieben wollen, eine Nähe zum Faschismus zu unterstellen, ist ein durchschaubares Manöver. Dabei gibt es in Europa tatsächlich Entwicklungen, die man als faschistisch bezeichnen könnte. Oder die dem Faschismus zumindest nahe stehen. So kommt es etwa im EU-Mitgliedsland Kroatien seit den 1990er Jahren zunehmend zur Verherrlichung der Ustascha. Bis in die Mitte der Gesellschaft hinein! Die Ustascha kollaborierte im Zweiten Weltkrieg mit den Nazis. Ihre Anhänger verübten zahlreichen Verbrechen.

Ein Soldat der kroatischen Ustascha im Jahr 1942. (Foto: Landesarchiv Baden-Württemberg/Fotograf: Willy Pragher/CC BY 3.0 DE via Wikimedia Commons)
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Kommentar

Polen wurde bereits entschädigt

Nachdem das Thema bereits länger im Raum schwebte, werden nun in Warschau Nägel mit Köpfen gemacht: Die Republik Polen fordert offiziell von der Bundesrepublik Deutschland 1,3 Billionen Euro Wiedergutmachung für das, was das Deutsche Reich Polen im Zweiten Weltkrieg angetan hat. Berlin lehnt die Reparationen ab – aus gutem Grund.

Einen hohen Blutzoll gefordert

Polen war lange Zeit zwischen seinen Nachbarn aufgeteilt und hatte es erst nach dem Ersten Weltkrieg geschafft, wieder einen eigenen Staat zu erhalten. Dieser währte aber nicht lange. Das polnische Staatsgebiet wurde 1939 als Interessenssphäre zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion aufgeteilt. Teile sollten dem Reich einverleibt, das verbliebene Rest-Polen fortan als Reservoir billiger Arbeitskräfte dienen. Krieg und Besatzung forderten einen hohen Blutzoll. Diese Zeit ist somit zu einem Trauma geworden, das Polen bis heute prägt.

Polens Hauptstadt Warschau wurde im Zweiten Weltkrieg zu großen Teilen zerstört. Die Schäden, die das Land erlitt, beziffert die Regierung auf rund 1,3 Billionen Euro – und fordert diese als Reparationen von Deutschland. (Foto: M.Świerczyński/gemeinfrei)

Sind vor diesem Hintergrund die polnischen Forderungen aber gerechtfertigt? Dass Polen in den 1950er Jahren auf Reparationen verzichtet hatte und dies mehrfach bekräftigte, lässt sich noch damit erklären, dass Polen bis zur Wende 1990 kein gänzlich freier Staat war, sondern ein Satellitenstaat der Sowjetunion. Unlogisch ist aber, dass Polen keine Forderungen an Russland stellt – schließlich hatte die Sowjetunion damals für Polens Verzicht eigene Reparationen versprochen, die aber nie erfolgt sind. Und nicht zu vergessen: Die Sowjetunion war als Bündnispartner des Deutschen Reichs am Angriff auf Polen beteiligt gewesen.

„Ostdeutschland“ von Polen annektiert

Eine wichtige Tatsache wird bei der Diskussion stets ignoriert: Polen wurde bereits entschädigt – nicht mit Geld, aber mit Land. Ein Drittel des deutschen Staatsgebietes, nämlich das Gebiet östlich der Oder und Neiße, lange Zeit noch als „Ostdeutschland“ bezeichnet, ging nach dem Zweiten Weltkrieg an Polen! Dieses verwaltete es de jure zwar nur, de facto wurde das Gebiet aber annektiert und die deutsche Bevölkerung weitgehend vertrieben: aus Hinterpommern, dem Osten Brandenburgs, aus Schlesien und dem südlichen Ostpreußen. Ganz zu schweigen davon, dass zuvor bereits vieles von dort nach Zentralpolen geschafft wurde.

Erst 1990 wurde im Zwei-plus-Vier-Vertrag geregelt, dass die Ostgebiete nicht mehr Teil des deutschen Staatsgebiets sind. Es stellt sich daher die Frage, ob Polen mit deren Inbesitznahme nicht bereits eine ausreichende Reparation erfahren hat. Bedenken sollte man dabei auch, dass Polen seit seinem EU-Beitritt 2004 viel Geld
bekommen hat. 2020 etwa hat es 13,2 Mrd. Euro erhalten und ist damit der mit deutlichem Abstand größte Nettoempfänger in der EU. Deutschland hat hingegen als größter Nettozahler im selben Jahr 15,5 Milliarden gegeben. Somit hat Polen bereits viel Geld aus der Bundesrepublik bekommen und wird es auch weiter erhalten.

Der deutsche Geldbeutel sitzt locker

Wozu also will Polen Reparationen haben, wenn es jedes Jahr schon große Summen aus Deutschland erhält? Grundsätzlich verdenken kann man es Polen freilich verdenken, wenn es versucht, von seinem Nachbarn noch mehr Geld herauszuschlagen. Es dürfte nur allzu bekannt sein, wie locker der Bundesrepublik der Geldbeutel sitzt. So zahlt Deutschland etwa Kindergeld für im Ausland lebende Kinder, von denen man nicht einmal sicher weiß, ob es sie wirklich gibt, und illegal ins Land gekommene Menschen können ohne eine Gegenleistung sogleich eine üppige Sozialhilfe einstreichen.

Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki. Seine Regierung hält die Hand auf. (Foto: Gov.pl/CC BY 3.0 PL via Wikimedia Commons)

Wenn deutsches Geld für jedermann zu haben ist – weshalb sollte dann Polen nicht auch seine Hand aufhalten? Auffällig ist, dass das Thema gerade jetzt aufkommt. Das dürfte einen Grund haben: Polen wählt im kommenden Jahr sein Parlament neu. Die rechte Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) hofft wohl darauf, die nach wie vor starke antideutsche Stimmung im Land für ihren Wahlkampf zu nutzen. Derzeit sieht es nämlich so aus, als ob sie deutliche Verluste erleiden wird und es zum Erstarken der Opposition kommt.

Unter dem Strich zeigen die polnischen Forderungen, dass das deutsch-polnische Verhältnis auch fast 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs angespannt ist. Anders als zu anderen einstigen Kriegsgegnern hat sich kein wirklich freundschaftliches Verhältnis zu Polen entwickelt. Dass sich daran etwas ändert, falls Deutschland die geforderte Summe doch zahlen sollte, ist nicht anzunehmen. Auf eine „Freundschaft“, die sich auf Druck und Geld gründet, sollte man doch lieber ganz verzichten.

Lukas Böhme

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Kommentar

Sowjetische Ehrenmäler entfernen?

Im lettischen Riga ist ein sowjetisches Ehrenmal abgerissen worden. 80 Meter hoch ragte der Beton-Obelisk in den Himmel, der an die Befreiung Lettlands von deutscher Besatzung im Zweiten Weltkrieg erinnerte. Es war nicht das erste Mal, dass das Baltikum Hand an eine sowjetische Erinnerungsstätte legte: Auch in Estland wurde jüngst ein Sowjet-Denkmal demontiert. Damit soll auch die sichtbare Erinnerung daran beseitigt werden, dass die baltischen Länder jahrzehntelang gegen ihren Willen Teil der kommunistischen Sowjetunion waren.

Das ist durchaus verständlich – man muss immer bedenken, dass diese Denkmäler vor allem als Zeichen der Erniedrigung gedacht waren: Sie wurden errichtet, um der Bevölkerung deutlich zu sagen, wer der Herr im Haus ist. Dass die kleinen baltischen Staaten seit ihrer Unabhängigkeit lieber das neugewonnenes Selbstbewusstsein statt früherer Schmach betonen möchten, ist nachvollziehbar. Dass sie damit auch ein womöglich verheerendes Signal an die russische Minderheit im eigenen Land senden, steht auf einem anderen Blatt.

Mit Propaganda-Parolen beschmiert

Nun gibt es sowjetische Ehrenmäler auch in Deutschland, und auch hier hat mancher seit der russischen Invasion in der Ukraine die Frage gestellt, ob es nicht sinnvoll wäre, auch diese zu entfernen. Das gigantische, vor Pathos strotzende Ehrenmal im Berliner Stadtteil Treptow wurde gar bereits mit Farbe und Propaganda-Parolen beschmiert. Auch das Ehrenmal in Berlin wurde letztlich in dieser Form gebaut, um die Deutschen zu demütigen: um sie daran zu erinnern, dass sie den Krieg verloren hatten und ein besetztes Land waren – angewandte Kriegspsychologie.

Der riesige Soldat mit Schwert und Mädchen im Arm, der ein Hakenkreuz zertritt, ist im sowjetischen Ehrenmal in Berlin-Treptow nicht zu übersehen. (Foto: Toniklemm/CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

Ist eine solche Erinnerung 30 Jahre nach der Wiedervereinigung noch sinnvoll? Im Fall von Deutschland geht es allerdings nicht rein um eine militärische Niederlage, sondern auch um die damit verbundene Beseitigung der NS-Diktatur. Die Entfernung eines Denkmals zum Sieg über das Dritte Reich würde also gewaltiges Konfliktpotenzial mit sich bringen. Wer sich dafür ausspricht, muss sich letztlich den Vorwurf gefallen lassen, die braune Zeit von 1933 bis 1945 zu verharmlosen.

Allerdings muss man auch bedenken, dass die Sowjetunion kein Unschuldslamm war. Sie war sowohl an Einmarsch in Polen als auch dessen Aufteilung als Kriegsbeute beteiligt – hat sich also auch an Verbrechen gegen die Menschlichkeit beteiligt. Sowjetische Soldaten haben zudem schwere Kriegsverbrechen begangen, man denke etwa an die große Zahl von vergewaltigten deutschen Frauen und Mädchen. Auch die brutal niedergeschlagenen Aufstände in Osteuropa nach dem Krieg soll man nicht vergessen. Ob man solch ein System durch monumentale Denkmäler verherrlichen muss, ist eine berechtigte Frage.

Schlichte deutsche Soldatenfriedhöfe

Grundsätzlich wäre vielleicht zu überlegen, ob nicht ein schlichteres Mahnmal sinnvoller wäre. Eines, das nicht die Rote Armee verherrlicht, sondern daran erinnert, wie viele sowjetische Soldaten bei der Schlacht um Berlin und allgemein im Krieg gefallen sind. Keine Verherrlichung, keine Anklage – nur die Tatsachen genannt, das Schicksal der Soldaten betont. Die äußerst schlicht gehaltenen deutschen Soldatenfriedhöfe, die – auch und gerade in Russland – an die Gefallenen in deutscher Unif0rm erinnern, könnten hier Vorbild sein.

Aber: Treptow und Co. sind geschichtliche Denkmäler. Sie zu entfernen, würde bedeuten, einen Teil der Geschichte einfach wegzuräumen – und damit vergessen zu machen. Deutschland hat 1945 den Krieg verloren, Niederlage und Besatzung haben alles danach Entstandene in hohem Maße geprägt, sind Teil der deutschen Identität geworden. Gerade in Zeiten, wo bereitwillig überall Denkmäler vom Sockel gestürzt werden, weil sie nicht mehr als „politisch korrekt“ gelten, wo eine regelrechte „damnatio memoriae“ betrieben wird, sollte man sehr vorsichtig sein. Wo ein Denkmal entfernt wird, findet sich rasch ein weiteres, das plötzlich als ebenfalls anstößig gilt – ein wahrer Domino-Effekt.

Lukas Böhme

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Im Blickpunkt

Neue Eskalation im Kaukasus?

Die seit rund zwei Jahren geltende Waffenruhe zwischen Aserbaidschan und Armenien im Konflikt um Bergkarabach wird offenbar zusehends brüchig. Die Konfliktparteien bestätigten neue Kämpfe in der zwischen beiden Seiten umstrittenen Region. Mehrere Armenier und mindestens ein Soldat aus Aserbaidschan seien ums Leben gekommen, heißt es.

Große Mehrheit der Bevölkerung ist orthodox

Der Konflikt um Bergkarabach ist alt: Seit mindestens einem Jahrhundert streiten christliche Armenier und muslimische Aserbaidschaner um die rund 3000 Quadratkilometer im Südosten des Kleinen Kaukasus. Aserbaidschan kann dabei auf das Völkerrecht verweisen: Bergkarabach gehört zum international anerkannten Staatsgebiet Aserbaidschans. Armenien dagegen hat die Bevölkerung auf seiner Seite: Mit großer Mehrheit ist die Region von orthodoxen Armeniern besiedelt.

Zu Sowjet-Zeiten war Bergkarabach Aserbaidschan zugeschlagen worden: Seit 1923 bildete es ein autonomes Gebiet innerhalb der muslimischen Republik. Als die Sowjetunion zerfiel, erklärte Bergkarabach 1991 sei­ne Unabhängigkeit. Der Bürgerkrieg, den die Unab­hängigkeitsbestrebungen mit sich brachten, endete 1994 mit einem Waffenstillstand. Bergkarabach verblieb dadurch zwar formell bei Aserbaidschan, war dank armeni­scher Militärhilfe aber faktisch selbstständig. Seit 2017 nennt das Land sich nach einer antiken Region offiziell „Republik Arzach“.

Zerstörungen nach einem aserbaidschanischen Angriff auf Stepanakert, die Hauptstadt der international nicht anerkannten Republik Arzach. (Foto: Yan Boechat/VOA)

2020 brach der jahrzehntealte Konflikt wieder auf: Nach ersten Gefechten ab Juli eskalierte die Lage im September vollends. Aserbaidschanische Truppen starteten eine großangelegte Offensive und konnten weite Teile des umstrittenen Territoriums unter ihre Kontrolle bringen. Rund 7000 armenische und aserbaidschanische Soldaten starben. Nach armenischen Angaben mussten rund 90.000 Zivilisten aus ihrer Heimat fliehen.

Russische Friedenstruppen

Ein unter russischer Vermittlung zustande gekommenes Abkommen beendete die Kampfhandlungen im November 2020 und regelte den Abzug des armenischen Militärs, das die „Republik Arzach“ gestützt hatte. Friedenstruppen der Russischen Föderation überwachen seither die Waffenruhe, die durch die neuen Feindseligkeiten nun wieder in Frage gestellt ist.

Frühzeitig hatte die Türkei Partei für ihre islamischen Glaubensgenossen ergriffen, die als Turkvolk den Türken traditionell nahestehen. Bereits 2016, als der Konflikt schon einmal kurz vor der Ausweitung zum Krieg stand, erklärte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan: „Wir werden Aserbaidschan bis zum Ende unterstützen.“ In dem Waffengang 2020 tat er dies tatsächlich – vor allem diplomatisch, indirekt aber auch militärisch.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan (links) mit Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew. Die beiden turksprachigen Länder sind traditionell eng verbunden. (Foto: President.az/CC BY 4.0 via Wikimedia Commons)

Von der Türkei angeworbene Söldner kamen auf Seiten der aserbaidschanischen Armee zum Einsatz. Rund 4000 Islamisten seien aus dem türkisch besetzten Afrin im Norden Syriens in die aserbaidschanische Hauptstadt Baku gebracht worden, um dann „in vorderster Linie an der armenisch-aserbaidschanischen Grenze“ eingesetzt zu werden, wurde damals vermeldet. Etwa 500 von ihnen bezahlten den Kriegseintritt mit dem Leben.

Die Söldner entstammten radikalen sunnitischen Gruppen, die zwar überwiegend der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) feindlich gegenüberstanden, sich in ihrer Auslegung des Korans aber nicht selten gar nicht so sehr vom IS unterschieden. Sogar von einem „heiligen Krieg gegen die Christen“ in Bergkarabach war die Rede. Die Islamisten sahen es offenbar als ihre Aufgabe an, in den Kaukasusdörfern die Scharia, das islamische Recht, durchzusetzen – ein Verhalten, das bereits aus kurdischen Dörfern im Norden Syriens bekannt war.

Thomas Wolf